Didaktische Reihe
Band 18

Praktische
politische Bildung

 


Hrsg. von der LpB


1997



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Christine Herfel

Politische Frauenbildung - Ansätze, Konzepte, Erfahrungen


1. Einleitung

Die Bundestagspräsidentin und Vorsitzende der CDU-Frauenunion Prof. Dr. Rita Süßmuth beklagte in der frauenpolitischen Debatte des Deutschen Bundestages im April 1996, daß die alten Benachteiligungen für Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nach wie vor bestehen. "Wir haben die alten Benachteiligungen nicht beseitigt - ob es Lohndiskriminierung ist, ob es die Anzahl von Frauen in Führungspositionen ist, ob es die Anzahl von Frauen in der Politik ist. Wir als Frauen bestimmen nicht die Politik dieses Landes. Wir würden uns etwas vormachen, wenn wir zu dieser Einschätzung kämen, sondern nach wie vor ist es allenfalls so, daß wir inzwischen Mitgestaltende sind, aber nicht gleichberechtigt gestaltende Frauen in allen Lebensbereichen." [1]

1918 erhielten die Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht. Seit fast einem halben Jahrhundert ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland der sogenannte Gleichberechtigungsartikel verankert "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" - seit Oktober 1994 mit dem Nachsatz "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Hier steht es nun in unserer Verfassung schwarz auf weiß und ist die Verpflichtung des Staates zu einer aktiven Gleichberechtigungspolitik.

Der kritische Blick auf die Situation der Frauen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zeigt, daß es nach wie vor eine Fülle von direkten und indirekten Benachteiligungen von Frauen gibt. Der längst überfällige Wandel von Einstellungen und Verhaltensweisen läßt auf sich warten; die alte patriarchale Rollenverteilung sowie tradierte Lebens- und Arbeitsbedingungen wirken weiterhin in unserer Gesellschaft, prägen Männer und Frauen sowie das Verhältnis der Geschlechter untereinander. Es besteht ein eklatantes Mißverhältnis von weiblichem Bevölkerungsanteil (ca. 52 %) und dessen aktiver Beteiligung an der Mitgestaltung der Gesellschaft, an der tatsächlichen Teilhabe von Frauen an der Macht. Die Ursachen der weiblichen Unterrepräsentanz sind hinlänglich bekannt. Frauen wollen jedoch heute nicht länger das (biologische) Geschlecht als "sozialen Platzanweiser" in unserer Gesellschaft akzeptieren.

Der Frauenanteil in den Parlamenten, Regierungen und Parteien hat sich zwar seit den 80er Jahren erhöht - der öffentliche und politische Raum ist mit Sicherheit aber auch noch zu Beginn des nächsten Jahrhunderts männlich beherrscht. Die Journalistin und ehemalige Präsidentin der Niedersächsischen Zentralbank Hannover (1976-1988) Julia Dingwort-Nussek sagte einmal, wenn es in dem bisherigen Tempo mit der Gleichberechtigung - also ohne eine vorübergehende Bevorzugung - der Frauen weitergeht, Männer und Frauen erst im Jahre 2230 in gleicher Anzahl in Spitzenpositionen vertreten sind. Soviel Geduld haben die meisten Frauen zum Glück nicht mehr - das "Ende der Bescheidenheit" ist längst erreicht. Und es macht keinen Sinn, daß unsere Gesellschaft solange auf die Bereicherung durch weibliche Intelligenz, weibliche Erfahrungen, auf Fähigkeiten, Kraft und Einfallsreichtum der Frauen warten muß!

Das Gleichberechtigungsgebot unserer Verfassung durchsetzen und strukturelle Benachteiligungen der Frauen in unserer Gesellschaft aufheben kann nur die Politik. Die politischen Forderungen dazu müssen allerdings von den Frauen selbst kommen, formuliert und eingeklagt (nicht nur "be"-klagt) werden. Hier ist die Bildung gefragt. Insbesondere die politische Frauenbildung hat ihren Auftrag und ihre Aufgaben im Bewußtwerdungsprozeß, in der Wissensvermittlung und in der Vermittlung von Handlungskompetenz.

Es ist noch ein langer Weg, bis die Mehrheit der Frauen ihren Anteil an der Macht selbstbewußt einfordert. Das Bewußtsein der Frauen muß dahingehend geschärft werden, daß sie ihre Minderberechtigung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erkennen und daß sie realisieren, welche gewaltige Macht sie mit einem über 50%igen Bevölkerungsanteil darstellen!

Prof. Dr. Helge Pross, Soziologin und Pionierin der Frauenforschung (1927-1984) sagte 1979: "Eine Demokratie, in der die größte Hälfte der Bevölkerung weder in den Parlamenten noch in den Regierungen angemessen vertreten ist, ist bloß eine Demokratie am Anfang." [2] Beate Hoeckers umfangreiche Untersuchungen zur politischen Partizipation von Frauen in Deutschland lassen sie die Befürchtung formulieren:" Wenn die politischen Entscheidungsträger die Ursachen der begrenzten Teilnahme- wie Teilhabechancen von Frauen jedoch wie gewohnt ignorieren bzw. ihnen allenfalls in der politischen Rhetorik Beachtung schenken, dann kann eine sinkende Untersützung des politischen Systems durch Frauen nicht länger ausgeschlossen werden; die alarmierend hohe Zahl junger Nichtwählerinnen, deren ausgeprägtes Desinteresse an jeglicher parteipolitischer Partizipation, aber auch der rapide Ansehensverlust von Politikern in der weiblichen Bevölkerung weisen bereits heute in diese Richtung." [3]

Aus der weiblichen Perspektive betrachtet besteht dringender Handlungsbedarf und stellt für eine "konsequente Politik der Geschlechtergleichheit auf allen Ebenen des gesellschaftlichen wie politischen Systems auch für das 21. Jahrhundert mit die vornehmlichste Aufgabe dar." [4]

2. Frauenbildung in der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

Im November 1990 begann das neugeschaffene Fachreferat "Frauenbildung" der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg mit der Arbeit. Die Frauenbildung hervorzuheben und in den allgemeinen Kontext der politischen Weiterbildung einzuordnen, bedeutete damals für die baden-württembergische Landeszentrale "Neuland" zu betreten und für die Kollegen und Kolleginnen [5] - in der Konsequenz - nach und nach die spezifischen Akzentsetzungen politischer Weiterbildung für Frauen wahrzunehmen.

Frauenbildung ist parteilich für Frauen und geht deshalb explizit von weiblichen Perspektiven aus - anstatt von vermeintlich objektiven, geschlechtsneutralen! Nur aus dieser Perspektive kann sie geschlechtsspezifischen Benachteiligungen von Frauen entgegenwirken, kann sie subjektive Erfahrungen der Frauen in einen gesamtgesellschaftlichen Erkenntniszusammenhang bringen und zu politischem Handeln ermutigen.

Heute ist die Frauenbildung als eigenständiges Fachreferat der Landeszentrale kaum mehr wegzudenken. Aufgaben gibt es in Hülle und Fülle. Bei den Frauen in Baden-Württemberg findet nach unserer Einschätzung z.Zt. ein Politisierungsschub statt, den wir festmachen an der großen Nachfrage und an den gewünschten Themen. Frauen fordern mehr politische Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen und suchen Mittel und Wege zu einer Stärkung ihrer Positionen.

Eigene Weiterbildungskonzeptionen, Modellprojekte, Kooperationen, Austausch und Vernetzungen, Wissenstransfer, Unterstützung inhaltlicher, organisatorischer und finanzieller Art bei Veranstaltungen von Frauengruppen und Frauenverbänden ... in dieser Bandbreite erstreckt sich die Arbeit des Fachreferates Frauenbildung. Bevor an dieser Stelle ausführlich über ein landesweites Modellprojekt zur Förderung der politischen Partizipation von Frauen berichtet wird, welches das Fachreferat Frauenbildung seit sechs Jahren begleitet, soll zuvor ein Rückblick die Entwicklung der politischen Frauenbildungsarbeit skizzieren, um ihren gesellschaftlichen Stellenwert zu verdeutlichen.

3. Ziele, Inhalte und Methoden der politischen Frauenbildungsarbeit

Ziele, Inhalte und Methoden der politischen Frauenbildungsarbeit wurden entwickelt auf der Grundlage eines Verständnisses von Bildung, das sich an der Lebensrealität von Frauen orientiert, ihre Bildungsinteressen und ihre Sichtweisen in den Mittelpunkt stellt.

Seit den 70er Jahren - parallel zur Entwicklung der neuen Frauenbewegung in der BRD - gibt es in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung spezifische Frauenbildungsangebote. Zunächst eher in Frauenzentren und Frauenverbänden, dann in den Volkshochschulen und bei kirchlichen, gewerkschaftlichen oder (partei-)politischen Bildungsträgern, in den Landeszentralen für politische Bildung und anderen Instituionen und Organisationen wurden die Interessen und Belange von Frauen aufgegriffen und in unterschiedliche Weiterbildungsangebote umgesetzt.

Waren in den Anfängen die Selbsterfahrungsgruppen und Frauengesprächskreise im Zentrum der Bildungsarbeit, so zielten in den 80er Jahren die Angebote verstärkt darauf, die Partizipationsmöglichkeiten von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verbessern. Frauen wollten Frauen befähigen, sich gegen die vielfältigen geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Benachteiligungen zur Wehr zu setzen, kritisch ihre Stellung in der Familie, im Beruf und in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik und Kirche zu reflektieren und nach Veränderungsmöglichkeiten ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Situation zu suchen.

Frauen analysierten die Strukturen der geschlechtsspezifischen Rollen- und Arbeitsverteilung und die gesellschaftliche Abwertung der Frauen- und Familienarbeit, sie diskutierten gesellschaftliche Veränderungen mit ihren Auswirkungen auf Frauenlebenszusammenhänge, machten Vorschläge für Veränderungen, kämpften im privaten und öffentlichen Bereich für ihre Gleichberechtigung.

Frauen erkannten, daß sie ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen und in die Öffentlichkeit bringen mußten! Mit Mut, Kreativität und Durchsetzungskraft haben Frauen in den vergangenen 20 Jahren in Frauenzentren sowohl als auch in den traditionellen Bildungsinstitutionen ein breites Angebots- und Themenspektrum der Frauenbildung entwickelt. Seminare, Frauenforen, Aktionen, Ausstellungen, politische Diskussionsrunden etc. wurden durchgeführt, um Frauenthemen in die Öffentlichkeit zu bringen und politisch relevant werden zu lassen. Die Situation der Frau in Ehe und Familie, in Beruf und Arbeitswelt, in der Gesellschaft und in der Politik waren erste Schwerpunkte. Dann weiteten sich die Themen aus auf Frauen und Frieden, Frauen in der Dritten Welt, Frauen und Gesundheit, Ökologie, Frauen in der Lebensmitte, Frauenrechte, Frauenförderung, Frauengeschichte, Frauenforschung, Frauen und Gewalt und vieles mehr.

Frauenbildnerinnen erweiterten bewährte Methoden der Erwachsenenbildung um frauenspezifische Herangehensweisen, sie entwickelten neue Methoden und - vor allem - entdeckten körperorientierte und ganzheitliche Ansätze für ihre Bildungsarbeit. Emotionale, körperliche und geistige Lernschritte im Zusammenhang zu sehen und vor allem methodisch in Bildungsveranstaltungen zu integrieren, machte eine ganz neue Qualität des Lernens aus.

Es wurden Regeln und Verhaltensweisen für Frauengruppen erarbeitet, die selbsterfahrungsorientierte Ansätze mit politischer Bewußtseinsbildung verknüpften. Besonders bewährte sich die biografische Methode, durch die für jede einzelne Frau ihre eigene Lebensgeschichte im gesellschaftlichen Kontext erfahrbar wurde. Diese neue Sichtweise eröffnete Frauen die Chance, ihren weiblichen Lebenslauf nicht länger als "defizitär" oder "zweitrangig" zu definieren und ihn weiterhin an einer typisch männlichen Lebens- und Erwerbsbiografie zu messen, die viele Frauen auch in ihrem Denken und Fühlen als "Maßstab" verinnerlicht hatten.

Frauen entwickelten Rollenspielvarianten, Interaktionsübungen, Selbstbehauptungstrainings, Schreibwerkstätten und vieles mehr. In den letzten Jahren gewinnt vor allem die Methode der Zukunftswerkstatt in der politischen Frauenbildung an Bedeutung. [6] Sie verbindet in ihrer Konzeption die rationale, thematische Auseinandersetzung mit sinnlichen Erfahrungen und zielt auf die Entfaltung des kreativen Potentials der Teilnehmerinnen. Durch die Einbeziehung körperorientierter Ansätze entspricht eine Zukunftswerkstatt einer ganzheitlichen, frauenspezifischen Bildung in besonderer Weise. Die Teilnehmerinnen werden bei der Umsetzung ihrer Utopie in die Realität unterstützt, unter Berücksichtigung ihrer örtlichen Bedingungen, ihrer persönlichen Möglichkeiten und unter Einbezug der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.Die Ergebnisse einer Zukunftswerkstatt sind handlungsorientiert, ein Grundanliegen der Frauenbildungsarbeit.

Die politische Frauenbildungsarbeit Ende der 80er und vor allem jetzt in den 90er Jahren nimmt, beeinflußt von Diskussionen und Entwicklungen der Frauenbewegung und Ergebnissen der Frauenforschung, immer stärker das Geschlechterverhältnis in den Blick; zusätzlich zur grundsätzlichen Frauenperspektive. Und sie thematisiert die Differenz unter Frauen, ohne die Tatsache zu verkennen, "daß Frauen noch immer 'Gleiche' eines Geschlechts sind, als solche wahrgenommen und entsprechend normiert werden." [7]

Mit dem Blick auf das Ziel gemeinsamen politischen Handelns ist für die Frauenbildung entscheidend, "sich das dialektische Verhältnis von Differenz und Gleichheit unter Frauen zu vergegenwärtigen und immer wieder auf eine Balance zwischen beiden hinzuarbeiten." [8] Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis und die Diskussion um Gleichheit und/oder Differenz unter Frauen eröffneten der Frauenbildungsarbeit neue Perspektiven. Neu bzw. anders können Fragen der politischen Partizipation von Frauen, Fragen des Umgangs mit Macht und Konkurrenz gestellt und die Notwendigkeit einer Vernetzung von Frauen erkannt werden. Geschlechterdifferenzen im Lernverhalten, im Bildungswesen und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern (vielleicht das Kernproblem unserer Gesellschaft?) sind notwendige Themenkomplexe der politischen Bildung, die über die Weiterentwicklung der Frauenbildungsarbeit hinausgehen und Frauen und Männer im Blick haben müssen. [9]

Kritisch, ungeduldig und auch ärgerlich fordern heute Theoretikerinnen und Praktikerinnen der politischen Frauenbildung ein "zeitgemäßes Politikverständnis in der politischen Bildung ... Konzepte und Ausführungen zur allgemeinen politischen Bildung verlieren ihre Relevanz, wenn sie nicht die Perspektive des Geschlechterverhältnisses in dieser Gesellschaft, in diesem Europa, zumindest berücksichtigen, wenn nicht gar zum Ausgangspunkt gesellschaftlicher Themenfindung nehmen."[10]

Frauen im politischen Bildungsbereich konstatieren bis heute das Ausklammern der Forschungsergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung und der vielfältigen Ansätze emanzipatorischer und feministischer Frauenbildungsarbeit in der neueren Theoriebildung der Erwachsenenbildung. Wiltrud Giesecke, Professorin für Erwachsenenbildung an der Humboldt Universität Berlin bemerkt: "Das Verleugnen der Bildungsangebote für Frauen spiegelt aber in fast entlarvender Weise die gesellschaftliche Unsichtbarmachung von Frauen wider." [11] Da bleibt nur zu hoffen, daß sich die Erkenntnis durchsetzt, daß Ausgrenzung und Ignoranz nicht weiterführen - weder die Frauenbildung noch die Männerbildung [12] noch die Erwachsenenbildung und Politische Bildung überhaupt. Wenn Politische Bildung dazu beitragen will, dem Ziel einer Gesellschaft ohne Geschlechterhierarchien näherzukommen, geht das nur, wenn langfristig Männer und Frauen gemeinsam ihre Vorstellungen und Visionen [13] entwickeln und den Weg dahin bereiten.

In der eingangs erwähnten Debatte im Deutschen Bundestag sagte Rita Süßmuth in Bezug auf die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und mit dem Blick auf ihre männlichen Kollegen in der Politik: "Wir sind längst am Ende einer Betrachtung angekommen, bei der die Gleichberechtigung ein Frauenthema ist, sondern jetzt ist sie ein globales Zukunftsthema." [14]

4. Unsere Stadt braucht Frauen - wir machen mit!

Unter diesem Titel startete 1990 in Ludwigsburg ein Modellseminar [15] für Frauen, das heute als eine außerordentlich erfolgreiche frauenpolitische Seminarreihe in ganz Baden-Württemberg bekannt ist. Die in Ludwigsburg gemachten Erfahrungen aufzuarbeiten und in eine - auch auf andere Städte übertragbare - inhaltliche und pädagogische Konzeption umzusetzen, wurde 1991 zu einer Aufgabe, die im neu geschaffenen Fachreferat Frauenbildung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in Angriff genommen wurde.

Die große Nachfrage sprengte bald die bereitgestellten Mittel aus dem Etat des Fachreferates. Der Direktor der Landeszentrale sicherte über die Bewilligung von Sondermitteln die weitere Durchführung des Projektes in Baden-Württemberg ab, das seit nunmehr sechs Jahren vom Fachreferat Frauenbildung der Landeszentrale betreut wird. Anfragen aus Städten, Gemeinden und Kreisen zu dem Projekt erreichen das Referat und werden von hier aus beantwortet. Inhaltliche und organisatorische Beratung, Hilfestellung für die Durchführung usw. werden vom Fachreferat geleistet.

Didaktische Materialien, die im Fachreferat entwickelt wurden, werden den Kursleiterinnen zur Verfügung gestellt. Das wichtigste ist jedoch die finanzielle Förderung, ohne die im allgemeinen dieses Kursmodell nicht gestartet werden könnte. Seminarberichte, Briefe, Presseartikel belegen, daß viele Frauen durch die Teilnahme an den Seminaren für ein verstärktes politisches Engagement gewonnen wurden.

Bei vielen "Schnupperabenden", die vor dem eigentlichen Kursbeginn stattfinden, ist die Fachreferatsleiterin vor Ort. Die Aufgabe der Referentin ist es, die Arbeit der LpB vorzustellen, die Schwerpunkte der politischen Arbeit zu verdeutlichen und "für unsere Demokratie" zu werben. Vor allem geht es jedoch darum, die spezifischen Ziele und Inhalte der politischen Frauenbildungsarbeit der Landeszentrale und insbesondere die Konzeption und Zielsetzung des Modellprojekts "Unsere Stadt/Unser Kreis braucht Frauen" den Interessentinnen nahezubringen. Auch Berichte über bereits durchgeführte Seminare wecken im allgemeinen das Interesse und die Neugier auf eine Teilnahme. Auf dieses Seminar aufmerksam wurden viele Frauen durch ansprechend und einladend gestaltete Programme.

Zwischen 20 und 50 Anmeldungen für ein politisches Seminar, das war und ist immer wieder überraschend, wenn irgendwo im Land das Projekt startet. Was macht Unsere Stadt/Unser Kreis braucht Frauen" attraktiv für die Frauen? Was ist das Besondere an diesem Modellprojekt, an unserer Konzeption? Wir denken, daß wir einige grundlegende inhaltliche und methodisch-didaktische Prinzipien der politischen Frauenbildungsarbeit berücksichtigt haben und damit den Wünschen vieler Frauen entsprechen.

Unser Ziel ist es, Frauen anzuregen und zu ermutigen ihre eigenen Lebenserfahrungen in einem gesamtgesellschaftlichen Erkenntniszusammenhang zu setzen, sich gesellschaftliche Strukturen und Prozesse bewußt zu machen und sie zu durchleuchten, insbesondere unter dem Aspekt der bestehenden Geschlechterverhältnisse. Es gibt keinerlei Begründungen dafür, daß Frauen sich mit ihrer "gesellschaftlichen Zweitrangigkeit" abfinden müssen - dieses zu begreifen und selbstbewußt verändern zu wollen ist ein wichtiger Schritt der Frauen hin zu mehr Demokratie in unserer Gesellschaft.

Unser Kursmodell ist darauf angelegt, das politische Engagement von Frauen zu fördern und dieses in erster Linie ortsbezogen, dort, wo für Frauen Politik direkt erfahrbar und nachvollziehbar ist. Wir möchten Frauen bestärken, sich ins "Alltägliche" einzumischen, sich für persönliche wie gesellschaftliche Veränderungsprozesse Mut und Kraft zu holen, damit sie sich endlich zutrauen, aktiv zu werden, um ihre Lebenswelten mitzugestalten und zu verändern. "Unsere Stadt braucht Frauen - wir machen mit" vermittelt unser Erachtens allein schon durch den Kurstitel, daß das "Lernziel" nicht allein Fort- und Weiterbildung ist, sondern auf Aktionen und Handeln, auf konkretes Engagement angelegt ist.

Mehr politische Partizipation der Frauen ist unser Ziel. Vor allem wollen wir Frauen aller Altersgruppen und aus möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen zur Teilnahme gewinnen. Unsere Konzeption ist, daß jeweils die Frauenbeauftragte vor Ort die erste Ansprechpartnerin für die Landeszentrale wird und mit ihr zusammen versuchen wir, Frauengruppen und Frauenorganisationen einzubeziehen (z.B. Hausfrauenbund, Landfrauen, Mütterzentren), selbstverständlich die örtliche Volkshochschule und die kirchlichen Bildungsträger und wenn vorhanden, die Familienbildungsstätten. Leider gibt es in Baden-Württemberg bisher relativ wenige Frauenbeauftragte (im Vergleich zu anderen Bundesländern), so daß häufig andere Kooperationspartnerinnen die Federführung übernehmen müssen. Diese haben allerdings weitaus mehr Mühen mit der Organisation und Planung der Seminare, da ihnen im allgemeinen die entsprechende Infrastruktur fehlt, die ein kommunales Frauenbüro zur Verfügung hat.

Es war von Anfang an ein zentrales Anliegen des Fachreferates Frauenbildung der LpB zu erreichen, daß die verschiedensten Frauengruppen, Frauenverbände, Bildungseinrichtungen etc. zusammenkommen, um in gemeinsamer Trägerschaft dieses politische Seminar durchzuführen. Wo dieses gelungen ist, hat sich daraus häufig ein stabiles Frauennetzwerk gebildet, das weitere Frauenaktivitäten in der Stadt / im Kreis initiiert, fördert und stützt. Für die Teilnehmerinnen der Seminare bot u. E. die gesellschaftliche Bandbreite der Trägerinnen des Konzeptes eine positive Bestärkung zur Teilnahme. Sie konnten sicher sein, daß weder parteipolitische noch konfessionelle Ausrichtungen dominierten.

Die Vielfalt der weiblichen Lebensentwürfe, die in den Seminaren sichtbar wurde, war häufig eine Gewähr für lebhafte Diskussionen - ebenso wie die im allgemeinen als 2-er Team organisierte Leitung der Kurse. Aus mehrerern Gründen favorisierten wir ein Leitungsteam. Zum einen wurde so die oben genannte Überparteilichkeit und Meinungsvielfalt ermöglicht und die Teilnehmerinnen hatten die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Frauen in der Leitungsfunktion mit unterschiedlichen Herangehensweisen zu erleben. Auch zeigte sich, daß die örtlichen Kontakte bei zwei Leiterinnen breiter waren und vor allem wurde hier ganz praktisch dem weitverbreiteten Vorurteil begegnet, daß Frauen nicht miteinander können" und eher Konkurrentinnen sind denn Partnerinnen. Da die Teilnehmerinnen als Expertinnen ihrer Situation und als Kennerinnen ihrer Stadt und Gemeinde verstanden werden, sind sie ebenso wie ihre Kursleiterinnen gefordert, sich einzubringen und mit- und voneinander zu lernen.

Ein didaktisches Prinzip der Frauenbildungsarbeit ist es, auf die Prozeßorientierung bzw. Offenheit der Bildungssituation zu achten. Die Seminarinhalte für "Unsere Stadt / Unser Kreis braucht Frauen" werden von den Trägerinnen und Kursleiterinnen im allgemeinen für die ersten vier bis fünf Abende festgelegt, danach entscheiden die Teilnehmerinnen über die folgenden Themenbereiche und nehmen so Einfluß auf den weiteren Bildungsprozeß. Es hat sich besonders bewährt, wenn die Seminarabende direkt in den "Zentren der Macht", in den Bezirksrathäusern oder Rathäusern der Städte stattfinden. "Das Rathaus ist für uns entmystifiziert worden, das gehört jetzt mehr zu uns" sagte eine Teilnehmerin eines Stuttgarter Seminars treffend.

Die soziodemographischen Daten der Frauen, die diese Seminare besuchten, bieten einen repräsentativen Querschnitt des gesellschaftlichen Bildes der Frauen in Deutschland. Familienfrauen, alleinerziehende Frauen, Hausfrauen, erwerbstätige Frauen, Frauen mit Hauptschulabschluß und Hochschulabsolventinnen - ein breites Spektrum an Frauen ist in den Kursen vertreten. Frauen, die sich zu diesen Kursen anmeldeten, waren zum Teil bereits politisch aktiv, z.B. in Parteien, BürgerInnenorganisationen oder Vereinen. Andere zeigten ihr politisches Interesse, indem sie vereinzelt politische Veranstaltungen und Vorträge besuchten. Es kamen jedoch auch die Frauen, die sich bislang noch nicht von der Politik angeprochen fühlten, sich als völlig "unpolitisch" verstanden - nach eigener Aussage.

Erstaunlich ist für die Seminarreihe das hohe Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen. Aus den vorliegenden Daten ergab sich ein Durchschnittsalter von ca. 35 Jahren aufwärts. Dagegen fehlten vor allem die jungen Frauen zwischen 20 - 30 Jahren, also genau die Gruppe von Frauen, die eigentlich besonders angesprochen werden sollte, erreicht "Unsere Stadt ..." leider auch nicht. [16]

Neben dem Informationsbedürfnis und der Wissensvermittlung, z. B. über Kommunalpolitik sind Selbstbehauptung und Rhetorik hauptsächlich gewünschte Themenschwerpunkte in der zweiten Kurshälfte. Im allgemeinen wird ein Kursabend genutzt, um die Zusammenhänge zwischen weiblicher Sozialisation und Rede- und Durchsetzungshemmungen zu erörtern. Oft wird z. B. ein Wochenendseminar im Anschluß an den Kurs selbst organisiert, wo die Frauen eine intensive rhetorische Schulung erfahren. Nachfolgeseminare oder Zukunftswerkstätten zu unterschiedlichen Themen gab es auf Initiative der Teilnehmerinnen in zahlreichen Städten. Häufig geben aktuelle Anlässe die Ausrichtung des Bildungsinteresses vor, wie z. B. in der Einrichtung eines Arbeitskreises Stadtplanung aus der Frauenperspektive (Esslingen) oder im konkreten Engagement für die Einrichtung eines Familien- und Kommunikationszentrums (Herbrechtingen) in der Stadt.

Auffallend war die große Zahl der Seminare im Wahljahr '94. Insgesamt wurden 30 Seminarprojekte mit durchschnittlich 20 Teilnehmerinnen durchgeführt. Die weit verbreitete Annahme, Frauen seien unpolitisch und nicht an Politik interessiert, scheint sich hier zu widerlegen.Viele der Frauen wollten sich gerade vor den Wahlen genau informieren oder spielten mit dem Gedanken, selbst aktiv zu werden. Was fehlte, war ein letzter Anstoß, eine Bestätigung der eigenen Fähigkeiten, und vielleicht die Vermittlung des Gefühls, Frau steht nicht allein.

Die Seminarteilnehmerinnen wissen im allgemeinen recht bald, ob sie sich eher im eindeutig politischen Raum (z.B. in eine Partei eintreten oder für politische Ämter kandidieren) oder ob sie lieber im großen Bereich der Interessenvertretungen (z.B. Kindergarten, Schule, Projekte, Kirche, Vorstände, Betriebs- oder Personalräte, Frauenverbände) politisch aktiv werden wollen. Entscheidungshilfen bieten für viele Frauen die erlebte Gruppensolidarität, das Wissen um die Unterstützung durch die anderen Frauen (Stichwort Vernetzung) oder auch "Vorbild"-Frauen, die sie im Kursverlauf kennenlernten. Diese Erfahrungen wurden in einem Auswertungsseminar mit ca. 30 Kursleiterinnen und einigen Teilnehmerinnen des Projekts "Unsere Stadt braucht Frauen" zusammengetragen. Das Wochenendseminar diente dazu, sich über frauenpolitische Ziele auszutauschen und sich gegenseitig die angewandten Methoden vorzustellen und Kursmaterialien weiterzugeben.

Besonders interessant war jedoch zu hören, wie einzelne Seminarteilnehmerinnen bei den vorausgegangenen baden-württembergischen Kommunalwahlen abgeschnitten hatten. Diese waren offensichtlich für viele Frauen gerade die richtige Gelegenheit, das Motto des Seminars: "Unsere Stadt / Unser Kreis braucht Frauen - wir machen mit" in die Tat umzusetzten. Zahlreiche Frauen hatten sich aufstellen lassen, quer durch alle Parteien und einigen gelang auf Anhieb der Sprung in die Kommunalpolitik. Die '94er Kommunalwahlen haben in Baden-Württemberg den Frauenanteil in den Räten erheblich erhöht - auch wenn er insgesamt immer noch nur 17% beträgt. Allerdings sind in 91 Gemeinderäten in Baden-Württemberg die Männer noch unter sich!

Sicherlich verändert nicht allein eine größere Präsenz von Frauen die Politik - langfristig liegt jedoch eine Hoffnung darin, daß durch viele Frauen Strukturen, Werte und Normen in politischen Gremien verändert werden und die gesamten Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe der Frauen in unserer Demokratie neu gestaltet werden können.


Anmerkungen

1) Das Parlament, Nr. 18 vom 26. April 1996, S. 9
2) Helge Pross, zitiert nach Beate Hoecker: Politische Partizipation von Frauen. Ein einführendes Studienbuch, Opladen 1995, S. 152
3) Beate Hoecker, a.a.O., S. 194
4) Beate Hoecker, a.a.O., S. 195
5) Das Fachreferat Frauenbildung war damals das 10. Fachreferat der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und das erste Referat mit einer Leiterin. Kolleginnen gab es vorwiegend auf der Sachbearbeitungsebene.
6) Die Methode der Zukunftswerkstatt wurde u.a. von Robert Jungk in den 60er Jahren entwickelt. In drei klar voneinander abgetrennten Phasen (Kritikphase, Phantasiephase und Realisierungsphase) wird eine Problemlösung gesucht. Beispiel einer Zukunftwerkstatt für Frauen s. Pädagogische Arbeitsstelle des DVV (Hrsg.): Holzhausenstr. 21, 60322 Frankfurt/Main 1993. Frauenbildung ist wie..., S. 81-85: Zukunftswerkstatt Frauenbildung. Eine Fortbildungsveranstaltung für Kursleiterinnen an VHS
7) Ursula Eberhardt, Katharina Weiher (Hrsg.): Differenz und Gleichheit von Frauen. Rahmenplan Frauenbildung, Frankfurt a.M. 1994, S. 52
8) a.a.O. S. 52
9) Ein Versuch in diesem Sinne war 1995 ein Wochenendseminar des Fachreferates Frauenbildung der Landeszentrale in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Kultur und Lebenswelt des DIE (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung) in Bad Urach "Dialoge zwischen den Geschlechtern - Was Frauen schon immer forderten und noch nicht haben - Was Männer schon immer hatten und so schwer teilen können".35 Frauen und 25 Männer (über 100 Frauen hatten sich angemeldet und 25 Männer!) nahmen teil. Die Seminarinhalte sind zum Teil in Arbeitsgruppe Kultur und Lebenswelt (Hrsg.): "Dialoge zwischen den Geschlechtern" in Berichte - Materialien - Planungshilfen, DIE 1995 dokumentiert; als Offenes Seminar der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg wurde das Konzept entsprechend modifiziert und methodisch-didaktisch mit einem Wechsel von Plenen, und Arbeitsgruppen und Bewegung umgesetzt.
10) Wiltrud Gieseke:Kriterien für eine politische Weiterbildung von Frauen aus der Perspektive des Geschlechterverhältnisses, In: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Hrsg.): Einmischung erwünscht - Politische Weiterbildung von Frauen. Werkstattgespräch vom 10. bis 12. Oktober 1994 in Bonn, 1995, S. 74 vgl. dazu Karin Derichs-Kunstmann, Von der Politisierung des Privaten zur gleichberechtigten Partizipation an Politik, In: Waltraud Cornelißen, Christine Voigt (Hrsg.): Wege von Frauen in die Politik, Bielefeld 95, S. 18/19 und Helga Kutz-Bauer: "Was heißt frauenspezifisches Lernen und Handeln? In: Aus Politik und Zeitgeschehen, Beilage zur Wochenzeitschrift "Das Parlament" vom 12. Juni 1992, B 25-26/92, S. 19-31
11) Gieseke, a.a.O. S. 74
12) Erste Ansätze einer Männerbildung gibt es in den Kirchen, der Erwachsenenbildung und politischen Bildung und in Freien Gruppen. Vgl. Konrad Schacht, Hans Joachim Lenz, Hannelore Jansen: Männerbildung - ein Thema für die politische Bildung, Hrsg. Hessische Landeszentrale für politische Bildung., Wiesbaden 1995
13) Um Frauen-Visionen einer gleichberechtigten Zukunft ging es in einem 4-tägigen Sommerworkshop im Juni 1996 mit 60 Teilnehmerinnen (Offenes Seminar) im Haus auf der Alb in Bad Urach
14) Das Parlament vom 26.04.1996, S. 9
15) Die Initiative ging von der damaligen Bürgermeisterin und Frauenbeauftragten der Stadt Ludwigsburg aus. In Zusammenarbeit mit der Stadt Ludwigsburg, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, der Leitstelle für Frauenfragen im Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen Baden-Württemberg, sowie der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg wurde das Konzept entwickelt und erstmalig im Herbst 1990 durchgeführt.
16) Zu den Ursachen vgl. Dokumentation "Sechs Jahre Unsere Stadt / Unser Kreis braucht Frauen -wir machen mit", Hrsg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Dezember 1996, S. 25/26

 


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