Georg Zimmer

Regionalplanung als Revitalisierungsstrategie ländlicher Raum


Dipl.-Ing. Georg Zimmer, geb. 1944. 1963-1969 Architekturstudium mit Vertiefung Städtebau in Stuttgart. 1969-1972 Regionale Planungsgemeinschaft Württemberg-Mitte (Stuttgart), Regionalleitplanung, Bauleitplanung und Wettbewerbe. 1972-1979 Kommunalentwicklung Baden-Württemberg, Stadtplaner und Sachbereichsleiter, Stadtsanierung und Dorfentwicklung, Bauleitplanung, Wettbewerbe. 1979-1988 Stadtbaudirektor, Leiter des Stadtbauamtes und Stadtplanungsamtes in Leutkirch i. Allgäu. Seit 1988 Verbandsdirektor des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben (Sitz Ravensburg), Regionalplanung und Mitwirkung bei der grenzüberschreitenden Planung mit Österreich und der Schweiz, Preisrichter bei Wettbewerben, stellvertretender Vorsitzender der Architektenkammer, Gruppe Ravensburg, Mitglied der 'Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung' (DASL).

Veröffentlichungen: Georg Zimmer: Mit dem Bürger planen - ein kooperatives Modell in der Praxis (1976). Ders.: Altstadtbaukasten (1982). Desweiteren zahlreiche Druckschriften und Beiträge in Fachzeitschriften.

Den Ländlichen Raum als feststehenden Begriff zu definieren fällt schwer, da es eine ganze Reihe verschiedener Typen ländlicher Räume gibt. Grob vereinfacht kann man drei Typen von ländlichen Räumen unterscheiden:

1. Ländliche Räume im Einzugsbereich von Verdichtungsräumen.

2. Eigenständige ländliche Räume mit ausgeprägter Vitalität unter dem Motto:
"Wir sind Provinz, aber was für eine!"

3. Strukturschwache ländliche Räume, die teilweise noch landwirtschaftlich geprägt sind.

Bei den weiteren Betrachtungen des ländlichen Raumes gehe ich von der Region Bodensee-Oberschwaben aus, die am ehesten dem zweiten Typus zuzuordnen ist.

Im Landesentwicklungsplan von Baden-Württemberg wird beim ländlichen Raum nicht in gleicher Weise differenziert. Das Land ist in zwei Gebietskategorien eingeteilt, die Verdichtungsräume wie Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe usw. mit ihren Randzonen und den ländlichen Raum, der als Pendant zu den Verdichtungsräumen Verdichtungsbereiche geringerer Größe umfaßt.

Generell muß festgestellt werden, daß ländliche Räume nicht Resträume sind, die den Verdichtungsräumen als Entlastungsräume dienen, sondern eigenständige Lebensräume für die dort ansässige Bevölkerung.

Der ländliche Raum in Baden-Württemberg umfaßt zwei Drittel der Fläche des Landes, aber nur ein Drittel der Einwohner und ist höchst unterschiedlich strukturiert. Während in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Baden-Württemberg die Gefahr bestand, daß ländliche Räume gegenüber den Verdichtungsräumen in ihrer Entwicklung hoffnungslos zurückbleiben, hat sich in den letzten Jahrzehnten eine positivere Entwicklung vollzogen. So konnte die Abwanderung der Bevölkerung aus den ländlichen Räumen weitgehend gestoppt werden. Diese Bevölkerungszunahme resultiert nicht nur aus Geburtenüberschüssen, sondern auch aus Wanderungsgewinnen.

Die folgende Tabelle zeigt sogar eine leichte Bevölkerungsverschiebung zugunsten der ländlichen Räume in den letzten 30 Jahren:

 

Bevölkerung ländlicher Raum / nicht ländlicher Raum

         1962 1972 1993

LR 29,8 % 29,4 % 33,3 %

NLR 70,2 % 70,6 % 66,7 %

 

Dazu kommt, daß die Altersstruktur ausgeglichener ist und die Arbeitslosenziffern heute niedriger liegen als in manchen Verdichtungsräumen. Die weichen Standortfaktoren, insbesondere der Freizeitwert und die Umweltqualität, haben zunehmend zu einer positiveren Einschätzung ländlicher Räume geführt.

 

2.1 Positive Einschätzung

An positiven Einschätzungen sind zu nennen:

- ausgeglichene Altersstruktur,

- geringe Anfälligkeit bei wirtschaftlichen Veränderungen/Rezessionen,

- dadurch bedingt geringere Arbeitslosenziffern,

- Überschaubarkeit, Identifikation mit dem Lebensraum, Heimatgefühl,

- geringere Umweltbelastungen,

- hoher Freizeitwert,

- Sicherheitsgefühl, geringere Kriminalität,

- generell höhere Lebensqualität vor allem für Familien.

 

2.2 Strukturprobleme

Wirtschaftlich gesehen bleiben aber ländliche Räume weiter hinter den Verdichtungsräumen zurück. Die Bruttowertschöpfung lag 1993 in der Region Bodensee-Oberschwaben, die insgesamt zum ländlichen Raum zählt, mit rund 35.000,00 DM pro Kopf der Wohnbevölkerung deutlich unter dem Landesdurchschnitt mit rund 40.000,00 DM. Dazu kommt, daß die Erwerbsstruktur in ländlichen Räumen weniger ausgeglichen ist. Vor allem ist der Anteil der Dienstleistungsarbeitsplätze geringer als in Verdichtungsräumen

Aus der vergleichsweise geringen Besiedlungsdichte in ländlichen Räumen ergibt sich ein großer Bedarf an Infrastruktur (z.B. Verkehrsinfrastruktur). Die Vielzahl von Straßen und die hohe Motorisierungziffer bringen ökonomische und ökologische Probleme mit sich. Die Kosten für Infrastruktur, von den Bildungseinrichtungen bis zu den kommunalen Entwässerungsanlagen, sind für viele ländliche Gemeinden kaum mehr zu bewältigen, zumal der Rückgang der öffentlichen Finanzmittel auch bei Bund und Ländern die ländlichen Räume vor neue Herausforderungen stellt (Beispiel Straßenbau, Schülerbeförderung usw.).

Die gewachsene Mobilität, bedingt durch das Auto, hat seit den 60er Jahren zu einer starken Veränderung der Siedlungsstruktur geführt. Anzahl und zurückgelegte Entfernungen der Pendler haben deutlich zugenommen. Dem damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung folgt eine Zersiedelung der Landschaft. Selbst periphere ländliche Areale werden als Wohnstandort interessant, zumal die Grundstückspreise einen immer höheren Stellenwert bei der Bildung von Wohnungseigentum einnehmen. Andererseits hat die gewachsene Mobilität dazu beigetragen, daß entlegene Dörfer und Weiler trotz des teilweisen Verlustes ihrer Funktion als 'landwirtschaftliche Außenposten' nicht verödeten sondern zumindest als Wohnstandort erhalten blieben.

Mit dem Wachstum nehmen aber auch im ländlichen Raum die Belastungen von Natur und Umwelt zu. Die natürlichen Ressourcen wie Luft und Wasser werden gefährdet. So werden beispielsweise die zahlreichen oberschwäbischen Seen und Weiher, darunter das größte Binnengewässer Deutschlands, der Bodensee, zunehmend belastet. Der Bodensee ist Trinkwasserlieferant für über 4 Millionen Menschen in Deutschland und im benachbarten Ausland und ein wichtiges Ökosystem für Tiere und Pflanzen, gleichzeitig aber Vorfluter für eine ständig zunehmende Zahl von Einwohnern. Dazu kommt die Belastung durch den an sich wünschenswerten Fremdenverkehr, vor allem durch den Kurzzeittourismus.

Zusammengefaßt kann man sagen, daß die Konkurrenz der Raumnutzungsansprüche zunehmend härter wird und auch der ländliche Raum immer mehr einer übergemeindlichen und überfachlichen Koordination, der Regionalplanung, bedarf.

Der ländliche Raum in Oberschwaben war immer geprägt durch ein Netz kleiner Zentren, z.B. der freien Reichsstädte, die - ehemals in Tagesdistanzen von Fuhrwerken entstanden - heute noch das Raster unserer Besiedlung im ländlichen Raum darstellen. Dieses Netz entspricht heute noch weitgehend dem Leitbild der dezentralen Konzentration, das in Regionalplänen ländlich geprägter Regionen verfolgt wird. Zwischen diesen Siedlungsschwerpunkten befanden sich früher allenfalls Schwerpunkte wie Marktorte, Schlösser oder Klöster, ansonsten war das flache Land geprägt von Dörfern, im Allgäu darüber hinaus von Weilern und Einzelhöfen.

Durch die Bevölkerungszunahme und vor allem die gewachsene Mobilität wird dieses Leitbild zunehmend in Frage gestellt. Im Verdichtungsbereich Ravensburg-Friedrichshafen sowie im ganzen Bodenseeuferbereich haben seit den 60er Jahren Verdichtungsprozesse stattgefunden, die sich kaum von denen in Verdichtungsräumen unterscheiden. Deshalb versucht die Regionalplanung, den vorhandenen Siedlungsdruck in dünner besiedelte Teile der Region, vor allem Räume mit Strukturschwächen, zu verlagern. Dies kann aber nur gelingen, wenn alle Akteure durch gezielte Steuerung (z.B. bei der Infrastruktur) dieses Ziel verfolgen.

Kernstück der Entwicklung ländlicher Räume ist eine gesunde Entwicklung der zentralen Orte, vor allem der Städte, die wiederum auf ihr Umland ausstrahlen. Die Größenordnung der Städte in der Region Bodensee-Oberschwaben ist sehr ausgeglichen. Sie reicht von etwa 15.000 bis 50.000 Einwohner, die durchschnittliche Größe der Mittelzentren beträgt etwas über 20.000 Einwohner. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kernstadt zentraler Orte wie Mittel- und vor allem Unterzentren oft kaum mehr als 50% der Einwohner des jeweiligen Stadtgebietes umfaßt.

Ein wichtiger Aspekt für die Entwicklung des ländlichen Raumes ist auch die Frage der Dorfentwicklung. Durch den drastischen Rückgang landwirtschaftlicher Betriebe steht Bausubstanz leer, Bauernhäuser verlieren ihre ursprüngliche Funktion. Nach einer Untersuchung des Regionalverbandes sind in der Region Bodensee-Oberschwaben derzeit rund 2000 Bauernhöfe nicht mehr landwirtschaftlich genutzt und stehen zum großen Teil leer. Dieser Trend wird sich fortsetzen und bedeutet, daß in Dörfern mit früher beispielsweise zehn Bauernhöfen letztlich ein oder zwei Höfe übrigbleiben. Es stellt sich also die Frage: Wie soll die leerstehende Bausubstanz genutzt werden und welche Funktion haben die ehemaligen Bauerndörfer? Ist es nur Wohnungsnutzung, oder haben Handwerk und Dienstleistung im Dorf eine Chance?

Für die regionale Identität einer Landschaft ist es auch wichtig, sich mit dem Bauen auf dem Land, der Kontinuität einer regionalen Architektur z.B. beim Wohnungsbau zu beschäftigen, um Nivellierungen zu vermeiden und zu verhindern, daß von Flensburg bis Garmisch alle Häuser gleich aussehen.

Das Land Baden-Württemberg ist in 12 Regionen eingeteilt, von denen etwa die Hälfte ländlich geprägt ist. Bei den 1974 gegründeten Regionalverbänden ist im Gegensatz zu anderen Bundesländern der kommunale Aspekt besonders stark ausgeprägt. Im Landesplanungsrecht wird die Tätigkeit der Regionalverbände und der Inhalt des Regionalplans auf bestimmte Themen beschränkt. Ein Schwerpunkt ist der Regionalplan mit vier Kapiteln:

1. Grundsätze und Ziele für die räumliche Ordnung und Entwicklung der Region,

2. Regionale Siedlungsstruktur,

3. Regionale Freiraumstruktur,

4. Bereich für Trassen und Infrastrukturvorhaben.

Neben den Regionalplänen bietet die Aufstellung von regionsspezifischen Teilregionalplänen wie der Bodenseeuferplan oder das Rohstoffsicherungskonzept neue Chancen, auf fachspezifische Fragen einzugehen. Sie haben die gleiche Rechtskraft wie die Regionalpläne. Sie werden um den Landschaftsrahmenplan ergänzt, der keine unmittelbare Rechtskraft hat. Er ist aber weit mehr als ein ökologisches Gutachten und hat gerade im ländlichen Raum als Entwicklungskonzeption eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Neben der Planungstätigkeit kommen auf die Regionalverbände zunehmend neue handlungsbezogene Aufgaben zu. Dabei handelt es sich um Fragen der Koordination und der regionalen Kooperation. Regionalverbände werden immer mehr zu Impulsgebern im ländlichen Raum.

Im ländlichen Raum sind zunehmend regionale Initiativen und Handlungskonzepte gefragt, die mit dem neuen Schlagwort Regionales Management umschrieben werden können. Dazu gehören Impulse zu Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, der Rohstoffsicherung, der Freiraumsicherung, des öffentlichen Verkehrs, regenerativer Energien und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Die ländlichen Räume haben in ihrer Entwicklung gegenüber den Verdichtungsräumen durchaus Chancen, wenn sie sich eigenständig entwickeln. Das heißt, daß nicht Muster der großen Städte und deren Umfeld übernommen werden, sondern die eigene regionaltypische Struktur kreativ weiterentwickelt und die endogenen Kräfte und Stärken mobilisiert werden. Begriffe wie 'Heimat' und 'Regionale Identität' bekommen in Zeiten verstärkter Nivellierung im Sinne eines 'global village' zunehmend Bedeutung.

Ländliche Räume haben es aber schwerer als Verdichtungsräume, da sie größere Belastungen (z.B. bei der Infrastruktur) haben und gleichzeitig über geringere Finanzmittel verfügen. Sie erbringen Leistungen für Verdichtungsräume und sind deshalb auf deren finanzielle Unterstützung angewiesen.

Langfristig müssen aber ländlich geprägte Regionen im Zentrum Europas, die noch ausreichend Ressourcen und Lebensqualität aufweisen, nicht um ihre Entwicklung bangen. Das auch dann nicht, wenn sie nicht die gleiche Dynamik und die gleichen Wachstumsraten wie die großen europäischen Verdichtungsräume aufweisen. Großstädtische 'Bauboom-Gebiete' aus den 60er Jahren weisen heute häufig einen Verlust an Lebensqualität auf, der nur schwer zu beheben ist. Deshalb muß das Grundprinzip einer Entwicklung im ländlichen Raum Kontinuität, nicht Geschwindigkeit sein.

Unser Regionalverband versucht dazu beizutragen, die Vorteile des ländlichen Raumes konsequent zu nutzen und dazu regionalspezifische Konzepte zu planen und zu realisieren.

 

Anschrift des Verfassers:

Georg Zimmer

Verbandsdirektor

Regionalverband Bodensee-Oberschwaben

Hirschgraben 2

88214 Ravensburg