Horst Häckel

Organtransplantation am Fallbeispiel Österreich


Richter Mag. Horst Häckel ist derzeit dem Bundesministerium für Justiz in Wien dienstzugeteilt und mit der Ausarbeitung von Strafgesetzen befaßt.

1. Vorbemerkung

Der Mangel an menschlichen, künstlich nicht herstellbaren Organen führte auch in Österreich zu jahrelangen rechtspolitischen Diskussionen. Aus juristischer Sicht war (und ist) dabei die Organentnahme Mittelpunkt des Interesses. 1982 hat der österreichische Gesetzgeber die Entnahme von Organen aus Toten ausdrücklich geregelt und dabei eine klare rechtspolitische Entscheidung getroffen. Vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Verurteilung eines Arztes, der einem verstorbenen Unfallopfer ohne Einwilligung Verfügungsberechtigter Knochensplitter entnommen hat, entschloß sich der Gesetzgeber den "höherwertigen Rechtsgütern Rettung menschlichen Lebens und Wiederherstellung der Gesundheit" gegenüber der Pietät "absoluten Vorrang" einzuräumen1.

Der Vorrang der Lebenserhaltung bzw. Erhaltung der Gesundheit vor der Totenruhe hat auch in der österreichischen Rechtsgeschichte Tradition. Schon seit der Zeit Maria Theresias war es erlaubt, im Interesse der Wissenschaft im Rahmen des "Obduktionsrechtes" in den Leichnam einzugreifen2.

 

2. Die Österreichische Rechtslage zur Organentnahme von Verstorbenen

2.1. Strafrecht

Grundsätzlich erfüllt die Entnahme von Leichenteilen ohne Einwilligung des Verfügungsberechtigten den Tatbestand des § 190 Abs.1 erster Deliktsfall StGB ("Störung der Totenruhe"), wonach unter anderem strafbar ist, wer einen Leichnam oder Teile eines Leichnams einem Verfügungsberechtigten entzieht.

Mit der am 19. Juni 1982 in Kraft getretenen Novelle zum Krankenanstaltengesetz, BGBI Nr. 273/1982, wurde die Zulässigkeit der Explantation von Organen oder Organteilen Verstorbener zum Zwecke der Transplantation im § 62a KAG als besonderer Rechtfertigungsgrund unter den nachstehenden Voraussetzungen ausdrücklich normiert:

"§ 62a (1) Es ist zulässig, Verstorbenen einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen, um durch deren Transplantation das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen. Die Entnahme ist unzulässig, wenn den Ärzten eine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene oder, vor dessen Tod, sein gesetzlicher Vertreter eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat. Die Entnahme darf nicht zu einer die Pietät verletzenden Verunstaltung der Leiche führen."

Zu den transplantierbaren Organen bzw. Geweben gehören beispielsweise Niere, Herz, Lunge, Leber, Pankreas, Dünndarm und andere Organe des Verdauungstraktes, Knochenmark, Gehörknöchelchen, Hornhaut, Haut3. Das (gesamte) menschliche Hirn darf nach geltendem Recht nicht übertragen werden, da die Entnahme erst nach der Feststellung des Hirntodes zulässig ist und daher nur ein "totes" Organ entnommen werden dürfte4.

Die Entnahme muß erfolgen, um durch die Transplantation der Organe oder Organteile das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wieder herzustellen. Allerdings dürfen Explantate "für künftige Heilungen" auf Organbanken (z.B. für Hornhaut oder Knochen) gelegt werden5.

Die Verwertung von Organen und anderen Leichenteilen zu anderen Zwecken als zu Heilzwecken (z.B. zu kosmetischen Zwecken oder zwecks pharmazeutisch-industrieller Verwertung) ist daher nur im Falle ausdrücklicher Zustimmung des Verstorbenen oder der Angehörigen zulässig und kommt im Wege einer analogen Anwendung des § 62a KAG nicht in Betracht6. So wurde in einer OHG-Entscheidung die Verurteilung von Prosekturgehilfen wegen § 190 StGB, die im Anschluß an eine Obduktion Hypophysen zurückbehielten und an ein pharmazeutisches Unternehmen zur Herstellung von Heilpräparaten weiterleiteten, bestätigt. Die Heilwirkung erfolgt in diesen Fällen nicht durch die Transplantation des entnommenen Organs7.

Der Verstorbene oder - vor dessen Tod - sein gesetzlicher Vertreter dürfen im Todeszeitpunkt einer Organspende nicht ausdrücklich widersprochen haben und Die Entnahme darf nicht zu einer die Pietät verletzenden Verunstaltung der Leiche führen.

Der eingetretene Tod des Spenders muß zuvor von einem zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Arzt festgestellt worden sein, wobei dieser Arzt weder die Explantation noch die Transplantation durchführen oder daran beteiligt oder durch diese Eingriffe betroffen sein darf.

Mit der Verwendung des Rechtsbegriffes "Tod" wird nach einhelliger Lehre (auch) der "Hirntod" angesprochen8. Die erfolgreiche Transplantation der meisten Organe erfordert die Entnahme bei aufrechtem Spenderkreislauf. Schon daraus folgt, daß der rechtliche Todesbegriff im Sinne der angesprochenen Bestimmung, unabhängig von ethischer oder medizinischer Begriffsbildung, nur der des "Hirntodes" sein kann. Darüber bestand auch während des Gesetzgebungsverfahrens zu § 62a Einigkeit (StProt Nr. l5.GP,11625;16013).

Darunter wird allgemein der irreversible Funktionsausfall der gesamten Hirnfunktion verstanden9. "Kriterien des Hirntodes" (vgl. deutsche Bundesärztekammer - Kriterien des Hirntodes, 1982,1986 und 1991) wurden vom Gesetzgeber nicht normiert. Ebenso wurde bewußt darauf verzichtet, die Methode der Todesfeststellung zu regeln. Dafür sind die Methoden der medizinischen Wissenschaft entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse maßgeblich (Erf. zur RV 969 BIg.Nr.15. GP, 4)10. Zur Hirntoddiagnostik nimmt der "Oberste Sanitätsrat" in einem (rechtlich nicht verbindlichen) Gutachten vom 26.6.1982 Stellung. Dabei wird zusätzlich zur klinischen Hirntoddiagnostik eine Diagnose durch EEG-Schreibung oder Angiogramm gefordert. Für die Todesfeststellung wird ein Null-Linien-EEG über sechs Stunden verlangt. Die Diagnose des Hirntodes wird nach gegenwärter medizinischer Praxis neben der Feststellung der klinischen Leitsymptome (tiefe Bewußtlosigkeit ohne Reaktion auf Reize; Fehlen einer Spontanmotorik, völlige Muskelerschlaffung; maximal weite, reaktionslose Pupillen; keine zentralen hirngesteuerten Reflexe; Atemstillstand) mit objektiven Methoden unterstützt. Neben der gebräuchlichsten Methode - der Registrierung eines Null-Linien EEGs - findet die zerebrale Angiographie (röntgenologische Beobachtung der Verteilung von Kontrastmitteln, die in zum Hirn führende Arterien injiziert wurden) Anwendung.

Die Entnahme muß in einer öffentlichen (gemeinnützigen) Krankenanstalt erfolgen. Diese Einschränkung gilt nur für die Entnahme, nicht auch für die Transplantation selbst. In Österreich bestehen vier Transplantationszentren in Graz, Innsbruck, Region Linz und Wien. Transplantationen werden in fünf Spitälern durchgeführt.

Organe und Organteile Verstorbener dürfen nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Gewinn gerichtet sind (§ 62a Abs. 4 KAG).

Die in Österreich verwirklichte Lösung entspricht der "Widerspruchslösung"; wobei einerseits in der RV zur KAG-Novelle 1982 zunächst sogar das "Notstandsmodell" (Organentnahme auch gegen den erklärten Willen des Verstorbenen) vorgesehen und andererseits im Verfahren zur Begutachtung des Gesetzesentwurfs von einigen Stellen11 die "Zustimmungslösung" vorgeschlagen worden war. Die "Informationslösung" (Vorliegen einer Zustimmung des Verstorbenen oder Widerspruchsrecht von bestimmten Verwandten), wie im Gesetzesentwurf der Länder Bremen und Hessen vom 20.6.1994 vorgeschlagen, wurde in Österreich, soweit überblickbar, nicht diskutiert.

Ob nach der österreichischen Regelung den Arzt eine Pflicht trifft, sich über das Vorliegen eines Widerspruchs zu informieren, ist unklar aber nach dem Gesetzeswortlaut wohl zu verneinen. Immerhin wurde, zur besseren Überschaubarkeit allenfalls erhobener Widersprüche für die betroffenen Ärzte, mit Jahresbeginn 1994 ein automationsunterstütztes "Widerspruchsregister" zur zentralen Dokumentation von Widersprüchen eingerichtet.

Dabei werden vom "Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen-Transplantationsbeirat" auf Anfrage Formulare (Name, Sozialversicherungsnummer, Adresse, Einverständnis zur EDV-mäßigen Verarbeitung) an die Widersprechenden versandt. Die Rücksendung des ausgefüllten und unterzeichneten Formulars führt zur unverzüglichen Eingabe des Widerspruchs in das Widerspruchsregister.

Die befaßten Organspenderzentren sollen vor Durchführung einer Transplantation eine telefonische Abfrage an das Register durchführen. Bei jeder Abfrage werden zur Dokumentation Datum, Abfrage, Spender und Ergebnis der Abfrage festgehalten.

Eine Nachforschungspflicht in bezug auf das Vorliegen eines Widerspruchs ist jedoch nicht ausdrücklich vorgesehen12. Sie kann auch aus § 190 StGB nicht abgeleitet werden, weil dieses Delikt nur vorsätzlich begangen werden kann. Unter der Voraussetzung geeigneter technischer Möglichkeiten und einfacher Handhabung wird die Zulässigkeit einer Organentnahme ohne Anfrage allerdings verneint13. Nach allgemeiner Lehre vom Zugang von Willenserklärungen gilt eine Willenserklärung als erhalten, sobald sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, so daß sich dieser unter normalen Umständen vom Erklärungsinhalt Kenntnis verschaffen kann14. Die Organentnahme trotz Vorliegen eines Widerspruchs wird als Verwaltungsübertretung (entspricht einer Ordnungswidrigkeit) nach § 62c KAG zu sanktionieren sein15.

Insgesamt wurde mit den dargelegten Regelungen versucht, einen Ausgleich zwischen den Gütern der Rettung menschlichen Lebens bzw. der Wiederherstellung der Gesundheit einerseits und der Pietät und der Achtung religiöser oder philosophischer Überzeugungen andererseits zu finden, wobei ausdrücklich davon ausgegangen wurde, daß die Güter Leben und Gesundheit insgesamt letztlich höher zu bewerten sind (RV 969BIgNR XV. GP, 2).

Selbst gegen den ausdrücklich erklärten Widerspruch des Verstorbenen oder seines gesetzlichen Vertreters kann nach den Umständen des Falles der die Explantation durchführende Arzt infolge übergesetzlichen Notstands gerechtfertigt oder wegen entschuldigenden Notstands (§ 10 StGB) entschuldigt sein16.

 

2.2. Verwaltungsbehördliche Strafbarkeit

Nach § 62c KAG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer dem § 62a KAG zuwiderhandelt, sofern die Tat nicht gerichtlich strafbar ist. Angedroht wird eine Geldstrafe bis zu öS 30 000,- (etwa 4.000 DM). Auch fahrlässiges Verhalten ist strafbar (§ 5 Abs.1 VStG).

Die Verwaltungsübertretung erfaßt etwa die (fahrlässige) Entnahme trotz Vorliegens eines Widerspruchs, die Überschreitung des zulässigen Umfangs der Organentnahme, die Verletzung von Verfahrensvorschriften (Fehlen der vorausgehenden Todesfeststellung durch einen Arzt; unzulässige Beteiligung an der Entnahme oder Transplantation durch den todesfeststellenden Arzt; Durchführung außerhalb öffentlicher Krankenanstalten) oder die Durchführung gewinnorientierter Rechtsgeschäfte mit Organen oder Organteilen Verstorbener17.

 

2.3. Verfahrensvorschriften

Die Vorgehensweise bei der Organentnahme und -übertragung wird vom österreichischen Recht nur in einigen Punkten geregelt.

Die Entnahme darf erst durchgeführt werden, wenn ein zur selbständigen Berufsausübung berechtigter Arzt den eingetretenen Tod festgestellt hat (§ 62a Abs. 2 KAG). In der Praxis werden für die Todesfeststellung, über die gesetzlichen Voraussetzungen hinaus, zwei Fachärzte für Neurologie mit mindestens dreijähriger Berufserfahrung und spezifischer Ausbildung, herangezogen.

Der todesfeststellende Arzt darf weder die Entnahme noch die Transplantation durchführen. Er darf an diesen Eingriffen auch sonst nicht beteiligt oder durch sie betroffen sein (§ 62a Abs. 2 KAG). Jener Arzt, der den eingetretenen Tod feststellt, darf keine wie immer gearteten Interessen an der Entnahme oder Transplantation haben.

Die Entnahme darf nur an gemeinnützigen Krankenanstalten durchgeführt werden (§ 62a Abs. 3 KAG).

Entnahme und Transplantation sind durch Niederschrift in der Krankengeschichte des Spenders und der des Empfängers zu dokumentieren (§ 10 Abs.1 Z 1, 2 und 6 KAG und Landesausführungsgesetze).

Weitergehende verwaltungsrechtliche und organisatorische Regelungen, wie sie etwa die Länder Bremen und Hessen in einem Gesetzesantrag eines Transplantationsgesetzes vom 30.6.1994 vorgeschlagen haben, sieht das österreichische Krankenanstaltengesetz nicht vor (Verfahren zur Einwilligung; Feststellung des Hirntodes durch zwei Ärzte; Organvermittlung; Zulassung von Transplantationszentren).

 

2.4. Exkurs: Organentnahme an Fremden

Das österreichische Recht knüpft nicht an die österreichische Staatsbürgerschaft oder einen Inlandswohnsitz des in Österreich verstorbenen (potentiellen) Organspenders an. Organentnahmen sind daher auch an Fremden unter denselben Voraussetzungen zulässig wie an Österreichern, unabhängig vom Heimatrecht des Verstorbenen. Der räumliche Geltungsbereich österreichischer Gesetze erstreckt sich "auf das gesamte Bundesgebiet" (Art. 49 B-VG).

Diese Rechtslage ist vor dem Hintergrund der in § 62a KAG verwirklichten "Widerspruchslösung" nicht unproblematisch. Die Angehörigen eines in Österreich tödlich verunglückten ausländischen Urlaubers, der mangels Kenntnis der österreichischen Rechtsordnung keinen Widerspruch erhoben hat, haben aus rechtlicher Sicht keine Möglichkeit, Organentnahmen zu verhindern. In der Praxis werden allerdings die Angehörigen, sofern eine zeitgerechte Kontaktaufnahme zu ihnen möglich ist, um ihre Zustimmung gefragt.

 

3. Bilanz

Die vom Gesetzgeber gewählte "Widerspruchslösung" wurde in der Rechtswissenschaft ebenso wie von namhaften Fachleuten auf dem Gebiet der Transplantationschirurgie fast ausnahmslos positiv aufgenommen. Eine ausdrückliche Ablehnung von juristischer Seite findet sich, soweit überblickbar, nur in einer einzigen Publikation18.

Das verfolgte Ziel einer deutlichen Steigerung der Transplantationsrate konnte jedenfalls zum Teil erreicht werden19. Besonders bei Herz (1987: 38,1993:105,1994: 91), Leber (1987: 32,1994: 96) und Lunge (1987:1,1994: 33) erfuhr die Transplantationsfrequenz eine deutliche Steigerung. Nieren (1987: 5,1994: 4) wurden annähernd gleich häufig übertragen. Pankreas-Transplantationen sind zurückgegangen (1987: 24;1994:12).

Dennoch konnte bei der Entwicklung der Wartelisten im Transplantationswesen kein wesentlicher Rückgang festgestellt werden.

1990 (Beginn der Aufzeichnungen) 31.3.1995

Niere 1097 989

Herz 132 117

Leber 92 57

Lunge 21 23

Nach Schätzungen von Ärzten, die regelmäßig Organentnahmen durchführen, sterben in Österreich ca. 20 - 25 % der in die Warteliste für Herztransplantationen und ca.15 - 20 % der in die Warteliste für Nierentransplantationen aufgenommenen Patienten wegen der Nichtverfügbarkeit eines passenden Organs.

Im internationalen Vergleich weisen Belgien und Österreich ("Widerspruchslösung") durchschnittlich eine doppelt so hohe Transplantationsrate (pro Million der Bevölkerung pro Jahr) auf als Deutschland und die Niederlande ("Zustimmungslösung")20.

An dieser Stelle ist zu bemerken, daß Österreich zwar Mitglied von Eurotransplant ist, im Gegensatz zu den anderen Mitgliedstaaten (Belgien, Luxemburg, Niederlande, Deutschland) aber noch keinen Vertrag über den internationalen Organaustausch abgeschlossen hat.

Das am 1.1.1994 installierte Widerspruchsregister wurde bis 1.6.1995 wie folgt in Anspruch genommen: Es wurden 171 Widersprüche von österreichischen Staatsbürgern aufgenommen. Von den Widersprüchen, die von Fremden erhoben wurden, stammen 45 von deutschen Staatsbürgern. Seit der Schaffung der technischen Voraussetzungen wurde vor jeder einzelnen Entnahme eines soliden Organs (nicht immer vor Gewebsentnahmen) abgefragt (196 Abfragen, davon 70 vor der Entnahme solider Organe). In keinem Fall ist die abfragende Krankenanstalt auf einen Widerspruch gestoßen. Das Widerspruchsregister ist wohl in breiten Bevölkerungskreisen noch wenig bekannt.

 

4. Rechtslage zur Organentnahme von Lebenden

Ein Arzt, der einem lebenden Menschen Organe oder Organteile entnimmt, handelt tatbildlich im Sinne der Körperverletzungsdelikte nach den §§ 83 ff. StGB. Spezialnormen, die die Organentnahme von lebenden Spendern regeln, bestehen nicht.

Grundsätzlich können medizinische Eingriffe, die keine Heilbehandlung sind, durch die Einwilligung des Verletzten nach § 90 Abs.1 StGB gerechtfertigt sein.

Die Körperverletzung darf jedoch als solche nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Nach einhelliger Lehre kommt es nicht darauf an, ob die Tat oder die Einwilligung sittenwidrig ist, sondern entscheidend darauf, ob die daraus entstandene (schwere) Verletzung als solche den guten Sitten widerspricht. Es kommt also nur auf den Erfolg, nicht jedoch auf die Tat und insbesondere auch nicht auf die Motivation zur Tat an.

Wörtlich genommen folgt daraus unter anderem, daß Organentnahmen für Transplantationen, weil es sich dabei in der Regel um Verletzungen handelt, die wegen ihrer Art und Schwere sowie der damit verbundenen Dauerfolgen als solche sittenwidrig und demnach rechtswidrig sind, nicht durch Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt werden können21. Wegen der Schwere des Eingriffs oder dessen Folgen werden allgemein Organentnahmen, die beim Spender zu schweren Verstümmelungen, Lähmungen oder Unfruchtbarkeit führen, als sittenwidrig und daher nicht der Disposition des Verletzten obliegend beurteilt. In die Entnahme lebenswichtiger und unpaarer Organe kann jedenfalls nicht eingewilligt werden. Für die Lebendspende kommen demnach neben der Niere (in Wien 1987 betrug der Anteil an transplantierten Nieren 6 %) und Knochenmark, Schwanz und Körper der Bauchspeicheldrüse oder Leberlappen und Lungensegmente in Betracht.

Ein Teil der österreichischen Lehre meint, daß Organspenden Lebender nicht der Einwilligung des Verletzten unterliegen; die Lösung könne nur durch den Gesetzgeber in einer gesonderten Regelung, etwa im KAG, getroffen werden22.

Ein anderer Teil der Lehre entwickelte eine vermittelnde Position, indem die beschränkte Berücksichtigung der Zwecke und sonstigen konkreten Umstände der auf Grund der Einwilligung vorgenommenen Handlung vorgeschlagen wird. Danach soll ein Körperverletzungserfolg, der nach Art und Schwere so gewichtig ist, daß er für sich genommen als sittenwidrig einzustufen wäre, durch einen rechtlich positiv zu bewertenden Zweck der Handlung unter Umständen kompensiert werden und die Tat insgesamt als sittengemäß beurteilt werden können23.

Die Rechtsprechung hat sich, soweit überblickbar, mit den angesprochenen Problemen noch nicht befaßt. In der Entscheidung vom 26.1.1978 hat der OGH jedoch ausgesprochen, daß die Frage des Verstoßes gegen die guten Sitten "nur jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Ziele und Beweggründe der Beteiligten, der Art der angewendeten Mittel und der Schwere der Verletzung" zu entscheiden sei24. Wegen der darin zum Ausdruck gekommenen Berücksichtigung der Motivation der Beteiligten kann davon ausgegangen werden, daß der OGH der oben dargestellten "vermittelnden Position" näher steht.

Die Frage nach der Handelbarkeit der Organe von lebenden Spendern stellt sich überhaupt nur im Fall der Anerkennung der oben dargestellten vermittelnden Lösung.

Daß die Organspende aus finanziellen Beweggründen erfolgt, begründet nach herrschender Lehre keinen Verstoß gegen die guten Sitten iSd § 90 StGB, sondern ist allenfalls für die zivilrechtliche Gültigkeit der Entgeltvereinbarung bedeutsam25.

Einen dem "Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Organhandel" der deutschen Bundesregierung vom 23.9.1994 (§ 298 StGB) oder dem Gesetzesantrag der Länder Bremen und Hessen vom 30.6.1994 (§ 11 "Transplantationsgesetz") entsprechenden Tatbestand gegen den gewinnorientierten Umgang mit Organen, Organteilen oder Geweben von lebenden Spendern sieht das österreichische Recht nicht vor. Der Organspender kann sich nicht strafbar machen.

 

5. Anmerkungen

1 RV 969 BIgNR XV. GP, 2

2 Gerichtsmedizinische Sektion in der Constitutio Criminalis Theresiana aus 1769; allgemeine Sektionserlaubnis für die medzinische Fakultät im Reformedikt von 1749; Sektionserlaubnis für alle im Spital Verstorbenen für das Wiener Allgemeine Krankenhaus; nach dem geltenden § 25 des österreichischen Krankenanstaltengesetzes (KAG) sind die Leichen der in einer öffentlichen Krankenanstalt Verstorbenen zu obduzieren, wenn die Obduktion sanitätspolizeilich oder gerichtlich angeordnet wurden oder zur Wahrung anderer öffentlicher oder wissenschaftlicher Interessen, insbesonders wegen diagnostischer Unklarheit des Falles oder wegen eines vorgenommenen operativen Eingriffs erforderlich ist.

3 Kopetzki, Organgewinnung zu Zwecken der Transplantation,137

4 Kopetzki,140f.

5 Leukauf-Steiniger3, § 190 Rz 11, Foregger WK Rz 13 zu § 190 StGB; Eder-Rieder, ÖJZ 1984, 291; Kopetzki 143; Brandstetter, in Brandstetter, Kopetzki, Organtransplantationen. Medizinische und rechtliche Aspekte der Verwendung menschlicher Organe zu Heilzwecken 95 f, Karl, Todesbegriff und Organtransplantation, 92

6 Leukauf-Steiniger3 § 190 Rz 11 a; RZ 1987, 23

7 RZ 1987l23; dazu: Karl, 98 ff

8 Leukauf-Steiniger3Rz 24 zu § 75 StGB; Kienapfel BT l2 Vorbem. §§ 75 ff Rz 11; Moos WK Vonbem. zu §§ 75 ff. Rz 30 ff; Burgstaller WK § 80 Rz 6; Mayerhofer-Rieder4 Anm 5 zu § 75; Loebenstein ÖJZ 1978, 310; Kopetzki,183

9 Sitzungsbericht der österr. Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie, ÖJZ 1973, 349

10 Karl, 32 f

11 Evangelischer Oberkirchenrat AB Wien, Österreichischer Städtebund, Amt der Vorarlberger und Amt der Salzburger Landesregierung

12 Kritisch dazu: Karl,102

13 Aigner, RdM 1994,120

14 Kopetzki in Brandstetter, Kopetzki, Organtransplantationen. Medizinische und rechtliche Aspekte der Verwendung menschlicher Organe zu Heilzwecken, 87

15 Kopetzki, 271

16 Leukauf-Steiniger3, § 190 Rz 11a

17 vgl. Kopetzki, 271 in Brandstetter, Kopetzki, Organtransplantationen. Medizinische und rechtliche Aspekte der Verwendung menschlicher Organe zu Heilzwecken, 98

18 Edelbacher, ÖJZ 1983, 426

19 Daten vom "Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen"

20 vgl. Eurotransplant - Jahresberichte

21 vgl. Leukauf-Steiniger3 § 90 Rz 15 mwN

22 Leukauf-Steiniger3, § 90 Rz 15

23 Burgstaller WK, § 90 Rz 76; Kienapfel BT I2, § 90 Rz 40

24 SSt 49/9

25 Burgstaller WK § 90 Rz 126, Kienapfel, BT l2 Rz 39, Kopetzki 256 (anders: Brandstetter in Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, Schriftenreihe BMJ Nr. 69,195 f; ders. in Brandstetter, Kopetzki, Organtransplantationen. Medizinische und rechtliche Aspekte der Verwendung menschlicher Organe zu Heilzwecken,106)