III. Sechs Jahre "Unsere Stadt braucht Frauen"

III.1 Die Kurse - Die Teilnehmerinnen


"Wenn ich auch keine großen Hoffnungen hege, ich bleibe dran und lasse nicht locker."...

"Auf jeden Fall kann dieses Seminar "Unsere Stadt braucht Frauen" zur politischen Bildung als erste Verbrennungsstufe eines Motors für weitere Taten gesehen werden.1

Dies sagte die ehemalige Bürgermeisterin und Frauenbeauftragte von Ludwigsburg, Dr. Gisela Meister, vor dem Start des Pilotprojekts - und seither läuft der Motor!

Nach diesem ersten Herbstseminar folgte wegen der großen Nachfrage gleich ein zweites Seminar im Frühjahr '91. Dies war der Auftakt eines wohl einmaligen Erfolgskonzeptes einer frauenpolitischen Veranstaltungsreihe in Baden-Württemberg (vgl. Kap. IV. Perspektiven).

Seit Beginn des ersten Kurses sind sechs Jahre vergangen. Längst ist aus dem Pilotprojekt eine Seminarreihe geworden und es ist zur Zeit nicht absehbar, daß das Interesse an diesem politischen Seminar nachläßt.

Mittlerweile ist in ganz Baden-Württemberg "Unsere Stadt braucht Frauen" durchgeführt worden und weitere Projekte werden auch im nächsten Jahr stattfinden.

Waren es '91 /'92 neun Kurse, '93 sieben Kurse, so wurden 1994 sage und schreibe 30 Kurse im gesamten Land durchgeführt. 1995 wurden 19 Kurse und 1996 14 Kurse durchgeführt.

Die Zahlen sprechen für sich !!

Das Hauptinteresse der Ludwigsburger Frauenbeauftragten war damals, insbesondere junge Frauen an die Politik heranzuführen. Aus diesem Grundgedanken entstand ein von mehreren Institutionen gemeinsam verantwortetes Pilotprojekt zur politischen Bildung für Frauen:

In Zusammenarbeit mit der Stadt Ludwigsburg, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, der Leitstelle für Frauenfragen im Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen Baden-Württemberg, sowie der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg wurde das erste Seminarkonzept entwickelt und erstmalig im Herbst 1990 durchgeführt.

Das Sozialministerium, Leitstelle für Frauenfragen, finanzierte eine wissenschaftliche Begleitung des ersten Seminars mit dem Ziel, die Auswertbarkeit und Übertragbarkeit des Konzepts sicherzustellen. Außerdem finanzierte das Sozialministerium die Dokumentation2 des Pilotprojekts.

Die in Ludwigsburg gemachten Erfahrungen aufzuarbeiten und in eine - auch auf andere Städte übertragbare - inhaltliche und pädagogische Konzeption umzusetzen, wurde 1991 zu einer Aufgabe, die im neu geschaffenen Fachreferat Frauenbildung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in Angriff genommen wurde.

Wie erfolgreich mittlerweile im ganzen Land und über die Landesgrenzen hinaus "Unsere Stadt braucht Frauen" wurde, zeigt diese Dokumentation.

Die große Nachfrage sprengte bald den Etat des Fachreferates. Seminarberichte, Briefe, Presseartikel belegten, daß viele Frauen durch die Teilnahme an den Seminaren für ein verstärktes politisches Engagement gewonnen wurden. Der Direktor der Landeszentrale sicherte über die Bewilligung eines Sonderetats die weitere Durchführung des Projektes in Baden-Württemberg.

Seit nunmehr sechs Jahren betreut das Fachreferat Frauenbildung der Landeszentrale diese Seminarreihe.

Viele Anfragen aus Städten, Gemeinden und Kreisen zu dem Projekt erreichen das Referat und werden von hier aus beantwortet. Inhaltliche und organisatorische Beratung, Hilfestellung für die Durchführung usw. werden vom Fachreferat geleistet. Didaktische Materialien, die im Fachreferat entwickelt wurden, werden den Kursleiterinnen zur Verfügung gestellt.

Das wichtigste ist jedoch die finanzielle Förderung, ohne die im allgemeinen dieses Kursmodell nicht gestartet werden könnte. Bei vielen Schnupperabenden, die vor dem eigentlichen Kursbeginn stattfinden, ist die Fachreferatsleiterin oder eine Vertreterin vor Ort. Die Aufgabe der Referentin ist es, die Arbeit der LpB vorzustellen, die Schwerpunkte der politischen Arbeit zu verdeutlichen und "für unsere Demokratie" zu werben. Vor allem geht es jedoch darum, die spezifischen Ziele und Inhalte der politischen Frauenbildungsarbeit der Landeszentrale und insbesondere die Konzeption und Zielsetzung des Modellprojekts "Unsere Stadt/Unser Kreis braucht Frauen" den Interessentinnen nahezubringen. Auch Berichte über bereits durchgeführte Seminare wecken im allgemeinen das Interesse und die Neugier. Auf dieses Seminar aufmerksam wurden viele Frauen durch oft sehr schön und einladend gestaltete Programme.

Von den zehn bis zwölf Abenden der Kursreihe sind vier oder fünf Abende bereits im voraus von den Seminarleiterinnen inhaltlich festgelegt. Die weiteren Treffen werden mit den Teilnehmerinnen je nach Zielsetzung und Interessensschwerpunkten der Gruppe gemeinsam verabredet, geplant und gestaltet. Obligatorisch sindjedoch die Vorbereitung auf eine Gemeinde- oder Kreistagssitzung, der gemeinsame Besuch der Sitzung sowie die Nachbereitung.

Es hat sich besonders bewährt, wenn dieKurse direkt in den "Zentren der Macht", in Bezirksrathäusern oder Rathäusern der Städte stattfanden. "Das Rathaus ist für uns damit entmystifiziert worden, das gehört jetzt mehr zu uns"3 sagte dazu treffend eine Teilnehmerin eines Stuttgarter Seminars.


Die Teilnehmerinnen

Politisches Interesse: inter esse (lat.)

dazwischen sein / teilhaben

In diesem Sinne bietet die Seminarreihe den Frauen Gelegenheit, sich mit ihrer eigenen gesellschaftlichen Rolle, mit ihrem sozialen und politischen Umfeld und der Politik im allgemeinen auseinanderzusetzen.

Die eigene Lebenssituation der Frauen soll in den Kursen Ausgangspunkt sein, um politisches Interesse zu wecken.

Bisher erreichte dieses Kursprogramm ca. 1400 Frauen in ganz Baden-Württemberg. Aus der Karte von Seite 21 wird deutlich, daß sich eine Ballung der Kurse um die Städte zeigt. Im ländlichen Bereich sind eher vereinzelt Kurse "Unsere Stadt braucht Frauen" durchgeführt worden.

Besonders auffallend ist die große Zahl von Kursen im Wahljahr 1994, insgesamt 30 Projekte wurden erfolgreich durchgeführt.

Die weit verbreitete Annahme, Frauen seien unpolitisch und nicht an Politik interessiert, scheint sich hier zu widerlegen.

Viele der Frauen wollten sich gerade vor den Wahlen genau informieren oder spielten mit dem Gedanken, selbst aktiv zu werden. Was fehlte, war ein letzter Anstoß, eine Bestätigung der eigenen Fähigkeiten, und vielleicht die Vermittlung des Gefühls, Frau steht nicht allein.

"Die Neugier von Frauen am politischen Geschehen, an politischen Institutionen, dem Funktionieren von Politik und dem Agieren darin sollte genutzt werden und in weitere Angebote zur politischen Bildung münden."4 Viele Frauen haben durch diese politische Seminarreihe Mut bekommen, sich der aktiven Politik zu stellen. Viele haben sich auf Parteilisten setzen lassen und sind auch gewählt worden.

Die soziodemographischen Daten der Frauen, die diese Seminare besuchten, bieten einen repräsentativen Querschnitt des gesellschaftlichern Bildes der Frauen in Deutschland.

Von der Alleinerziehenden bis zur Familienfrau, von der Hausfrau bis zur Berufstätigen, von der Hauptschul- bis zur Hochschulabsolventin waren alle Formen des Familienstandes, der Ausbildung und der Berufe vertreten. Frauen, die sich zu diesen Kursen anmeldeten, waren zum Teil bereits politisch aktiv, z.B. in Parteien, BürgerInnenorganisationen oder Vereinen. Andere zeigten ihr politisches Interesse, indem sie sporadisch politische Veranstaltungen und Vorträge besuchten. Es kamen jedoch auch die Frauen, die sich bislang noch nicht von der Politik angeprochen fühlten, sich als völlig "unpolitisch" verstanden - nach eigener Aussage.

Erstaunlich ist für die Seminarreihe das hohe Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen. Aus den vorliegenden Daten ergab sich ein Durchschnittsalter von ca. 35 Jahren. Die jüngste Teilnehmerin war 19 Jahre - die älteste 71 Jahre alt. Überdurchnittlich vertreten waren Frauen im Alter von 35 Jahren aufwärts. Dagegen fehlten vor allem die jungen Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, also genau die Gruppe von Frauen, die eigentlich besonders angesprochen werden sollte, erreicht "Unsere Stadt..." leider auch nicht.

Woran liegt es? Was müßte politische Frauenbildung bei der Programmplanung und bei der Konzeption beachten? Brauchen wir ein anderes Marketing, eine andere Werbestrategie, um junge Frauen zu erreichen? Sicherlich hat die Karlsruher Frauenbeauftragte mit ihrer Äußerung im Karlsruher Amtsblatt von 1994 nicht Unrecht: "Vor allem 20- bis 30jährige Frauen sind so stark von der Erziehung ihrer Kinder in Anspruch genommen, daß sie den Kontakt nach außen verlieren und sich dann nicht mehr trauen, den Mund aufzumachen." Familienfrauen brauchen bessere Rahmenbedingungen, um in dieser Zeit den Außenkontakt nicht zu verlieren und sie brauchen die Anerkennung ihrer Arbeit. Vor allem aber brauchen sie Bildungsangebote, die ihrer Situation Rechnung tragen.

Immer wieder scheitern die guten Ideen, an denen es nicht mangelt, am Geld, z. B. für die Finanzierung einer qualifizierten Kinderbetreuung.

In Karlsruhe wurde gerade dies berücksichtigt und den Kursleiterinnen gelang es, ein Vormittagsangebot "Unsere Stadt braucht Frauen" mit paralleler Kinderbetreuung durchzuführen.

Sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir auch Mütter mit kleinen Kindern ansprechen und zur politischen Partizipation ermuntern wollen.


Anmerkungen:

1. Ludwigsburger Kreiszeitung vom 07.08.90, Dr. Gisela Meister
2. Unsere Stadt braucht Frauen - wir machen mit! Ein Seminar zur politischen Bildung von Frauen. Bericht über ein
    Pilotprojekt. Hrsg.: Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen Baden-Württemberg, Stuttgart 1991
3. Stuttgarter Zeitung vom 13.05.94
4. Zitat Kursleiterin Esslingen 12.6.94