Gedenkstättenarbeit

Auf dem Weg zu einer Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler

Forschungsstand - Quellen - Methode

 

I- Einleitung
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Das Konzentrationslager Natzweiler im Elsaß war ein Ort des Terrors 1.  In den vier Jahren seines Bestehens von Ende 1940 bis September 1944 wurden dort insgesamt 12 000 bis 15 000 Menschen unter schrecklichen Bedingungen gefangen gehalten. Mindestens 3000 dieser Unglücklichen verloren ihr Leben 2.

Heute befindet sich an diesem Ort ein offizielles "Monumentum Historique" des französischen Staates 3. Am 25. Juni 1967 enthüllte Charles de Gaulle eine 30 Meter hohe stilisierte Flamme aus Stein, die die Reste des "Schutzhaftlagers", also des eigentlichen Häftlingslagers, überragt. Umgeben von hölzernen Wachtürmen, einer Toranlage und einer Zaunanlage finden sich auf dem terrassenförmig angelegten Nordhang vier Baracken, bei denen es sich - so kann man dort lesen - um den ehemaligen Bunker, also das lagerinterne Gefängnis, das Krematorium, die Lagerküche und eine normale Häftlingsbaracke handelt.

Die zahlreichen Besucher dieser Gedenkstätte zeigen das große Interesse der Menschen an diesem Ort und seiner Geschichte, ein Interesse, das seit der Befreiung des Lagers ungebrochen ist und eher zu- als abnimmt.

Waren es in den ersten Nachkriegsjahren vor allem ehemalige Häftlinge, die ihre Erlebnisse aufschrieben und sie auf diese Weise vor dem Vergessen bewahrten, so mehrte sich mit zunehmender zeitlicher Entfernung von den schrecklichen Ereignissen die Zahl derjenigen, die diesen auch ohne eigenes Erleben einen hohen Stellenwert zusprachen. Beiderseits der deutschfranzösischen Grenze entstanden Initiativen, die sich mit der Geschichte des Lagers und seinen zahlreichen Außenkommandos beschäftigen und sich dem Gedenken der Opfer widmen. Lange Jahre jedoch wurden diese Bemühungen von der Geschichtswissenschaft nicht ausreichend unterstützt. Weder das KL 4 selbst, noch seine Außenlager fanden dort eine angemessene Beachtung, ebensowenig wurden an der Lösung der zahlreichen methodischen Probleme gearbeitet, die bei der Beschäftigung mit der Lagergeschichte auftraten. Dies betrifft in besonderem Maße die Suche nach den geeigneten Quellen und die Frage nach einem angemessenem Umgang mit ihnen.

Für diese Nachlässigkeit der Historiker gibt es mehrere Gründe: Erstens litt nicht nur das KL Natzweiler unter dem Desinteresse der Historiker, sondern das gesamte System Konzentrationslager. Aus verschiedenen Gründen kam die Forschung hier erst in den 90er Jahren richtig in Schwung 5. Mittlerweile jedoch liegen nicht nur eine große Zahl von Einzelstudien, sondern auch eine Gesamtinterpretation des nationalsozialistischen Lagersystem vor 6. Zweitens zählt Natzweiler zu den kleinsten der Konzentrations-Hauptlagern 7. Angesichts der monströsen Dimension anderer Lager beschäftigte sich die Forschung zunächst mit diesen; Natzweiler hingegen drohte in deren Schatten zu verschwinden. Drittens erschwerte die problematische Quellenlage die Forschung, da ein Großteil der SSAkten bei der Räumung des Lagers verbrannt wurde 8.

Die fehlende Unterstützung durch die Geschichtswissenschaftler führte dazu, daß der Wissensstand über Natzweiler trotz der vielfältigen Bemühungen einzelner Gruppen unbefriedigend blieb. Doch dies soll sich nun ändern: Sowohl die französische als auch die deutsche Seiten haben die Initiative ergriffen. Bereits vor einigen Jahren erschien eine umfangreiche französische Dokumentation zu Lagergeschichte 9, mittlerweile ist eine Gesamtdarstellung des Lagers und seiner Aussenkommandos im Entstehen begriffen 10, und der bisher eher unzulänglichen Ausstellung der Gedenkstätte Natzweiler-Struthof steht eine gründliche Überarbeitung bevor. Seit einigen Jahren fördert die Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg die Erforschung der zahlreichen Außenkommandos und unterstützt die dortigen Gedenkstättenprojekte.

Die vorliegende Studie möchte einen Beitrag leisten zu dieser längst fälligen Erforschung der Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler und seiner Außenkommandos. Im Zentrum steht hier aber nicht die Geschichte des Lagers selbst, sondern die Frage nach den weiteren Perspektiven der Erforschung. Was wurde bereits geleistet? Wo liegen die Defizite und wie lassen sich diese beheben? Bei einem zusammenfassenden Blick auf die bestehende Forschungsliteratur erweisen sich vor allem zwei Dinge als problematisch: Der Mangel an Quellen und der unkritische Umgang mit der "Erinnerungsliteratur", also den Berichten ehemaliger Häftlinge. Zwar zählen diese Erinnerungen zu den wichtigsten Quellen überhaupt und sind schon daher unverzichtbar, doch erfordert ihre Verwendung ein hohes Maß an Reflexion. Im dritten Teil der Arbeit werden deshalb anhand der gedruckten Erinnerungen ehemaliger Häftlinge die Bedingungen erarbeitet, denen der wissenschaftliche Umgang mit ihnen unterliegt. Dabei wird deutlich, daß der Aussagewert dieser Erinnerungen beschränkt ist, und daß deshalb weitere aussagekräftige Unterlagen herangezogen werden müssen. Da jedoch nur noch wenige zeitgenössische Akten aus dem Lager selbst oder seiner Verwaltung vorhanden sind, stellt sich die Frage, ob nicht Akten aus Strafverfahren gegen ehemalige NS-Verbrecher aus Natzweiler diese Lücken füllen können. Tatsächlich findet sich in der "Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" ein umfangreicher Aktenbestand zu diesem Lager. Inwieweit lassen sich einzelne Aspekte der Lagergeschichte anhand solcher Unterlagen darstellen? Dies wird abschließend anhand eines ausgewählten Strafverfahrens untersucht. Doch zunächst sollen zumindest die wichtigsten Aspekten und Eckdaten der Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler erwähnt werden, jedenfalls soweit dies angesichts der vielen offenen Fragen möglich ist.

 

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