Reformen 2003 (Archiv)

Steigende Arbeitslosigkeit, eine lahmende Wirtschaft, leere Steuer- und Sozialkassen, die höchste Neuverschuldung der Nachkriegszeit: Deutschland braucht dringend Reformen, da sind sich im Prinzip alle einig. Aber wo sollen die ansetzen? In seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) spürbare Einschnitte ins soziale Netz an - und trat damit eine erbitterte politische Auseinandersetzung los.

Im September 2003 beschloss der Bundestag die Gesundheitsreform, im Dezember 2003 die Renten- und Steuerreform und im Juli 2004 wurden eine Reihe weiterer einschneidender Reformen  (Hartz IV) verabschiedet.

Das Publikum steht staunend daneben: Pflegeversicherung streichen? Aber das fing doch gerade erst an. Bis 67 arbeiten? Aber die meisten hören doch ohnehin früher auf. Weniger Rente? Die Rente ist doch sicher. Länger in der Woche arbeiten? Aber es ist doch zu wenig Arbeit da. Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau absenken? Wir haben doch jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt! Der Beitragssatz zur Krankenversicherung sollte durch Zuzahlungen ab dem 1. Januar 2004 sinken, er sinkt aber für viele Versicherte nicht. Dafür gibt es ab Juli 2005 zusätzlich höhere Beiträge für Zahnersatz und Krankengeld.
 
SozialstaatZeitschrift Der Bürger im Staat 4/2003
Der Sozialstaat in der Diskussion

Der deutsche Sozialstaat steht unter Reformdruck. Tief greifende soziale, wirtschaftliche und politische Veränderungen stellen die Sozialpolitik in einen neuen Handlungsrahmen. Die Beiträge in diesem Heft sollen zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen und Fakten vermitteln, die für das Verständnis der aktuellen Reformdebatte wichtig sind ...mehr

 

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Bei allen Sozialreformen, die jetzt anstehen, sind keine Wohltaten zu verteilen, sondern welche abzuschaffen. Ziel ist die Abkopplung der Sozialbeiträge von den Arbeitskosten, die den Faktor Arbeit auch in Hinblick auf die Globalisierung in Deutschland zu teuer machen. Entsprechend gering ist die Bereitschaft der Betroffenen, aber auch der Politik nach Änderungen. Jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen, fällt allen schwer. Bestes Beispiel ist die Einigung zwischen Regierung und Opposition zur Gesundheitsreform. Die bisher beschlossenen Maßnahmen reichen längerfristig nicht aus, das Gesundheitssystem zu sanieren, was auch Horst Seehofer, der Verhandlungsführer der CDU/CSU einräumt.

"Natürlich gibt es Reformbedarf in vielen Bereichen, und diese Reformen müssen wir auch entschlossen anpacken. Dabei werden wir auch auf manches verzichten müssen, an das wir uns in vielen guten Jahren gewöhnt haben." Bundespräsident Johannes Rau.

"Ohne nachhaltige Umbaumaßnahmen wird nicht nur die Rentenversicherung, sondern auch die Pflege- und Krankenversicherung über kurz oder lang kollabieren. Die Bundesregierung muss endlich begreifen, dass die Wahrung der Generationengerechtigkeit die größte sozialpolitische Aufgabe der nächsten Jahre ist. Alle Generationen müssen die Gewissheit haben, dass ihre Altersversorgung langfristig gesichert ist. Und Alterssicherung braucht Verlässlichkeit“.  Ministerpräsident Erwin Teufel.

Kann die Politik überhaupt noch längerfristig planen? Wer die Diskussion um die Vorschläge der Rürup-Kommission verfolgt, kann zu dem Ergebnis kommen: Der Horizont der Politiker ist eng, sie denken nicht in Jahrzehnten, sondern in Monaten, bestenfalls in Jahren. Bestes Beispiel ist der Vorschlag, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Dies soll nicht morgen geschehen, sondern erst ab 2011. Konkret: Die heute 57-Jährigen sollen einen Monat später in Rente gehen können, die 45-Jährigen ein Jahr später, erst die 33-Jährigen würde die Anhebung voll treffen. Gleichzeitig steigt bis dahin die durchschnittliche Lebenserwartung um mehr als zwei Jahre. Selbst dann wird das tatsächliche Renteneintrittsalter nicht bei 67 Jahren liegen, sondern wesentlich darunter - derzeit liegt es bei 60,4 Jahren für 'Versichertenrenten' und bei 62,7 Jahren für 'Renten wegen Alters' statt mit 65 Jahren. Die Vorschläge scheinen bei der heutigen hohen Arbeitslosigkeit und der Tatsache, dass die Wirtschaft in jedem zweiten Betrieb keine Arbeitnehmer über 55 Jahren beschäftigt, absurd zu sein. In wenigen Jahren werden die "Alten" aber aufgrund der demografischen Entwicklung gesuchte Arbeitskräfte sein, auch dafür müssen heute die Weichen gestellt werden.
Wichtiger wäre es allerdings, jetzt die Lücke zwischen tatsächlichem und gesetzlichem Rentenalter zu schließen.

Dass die Politik nur zögerlich agiert, darf nicht verwundern: die SPD hat z.B. in den letzten Wahlen in einem Umfang verloren, der in fünfzig Jahren Bundesrepublik zuvor unbekannt war. Beim Gros der Deutschen gibt es weiterhin zähen Widerstand gegen die Forderungen der Reformer. Zwei Drittel lehnen die Reformen, die in der Arbeits-, Gesundheits- und Rentenpolitik anstehen, ab. 
Die Auseinandersetzungen um die Reform der Sozialsysteme hinterlassen deutliche Spuren beim Image der Parteien. Insbesondere leidet darunter das "Soziale" bei der SPD. So waren im November 1996, als die SPD noch in der Opposition war, 53 Prozent der Meinung, dass das Merkmal "sozial" am ehesten auf die SPD zuträfe. Jetzt sind es nur noch 27 Prozent. Genau so viele verbinden "sozial" inzwischen am ehesten mit der CDU/CSU (+9). Inzwischen sind jedoch 25 Prozent (+11) der Überzeugung, dass diese Eigenschaft auf keine Partei zutrifft.

Noch schlechter bewertet eine Forsa-Umfrage vom 28.01.2004 im Auftrag des Hamburger Magazins stern das Vertrauen in die Politik:

stern: Wie die Macht in Deutschland versagt (Grafik)

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Die Deutschen haben jegliches Vertrauen in die politischen Parteien verloren. Nur noch zwölf Prozent der Befragten gaben an, großes Vertrauen zu Parteien zu haben, die damit das Schlusslicht bei der Umfrage bildeten. Auch der Bundesregierung (18 Prozent), den Arbeitgeberverbänden (22 Prozent), der Wirtschaft (23 Prozent), den Gewerkschaften (24 Prozent) und dem Bundestag (ebenfalls 27 Prozent) schenkten die Befragten nur wenig Vertrauen. Das meiste Vertrauen genießt mit 81 Prozent die Polizei. Darauf folgten die Ärzte mit 72 Prozent, knapp vor dem eigenen Arbeitgeber mit 71 Prozent. Als sehr verlässlich gelten auch Universitäten (65 Prozent), Gerichte (60 Prozent), der Bundespräsident (57 Prozent) und die Bundeswehr (49 Prozent). Zur eigenen Stadtverwaltung haben immerhin noch 39 Prozent Vertrauen, zur jeweiligen Landesregierung 35 Prozent.

Bundeszentrale für politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte 51/2003
Die Reformdebatte und die Intellektuellen
In einem Land mit stark ausgeprägtem Lobbyismus und beschränkter staatlicher Macht wie in Deutschland lassen sich Reformen schwer durchsetzen. Unter den gegebenen Bedingungen behalten Einzelinteressen leicht die Oberhand gegenüber denen der Gesamtgesellschaft.
      
sueddeutsche.de: Umbau des Sozialstaats

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Erstes großes Reformpaket

Der Bundestag hat in einer Abstimmung am 19.12.2003 einen Großteil des Reformpaketes verabschiedet, das in wochenlangen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss des Bundesrats zustande gekommen war. In zehn namentlichen Abstimmungen, darunter zur umstrittenen Zumutbarkeitsregelung für Langzeitarbeitslose und zum Vorziehen der Steuerreform. Schon am 26.09.03 hatte der Bundestag die Gesundheitsreform mit überwältigender Mehrheit beschlossen.

  • Der Eingangssteuersatz wird zum 1. Januar 2004 von 19,9 auf 16 Prozent und der Spitzensteuersatz von 48,5 auf 45 Prozent abgesenkt.
  • Die Eigenheimzulage wird ab 2004 um 30 Prozent gekürzt.
  • Die Pendlerpauschale auf 30 Cent pro Kilometer reduziert.
  • Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden zum künftigen "Arbeitslosengeld II" zusammengefasst.
  • Die Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose werden verschärft. Zuständig für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen sollen die Arbeitsämter sein, sofern eine Kommune diese Aufgabe nicht selbst übernehmen will .
  • Ab 2004 wird bei Neueinstellungen die Schwelle für den vollen Kündigungsschutz von fünf auf zehn Mitarbeitern angehoben. Mitarbeiter, die bisher schon einen Schutz genießen, verlieren diesen nicht. Zudem wird die Sozialauswahl auf die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers beschränkt.
  • Reform des Sozialhilferechts: Menschen, die bisher wegen ihrer Arbeitslosigkeit Sozialhilfe erhielten, werden ab 2005 nur noch Unterstützung über das Arbeitslosengeld II bekommen (Hartz IV).
  • Steueramnestie: der Bundestag hat eine Amnestie für Steuersünder beschlossen. Für die "Brücke zur Steuerehrlichkeit" stimmten Koalition und Opposition. Reuige Bürger können vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2005 straffrei Schwarzgeld offen legen und es zu einem Satz versteuern, der unter dem normalerweise geltenden Tarif liegt.
  • Lockerung des Meisterzwangs im Handwerk: Danach gilt der Meisterzwang künftig nur noch für 41 statt wie bisher 94 Handwerksberufe. Gesellen können sich künftig ohne zusätzliche Meisterprüfung in ihrem Beruf selbstständig machen, wenn sie diesen mindestens sechs Jahre ausgeübt haben und davon insgesamt vier Jahre in leitender Stellung tätig waren.
  • Der Bundestag hat auch grünes Licht für die Reform der Gewerbesteuer gegeben.  Danach dürfen die Kommunen im kommenden Jahr rund 2,5 Milliarden Euro mehr an Einnahmen aus der Gewerbesteuer behalten.
  • Der Bundestag hat die Erhöhung der Zigarettenpreise als Teil der Finanzierung der Steuerreform beschlossen. Zigaretten werden demnach im kommenden Jahr zunächst in zwei Stufen zum 1. März und zum 1. Dezember um 1,2 Cent je Zigarette teurer.

 


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Sozialversicherung

Das deutsche System der Sozialversicherungen ist bereits vor über hundert Jahren vom Staat aufgebaut worden. Der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck versuchte sowohl mit Verboten, den Sozialistengesetzen von 1878 (Verbot der damaligen sozialdemokratischen Partei), als auch mit sozialen Zugeständnissen, der erstarkenden sozialistischen Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Bereits 1883 wurde die Krankenversicherung, ein Jahr später die Unfallversicherung und 1889 die Invalidenversicherung (Arbeiterrentenversicherung) eingeführt.

Friedrich Ebert Stiftung: Sozialistengesetz

Das Prinzip war recht einfach: Arbeitnehmer und Unternehmen sind per Gesetz verpflichtet, einen bestimmten Betrag in eine Kasse zu zahlen, Bedürftige erhalten dann z.B. im Krankheitsfall die notwendige medizinische Unterstützung, im Falle der Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld.
Angespart wird bei diesem System nichts. Einnahmen werden für sofort für laufende Ausgaben verwendet.
Dieses so genannte Solidaritätsprinzip funktionierte in den letzten einhundert Jahren mehr oder weniger gut. Doch durch grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten kam dieses System immer weiter in Schwierigkeiten. Zunächst verschob sich die nach dem Alter geordnete Bevölkerungsverteilung, die so genannte Alterspyramide, immer weiter zugunsten der älteren, nicht mehr arbeitenden Menschen. Damit steigen zunehmend die Ausgaben der Rentenversicherer.
Verschärft wurden die Probleme durch die steigende Arbeitslosigkeit. Beispielsweise wirken sich die Absenkung der Bemessungsgrenzen für Bezieher von Entgeltersatzleistungen (Arbeitslosengeld und -hilfe) in der Gesetzlichen Krankenversicherung mit enormen Mindereinnahmen aus. Das heißt, dass immer weniger Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen in die Sozialversicherung das System finanzieren - für eine relativ gleich bleibende Anzahl von Menschen.

Die steigenden Aufwendungen für die sozialen Sicherungssysteme können auch nicht durch zusätzliche allgemeine Steuern - die Kassen sind leer - ausgeglichen werden. Schon jetzt ist der Etat für Gesundheit und Soziales mit einem Anteil von 33 Prozent der mit Abstand größte Einzelplan des Bundeshaushalts, der ein Gesamtvolumen von 247,9 Milliarden Euro hat. Die großen Ausgabenblöcke sind die Sozialversicherung (u.a. Zuschuss zur Rentenversicherung) mit 77,6 Milliarden Euro und der Kriegsopferhaushalt mit 3,7 Milliarden Euro.

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Agenda 2010

Mit seiner Regierungserklärung "Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung" hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14.03.2003 vor dem Deutschen Bundestag  grundsätzliche Weichenstellungen in den Bereichen Konjunktur und Haushalt, Arbeit und Wirtschaft sowie Soziale Sicherung vorgestellt.
Mit Erleichterungen für den Mittelstand und einschneidenden Leistungskürzungen in den Sozialsystemen will Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Deutschland wieder auf Erfolgskurs bringen. Der Kanzler kündigte auch Lockerungen beim Kündigungsschutz an. Kleinbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten sollen künftig unbegrenzt Leih- und Zeitarbeiter einstellen können, ohne dass damit für alle Beschäftigten der Kündigungsschutz gilt. Vor dem Bundestag in Berlin kündigte der Kanzler in seiner mit Spannung erwarteten Regierungserklärung zudem milliardenschwere Investitionen an, um die Konjunktur zu stärken und die Kommunen zu entlasten.
Mit der Regierungserklärung hat Bundeskanzler Schröder einen neuen Begriff eingeführt: die

"Agenda 2010".

Darunter fasst er das gesamte Reformprogramm der Bundesregierung zusammen.

CDU-Partei- und Fraktionschefin Angela Merkel hat Bundeskanzler Schröder vorgeworfen, weiterhin kein klares Konzept für die Lösung der Probleme in Deutschland zu haben. In Schröders Rede habe Optimismus, Zuversicht und der Glaube an eine gute Zukunft gefehlt.
FDP-Parteichef Guido Westerwelle warf dem Kanzler vor, dass sich dieser nach 1600 Tagen im Amt weiter in Ankündigungen von Vorhaben übe, nicht aber eine tatsächliche Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft angehe. Zu dem vom Kanzler angekündigten Investitionsprogramm sagte er, dass dieses nichts weiter sei als eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben mit der Folge neuer Schulden.
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) kritisierte die Steuerpolitik der Bundesregierung, die anstelle die Bürger zu entlasten zusätzliche Abgaben erheben wollte.

SPD-Chef Gerhard Schröder hatte für den 1. Juni einen Sonderparteitag der SPD nach Berlin einberufen. Mit der Abstimmung über die insbesondere bei den Parteilinken und Gewerkschaften umstrittene Reformagenda 2010 wollte der Kanzler auch sein eigenes politisches Schicksal verbinden. Auf vier Regionalkonferenzen versuchte die SPD-Führung, die Basis von Schröders Reformvorschlägen zu überzeugen.
Im SPD-Vorstand hatte sich Schröder bereits durchgesetzt - eine deutliche Mehrheit beschloss einen Leitantrag für Reformen in Sozialsystem. Zugleich wurden fünf Arbeitsgruppen eingerichtet, die den Kritikern nun Brücken bauen sollen.

Der SPD-Sonderparteitag in Berlin hat sich am 1. Juni 2003 mit großer Mehrheit für die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgesprochen. Die Kritiker des Gewerkschaftsflügels und der SPD-Linken scheiterten mit zahlreichen Änderungsanträgen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die klare Zustimmung zu seiner Reformagenda 2010 als historischen Einschnitt auch für die SPD gewertet. Die Partei habe als Unterstützerin der Bundesregierung bewiesen, dass sie sich den Realitäten stelle und dafür auch zu Konsequenzen bereit sei.
Ein Gegenantrag, die Agenda zurückzuziehen und einen neuen Entwurf mit den Gewerkschaften zu erarbeiten, wurde zurückgewiesen.

CDU und CSU haben sich auf eine gemeinsame Linie zur Reform der Sozialsysteme verständigt.

CDU: "Für Wachstum - Sozial ist, was Arbeit schafft." 

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Bei der Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Frührenten soll nach dem Plan der Union nicht mehr das Lebensalter, sondern die Zahl der Beitragsjahre der entscheidende Maßstab sein. Eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre lehnt die Union im Gegensatz zur Bundesregierung ab. Stattdessen will sie die Frühverrentung mit Abschlägen weiter erschweren.

Die Anfang März 2003 vom Bundesvorstand der CDU Deutschlands eingesetzte Kommission „Soziale Sicherheit“ unter Leitung von Bundespräsident a.D. Roman Herzog hat ihr erstes Zwischenergebnis vorgestellt.

CDU: "5 'Stellschrauben' zur Reform der sozialen Sicherungssysteme" (PDF)

Sie schlägt vor, versicherungsfremde Leistungen, wie z.B. die Mittel aus dem JUMP-Programm und aus den ABM im Westen, ersatzlos zu streichen und andere Leistungen, wie z.B. die Mittel aus den ABM im Osten, mittel- und langfristig abzubauen. Dies bedeute Einsparungen in einer Größenordnung von ca. 10 Mrd. €, die zur Finanzierung einer Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 5 Prozent genutzt werden könnten.

Regierungserklärung "Deutschland bewegt sich - Mehr Dynamik für Wachstum und Beschäftigung"

In seiner Regierungserklärung am 03. Juli vor dem Deutschen Bundestag hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Länder und Opposition zur Zusammenarbeit aufgerufen. Derzeit gehe es darum, dafür zu sorgen, "dass unser Land wieder Tritt fasst und sich abermals als eine leistungsfähige, aber eben auch solidarische Gesellschaft erweist", sagte Schröder vor dem Bundestag. Diese Herausforderung sei nur zu bewältigen, "wenn wir unsere Kräfte gemeinsam auf dieses Ziel richten".
CDU-Chefin Angela Merkel warf Schröder Richtungslosigkeit vor. "Wir brauchen Reformen aus einem Guss", sagte Merkel in ihrer Erwiderung. Die Union erwarte konkrete Vorschläge, wie die Bundesregierung die geplanten Reformen untermauern wolle. Für das Vorziehen der Steuerreform sei eine "seriöse Finanzierung" notwendig.
 
CDU: Angela Merkel: Deutschland mit Optimismus, Aufbruchstimmung und Gründergeist wieder nach vorne bringen

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Hartz-Gesetze

Mit den Hartz-Gesetzen hat der Bundestag eine Fülle von Reformen verabschiedet, von denen sich der Gesetzgeber mittelfristig eine deutliche Belebung des Arbeitsmarkts, aber auch Einsparungen bei den Sozialausgaben  verspricht.
Das Gesetzespaket Hartz I und II zur Arbeitsmarktreform lehnt sich an die Vorschläge der Hartz-Kommission an, ohne die Ergebnisse Eins-zu-Eins umzusetzen. Mit den Gesetzesreformen Hartz III und IV werden zwei wichtige Komplexe geregelt: Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

30 Jahre lang versorgte die Bundesrepublik ihre Arbeitslosen mit milliardenschweren Unterstützungszahlungen deutlich über dem europäischen Durchschnitt. 30 Jahre lang stiegen die Arbeitslosenzahlen dennoch unvermindert an. Auch deshalb, weil sich die diversen Lohnersatzleistungen bei manchen Arbeitslosen zu einer teils stattlichen Alternative zum Lohn entwickelten. Das so genannte Abstandsgebot, nach dem Arbeit stets mehr eintragen muss als Nichtarbeit, war verletzt. Mit den von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Reformen von Hartz IV kommt es nun ab 2005 zu schmerzhaften Einschnitten in der Arbeitslosenhilfe, was bei Gewerkschaften und Sozialverbänden auf Widerstand stößt.

tagesschau: Hartz I und II: Die zentralen Punkte
tagesschau: Hartz III und IV: Die zentralen Punkte

Nach fünfmonatiger Arbeit hatte die Hartz-Kommission unter dem Titel "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" 13 Module präsentiert.

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Als Kernelemente schlagen die 15 von der Bundesregierung berufenen Kommissionsmitglieder aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik Folgendes vor:

  • Jobzentren: Aus den bisherigen Arbeitsämtern werden Jobzentren, deren Aufgabe vorrangig in der effizienten und raschen Vermittlung der Stellensuchenden besteht. Sie sollen die Arbeitslosen motivieren, fördern und fordern.
  • Schnellvermittlung: Beschäftigte, denen der Verlust des Arbeitsplatzes droht, müssen dem Jobcenter die Kündigung sofort mitteilen. Damit kann die Kündigungsfrist bereits für Vermittlungsbemühungen genutzt werden, so dass im günstigen Fall Arbeitslosigkeit gar nicht erst eintritt.
  • Zumutbarkeit: Neue Zumutbarkeitsregeln sollen dafür sorgen, dass vor allem Ledige und Verheiratete ohne Kinder schneller als bisher einen neuen - auch geringer bezahlter - Job fernab ihres Wohnsitzes annehmen müssen. Langzeitarbeitslose sollen ab Januar 2005 verpflichtet werden, nahezu jeden Job anzunehmen - auch Minijobs. Um Lohndumping zu verhindern, sollte sich der Verdienst nach ortsüblichen Löhnen und Gehältern richten. Aber auch eine Bezahlung unterhalb dieser Grenzen gilt als zumutbar. Wer Jobangebote ablehnt, muss Kürzungen beim Arbeitslosengeld von 30 Prozent hinnehmen.
  • Jugendliche: Wer jünger als 25 Jahre ist und einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende stellt, wird künftig unverzüglich in Arbeit oder Ausbildung, berufsvorbereitende Qualifizierung oder Praktika vermittelt.
  • Ältere: Arbeitslose, die älter als 55 Jahre sind, und nicht mehr vermittelt werden wollen, sollen aus der Betreuung durch die Jobzentren herausgenommen werden.
  • Arbeitslosengeld:  Die Bezugsdauer des aus Beiträgen finanzierten Arbeitslosengeldes wird nach einer 25-monatigen Übergangsfrist mit Wirkung vom 1. Februar 2006 an auf grundsätzlich zwölf Monate verkürzt. Lediglich Arbeitnehmer, die älter sind als 55 Jahre, sollen dann noch 18 Monate lang Arbeitslosengeld bekommen. Derzeit liegt die Höchstbezugsdauer bei Arbeitslosigkeit für über 57-Jährige noch bei 32 Monaten.
  • Arbeitslosenhilfe: Ein kompletter Zweig des traditionellen Sozialstaats, die aus Steuermitteln finanzierte Arbeitslosenhilfe, wird abgeschafft und mit der Sozialhilfe zusammengelegt. Arbeitslosengeld II (bisher: Arbeitslosenhilfe) soll unbefristet - allerdings auf Sozialhilfeniveau -  bezahlt werden, das vorangegangene höhere Arbeitslosengeld I gibt es maximal 32 Monate, ab 2006 nur noch 12 Monate. Alleinstehende haben Anspruch auf den so genannten Regelsatz von derzeit 345 Euro (Ost: 331 Euro). Zusätzlich übernimmt der Staat die Unterkunftskosten von derzeit durchschnittlich 306 Euro. Familien erhalten zusätzliche Pauschalen (Amtsdeutsch: "Regelleistungen") für Ehepartner oder Kinder. Unter dem Strich bekommen langzeitarbeitslose Singles damit künftig im Westen rund 651 Euro pro Monat vom Staat. Eine Familie mit zwei Kindern bringt es auf 1251 Euro. In vielen Fällen wird die neue Leistung damit um mehrere hundert Euro im Monat unter der heutigen Arbeitslosenhilfe liegen. Vorhandenes Vermögen wird oberhalb bestimmter Freigrenzen auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Diese Grenzen liegen bei 200 Euro pro Lebensjahr. So bleiben bei einem 50-Jährigen 10.000 Euro unangetastet. Für Vermögen, das der Altersvorsorge nach dem 60. Lebensjahr dient, soll ein zusätzlicher Betrag von 200 Euro pro Lebensjahr geschützt bleiben. Verschont bleiben auch Betriebsrenten, die Riester-Rente oder weitere gesetzliche Förderungen zur Rente sowie selbstgenutztes Wohneigentum.
  • Soziale Sicherung: Für alle hilfebedürftigen Arbeitssuchenden werden künftig Beiträge in die Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt, soweit nicht bereits eine Familienversicherung vorliegt. Zudem sind sie auch in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Basis des Mindestbeitrages versichert. Damit bekommen erwerbsfähige Hilfebedürftige, die früher Sozialhilfe bezogen haben, erstmals eine eigene Absicherung für das Alter und eine generelle Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
  • Arbeitgeber: Um Arbeitgebern einen Anreiz zur Schaffung neuer Stellen zu geben, ist ein Bonussystem vorgesehen.
  • Personal-Service-Agenturen: Die bei Jobzentren oder Privatvermittlern angesiedelten Personal-Service-Agenturen (PSA) bieten jedem Arbeitslosen eine Beschäftigung als Leiharbeiter an. Diese erhalten während der Probezeit einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes, bei Übernahme werden sie nach PSA-Tarif bezahlt.
  • Ich-AGs: Schwarzarbeit soll abgebaut und in eine Existenzgründer- Welle umgelenkt werden. So will man arbeitslose Schwarzarbeiter durch finanzielle Anreize ermuntern, sich in "Ich-AGs" oder "Wir-AGs" als Dienstleister selbstständig zu machen.
  • Job Floater: Eine Job Floater genannte verzinsliche Anleihe im Volumen von 20 Milliarden Euro soll das Geld aufbringen, um damit in strukturschwachen Regionen Firmen zinsgünstige Kredite zur Schaffung einer Million neuer Arbeitsplätze zu geben.
  • Bundesanstalt für Arbeit: Sie soll sich künftig als Bundesagentur für Arbeit auf ihre Kernaufgaben - Arbeitslosenversicherung, Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen - konzentrieren. Kern der im Fachterminus "Hartz III" getauften Reform ist die Modernisierung der Arbeitsämter, deren Beschäftigte als "Fallmanager" künftig erfolgsabhängig bezahlt und wesentlich stärker auf die Vermittlung statt auf die Administration ausgerichtet werden sollen. Durch den Abbau von Bürokratie sollen nach einer Übergangszeit bundesweit zusätzlich die Kapazitäten von 3000 Sachbearbeitern für die Betreuung der Jobsucher zur Verfügung stehen. Damit soll künftig auf 75 Arbeitslose (bisher 700) ein Arbeitsvermittler kommen.
  • Masterplan: 6 Millionen "Profis der Nation" - etwa Politiker, Unternehmer, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Lehrer, Geistliche und Journalisten - sollen bei der Lösung des Arbeitslosenproblems mit anpacken.

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LpB-Spezial
Arbeitslosengeld II - Hartz IV

Hartz 4Im Januar 2005 tritt Hartz IV in Kraft - ein Gesetz, das die Republik verändert: Viele Langzeitarbeitslosen werden weniger Geld vom Staat bekommen. Dafür soll aber die Betreuung der Arbeitssuchenden stark verbessert werden. Kaum eine Reform versetzt die Menschen in solche Angst wie die bevorstehende Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Viele Menschen, die noch einen Job haben, sind alarmiert: Sie fürchten sich vor dem sozialen Abstieg, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren mehr

 

 


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Rentenreform

Die gesetzliche Rentenversicherung gründet auf dem Generationenvertrag: Die Erwerbstätigen sorgen mit ihren laufenden Beiträgen für die Alterseinkommen der Ruheständler. Angespart wird bei diesem System nichts. Die jeweilige Generation der Beitragszahler muss sich dabei nach dem Vertrauensprinzip darauf verlassen, dass ihr Lebensabend von den Jungen genauso finanziert wird.
Jahrzehnte lang wurde den Menschen erklärt "Die Rente ist sicher". Aber weil es immer mehr Menschen gibt, die Renten beziehen und aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit immer weniger Arbeitnehmer, die in die Rentenkassen einzahlen, steigen die Beiträge. Dies erhöht die Lohnnebenkosten und vernichtet damit wieder Arbeitsplätze. Und die jetzigen Beitragszahler sollen sich zusätzlich noch privat für die eigene Rente versichern, da das aktuelle Rentenniveau auf Dauer nicht gehalten werden kann.
Dabei werden die Renten schon heute nicht mehr allein von den Betragszahlenden aufgebracht: Der Staat, also alle Steuerzahler, finanziert die heutige Rente kräftig mit. Von den für 2003 veranschlagten Einnahmen der Rentenkassen in Höhe von 233 Milliarden Euro stammen 171 Milliarden aus Beiträgen, der Rest, rund 62 Milliarden, stammen vom Bund. Damit werden die so genannten versicherungsfremden Leistungen der Rentenversicherung ausgeglichen, z.B. Renten für Zeiten der Ausbildung oder der Kindererziehung.
Die Deutschen leben zudem immer länger und sorgen für immer weniger Nachwuchs. Die Alterpyramide wird in absehbarer Zeit auf dem Kopf stehen. Heute finanzieren 100 Arbeitnehmer 44 Rentner, im Jahr 2050 werden nach Schätzungen auf 100 Beitragszahler 78 Rentner kommen.
 
FAZNet: Die demographische Zeitbombe

Die Deutschen gehen auch immer früher in Rente: Derzeit liegt das tatsächliche Renteneintrittsalter bei 60,4 Jahren für 'Versichertenrenten' und bei 62,7 Jahren für 'Renten wegen Alters' statt wie im Gesetz vorgesehen mit 65 Jahren. Das ist international einmalig früh. In jedem zweiten Betrieb gibt es keine Arbeitnehmer über 55 Jahren. Die Frührente ist bei dem derzeitigen Abschlagsatz ein "gutes Geschäft" - für beide, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber nicht für die Steuer- und Sozialkassen. Lange Zeit schickten Unternehmen ihre (teureren, älteren) Mitarbeiter in den Frühruhestand, sobald rationalisiert werden musste oder jüngere Arbeitnehmer eingestellt werden sollten. Insgesamt gingen z.B. bei den Bundespost-Nachfolgern zwischen 1995-2002 rund 78.000 Beamte krankheitsbedingt oder wegen "Dienstunfähigkeit" in den Ruhestand, über 33.000 von ihnen waren unter 50 Jahre alt!
Die Frührenten wurden z.T. von der Bundesanstalt für Arbeit aufgestockt. Das hat sich mittlerweile etwas geändert.
Unter dieser demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung droht die umlagefinanzierte Alterssicherung schon in naher Zukunft zusammenzubrechen. Massenarbeitslosigkeit, kürzere Lebensarbeitszeit, längere Lebenserwartung und weniger Kinder erfordern eine grundlegende Anpassung.
Die Rentenversicherung müsse "nachjustiert" werden, forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner "Agenda 2010" Rede am 14. März. Vorschläge dazu soll die "Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme", die Rürup-Kommission,  machen, wie die Rentenformel angesichts der Veränderungen neu zu fassen und entsprechend anzupassen ist.

Die Kommission schlägt in ihrem am 28.08. vorgelegten Bericht verschiedene Maßnahmen vor, um die Renten langfristig zu sichern.

BMGS: Alle Dokumente der Kommission zum Download

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Das 380-Seiten-Papier enthält aber in einer Reihe von Fällen abweichende Vorschläge von Kommissionsmitgliedern, so genannte Minderheitenvoten.

  • Eine Erhöhung des Renten-Beitragssatzes hält die Rürup-Kommission für unausweichlich. Bis zum Jahr 2030 soll der Satz von derzeit 19,5 auf 22 Prozent ansteigen.
  • Zugleich soll das Brutto-Rentenniveau von jetzt 48 Prozent auf 41,6 Prozent sinken.
  • Das gesetzliche Rentenalter soll langfristig von 2011 bis 2035 jährlich um einen Monat von 65 auf 67 Jahre angehoben werden. Der Geburtsjahrgang 1969 wäre demnach der erste, für den die Altersgrenze 67 gelten würde.  Hier  lehnen Vertreter der Gewerkschaften und Sozialverbände die Anhebung  ab. Wichtiger sei es, die Lücke zwischen tatsächlichem und gesetzlichem Rentenalter zu schließen. Der Arbeitsmarkt werde sich auch ab 2010 noch sehr schwierig für ältere Arbeitnehmer darstellen. Ein höheres gesetzliches Rentenalter ohne Erwerbsangebot drohe immer mehr ältere Menschen in Armut zu drängen.
  • Die Kommission schlägt zwei weitere Änderungen vor - Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors und Umstellung der Berechnungsgrundlage. Wichtigstes Element ist, dass die Formel zur Berechnung der jährlichen Rentenanpassung um einen Nachhaltigkeitsfaktor ergänzt wird. Dieser "automatische Stabilisator" soll berücksichtigen, dass immer weniger aktive Beitragszahler immer mehr Rentner versorgen müssen. Er wird von Sozialverbänden und Gewerkschaften abgelehnt, da er  speziell die niedrigen Renten bis 2030 möglicherweise sogar bis unter das Sozialhilfe-Niveau absenken würde. Das Problem der Rentenkassen würde damit auf die Kommunen verlagert, die die Kosten für die Grundsicherung ausgleichen müssten.
  • Die private Altersvorsorge nach dem Modell der Riester-Rente soll vereinfacht und ausgedehnt werden. Künftig sollten alle Steuerpflichtigen davon profitieren - auch gering verdienende Selbstständige und geringfügig Beschäftigte. Die förderfähigen Höchstbeträge sollten sofort auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze steigen und nicht erst im Jahr 2008. Hier stehen Sozialverbände und Gewerkschaften einer Ausweitung des förderberechtigten Personenkreises auf alle Steuerpflichtigen kritisch gegenüber, zumindest was die Zulagenförderung betrifft. Ein Trend zur stärkeren privaten Altersvorsorge und damit der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung dürfe nicht hingenommen werden
  • Die Schwankungsreserve in der gesetzlichen Rentenversicherung soll aufgestockt werden, sobald dies ohne höhere Beitragssätze möglich ist. Rot-Grün plant bisher sogar eine weitere Absenkung der Rücklagen. 

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Die Bundesregierung würde im Herbst 2003 Vorschläge zur Reform der Rentenversicherung vorlegen, kündigte Bundeskanzler Schröder an. Die in der letzten Legislaturperiode durchgeführte Rentenreform reiche nicht mehr. Ziel sei, dass "die älteren Menschen sicher leben können und die jüngeren das auch bezahlen können".

Rentensparprogramm 2004

Das Kabinett und die Führungen von SPD und Grünen haben am 19. Oktober 2003 in einer "Notoperation" beschlossen, die Altersbezüge für die etwa 20 Millionen Rentner in Deutschland 2004 nicht zu erhöhen und sie ihren Beitrag zur Pflegeversicherung in ab April 2004 voller Höhe zahlen zu lassen. Dies bedeutet de facto nichts anderes als eine Kürzung der Renten. Damit und mit anderen Maßnahmen (Neurentner sollen ihre Rente erst am Monatsende bekommen, die Schwankungsreserve wird reduziert) sollen die Rentenbeiträge bei 19,5 Prozent stabilisiert und ein Fehlbetrag in der Rentenversicherung von acht Milliarden Euro ausgeglichen werden.
Die bisher rentensteigernde Anrechnung von Ausbildungsjahren soll ab 2005 entfallen. Phasen der Ausbildung bei Schülern und Studenten seien "Zeiten, für die keine Beiträge gezahlt wurden". Bisher bekommt jeder Arbeitnehmer für seine Ausbildungszeit ab dem 17. Lebensjahr pauschal drei Beitragsjahre angerechnet. Mehrere Millionen Akademiker werden nach dem Willen der Bundesregierung eine deutlich niedrigere Rente erhalten,

Das Bundeskabinett hat am 03.12.03 eine weitere Rentenreform gebilligt. Das Paket umfasst das "Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz" (als Berechnungsgrundlage gilt nur noch die beitragspflichtige Bruttolohn- und Gehaltssumme), das das Rentenniveau langfristig auf ca. 40% des Bruttolohns senkt, und das "Alterseinkünftegesetz", das langfristig Beiträge zur Altersvorsorge steuerfrei und die Renten steuerpflichtig macht.

Von den Beschlüssen der Koalition bedarf lediglich die Entscheidung, die Rentenzahlungen für Neurentner auf das Monatsende zu verschieben, der Zustimmung des unionsgeführten Bundesrats.
Bei der Opposition stößt das Sparpaket auf Ablehnung. CDU-Chefin Angela Merkel bezeichnete die Beschlüsse "Offenbarungseid".

Bundestag verabschiedet Rentenreform

Der Bundestag verabschiedete das Gesetz am 11. März 2003 mit rot-grüner Mehrheit. Damit werde die gesetzliche Rente allein künftig nicht mehr den Lebensstandard sichern, sagte Sozialministerin Ulla Schmidt. Privatvorsorge sei unerlässlich. Die Opposition wischte die Reform als widersprüchlich und unnütz vom Tisch. Die FDP forderte Schmidt zum Rücktritt auf.
Für das Gesetz stimmten 302 Abgeordnete, dagegen 291, einer enthielt sich. Damit hat es die entscheidende Hürde genommen, da der Bundesrat nicht zustimmen muss. Über einen Nachhaltigkeitsfaktor wird das Rentenniveau bis 2030 voraussichtlich von heute 53 Prozent des Durchschnittslohns nach Abzug der Sozialabgaben vor Steuern auf 46 Prozent gesenkt, Der Beitragssatz wird bei 22 Prozent gedeckelt.
Das angepeilte Mindestniveau von 46 Prozent sei mit 22 Prozent Beitragssatz im Jahr 2030 nicht zu erreichen, sagte CSU-Sozialexperte Horst Seehofer.

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Herzog-Kommission legt Empfehlungen für Sozialsysteme vor

Alt-Bundespräsident Roman Herzog legte einen Monat nach der Rürup-Kommission die Vorschläge der CDU-Kommission "Soziale Sicherheit" zur Rettung der sozialen Sicherungssysteme vor. Der Bericht wird noch im Bundesvorstand der CDU diskutiert und auf dem Parteitag im Dezember zur Abstimmung vorgelegt.
Das Gremium befürwortet einen deutlichen Umbau des Renten- und Gesundheitssystems sowie der Pflegeversicherung. Die radikalsten Änderungen empfiehlt die Kommission für die Krankenversicherung. Anstelle der heutigen Krankenkassenbeiträge, die sich nach der Höhe des Arbeitseinkommens richten, sollen einheitliche Prämien in Höhe von rund 200 Euro monatlich treten.
Zur Altersvorsorge haben die Experten der Kommission nun auch vorgeschlagen, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben.
Nach den Vorstellungen der Mehrheit der Herzog-Kommission soll von 2013 an die gesetzliche Krankenversicherung in ein Prämienmodell übergeführt werden. Die Menschen würden sich dann selbst in einer Pflichtversicherung absichern müssen. In einem solchen Versicherungssystem fielen je nach Eintrittsalter des Versicherten unterschiedlich hohe Prämien an, die den im Lebensverlauf steigenden Ausgaben entsprächen.
Die Arbeitgeber würden lediglich verpflichtet, einen eingefrorenen Betrag von 5,1 Prozent des Brutto-Lohns als festen Lohnbestandteil an die Arbeitnehmer auszuzahlen. Sie kämen künftig allein für das Krankengeld auf.
Mit großer Mehrheit hat die CDU-Spitze die Reformvorschläge der Herzog-Kommission angenommen. Wie Parteichefin Angela Merkel mitteilte, gab es im Vorstand zwei Gegenstimmen und eine Enthaltung zu dem Papier, das gleichzeitig der Leitantrag des Bundesvorstands für den Parteitag Anfang Dezember ist. Nun muss die CDU-Vorsitzende auf sechs Regionalkonferenzen die Basis von den Plänen überzeugen.
Im Reformstreit in der Union will sich die CSU mit eigenen Konzepten für Sozialpolitik und Steuer von der CDU absetzen. CSU-Chef Edmund Stoiber kritisierte den sozialpolitischen Kurswechsel der CDU. Zentrale Vorschläge der Herzog-Kommission wie Kopfpauschalen oder Rente ab 67 lehnte der bayerische Ministerpräsident ab. Die CSU werde am 17. November eigene Eckpunkte mit Schwerpunkt Rentenreform vorlegen

Bericht der Kommission "Soziale Sicherheit" (269 KB)
       
Spiegel: Herzog bricht mit alten Konzepten der CDU

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CSU-Rentenpläne

Die CSU hatte nach einer Vorstandssitzung in München ein Rentenkonzept vorgelegt, das vor allem eine Entlastung von Familien sowie Alleinerziehenden mit Kindern vorsieht. Sie sollen während der Erziehungszeit in den ersten zwölf Jahren monatlich für jedes ab 2005 geborene Kind 50 Euro weniger Rentenversicherungsbeitrag bezahlen und außerdem im Rentenalter 130 Euro pro Kind mehr erhalten. Kinderlose sollen dafür stärker zur Kasse gebeten werden. Das CSU-Konzept sieht zudem vor, die bisher drei Jahre Kinderziehungszeit auf fünf Jahre aufzustocken. Eine Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre lehnt die CSU dagegen ab.
Das CSU-Rentenkonzept mit Beitragsrabatten und Alterszuschlägen für Eltern scheint angesichts breiten Widerstands chancenlos. Wie die Schwesterpartei CDU sprachen sich auch die Grünen sowie Vertreter von Gewerkschaften, Wirtschaft und Sozialverbänden gegen den Vorschlag aus.
Die Rentenversicherer machen die CSU-Vorschläge zu einem Verfassungsthema. Der stellvertretende Verbandsgeschäftsführer Reimann verwies darauf, daß ein aus Beitragsmitteln finanzierter "Binnenausgleich" innerhalb der Rentenversicherung zu gleichheitswidrigen Ergebnissen führen werde. Ein solcher Familienlastenausgleich würde nur von den kinderlosen Rentenversicherten finanziert. Kinderlose Beamte, Richter, Abgeordnete, Freiberufler, Selbständige und Kinderlose mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze würden an den Kosten nicht beteiligt, obwohl auch sie im Alter von den Kindern profitieren.

Links

BMAS: Rente
Deutsches Institut für Altersvorsorge
Das Deutsche Institut für Altersvorsorge GmbH (DIA) will hier einen aktiven, konstruktiven Beitrag leisten durch eigene Studien und Projekte, sowie klare und fundierte Informationen. Der wissenschaftliche Schwerpunkt liegt in der Analyse, Fortentwicklung und Diskussion staatlicher und privater Systeme zur Altersvorsorge. Diese Ergebnisse werden publiziert.

FAZNet: Rentenpolitik


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Gesundheitsreform 2003

Ende 2002 lag das Defizit der deutschen Krankenkassen bei 2,5 Milliarden Euro und damit um 500 Millionen Euro höher, als von Gesundheits- und Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) eingestanden.
Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung bewegten sich in den letzten Jahrzehnten stets um die Marke von 6 % am Bruttoinlandsprodukt. Allerdings ist der Durchschnitt der Beitragsätze auf derzeit über 14 % angestiegen. Grund ist aber nicht eine Kostenexplosion sondern ein Einnahmeproblem, das mit der sinkenden Lohnquote aufgrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit zusammenhängt. Sie ist in den letzten 15 Jahren um rund 9 Prozentpunkte auf 65,9 % des Bruttoinlandsprodukts zurückgefallen. Dadurch verringert sich die Beitragssumme, die von Versicherten und Arbeitgebern aufgebracht wird  Steigende Beiträge für 2003 waren die Folge.
Die Zahl der Erwerbstätigen sinkt und damit auch der Anteil von Lohn am Gesamteinkommen. Immer weniger Menschen zahlen für das Gesundheitswesen - und zwar tendenziell immer mehr.
Um die Kosten überhaupt noch in den Griff zu bekommen und um Zeit für eine grundlegende Gesundheitsreform zu gewinnen, hat Ulla Schmidt die Ausgaben der Krankenkassen auf dem Stand von 2002 eingefroren. Doch die mächtigen Lobbyverbände der Ärzte und der Pharmaindustrie laufen Sturm gegen jede Veränderung.

Rund 220 Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland für Gesundheit ausgegeben.
 
Statistisches Bundesamt: Gesundheitsausgaben nach Leistungsausgaben

Vier Millionen Menschen arbeiten in der Branche. Um ihren Anteil am Medizinmarkt kämpfen 350.000 Ärzte und Zahnärzte, 50.000 Apotheker, fast 500.000 Sprechstundenhilfen, und über eine Million Krankenhausbeschäftigte.

Statistisches Bundesamt: Gesundheitspersonal nach Berufen

Kaum zu glauben: Das deutsche System ist schlecht und teuer. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung gibt Deutschland im internationalen Vergleich am zweit meisten für Gesundheit aus - übertroffen nur von den USA.
Auch die Krankenkassen haben erneut mehr Geld für ihre Verwaltung ausgegeben. Die Verwaltungskosten seien 2003 auf 8,2 Milliarden Euro gestiegen, wie das Gesundheitsministerium bestätigt hatte. Hätten AOK, Barmer und Co. 1991 pro Mitglied noch 94 Euro für Verwaltungsaufwand ausgegeben, so seien es im vergangenen Jahr 160 Euro gewesen.

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten vom August 2001 die »Über-, Unter- und Fehlversorgung« angeprangert.

Ulla Schmidt hat am 9. Mai 2003 weitere Details der geplanten Gesundheitsreform bekannt gegeben: Zuzahlungen für Arznei und Klinikaufenthalt sollen kräftig steigen, rezeptfreie Mittel gibt es nur noch für Kinder bis zwölf Jahren auf Kassenkosten. Auch bei Brillen und Fahrtkosten sind Einschnitte geplant. Beim Zahnersatz sollen die Kassen Festzuschüsse statt prozentualer Zuschüsse zahlen. Das Sterbegeld soll entfallen. Die Arznei-Zuzahlungen sollen je nach Packungsgröße auf vier, sechs oder acht Euro steigen. Patienten, die immer erst zum Hausarzt gehen oder an Spezialprogrammen für chronisch Kranke teilnehmen, sollen nur jeweils die Hälfte zahlen.

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Kaum zu glauben: Das deutsche System ist schlecht und teuer. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung gibt Deutschland im internationalen Vergleich am zweit meisten für Gesundheit aus - übertroffen nur von den USA.
Auch die Krankenkassen haben erneut mehr Geld für ihre Verwaltung ausgegeben. Die Verwaltungskosten seien 2003 auf 8,2 Milliarden Euro gestiegen, wie das Gesundheitsministerium bestätigt hatte. Hätten AOK, Barmer und Co. 1991 pro Mitglied noch 94 Euro für Verwaltungsaufwand ausgegeben, so seien es im vergangenen Jahr 160 Euro gewesen.

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten vom August 2001 die »Über-, Unter- und Fehlversorgung« angeprangert.

Ulla Schmidt hat am 9. Mai 2003 weitere Details der geplanten Gesundheitsreform bekannt gegeben: Zuzahlungen für Arznei und Klinikaufenthalt sollen kräftig steigen, rezeptfreie Mittel gibt es nur noch für Kinder bis zwölf Jahren auf Kassenkosten. Auch bei Brillen und Fahrtkosten sind Einschnitte geplant. Beim Zahnersatz sollen die Kassen Festzuschüsse statt prozentualer Zuschüsse zahlen. Das Sterbegeld soll entfallen. Die Arznei-Zuzahlungen sollen je nach Packungsgröße auf vier, sechs oder acht Euro steigen. Patienten, die immer erst zum Hausarzt gehen oder an Spezialprogrammen für chronisch Kranke teilnehmen, sollen nur jeweils die Hälfte zahlen.

  • BMGS: Aktuelles zur Gesundheitsreform
  • Eingeführt werden soll eine Patientenquittung, mit dem die Versicherten die abgerechneten Leistungen der Ärzte nachvollziehen können.
  • Bis zum 1. Januar 2006 soll die Krankenkassen-Chipkarte zu einer Gesundheitskarte erweitert werden, auf der Behandlungen, Notfalldaten und Rezepte gespeichert werden.
  • Patienten sollen künftig Boni erhalten , die an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen.
  • Gesundheitszentren und Kliniken sollen auch die ambulante fachärztliche Versorgung übernehmen.
  • Krankenkassen sollen dazu verpflichtet werden, Anreize für solche Patienten zu schaffen, die vor einem Facharztbesuch den Hausarzt konsultieren.
  • Die Macht der Kassenärztlichen Vereinigungen will das Ministerium dadurch einschränken, dass es den gesetzlichen Kassen künftig auch erlaubt werden soll, direkt mit Ärzten Verträge abzuschließen.

Zur langfristigen Sicherung der finanziellen Basis der Kassen werden nach Angaben des Vorsitzenden der Kommission, Bert Rürup, zwei Modelle diskutiert: die Erwerbstätigenversicherung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen und das Gesundheitsprämienkonzept, das die Krankenversicherung von den Löhnen abkoppeln würde. Dadurch sollen 24 Milliarden Euro kurzfristig eingespart werden können.

 

  • Das Krankengeld soll künftig von den Arbeitnehmern extra versichert werden,
  • die Kassen sollen von versicherungsfremden Leistungen wie Schwangerschaftsgeld oder Sterbegeld entlastet werden. Diese Leistungen sollen künftig über Steuermittel finanziert werden,
  • die  Zuzahlungsregelungen sollen ausgeweitet werden. Hier sei unter anderem eine generelle Praxisgebühr von 15 Euro für jeden Arztbesuch geplant.

Der zweite Schritt des Reformplans betrifft die Grundsatzentscheidung zur Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung. Das bestehende System ist nach Ansicht Bert Rürups nicht zukunftsfähig. Sowohl zum Modell der Pauschalprämie (Kopfpauschale) als auch zur Erweiterung der Erwerbstätigenversicherung (Bürgerversicherung) will die Kommission detaillierte Vorschläge unterbreiten. Bei der Erwerbstätigenversicherung, für die sich Gesundheitsexperte Karl Lauterbach stark macht, sollen künftig auch Miet-, Zins- und Kapitaleinkünfte herangezogen werden. Die Kommission könne hier allerdings nur Empfehlungen unterbreiten, die "Werteentscheidung" müsse von der Politik getroffen werden, sagte Rürup.

Auch die Union hat inzwischen ihr Konzept zur Gesundheitsreform vorgelegt. Die Alternativvorschläge der Union zur Gesundheitsreform der Bundesregierung sehen unter anderem vor, die Selbstbeteiligung der Versicherten auf zehn Prozent anzuheben, der Zahnersatz soll als Kassenleistung entfallen und künftig privat versichert werden. Zudem sollen die Versicherten bei Arzt- und Krankenhausbesuchen einen angemessenen einkommensorientierten finanziellen Eigenbeitrag leisten.

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Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition

Bei den Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition über eine Gesundheitsreform haben die Parteien eine positive Zwischenbilanz gezogen. Beschlüsse wurden nach gut einer Woche Verhandlungen aber nach wie vor nicht gefasst. Man sei ein ganzes Stück vorangekommen, sagte der Verhandlungsführer der Union, Horst Seehofer (CSU). Alle Vertreter wiesen erneut Berichte zurück, wonach der Zahnersatz bald von den Versicherten alleine bezahlt werden muss. Die Konsensgespräche sollen am Dienstag fortgesetzt werden. Schmidt bekräftigte das gemeinsame Ziel, den durchschnittlichen Kassenbeitrag von derzeit 14,4 auf 13 Prozent zu senken und "mindestens" 20 Milliarden Euro einzusparen.

Erste Ergebnisse

Nach einem Verhandlungsmarathon haben sich Unterhändler von Bundesregierung und Opposition im Grundsatz auf eine gemeinsame Gesundheitsreform geeinigt. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sprach in Berlin von einem "Durchbruch". Unionsverhandlungsführer Horst Seehofer  sagte, der Kompromiss sei "politisch klar", es herrsche "inhaltliche Übereinstimmung".
Auf die Arbeitnehmer kommen durch den Konsens zur Gesundheitsreform zusätzliche Milliarden-Belastungen zu. Dadurch sollen die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen stabilisiert und die Lohnnebenkosten gesenkt werden.

  • Zahnersatz: Im Rahmen der bevorstehenden Gesundheitsreform werden die Kosten für den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen ausgegliedert. Dabei sollen sich die Versicherten entscheiden können, ob sie sich in einer privaten oder gesetzlichen Krankenkasse zusatzversichern wollen, sagte Unions-Verhandlungsführer Horst Seehofer.
  • Krankengeld: Das Krankengeld soll ab 1. Juli 2005 von den Arbeitnehmern allein finanziert werden. Zusammen mit dem Zahnersatz erhöhen sich die Beiträge für die Versicherten um 0,9 Prozent des Bruttolohns. Der Arbeitgeberbeitrag verringert sich entsprechend.
  • Behandlungskosten: Patienten sollen künftig bis zu zehn Prozent ihrer Behandlungskosten im Krankenhaus, maximal aber zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens pro Jahr selber zahlen. Die Höchstgrenze seien hier 300 Euro pro Fall.
  • Arztbesuch: Bei Arztbesuchen soll es eine Gebühr von zehn Euro pro Quartal geben. Für chronisch Kranke sollen Sonderregelungen gelten.
  • Sterbegeld und Entbindungsgeld sollen gestrichen werden.
  • Medikamente: Die Arzneimittel-Hersteller werden Seehofer zufolge durch die Reform mit einer Milliarde Euro belastet. Der Versandhandel mit Medikamenten soll der Einigung zufolge in Grenzen zugelassen werden. Nicht verschreibungspflichtige Medikamente werden aus dem gesetzlichen Katalog herausgenommen.
  • Apotheken: Das Mehrbesitzverbot von Apotheken fallen. Die von der Regierung geplante Einführung der Positivliste für Arzneien wurde gestoppt.

Der Beitragssatz zur Krankenversicherung soll damit bis 2006 auf 13 Prozent von jetzt durchschnittlich 14,4 Prozent fallen. Im Kommenden Jahr soll der Beitragssatz nach Angaben Seehofers auf 13,6 Prozent sinken.

FAZ.net: Gesundheitsreform
Spiegel: Wer gewinnt, wer verliert

Nach dem Gesundheitskompromiss von Regierung und Opposition werden kritischen Stimmen lauter. Gewerkschaften und Sozialverbände kritisierten das Reformpaket in Berlin als einseitige Belastung für die Patienten. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen kritisierte, Patienten und Versicherte trügen im wesentlichen die Lasten, während Ärzte und Pharmaindustrie geschont würden.

Der Bundestag hat die Gesundheitsreform am 26.09.03 mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Für das Gesetz stimmten 517 Abgeordnete, 54 waren dagegen. Drei enthielten sich. Bei der Abstimmung haben SPD und Grüne eine eigene Mehrheit erzielt. Von der Koalition stimmten 297 Abgeordnete für den Kompromiss, teilte die Grünen-Fraktion am Freitag in Berlin mit. Das waren mehr als die Hälfte der 574 abgegebenen Stimmen.

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Verunsicherung der Patienten durch die Gesundheitsreform

Das Chaos in den Praxen blieb zwar aus, doch bei den Regelungen zur Gesundheitsreform wissen weder Ärzte noch Gesundheitsexperten so richtig Bescheid. Politiker und Selbstverwaltung wiesen sich gegenseitig die Verantwortung für Umsetzungsschwierigkeiten bei der Gesundheitsreform zu.
Erst drei Wochen nach dem Start der Gesundheitsreform am 1 Januar 2004 gab es klare Regelungen für Chroniker und die Erstattung von Fahrten zur ambulanten Behandlung. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Selbstverwaltung beschloss in Bonn, dass ein Patient künftig als schwerwiegend chronisch krank gelten soll, wenn er wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde und bestimmte Zusatzkriterien erfüllt. Die umfassenderen Regelungen für die Fahrtkostenerstattung kommen nun auch Gehbehinderten zugute.

Bürgerversicherung oder Kopfpauschale?

Kaum haben sich Regierung und Opposition auf einen Kompromiss geeinigt, geht die Debatte um die Gesundheitsreform schon weiter, da die bisher beschlossenen Maßnahmen längerfristig nicht ausreichen, das Gesundheitssystem zu sanieren.
Nachdem unter anderem Vizekanzler Joschka Fischer, Gesundheitsministerin Schmidt und der Sozialexperte der Union, Horst Seehofer für die Einführung einer Bürgerversicherung stark gemacht hatten, meldeten sich in der CDU verstärkt die Kritiker zu Wort. Die Diskussion sei zwar noch nicht abgeschlossen, "aber die Tendenz gehe eher in Richtung Kopfpauschale", sagte CDU-Präsidiumsmitglied Hildegard Müller. Sie warnte, die Bürgerversicherung würde teurer als derzeit diskutiert. Auch sehe sie nicht, wie bisher privat Versicherte eingebunden werden könnten. Eine Abschaffung der Privatversicherungen käme einer Enteignung gleich. Auch würde die notwendige Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze gegen die Verfassung verstoßen. Die Kopfpauschale wird nach der Empfehlung der Herzog-Kommission auch von CDU-Chefin Angela Merkel favorisiert. Die CSU lehnt aber das Konzept der Herzog-Kommission für die Reform der sozialen Sicherungssysteme ab.

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Neue Reformvorschläge von Bert Rürup

Regierungsberater Bert Rürup hat am 15 Juli 2004 ein neues Modell für Kopfpauschalen entworfen, mit denen langfristig die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden soll. Rürup setzt auf einen radikalen Wechsel. Jeder gesetzlich Versicherte zahlt in die Krankenversicherung eine Pauschale (169 Euro) entsprechend den durchschnittlichen Kosten für die Versorgung, aber unabhängig von seinem Einkommen. Der Vorteil: Die Krankenversicherung hat mit dem Arbeitseinkommen nichts mehr zu tun.

Bei der Umstellung würde die Beitragshälfte, die der Arbeitgeber jetzt direkt an die Kasse zahlt, dem Gehalt zugeschlagen. Dadurch erhöht sich das Bruttoeinkommen des Arbeitnehmers und führt zu größeren Steuereinnahmen. Dafür ist der Arbeitnehmer bei den Versicherungskosten auf sich gestellt. Das verringert die Kosten des Arbeitgebers zwar nicht sofort. Aber mit der erwarteten Teuerung im Gesundheitswesen hat er künftig nichts mehr zu tun.

Auch für Gutverdiener ist das attraktiv. Liegt ein Einkommen an der Beitragsbemessungsgrenze von 3.487,50 Euro, so zahlt der Arbeitnehmer heute zusammen mit dem Arbeitgeber durchschnittlich gut 495 Euro im Monat. Seine Hälfte beträgt immer noch knapp 248 Euro. Künftig soll er nach Rürups Pauschal-Modell nur noch 169 Euro zahlen. Selbst wenn er für seine bisher gratis versicherte nicht erwerbstätige Ehefrau eine eigene Pauschale zahlen muss, liegt der Gesamtaufwand für beide mit 338 Euro deutlich unter dem jetzigen Wert.

Ganz anders sieht es für einen Kleinverdiener mit 1.000 Euro im Monat aus. Sein Beitrag - inklusive Arbeitgeberzuschuss - ist bisher 142 Euro - und dafür wurden bisher Frau und Kinder mitversichert. Künftig müsste er selbst 169 Euro zahlen und für die erziehende Ehefrau nochmal.

Die Höchstbelastung eines Krankenversicherten soll allerdings generell 12,5 Prozent seines Bruttoeinkommens betragen. Ist die Belastung höher sollen die Versicherten einen Zuschuss erhalten, der über eine Erhöhung des Solidaritätszuschlages oder der Mehrwertsteuer finanziert werden soll. Nach Schätzungen Rürups wären etwa 25 Prozent der Versicherten unterstützungsberechtigt.

Für Kinder sollen nicht die Eltern, sondern der Staat eine Pauschale von 78 Euro zahlen - macht 15,8 Milliarden Euro aus Steuern. Dies finanzieren allerdings Arbeitnehmer über Steuern auf den nun ausgezahlten Arbeitgeberanteil selbst.

Steuererhöhungen in Höhe von 18,8 Milliarden Euro wären für Zuschüsse an Einkommensschwache nötig. Nach Rürup könnte der Solidarzuschlag für alle um 11,9 Prozentpunkte erhöht werden oder die Mehrwertsteuer um 2,5 Punkte. Der Professor selbst sieht für solche Steuersprünge allerdings politisch keine Chance. Deshalb schlägt er alternativ einen prozentualen Zuschlag zur Kopfpauschale vor.

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Neue Vorschläge der SPD zur Bürgerversicherung

Die Leiterin der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung, Andrea Nahles, hat das SPD-Konzept zur Bürgerversicherung vorgestellt. Der Parteivorstand der SPDbeschloss einstimmig Eckpunkte, obwohl eine Einführung laut Bundeskanzler Gerhard Schröder bis zum Herbst 2006 nicht geplant ist. Langfristig werden Beitragssenkungen um bis zu 2,9 Prozentpunkte für möglich gehalten.

  • In die Bürgerversicherung werden künftig alle Einwohner einbezogen. Die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung wird aufgehoben. Faktisch würde die private Krankenversicherung (PKV) damit neben Ortskrankenkassen oder Ersatzkassen eine gesetzliche Kassenart.
  • Jede Kasse bietet die gleichen Mindestleistungen an, sie darf keinen Bewerber ablehnen. Die PKV würde in den Risikostrukturausgleich einbezogen.
  • Mitglieder der PKV - Beamte, Selbständige, Freiberufler oder freiwillig Versicherte mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze von monatlich 3862,50 Euro - können in der PKV bleiben. Ihnen soll aber eine Wechselmöglichkeit in die Bürgerversicherung ermöglicht werden.
  • Familienmitglieder ohne eigenes Einkommen und Kinder werden beitragsfrei mitversichert.

Mit den Plänen würden "die Weichen für eine solidarische Finanzierung" gestellt. Die alleinige Belastung der Erwerbseinkommen sei nicht zukunftsfähig. Die Kapitaleinkommen müssten einen Beitrag leisten. Durch das Einbeziehen von höheren Einkommensgruppen, die sich bisher privat versichern können, soll die Einnahmebasis verbreitert werden. Daneben soll es bei der paritätischen Finanzierung der Beiträge auf Arbeitseinkommen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer bis zur Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3487,50 Euro bleiben. Zudem sollen sonstige Einkommen zur Finanzierung der Bürgerversicherung herangezogen werden. Demnach würden vor allem Zins- und Kapitalerträge belastet. Um kleine und mittlere Einkommen zu schonen, soll hierfür ein Freibetrag eingeführt werden. Umstritten ist vor allem, wie Einkünfte aus Kapitalvermögen zur Finanzierung der Bürgerversicherung beitragen sollen. Bei dem Streit geht es um die Frage, ob dies über mehr Steuern auf Kapitaleinkünfte geschehen soll oder ob Versicherungsbeiträge auf die Kapitalerträge zu entrichten sind.

CDU-Chefin Angela Merkel kritisierte die Überlegungen. „Ich glaube, dass die SPD einen Fehler macht, wenn sie sich nicht auch damit beschäftigt, wie man die Sozialkosten von den Arbeitskosten entkoppeln kann“, sagte sie in Hannover. Arbeit wandere aus Deutschland in Länder ab, in denen diese Entkopplung bereits stattgefunden habe. Die CDU will statt der Bürgerversicherung eine Pro-Kopf-Pauschale. Soziale Härten will sie dabei mit 25 Milliarden Euro aus Steuermitteln dämpfen.

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Neues Gesundheitskonzept von CDU/CSU

Berlin (dpa) - Die Union hat sich kurz vor den Parteitagen von CSU und CDU auf einen Kompromiss in der Gesundheitspolitik geeinigt, der die Krankenversicherung langfristig sanieren und die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtern soll. Nach monatelangem Streit erläuterten die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber am 15. November 2004 in Berlin gemeinsam den Kompromiss. Er soll im Falle einer Regierungsübernahme nach der Bundestagswahl 2006 die Grundlage für einen Systemwechsel in der Krankenversicherung sein. Krankheitskosten - vor allem für Kinder - sollen dann zumindest teilweise steuerfinanziert werden.

  • PRÄMIE: Nach dem Kompromiss soll jeder Versicherte eine persönliche Prämie von 109 Euro aus eigener Tasche zahlen. Zusätzlich sollen die Kassen weitere 60 Euro je Versicherten aus den eingefrorenen Arbeitgeberbeiträgen erhalten, so dass eine einheitliche Gesamtprämie von 169 Euro für jeden Versicherten ankommt.
  • ARBEITGEBERBEITRAG: Er soll auf 6,5 Prozent eingefroren werden. Das hatte bereits der CDU-Parteitagsbeschluss in Leipzig vorgesehen. Im Gegensatz zu den ursprünglichen CDU-Vorstellungen soll der Beitrag aber nicht an die Versicherten direkt ausgezahlt werden. Die CSU setzte durch, dass die Anteile, die zusammen ein Volumen von 65 Milliarden Euro ausmachen, an eine Clearingstelle fließen. Diese leitet dann die 60 Euro pro Versicherten weiter. So wird die persönliche Prämie optisch günstiger.
  • SOLIDARAUSGLEICH: Die persönliche Gesundheitsprämie soll nicht mehr als 7 Prozent des Einkommens betragen. Beispiel: Eine Rentnerin mit 1000 Euro Einkommen müsste nur eine Prämie von 70 Euro zahlen. Bei der Prüfung der Bedürftigkeit soll aber nicht nur das Arbeitseinkommen zählen, sondern auch andere Einnahmen etwa aus Vermietung. Die Prüfung übernimmt das Finanzamt. Die CDU wollte diesen Solidarausgleich über die Haushalte, also aus Steuermitteln finanzieren. Wie genau, hatte sie in Leipzig nicht gesagt. Nach dem Kompromiss soll dieser Ausgleich in einer Größenordnung von rund 16 Milliarden Euro nun aus dem Sondertopf geleistet werden, der aus den «Arbeitgeberprämien» gespeist wird.
  • KINDER: Sie sollen kostenlos versichert bleiben. Das war auch im Leipziger Modell vorgesehen. Dazu werden aber pro Jahr weitere 15 Milliarden Euro fällig. Die CDU setzte durch, dass zumindest ein Teil über Steuern finanziert werden soll. Dafür nehmen beide Seiten Korrekturen an ihrem Steuermodell vor. Den Spitzensteuersatz wollen CDU und CSU nach einem Wahlsieg nicht mehr auf 36 Prozent, sondern nur noch auf 39 Prozent senken. Dies würde Mehreinnahmen von 7 Milliarden ausmachen. Der Rest würde aus den Arbeitgeberbeiträgen finanziert werden.
  • MITVERSICHERUNG VON EHEGATTEN: Diese Möglichkeit würde es im künftigen System nicht mehr geben. Ein Ehepaar würde also grundsätzlich 218 Euro überweisen müssen. Diese Prämie könnte aber durch die 7-Prozent-Regel sinken.
  • ENTLASTUNG: CDU und CSU versichern, dass eine Familie mit mittlerem Einkommen entlastet würde. Verdient ein Arbeitnehmer 3500 Euro, zahlt er derzeit rund 248 Euro an Krankenversicherung aus eigener Tasche - mehr als im Prämienmodell. Niemand würde stärker als jetzt belastet.
  • WETTBEWERB: Durch das Modell verspricht sich die Union mehr Wettbewerb unter den Kassen. Sie müssten sich anstrengen, für das gleiche Geld den Versicherten bessere Leistungen zu bieten als die Konkurrenz. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kann nicht versprechen, dass die persönliche Prämie immer stabil bei 109 Euro bleibt. Infolge der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen könnten auch höhere Beträge möglich sein.

Zur Finanzierung des Sozialausgleichs wollen die Unionsparteien unter anderem ihr bereits beschlossenes Steuerkonzept verändern: Danach soll der Spitzensteuersatz nicht wie geplant auf 36 Prozent gesenkt werden, sondern nur auf 39 Prozent. Das Unionsmodell müsste im Falle einer Regierungsübernahme 2006 mit dem wahrscheinlichen Koalitionspartner FDP abgestimmt werden. Die FDP hat sich bereits kritisch geäußert. «Sowas wird mit uns nicht vereinbar sein», sagte FDP-Vizechef Andreas Pinkwart der dpa. Merkel sagte, die Überlegungen der Freidemokraten machten aus Deutschland «ein Volk von Privatversicherten. Das wollen wir nicht.»

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat der Unionsspitze nach Vorlage ihrer Gesundheitsvorschläge Regierungsunfähigkeit vorgeworfen. CDU-Chefin Angela Merkel und der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber könnten mit solchen Vorstellungen vielleicht in einem bayerischen Bierzelt Erfolg haben, sagte Schröder am Montag vor einer Sitzung des SPD-Parteirats in Berlin. Zur Vorlage von ernst zu nehmenden Konzepten seien beide aber nicht in der Lage. "Es kreißte der Berg, heraus kam nicht einmal eine Maus", sagte der Kanzler.

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Stichwort Bürgerversicherung

Die Bürgerversicherung ist eine Form der Sozialversicherung, für die u.a. die Rürup-Kommission plädiert. Bei der Bürgerversicherung zahlen nicht nur abhängig Beschäftigte und deren Arbeitgeber, sondern die gesamte Bevölkerung Beiträge in die Sozialversicherung ein, d.h. im Gegensatz zur aktuellen Regelung auch Selbstständige und Beamte.
Als Bemessungsgrundlage würde das Gesamteinkommen jedes Einzelnen, bestehend aus allen sieben Einkunftsarten des Steuerrechts, also z.B. auch Unternehmensgewinne, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung usw.) herangezogen werden. Die Gesamthöhe dieses Einkommens entscheidet auch über die Höhe des Beitrags zu einer Bürgerversicherung.
Die aktuell geltenden Grenzbeträge dürften sich bei einer Bürgerversicherung verändern. Das Mitglied der Rürup-Kommission, Prof. Dr. Karl Lauterbach beispielsweise geht davon aus, dass Versicherungspflichtgrenze (aktuell 3.825 Euro) und Beitragsbemessungsgrenze (derzeit 3.450 Euro) auf jeweils 5.100 Euro angehoben werden müssten.
Ein wesentlicher Vorteil einer Bürgerversicherung wäre angesichts der höheren Zahl an Beitragszahlern eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten, wodurch Arbeit insgesamt billiger und eine nicht unerhebliche Zahl neuer Arbeitsplätze geschaffen würde.
Als Nachteil nennen Experten den erhöhten bürokratischen Aufwand für die Krankenkassen und die damit verbundenen Kostensteigerungen, sie wäre eine staatlich verordnete Einheitsversicherung unter Ausschluss von Differenzierung und Wettbewerb. Mit der Einführung einer Bürgerversicherung ergeben sich weitere Probleme: Die privaten Krankenkassen würden überflüssig, die Jobs der Mitarbeiter und ein weites Feld der privaten Wirtschaft sind bedroht. Eine Bürgerversicherung kann das Problem einer überalterten Gesellschaft mit erhöhtem Krankheitsrisiko allerdings ebenso wenig lösen wie das jetzige Gesundheitssystem. Außerdem kann es nicht jedes Krankheitsrisiko absichern. Auf den Bürger käme also eine Palette von privaten Zusatzversicherungen zu. Die Kapitalflucht würde sicherlich zunehmen, um Gelder dem Zugriff der Kassen zu entziehen.

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Stichwort Kopfpauschale

Alternativ zu einer Bürger- oder Erwerbstätigenversicherung hat die Rürup-Kommission im April ein Kopfpauschalenprinzip zur Auswahl gestellt. Auch die Herzog-Kommission schlägt dieses Modell vor. Für das Gesundheitswesen würde dies bedeuten, dass statt der bisherigen prozentualen Beiträge jeder erwachsene Versicherte eine Pauschale von rund 200 Euro im Monat zahlen müsste, um eine medizinische Grundversorgung zu erhalten. Dieser Grundpreis variiert je nachdem, wie effizient die Versicherung arbeitet. Natürlich könnten die Versicherungen zu einem höheren Preis auch mehr Leistungen anbieten. Der Arbeitgeberbeitrag würde ausgezahlt und die Versicherung komplett von den Löhnen abgekoppelt, was auch hier zu einer dauerhaften Senkung der Lohnnebenkosten führen würde. Durch die steigenden Bruttogehälter würden zusätzliche Steuereinnahmen fällig, deren Einnahmen zur kostenfreien Mitversicherung von Kindern dient. Für Geringverdiener müssten allerdings Steuermittel aufgewandt werden, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Die Herzog-Kommission schätzt den Bedarf auf 27  Milliarden Euro jährlich.
Vor allem Ledige und Besserverdienende würden von dem System profitieren. Untere Einkommen würden höher belastet, höhere werden entlastet. Familien zahlen oft drauf, weil Eheleute (wie bisher in der GKV) nicht mehr kostenlos mitversichert werden können. Für einen Haushalt mit Alleinverdiener und 3.000 Euro brutto macht das immerhin rund 45 Euro mehr im Monat. Außerdem wäre die Kopfpauschale das Ende der paritätischen Finanzierung, bei der Arbeitgeber und Arbeitnehmer den gleichen Beitrag zahlen.

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Links:

Bundesministerium für Gesundheit
Die-Gesundheitsreform.de
       


Entscheiden Sie als Gesundheitsminister/in!

Der Benutzer wird mit einer Finanzierungslücke von 2,9 Milliarden Euro konfrontiert. Um die GKV zu reformieren, steht er vor der Entscheidung, in bestimmten Bereichen Einnahmen zu erhöhen oder Ausgaben zu reduzieren.
Dieses im Auftrag des Pharmakonzerns Schwarz Pharma entwickelte Online-Reform-Spiel stellt Benutzer vor die Aufgabe, als Bundesgesundheitsminister/in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu reformieren. Es wird deutlich, dass unterschiedliche Anspruchsgruppen und verschiedenste Leistungen bei der Reformierung bedacht werden müssen.


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Steuerreform

Die Bundesregierung hatte im Jahr 2000 eine dreistufige Steuerreform beschlossen, die eine bis 2005 ansteigende Steuerentlastung vorsieht. 2001 trat die erste Stufe in Kraft: Der Eingangssteuersatz sank von 22,9 Prozent auf heute 19,9 Prozent, der Spitzensteuersatz von 51 auf 48,5 Prozent.
2003 sollte die zweite Stufe der Reform in Kraft treten. Dies wurde aber wegen der Hilfen für die Opfer der Flutkatastrophe auf 2004 verschoben. Sie sah eine Steuerentlastung von rund sieben Milliarden Euro vor. Der untere Steuersatz sollte damit auf 17 Prozent und der Höchststeuersatz auf 47 Prozent gesenkt werden.

Diese Stufe soll mit dem Vorziehen der dritten und letzten Stufe von 2005 auf 2004 Steuerreform nun quasi übersprungen werden: Der Eingangssteuersatzes würde damit direkt auf 15 Prozent und der Höchststeuersatz auf 45 Prozent sinken. Zugleich würde das steuerfreie Existenzminimum (Grundfreibetrag) auf 7664 Euro steigen.
Die Gesamtentlastung für Unternehmen und Bürger beträgt 56 Mrd Euro. Die Bundesregierung will den Bürgerinnen und Bürgern früher mehr Geld belassen um damit wirtschaftliche Wachstumsimpulse setzen.
Für Bund, Länder und Gemeinden bedeutet das Vorziehen der dritten Reformstufe im kommenden Jahr Steuerausfälle von insgesamt rund 18 Milliarden Euro. Davon müssen Bund und Länder jeweils sieben bis acht und die Kommunen zwei Milliarden Euro tragen.

Die Bundesregierung wollte die für 2004 geplanten Steuerentlastungen zu zwei Drittel mit neuen Schulden finanzieren. Die Neuverschuldung, die schon 2003 auf einem Rekordniveau von 42 Milliarden Euro lag, sollte 2004 um knapp 5 Milliarden auf etwa 29 Milliarden Euro steigen - sie wird allerdings auf über 40 Milliarden steigen. Der Bund rechnete im Gegenzug mit 2 Milliarden Euro aus Privatisierungserlösen sowie knapp 1 Milliarde Euro aus weiterem Subventionsabbau in der Landwirtschaft und am Bau. Die vorgelegte Finanzierung setzte voraus, dass die Wirtschaft 2004 um 2 Prozent wächst und Schröders "Agenda 2010" Einsparungen in Milliardenhöhe bringt. Die Mehrheit der Ökonomen erwartet allerdings nur noch ein Plus von rund 1,5 Prozent. Bundesfinanzminister Eichel hat auch Einsparungen etwa bei der Eigenheimzulage und der Pendlerpauschale schon eingerechnet, denen der unionsdominierte Bundesrat erst noch zustimmen musste. Unklar ist, ob die Bundesregierung dann noch in der Lage sein wird, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen. Das Grundgesetz verlangt, dass die neuen Schulden geringer als die Investitionen sind.

In Artikel 115 GG heißt es in Satz 1 zunächst: "Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten." Das heißt: Werden in einem Haushaltsjahr mehr Schulden gemacht als Investitionen getätigt, ist die Bestimmung verletzt.
In Satz 2 kommt aber gleich eine Ausnahme: "Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Die Regierung darf also dann mehr Schulden aufnehmen als Investitionen tätigen, wenn folgende vier Faktoren zutreffen: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum.

Führende Vertreter der Union wie die CDU-Vorsitzende  Angela Merkel nannten das Konzept enttäuschend, signalisierten aber Gesprächsbereitschaft. Deutlich ablehnend reagierte Hessens CDU-Regierungschef Roland Koch. CSU-Chef Edmund Stoiber nannte die Pläne "auf ganzer Linie ungenügend". Als unsolide kritisierte auch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) die geplante Finanzierung. Die Bundesregierung habe sich nicht einmal bemüht, die Reform wenigstens teilweise durch Einsparungen zu finanzieren. Kritik kam auch aus den Reihen der SPD-geführten Länder.

Die Spitzenverbände der Wirtschaft erklärten, die Finanzierung über zusätzliche Verschuldung sei eine Flucht vor notwendigen Haushaltsentlastungen. Ein solcher Finanzierungsweg sei das falsche Signal. Zudem führten höhere Schulden letztlich nur zu höheren Steuern.

CDU und CSU haben das von der Regierung geplante Vorziehen der Steuerreform am 7.11.03 vorerst gestoppt. Mit ihrer Mehrheit im Bundesrat riefen die unionsregierten Länder in Berlin den Vermittlungsausschuss an. Damit können auch die von SPD und Grünen geplante Kürzung der Entfernungspauschale für Pendler und die weitgehende Streichung der Eigenheimzulage zunächst nicht umgesetzt werden. Die Union hatte sich zuvor zwar grundsätzlich auf ein Ja zum Vorziehen der Steuerreform verständigt, dies aber an Bedingungen geknüpft. Zugleich stoppte die Länderkammer die rot-grünen Gesetze zur Gemeindefinanzreform, der Amnestie für Steuersünder und die Erhöhung der Tabaksteuer.

Einigung bei der Vorziehung der Steuerreform

Nach monatelangem Gerangel haben sich Regierung und Opposition im Vermittlungsausschuss des Bundesrats auf das Vorziehen einer deutlich abgespeckten Steuerreform verständigt. Nach zehnstündigen Verhandlungen einigten sich die Spitzen von Regierung und Opposition am 15.12.2003 auf einen Reformkompromiss, nach dem der Eingangssteuersatz nur auf 16 statt 15 und der Spitzensteuersatz auf 45 statt 42 Prozent gesenkt wird. Damit werden die Steuerzahler nur um rund sieben statt 15,6 Milliarden Euro zusätzlich entlastet. Erst 2005 soll die dritte Stufe der Steuerreform komplett greifen.

Die Steuerentlastungen sollen folgendermaßen gegenfinanziert werden:

  • Die Entfernungspauschale wird von derzeit 35 Cent auf 30 Cent pro Kilometer gekürzt.
  • Eigenheimzulage wird um 30 Prozent gekürzt.
  • Weitere Einsparungen sollen durch neue Abschreibungsregeln zusammenkommen.
  • Erlöse aus Privatisierungen sollen 5,3 Milliarden Euro betragen (geplant waren zwei Milliarden Euro).
  • Steuerreform wird durch 25 Prozent neue Schulden finanziert.
  • Kommunen bekommen größeren Anteil an Gewerbesteuer. Freiberufler bleiben auch weiterhin gewerbesteuerfrei.

Links

FAZ.net: Reformkompromiß

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