Dokumentation

Globalisierung als Chance II

Blick auf die Weltgesellschaft



Katrin Grüber
Szenarien globaler Entwicklung im 21. Jahrhundert


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Inhaltsverzeichnis


Dr. Katrin Grüber ist Mitglied der GRUPPE von LISSABON und seit 1990 Abgeordnete im Landtag Nordrhein-Westfalens (z. Zt. als stellvertretende Vorsitzende).

1. Grenzen des Wettbewerbs

Grenzen des Wettbewerbs", so lautet der Titel eines wegweisenden Buches, das von der Gruppe von Lissabon erarbeitet wurde und mittlerweile in 8 Sprachen übersetzt wurde. Die Gruppe von Lissabon wurde 1992, dem 500. Jubiläum der sogenannten Entdeckung Amerikas von Prof. Riccardo Petrella, damals Leiter des FAST Programmes der Europäischen Union (Forecasting and Assessment of Science and Technology) ins Leben gerufen. Der Gruppe gehören Mitglieder aus Ländern der Triade an (Japan, Kanada und USA und Westeuropa). Sie arbeiten in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Politik.

Der deutsche Titel des Buches Grenzen des Wettbewerbs - Zukunft der Menschheit" ist eine wichtige programmatische Aussage, denn wer von Grenzen des Wettbewerbs spricht, erkennt erst einmal an, daß Wettbewerb nötig ist. Es gibt viele Bereiche, sei es im Sport, in der Politik, in der Kunst, ja selbstverständlich auch in der Wirtschaft, wo es ohne Wettbewerb nicht funktioniert. Zahlreiche technische Errungenschaften verdanken wir dem Wettbewerb als einer wichtigen Antriebsfeder. Wettbewerb hat wesentlich zur Verbesserung des Wohlstandes beigetragen. Doch in seiner heutigen Form schadet er den Menschen mehr, als er ihnen nutzt, denn er verursacht massive Schwierigkeiten für Gesellschaft und Wirtschaft. In seiner heutigen Form führt er zu immer höherer Arbeitslosigkeit und diejenigen, die noch einen Job haben, müssen zum Teil mit Einkommensverlusten rechnen. Die durch Auseinandersetzung gewonnenen Errungenschaften werden auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit geopfert. Der Sozialstaat ist in Gefahr durch die unerbittliche Wettbewerbsideologie - und eben nicht durch angeblich überhöhte Ansprüche. Dem Wettbewerb wird anderes untergeordnet. Wer über Schlaflosigkeit wegen des nächtlichen Fluglärms klagt, wird quasi beschuldigt, der Wettbewerbsfähigkeit der Region im Wege zu stehen. Entlassungen werden mit der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit begründet - während die Aktienkurse steigen.

Die Entwicklung, die in den letzten Jahren eingeleitet wurde, ist höchst problematisch. Jeder konkurriert gegen jeden: Nordrhein-Westfalen gegen Bayern bzw. gegen die Niederlande, Baden-Württemberg gegen Bayern oder andere Regionen, Österreich gegen die Schweiz usw. Dabei hat der Wettbewerb absurde Züge angenommen. Der frühere OECD-Generalsekretär Emil van Lennep hat dies schon vor über 10 Jahren richtig bemerkt: Gegen wen soll die OECD als Ganzes wettbewerbsfähiger werden, gegen die Entwicklungsländer? Gegen den Mond?"1 Wenn jeder mit jedem konkurriert, wird das Gesamtsystem früher oder später kollabieren. Wenn Wettbewerb übertrieben wird, schadet er am Ende allen. Schon jetzt ist zu beobachten, daß der Wettbewerb immer gnadenloser wird, das Tempo zunimmt und es immer mehr Verlierer und immer weniger Gewinner gibt.

Wettbewerb hat sich vom Mittel zum Zweck entwickelt. Wettbewerb wurde zu einer Ideologie. Genau das ist das Problem.

2. Globalisierung

Diese Entwicklung geschah parallel zur Globalisierung. In einigen Situationen werden die Begriffe Wettbewerbsfähigkeit und Globalisierung fast synonym verwendet. Beide werden als Drohung eingesetzt, wenn es um den Abbau von sozialen und ökologischen Standards geht. Allerdings ist Globalisierung kein abstrakter Begriff, sondern eine harte Tatsache. Die globale Welt ist das Ergebnis einer tiefgreifenden und sozialen Umstrukturierung in allen Teilen der Welt. Das bedeutet nicht, daß Globalisierung immer leicht zu durchschauen ist. Es bedeutet auch nicht, daß Globalisierung überall gleich intensiv und gleich umfassend ist. Sie umfaßt folgende Bereiche:

Wettbewerb hat sich vom Mittel zum Zweck entwickelt - er wurde zu einer Ideologie


- Globalisierung der Finanzen

- Globalisierung der Märkte und Marktstrategien

- Globalisierung der Technologie und des mit ihr verbundenen Wissens sowie der Forschung und Entwicklung

- Globalisierung von Regulierung und Steuerungsmöglichkeiten

- Globalisierung als politisches Zusammenwachsen der Welt

- Globalisierung der Wahrnehmung des Bewußtseins

Wenn man diese Begriffe hört, wird deutlich, daß nicht alle Prozesse gleichermaßen vorangeschritten sind. Das Bewußtsein, daß wir in einem globalen Dorf leben, ist noch nicht weit verbreitet und das Konzept wird kaum verstanden. Noch schauen zuviele auch zu.

Die Globalisierung der Finanzen jedoch ist weit fortgeschritten. Man schätzt allgemein, daß jeden Tag weit über eine Billion US-Dollar quer über den Globus gehandelt werden, ganz unabhängig vom jeweiligen Ort (Derivate, Verpflichtungen, Währungen, etc.). Auf diese Aktivitäten werden übrigens bisher keine Steuern erhoben. Ein Zeichen dafür, daß die Globalisierung der Finanzen weit, die Globalisierung der politischen Steuerung dagegen kaum entwickelt ist. Die Gruppe von Lissabon wird in ihrem nächsten Buch Vorschläge zur finanziellen Abrüstung machen und dabei auch Konzepte wie die Tobinsteuer bewerten. Der Nobelpreisträger Tobin hatte das nach ihm benannte Modell in den 70er Jahren mit dem Ziel entwickel, Finanztransaktionen zu besteuern, um Spekulationen einzudämmen.

Bezüglich der Globalisierung der Märkte muß davon ausgegangen werden, daß nicht wirklich die ganze Welt, sondern vor allem die Länder der Triade erfaßt werden. Insgesamt ist also der Prozeß der Globalisierung ein hochgradig widersprüchlicher und komplexer Prozeß, sowohl bezüglich der Reichweite als auch bezüglich der Konsequenzen. Er ist eine Tatsache, aber auch ein politischer Begriff, mit dem das legitimiert werden soll, was an Verschlechterungen im ökologischen und sozialen Bereich geplant ist. Er unterscheidet sich von der Internationalisierung und auch von der Multinationalisierung.

Unter Internationalisierung versteht man den Austausch von Rohstoffen, Industrieprodukten sowie Dienstleistungen, Geld, Ideen und Menschen. Akteure sind die Nationalstaaten, die die Rahmenbedingungen setzen.

Bei der Multinationalisierung versuchen Akteure eines Landes, die Wirtschaft bzw. einzelne Sektoren eines anderen Landes zu beeinflussen, am besten, indem sie selbst nicht beeinflußt werden. Produktionskapazitäten werden von einem Land in das andere verlagert. Die Nationalstaaten sind also nach wie vor Akteure, aber es gibt einen größeren Durchdringungsgrad zwischen verschiedenen Ländern.

Globalisierung geht viel weiter. Sowohl was die räumliche als auch was die zeitliche Dimension angeht. Es gibt viele Definitionen. Die Gruppe von Lissabon favorisiert die von Anthony McCrough und seinen Mitarbeitern. Er sagt: Globalisierung bezieht sich auf die Vielfältigkeit der Verbindungen und Querverbindungen zwischen Staaten und Gesellschaften, aus denen das heutige Weltsystem besteht. Sie beschreibt den Prozeß, durch den Ereignisse, Entscheidungen und Aktivitäten in einem Teil der Welt bedeutende Folgen für Individuen und Gemeinschaften in weit entfernt liegenden Teilen der Welt haben. Globalisierung unterscheidet sich von anderen Phänomenen durch Reichweiten und Intensität. Die Prozesse haben eine räumliche Komponente, wenn sie den größten Teil des Planeten umfassen bzw. weltweit wirksam sind. Auf der anderen Seite werden Interaktionen, Querverbindungen, Inderdependenzen zwischen Staaten und Gesellschaften, die die Weltgemeinschaft bilden, intensiver. Das bedeutet keineswegs, daß die Welt politisch geeinter, ökonomisch integrierter oder kulturell homogener ist. Im Gegenteil. Globalisierung ist ein in sich hochgradig widersprüchlicher Prozeß, sowohl was seine Reichweite, als auch die Vielfältigkeit seiner Konsequenzen angeht."2 Wir stehen auch nicht, wie es manche meinen, an der Schwelle einer kapitalistischen in eine postkapitalistische Gesellschaft. Auch nicht von einem guten Kapitalismus (der sozialen Marktwirtschaft) zu einem bösen (dem Kasinokapitalismus). Es handelt sich vielmehr um den Übergang von einem schwächer werdenden nationalen zu einem wachsenden globalen Kapitalismus. Die Welt geht langsam von eine Ära des Reichtums der Nationen in eine Ära des Reichtums der Welt über.

Dabei gibt es immer weniger Gewinner und immer mehr Verlierer. Das gilt für Länder, für Regionen, ja für ganze Kontinente wie Afrika, die abgekoppelt werden, aber auch für Teile von Gesellschaften. Es gibt in den Ländern des Südens einen reichen Norden und innerhalb der Länder des Nordens einer immer größeren Süden. Der Reichtum nimmt zu und die Armut ab.

3. Rolle der Politik

Das wesentliche Charakteristikum der Globalisierung ist die Tatsache, daß die Konzerne die Global Players sind und die Rolle der Nationalstaaten abnimmt. Die Regierungen vertrauen zunehmend auf den Markt, und setzen auch auf nationaler Ebene weniger Schranken, wenn der Markt dies fordert. Auf nationaler Ebene wird dereguliert und den global agierenden Konzernen steht keine Instanz gegenüber, die regulierend eingreifen könnte. Bis vor wenigen Jahren war eine Rahmensetzung noch im Prinzip selbstverständlich, wenn auch im einzelnen umkämpft. Die Kartellgesetze, Gesetze gegen Kinderarbeit, für Verbraucherschutz und in den vergangenen Jahren für Umweltschutz zeugten vom Willen der Politik, Rahmen zu setzen und nicht nur dem Markt zu vertrauen.

Bei einem Großteil der politisch Verantwortlichen hat sich dies geändert. Es fehlt immer wieder der Wille einzugreifen und damit auch Verantwortung zu übernehmen. Es handelt sich hier um einen aktiven Prozeß. Die Politik ist keineswegs ein Opfer, sondern sie handelt. Sie hat Macht willentlich abgegeben, in der trügerischen Hoffnung, sie würde, wenn sie sich an die global Players anhängt, auch global agieren können. Sie nimmt bisher in Kauf, daß die Rolle der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung zunehmend abnimmt. Dies gilt auch regional, z. B. im Rahmen der europäischen Einigung. Die Politik glaubt auf der einen Seite an die Selbstregulierung der Wirtschaft und setzt auf Deregulierung und Liberalisierung. Gleichzeitig sieht sie sich als Dienstleisterin für Unternehmen, stellt die Infrastruktur bereit, wie das Verkehrswesen oder die Ausbildung. Diese Situation hat immer wieder paradoxe Züge. Die Unternehmen fordern einerseits die Nichteinmischung des Staates, wenn es um Regelungen geht bezüglich der sozialen und ökologischen Standards, erwarten aber selbstverständlich Subventionen von eben diesem Staat.

4. Einschneidende Entwicklungen

Wie widersprüchlich die Situation ist, zeigt auch folgende Beobachtung: Wettbewerb führt keineswegs automatisch zu mehr Vielfalt. Im Gegenteil. Die Konzentrationsprozesse, die der Wettbewerb mit sich führt, zerstören Vielfalt. Es entstehen Oligopole, die sich zu Kartellen zusammenschließen. Ein Beispiel aus der Reifenindustrie: Dort teilten sich 1980 13 Unternehmen 80% des weltweiten Umsatzes. 1990 waren es noch 6 mit einem gesamten Anteil von 85%. Im Jahr 2000 werden wahrscheinlich noch 3-4 übrigbleiben. Ulrich Beck hat recht, wenn er sagt, wer ausschließlich auf den Markt setzt, zerstört mit der Demokratie auch die Marktwirtschaft selbst. Die global agierenden Konzerne haben jedoch nur ihren kurzfristigen Gewinn im Auge.

Die Auswirkung betrifft den Markt selbst. Aber die Konsequenzen gehen viel weiter. Viele ökologische und soziale Probleme lassen sich nicht lösen, wenn die Regierungen nur auf den Markt vertrauen, der kurzsichtig ist und diese Probleme nicht sieht. Eine nachhaltige Entwicklung ist mit der Wettbewerbsschere im Kopf kaum zu erreichen. Es glauben aber zu viele der Nochgewinner, das würde so bleiben und die Verlierer hoffen, daß sie über kurz oder lang zu den Gewinnern zählen werden.

Die Landkarte der Weltwirtschaft und der Weltgesellschaft haben sich dramatisch geändert. Die Prinzipien, Regeln und Handlungsweisen, die auf dem Nationalstaat und der nationalen Wirtschaft sowie auf der Ost-West-Spaltung des Kalten Krieges beruhten, sind verschwunden oder haben sich grundlegend geändert. Neue Akteure sind entstanden, aber auch neue Verwerfungen. Der Süden ist nicht länger homogen. Einige Länder in Südostasien gehören schon fast zum Club der industrialisierten Länder. Andere, wie die Ölmonarchien, sind zwar reich, hängen aber stark vom Norden ab. Im Gegensatz dazu sind fast alle afrikanischen Staaten Opfer chronischer Armut. Der Kontinent ist geprägt von häufigen Konflikten zwischen den Staaten und zwischen verschiedenen Ethnien. In Zentral- und Südasien und Lateinamerika gibt es weniger Konflikte, aber nach wie vor eine gravierende Unterentwicklung. Die Weltbevölkerung wird bis 2020 immer mehr aus dem Gleichgewicht geraten, Asien wird die ökonomisch vorherrschende Region sein, Afrika dagegen wird extrem arm bleiben.

5. Es gibt eine Wahl

Gleichwohl gibt es eine Wahl. Es gibt nicht nur eine Möglichkeit, wie sich die Welt entwickeln kann. Die Gruppe von Lissabon hat deshalb 6 Szenarien untersucht, die sie für unterschiedlich wahrscheinlich und für unterschiedlich wünschenswert hält, die aber gravierende Auswirkungen auf die Länder des Südens haben könnten. Diese Entwicklung kann sich zwischen den Polen Steuerung durch Marktmechanismen oder Steuerung durch kooperative Mechanismen bewegen, zwischen Regionalisierung vs. Fragmentierung und zwischen Globalisierung vs. Integration. Folgende Szenarien wurden erarbeitet: das Überlebensszenario, das Apartheitsszenario, die pax Triadica, der freie Weltmarkt, die regionale Integration und das Szenario der nachhaltigen globalen Integration.


Überlebens-Szenario

Die nächsten Jahre werden aller Wahrscheinlichkeit nach geprägt sein durch das Überlebensszenario, in dem alle Akteure, jedes Unternehmen, jede Stadt, jede Region, jedes Land auf die Verteidigung und Förderung der eigenen relativen Vorteile und erreichten Position achtet. Der vorherrschende Imperativ ist der Wettbewerbsimperativ, in dem der Gewinner zu sein das entscheidende Prinzip ist und es für Verlierer keinen Platz gibt. Dies hat für die armen Länder des Süden fatale Folgen, da sie weitgehend zu den Verlierern gehören, auch wenn es innerhalb der Länder Gewinner gibt (ein Norden im Süden also). Technologische Wettläufe und Technologiekriege werden an Ausmaß und Geschwindigkeit zunehmen, was bedeutet, daß die sinkende Zahl der Gewinner immer kürzere Phasen des Gewinnens hat. Dieses Szenario ist weder stabil noch wünschenswert, aber wahrscheinlich, weil es zum Teil schon jetzt Realität ist.

Apartheitsszenario

Wenn man dieses Szenario extrem weiterentwickelt, dann gelangt man zum Apartheitsszenario, in dem die wissenschaftlich-technisch hochentwickelte Welt sich unter weitestgehender Abkoppelung vom Rest der Welt entwickelt. Die marginalisierten Länder werden von extremer wirtschaftlicher Armut, ungeeigneten und verwalteten Infrastrukturen und zunehmenden lokalen ethnischen und zwischenstaatlichen Kriegen gekennzeichnet sein. Dieses Szenario würde eine Art kulturelle Mauer voraussetzen, die die Welt der Integrierten von der Welt der Ausgegrenzten trennen würde, bei minimaler Interaktion. Der geringe Austausch im Gebiet der Wirtschaft würde sich auch bei der politischen Führung niederschlagen. Die traditionelle Form repräsentativer internationaler Organisation (eine Stimme pro Land) würde obsolet werden. Ein Weltdirektorium" würde sicherstellen, daß beide Welten keine gefährlichen Interaktionen eingehen werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich eine weltumfassende Apartheit durchsetzen würde, ist glücklicherweise sehr gering.

Pax Triadica

Eine pax Triadica, die wie die pax Romana die Welt aufteilt in Bürger und Barbaren", ist allerdings schon wahrscheinlicher. Die Kooperation innerhalb der Länder der Triade wird intensiviert werden. Das System würde auf der Grundlage basieren, daß vom steigenden Reichtum und von wachsender Kooperation der Länder der Triade auch andere Länder profitieren würden, und daß das friedliche triadische Welthandelssystem für alle Vorteile hätte. Die armen Länder des Südens würden allerdings keine große Rolle spielen. Dieses Szenario ist als eine stabilere Variante des Überlebensszenarios recht wahrscheinlich.

Freier Weltmarkt

Das vierte Szenario basiert darauf, daß die Idee des gemeinsamen europäischen Marktes auf die ganze Welt übertragen wird, daß es also einen einzigen integrierten Weltmarkt gibt, der den freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Menschen ermöglicht. Globaler Rahmen wäre ein neuer Vertrag, eine Weiterentwicklung von GATT mit radikalen Veränderungen in vielen Politikbereichen wie dem Bankgewerbe, dem Versicherungswesen, Finanz- und Steuerregulierungen, der Landwirtschaft und den Sozialversicherungen. An die Stelle von multinationalen Handelsabkommen würden strenge Kartellregulierungen treten. Dieses Szenario spiegelt zwar die heutigen Trends globaler Deregulierung und Liberalisierung wider, ist aber sehr unrealistisch.

Regionale Integration

Anders sieht es aus bei einem Szenario, in dem es keinen gemeinsamen globalen Markt gibt, sondern in dem die Ideen der gemeinsamen regionalen Märkte weiterentwickelt werden. Schon heute gibt es eine große Anzahl von Zusammenschlüssen auf regionaler Ebene, die sich allerdings bezüglich Tiefe und Reichweite unterscheiden (siehe Europäische Union, Nafta, der lateinamerikanische Mercosur, der GUS, der Afta). Dabei ist die regionale Wirtschaftsintegration in Westeuropa, Nordamerika sowie Ost- und Südostasien am weitesten fortgeschritten. Wenn das Szenario der regionalen Integration Wirklichkeit werden sollte, dann müßten Weltbank und die Welthandelsorganisation WTO weiterentwickelt werden, aber auch die UNO mit ihren verschiedenen Unterorganisationen.

Nachhaltige globale Integration

Sehr unwahrscheinlich, aber außerordentlich wünschenswert ist das letzte Szenario der nachhaltigen globalen Integration, in dem die Prinzipien des Gemeinwohls, der Solidarität, der Teilhabe am Wohlstand, der globalen sozialen und ökologischen Rechenschaftspflicht, des Dialogs der Kulturen, der Einhaltung der Menschenrechte und der universellen Toleranz allmählich auf allen relevanten Ebenen in das Alltagsleben Eingang finden. Der Imperativ der freien Marktwirtschaft wäre durch den Imperativ einer gesellschaftlich und ökologisch rechenschaftspflichtigen kooperativen Wirtschaft abgelöst. Dieses Szenario wäre erst dann wahrscheinlich, wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hätte, daß die globalen Probleme nur gelöst werden können, indem neue globale Regeln und Strategien geschaffen werden.

6. Erste Ansätze: Konferenz von Rio

Die Welt ist weit davon entfernt, einen solchen Weg einzuschlagen, auch wenn es vorsichtige Schritte in diese Richtung gibt. Die Konferenz von Rio war ein erster Versuch, globale Verhandlungen über die Konditionen und Mittel für die weltweite Produktion und Verteilung von Reichtum zu führen. Es gibt zu Recht viel Kritik an der Agenda 21. Gleichwohl wurde zum ersten Mal über den Reichtum der Welt verhandelt. Es wurde festgehalten, daß es einen Ausgleich innerhalb der jetzigen Generation des gesamten Erdballs und der nachfolgenden Generationen geben muß. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Plan einer Entwicklung der Weltwirtschaft im gegenseitigen Interesse aller Länder". Es wurden Pläne erarbeitet, wie die Weltwirtschaft nachhaltig entwickelt werden kann, wie die notwendige Entwicklung für Milliarden von Menschen in den ärmeren Ländern in Einklang gebracht werden kann mit dem hohen Lebensstandard der Menschen in den Ländern des Nordens, ohne die Natur zu gefährden und unter Achtung der Ansprüche der nachfolgenden Generationen. Wie groß die Diskrepanz zwischen den reichen Ländern des Nordens und den armen Ländern des Südens ist, mögen zwei Beispiele demonstrieren: 1990 gab es in der Region Tokio mehr Telefone als in ganz Afrika und in NRW fahren mehr Autos als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.3

Über das Ergebnis der Konferenz kann man geteilter Meinung sein. Viele hatten im Vorfeld mit mehr Verträgen von größerer Reichweite und Konsequenz gerechnet und waren deshalb enttäuscht. Andere sehen allein in der Tatsache, daß die Konferenz stattfand, einen großen Erfolg. Es ist zu hoffen, daß die Lehre Verhandlungen sind auch dann nützlich, wenn sie zu gemeinsamen weltweiten Projekten stattfinden", viele Nachahmer findet.

Es sind einige Prozesse und Mechanismen im Entstehen, die Vorbedingung für eine positive Entwicklung sind, wie sie im sechsten Szenario beschrieben wird. Es wird dadurch deutlich, daß es eine Wahl gibt. Die Entwicklung ist kein natürlicher Prozeß. Damit gibt es eine Gesamtverantwortung, in welche Richtung die Welt sich an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend bewegen wird. Diese Gesamtverantwortung wird schon heute von den Mitgliedern der globalen Zivilgesellschaft gesehen und so weit wie möglich umgesetzt. Ihr kommt bei den Fragen über die Zukunft der Menschheit eine besondere Rolle zu.

7. Die globale Zivilgesellschaft

Eine der besonderen Qualitäten der globalen Zivilgesellschaft ist ihre Möglichkeit, innovativen politischen Verhaltensweisen einen globalen Raum zu bieten. Sie ist weder ausschließlich moralisch, noch ist sie darauf beschränkt, Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren. Statt dessen bietet sie vielseitige und vielschichtige Lösungsansätze und arbeitet an ihrer Entwicklung und Umsetzung. In einzelnen Fällen ist sie Konzernen und Regierungen schwergewichtiger Counterpart und kann so ein Gegengewicht bieten zu den eingleisig interessenbezogenen Kalkülen nationaler Regierungen und multinationaler Konzerne.

Sascha Müller-Kraenner beschreibt diese Herangehensweise bei der Klimakonferenz in Kioto: Es gäbe einen gemeinsamen Dialog, gemeinsame Positionen und eine gemeinsame Strategie der Nicht-Regierungsorganisationen. Für die Industrie gäbe es dies aus zwei Gründen nicht, weil sie Konkurrenten sind und weil auch die Regierungen miteinander um die Standorte konkurrieren. Er beschreibt dies als den Vorteil der Nicht-Regierungsorganisationen, auch wenn es kulturelle Differenzen gebe. Aber generell gebe es den Willen, sich aufeinander einzulassen, viel eher als bei den großen Industrieunternehmen. Nach seiner Einschätzung war trotz unterschiedlichen Haltungen der Industrieunternehmen, die geschlossene Haltung der Nicht-Regierungs-organisationen ein Grund dafür, warum es zu dem Abkommen in Kioto gekommen ist.4 Sie leisten so einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung und sie stellen die richtigen Fragen. Sie sind Garant dafür, daß die Fragen um die Zukunft der Menschheit nicht ganz in den Hintergrund gedrängt werden. Ja, sie bieten die Chance dafür, daß sie oben auf die Agenda kommen.

Die hohe Anzahl an Nicht-Regierungsorganisationen zeigt, wie viele Katalysatoren des globalen Ansatzes es heute schon gibt.5

Die Gruppen und Organisationen sind der Teil der globalen Zivilgesellschaft, der am besten sichtbar ist. Nicht zu vergessen ist aber die aufgeklärte globale Elite, die ihren Ursprung vor allem in Nordamerika, Westeuropa, Süd- und Südwestasien und teilweise auch in Afrika, Rußland, Lateinamerika und im übrigen Asien hat. Es gehören Industrielle, Topmanager und leitende Angestellte von Unternehmen dazu, die mit humanistischen Zielen und Verantwortungsgefühl die globalen Netze der multinationalen Firmen aufbauen. Ein Beispiel dafür sind die Mitglieder des von Stefan Schmidheiny gegründeten Schweizer Wirtschaftsrates für nachhaltige Entwicklung, die das Manifest Kurswechsel veröffentlicht haben6, ein bemerkenswertes Manifest zur Unterstützung des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung.

Die aufgeklärte Elite ist nicht nur in der Wirtschaft, sondern ebenso in der Politik, den Gewerkschaften, der Kultur und in Universitäten zu finden. Die von der globalen Zivilgesellschaft ausgelösten Entwicklungen gehen in eine andere Richtung als die von der Wirtschaft initiierten und zeigen, daß Globalisierung ein vielschichtiger und keineswegs einheitlicher Prozeß ist. Es gibt also eine Wahl. Genau deshalb muß es in den nächsten Jahren verstärkt Auseinandersetzungen darüber geben, was die richtigen Fragen sind und wie die richtigen Prioritäten gefunden und durchgesetzt werden können. Das heißt z. B.: Welche Probleme löst die Datenautobahn? Fehlt das Geld, das in den Kampf um die Vorherrschaft in diese Technologie gesteckt wird, an anderer Stelle? Befinden wir uns im Zeitalter der Informationsgesellschaft oder ist nicht die Wasserfrage die wichtigste? Was heißt eigentlich Informationsgesellschaft, wenn nach Informationen der Weltbank die Hälfte der Weltbevölkerung noch nie telefoniert hat?

8. Der Weg zu globalen Verträgen

Nachhaltige Entwicklung bedeutet die Beschäftigung mit solchen Fragen und die gemeinsame Suche nach Lösungen. Das englische Wort competition leitet sich vom lateinischen Wort cumpetere, zusammen suchen" ab. Das genau schlägt die Gruppe von Lissabon vor. Sie bietet keine fertigen, im Detail ausgearbeiteten Konzepte an. Sie schlägt vor, gemeinsam, auf einer kooperativen Grundlage, nach Lösungen zu suchen und dann diesen Weg auch zu gehen. Entsprechend einer alten chinesischen Weisheit: Diejenigen, die zu lange nachdenken, bevor sie einen Schritt tun, werden ihr ganzes Leben lang auf einem Bein stehen." Es ist einsichtig, daß nur selten Menschen freiwillig in dieser Position verharren.

Die Gruppe von Lissabon schlägt vier Verträge vor, die als Teil eines globalen Gesellschaftsvertrages erarbeitet werden sollen:

- Einen Vertrag über Grundbedürfnisse - den Haben-Vertrag, der Ungleichheiten beseitigen soll. Zu den Grundbedürfnissen gehören Wasser und Wohnen.

- Einen Vertrag über die Kulturen, für Toleranz und den interkulturellen Dialog.

- Einen Vertrag über die Demokratie, der sich den Fragen einer globalen Steuerung widmet.

- Einen Vertrag über die Zukunft der Erde zur Durchsetzung der nachhaltigen Entwicklung, der die Umsetzung des Vertrages von Rio unterstützen soll.

Was können mögliche Bestandteile eines solchen Vertrages sein und vor allem wie soll der Prozeß funktionieren? Ich will nun die Herangehensweise bezüglich des Wassers näher beleuchten. Zuerst einmal das Problem: Die UNO rechnet damit, daß bis zum Jahre 2000 drei Milliarden Menschen kein Wasser von ausreichender Menge und Qualität haben werden. Momentan führt der Konsum verunreinigten Wassers jährlich zu etwa 900 Millionen Erkrankungen. Jedes Jahr sterben etwa zwei Millionen Kinder allein an Durchfallerkrankungen. Bis zu einer Milliarde Menschen haben jetzt keinen Zugang zu sauberem Wasser. Ungefähr 300 Millionen Stadtbewohnern und 1,3 Milliarden Bewohnern ländlicher Gebiete fehlt es an sanitären Einrichtungen. Die Fischbestände gehen aufgrund der Wasserverschmutzung zurück. Die Erschöpfung der Wasserreserven führt zu irreversiblen Maßnahmen.

Diese Probleme sind zum Teil schon beschrieben und einige der notwendigen Maßnahmen sind auch in der Agenda 21 festgelegt. Die Gruppe von Lissabon schlägt aber darüber hinaus vor, einen Vertrag über die Grundbedürfnisse abzuschließen.

Einbezogen werden sollen die unterschiedlichen Akteure: Zum Beispiel der Bund der Gas- und Wasserwerke, die Lyonnaise des Eaux in Frankreich, der Instituto Costaricao de electricidad, der Indian Water Board, die gemeinsam mit nationalen und internationalen Umweltbehörden zusammenarbeiten, andere Unternehmen, Stiftungen etc., sollen eine gemeinsame Planungskonferenz einberufen, auf der ein Memorandum zu dieser Problematik verabschiedet wird, ein Wasserversorgungsplan für 3 Mrd. Menschen diskutiert und der Weltbank sowie den regionalen Banken zur gemeinsamen Finanzierung vorgelegt wird. Die ausgewählten Projekte sollen als globale Partnerschaft verstanden werden. Unternehmen, die zu einer Unterzeichnung solcher Abmachungen bereit sind, würden als globale Partner längerfristige Privilegien, Steuererleichterung, Informationszugang im Zusammenhang mit der Umsetzung der Abmachung erhalten. Mit der Beschreibung dieses Vorgehens ist nicht gesagt, daß es einfach funktioniert. Es wäre aber die Erfüllung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung und eine Abkehr von der Wettbewerbsideologie, die einen gnadenlosen Wettkampf verursacht hat. Wir wissen, daß diese Umkehr nicht erfolgen kann, solange zwar das Prinzip erkannt wird, die meisten aber hoffen, sie würden schon nicht zu den Verlierern gehören. Wir bauen darauf, daß sie überzeugt werden und daß die globale Zivilgesellschaft an Einfluß gewinnt.

9. Das Kooperationsprinzip

Die ersten Schritte dazu sind getan. Im Rahmen der EXPO in Lissabon wurden unter Leitung des früheren portugiesischen Präsidenten Soares ein Manifest zum Schutz des Wassers vorgestellt. Weitere konkrete Schritte sind geplant. Ja, der Weg ist lang und mühselig, bis die vorgeschlagenen globalen Verträge ausgearbeitet und umgesetzt sind. Aber wenn der politische Wille da ist, dann könnten aus diesen Visionen auch Realitäten werden. Dabei könnte schon der Gedanke, das Wettbewerb nicht alles ist, den Kopf wieder frei machen für andere Lösungen und andere Entscheidungen. Dann könnten Lösungen gefunden werden, an die wir heute noch nicht zu denken wagen, und dann würden die Konzepte, die schon lange in der Schublade liegen, endlich umgesetzt werden. Dann würden auch diejenigen gehört werden, die leiser rufen als die, die nur nach dem Standortvorteil fragen. Schon heute gibt es Betriebe, die unter dem jetzigen System die soziale, die ökologische und die ökonomische Frage miteinander verbinden. Solche Beispiele sind wichtig, weil sie Vorbildcharakter haben. Sie müssen bekannter gemacht werden, und es muß weiter nach win-win-Situationen gesucht werden.

Das genügt aber nicht. Es reicht nicht mehr nur, global zu denken und lokal zu handeln. Es ist notwendig, aber nicht ausreichend, lokal zu handeln, um global etwas zu verändern. Ohne globales Handeln agieren diejenigen ungestört, die gemäß ihrer Rolle kein besonders großes Interesse an einer Zukunft der Menschheit haben und die sich wenig Gedanken über das Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde im 21. Jahrhundert machen. Diese Verträge werden nur dann Erfolg haben, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören auch die Finanzen. Dazu gehört der Wille, etwas ändern zu wollen. Die Politik muß steuern wollen. Die globale Zivilgesellschaft muß effizienter werden, als sie es heute ist. Die bestehenden Netzwerke, zu denen auch Städtenetzwerke gehören, müssen breiter und fester geknüpft werden. Die aufgeklärten Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft, bei den Gewerkschaften und in der Politik dürfen sich nicht als Einzelkämpferinnen fühlen, sondern müssen mit dem potentiellen Bündnispartner zusammenarbeiten. Wenn aber der phantasietötende Ruf Standort, Standort, Standort" leise geworden ist, dann können auch Lösungen gefunden werden, an die viele heute noch nicht zu denken wagen. Das Kooperationsprinzip kann das Wettbewerbsprinzip ablösen, wenn der Wille da ist. Kooperation kann eine bessere Nutzung von Ressourcen bewirken und Zuversicht sowie Effizienz sichern.

Ein Philosoph aus dem alten Rom schrieb einst: Der Wind weht für die, die wissen, wohin sie gehen wollen.

Anmerkungen

1 zitiert in Samuel Brittan Myth of Europian competiveness", Financial Times, 1. Juli 1993

2 Anthony G. Mc.Grew et al. Globalization and the Nation States, Cambridge 1992

3 Walther Richter, Rural Telecommunications as a Vehicle for Growth, Thesenpapier auf dem Internationalen Telecommunications Futures Sympiosium in Omaha, Nebraska, 1991, Seite 2

4 Sascha Müller-Kraenner, Mündliche Mitteilung in: Schicksal Globalisierung? Die Grünen im Europäischen Parlament, Wolfgang Kreissel-Dörfler, Herausgeber

5 Die folgende Auswahl zeigt die Vielzahl an Nicht-Regierungsorganisationen:

Amnesty International

Third World Network

Development Alternative with Women for a New Era

Helsinki Citizens Assembly,

The Asian Council for People's Culture

Conferences on a More Democratic United Nations

The World Order Models Project Global Exchance

ATD Quart Monde

Coordination Body for Indigenous People's Organization of the American Basin

Third World Forum

International Association for Community Development and Action

The Friends of the Wilderness for Tropical Rainforest Campaign

Friends of the Earth

The United Nations of Youth

The International Popular Theatre Alliance

International Federation for Alternative Trade

Choosing our Future

International Foundations for Developments Alternative

World Association for World Federation

The International Organisation of Consumers Unions

Permanent People's Tribunal

The European Civic Forum

The International Body Food Action Network

African Network of Indigenous Environment and Development

The Environment Liason Center International

The Global Citizens Conference

The World Foundation for Deaf Children

Action for Rational Drugs in Asia

The International Commission of Jurists.

6 Stefan Schmidheiny, Kurswechsel, Globale unternehmerische Perspektiven für Entwicklung und Umwelt, München 1992


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