Baustein

"Euthanasie" im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940

Hrsg: LpB, 2000

 

2.2 Euthanasie in Grafeneck

Die Opfer von Grafeneck




Inhaltsverzeichnis     


Die Verlegungen nach Grafeneck setzten bereits im Januar 1940 ein. Es waren die ersten Verlegungen und Tötungen im Rahmen der "Aktion T4". Die Erlasse, nahezu gleichlautend für Württemberg und Baden, waren am 23. November 1939 in Württemberg und am 28. November 1939 in Baden den staatlichen Anstalten zugegangen. Südwestdeutschland war somit die erste Region, die von der "Euthanasie"-Aktion erfaßt wurde. Die erste Anstalt in Württemberg, aus der Patienten nach Grafeneck "verlegt" wurden, war die staatliche Heilanstalt Weinsberg. Dies geschah in den letzten Januartagen 1940. Im Wochenbericht der Anstalt vom 29. Januar 1940 an das Württembergischen Innenministerium heißt es über den Abtransport vom 26. Januar lapidar: "Außerdem wurden 48 Pat. (w.) von der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH abgeholt".

Allein in Württemberg waren über 20 einzelne Anstalten von der "Euthanasie" betroffen. Um die Einordnung der einzelnen Anstalten innerhalb dieses Systems zu verdeutlichen, sollen im folgenden die verschiedenen Anstaltstypen aufgelistet und die jeweilige Zahl von Opfern angegeben werden. Die Zahlen beziehen sich hierbei nur, und dies muß ausdrücklich betont werden, auf die in Grafeneck getöteten Patienten. Vorausgeschickt werden muß ebenfalls, daß die Zahlen nur als vorläufig anzusehen sind und trotz der scheinbaren Präzision Unschärfen aufweisen können. Sie sind deshalb nur als Annäherungswerte aufzufassen. Die Zahlenangaben stützen sich hauptsächlich auf das statistische Material des 1949 vor dem Schwurgericht Tübingen verhandelten Grafeneck-Prozesses, die Wochenberichte württembergischer Anstalten an das Innenministerium in Stuttgart sowie die Jahresberichte der einzelnen Anstalten.

Auch über die Gesamtzahl der Opfer in Grafeneck existieren verschiedene Angaben. So leidig diese Thematik und diese Diskussion erscheinen mag, so notwendig ist sie jedoch bis heute. In der Hartheim-Statistik, benannt nach ihrem Fundort im heute österreichischen Hartheim bei Linz, einem der sechs T4-Vernichtungszentren, ist die Zahl der Opfer in Grafeneck mit 9839 angegeben. Der württembergische GrafeneckProzeß vor dem Schwurgericht Tübingender auf monatelangen Vorermittlungen des Amtsgerichts Münsingen basiert, stellt 10.654 hauptsächlich aus Württemberg, Hohenzollern, Baden und Bayern fest. Die hier angeführten Daten basieren auf dem Material des Grafeneck-Prozesses und auf Untersuchungen in den Archiven der sogenannten Abgabeanstalten (s. 5.2).

A. Staatliche Heil- und Pflegeanstalten

2077

1. Weinsberg

422

2. Winnenden (Winnental)

356

3. Weissenau

558

4. Schussenried

317

5. Zwiefalten

352

6. Bürgerhospital Stuttgart

1

7. Sigmaringen

71

B. Privatheilanstalten

322

1. Rottenmünster

178

2. Christophsbad/Göppingen

137

3. Kennenburg/Esslingen a.N.

7

C. Landesfürsorgeanstalten

277

1. Markgröningen

120

2. Rabenhof/Ellwangen

30

3. Riedhof/Ulm

55

4. Rappertshofen/Reutlingen

72

D. Konfessionelle Anstalten

1229

Innere Mission/Landesverband Württemberg (evang.)

 

1. Pfingstweide/Tettnang

24

2. Stetten i.R.

324

3. Gottlob-Weisser-Haus/Schwäbisch Hall

87

4. Mariaberg/Reutlingen

60

5. Paulinenpflege Winnenden

1

Caritas (kathol.)

 

5. Liebenau

463

6. Heggbach/Biberach a.d.R.

173

7. Ingerkingen

72

8. Rosenharz/Ravensburg

26

GESAMT

3946

Tab. 1: Anstalten in Württemberg / Zahlen der Opfer in Grafeneck

Ebenfalls neueren Datums sind unsere Erkenntnisse über den überaus großen Einzugsbereich der Vernichtungsanstalt Grafeneck im Jahr 1940 und die hohe Zahl der Einrichtungen, die als Abgabeanstalten fungierten.

 

LAND

ZAHL DER ANSTALTEN

OPFER

I.

WÜRTTEMBERG (mit Hohenzollern)


23


3.946

II.

BADEN

17

4.500

III.

BAYERN

5

1.864

IV.

ANDERE

2

514

     

10.824

Tab. 2: Die Opfer von Grafeneck/Regionale Herkunft

Lag bislang die offizielle Zahl der auch an der Gedenkstätte in Grafeneck heute vermerkten Einrichtungen bei 36, so sind inzwischen 47 Anstalten vermerkt, ohne daß hiermit eine Vollständigkeit erreicht wäre. So steht zu vermuten, daß die alphabetische Liste mit den historischen Namen der Einrichtungen, noch um weitere, in der Hauptsache wohl bayerische, ergänzt werden muß.
(s. Anhang, 5.2).


 


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