Stuttgart 21

Es ist das umstrittenste Bauprojekt Deutschlands: Der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs vom Kopf- zum Durchgangsbahnhof – "Stuttgart 21". Der Bahnhof soll samt Schienennetz unter die Erde verlegt sowie an den Flughafen angebunden werden. Zusätzlich soll eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen nach Ulm gebaut werden. Das Projekt soll nach derzeitiger Planung rund 4,1 Milliarden Euro kosten, die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zusätzlich 2,9 Milliarden Euro. Seit vielen Jahren streiten Politiker, Planer und Bürger über das Mega-Projekt.

Seit knapp 20 Jahren ist das Projekt in der Planung. Jeder einzelne Schritt hat ein rechtsstaatliches Planungsverfahren durchlaufen und hat Klageverfahren standgehalten. Der Gemeinderat der Stadt Stuttgart, die Region Stuttgart, der Landtag Baden-Württemberg und der Bundestag haben dem Projekt mit großen Mehrheiten zugestimmt. Am 27. November 2011 hat sich Baden-Württemberg in einer Volksabstimmung mehrheitlich für den Tiefbahnhof S21 ausgesprochen.

Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm wird von der Deutschen Bahn AG, dem Bund, dem Land Baden-Württemberg, dem Verband Region Stuttgart, der Stadt Stuttgart und dem Flughafen Stuttgart geplant und finanziert. Bauherr ist die Deutschen Bahn AG.
Die Befürworter des umstrittenen Bahnhofprojektes vertreten die Ansicht, ein Durchgangsbahnhof sei leistungsfähiger und ermögliche einen flexibleren und schnelleren Betrieb sowie kürzere Fahrtzeiten. Flughafen und Messe sollen an die Schnellbahnstrecke angebunden werden. Das Bahnprojekt soll mehr Menschen von der Straße auf die Schiene bringen. Außerdem heben die Befürworter die städtebaulichen Chancen des Projekts hervor: Durch den Abbau der oberirdischen Gleisanlagen wird im Stadtzentrum voraussichtlich eine Fläche von rund hundert Hektar frei, die für Wohnungen, Büros und Grünflächen genutzt werden soll.

Die Gegner des Jahrhundertprojektes kritisieren zum einen die hohen Kosten von über vier Milliarden Euro, zum anderen die Auswirkungen der mehrjährigen Großbaustelle und der damit verbundenen Tunnelarbeiten auf die Umwelt und die Mineralwasservorkommen. Der Fildertunnel, der den neuen Durchgangsbahnhof mit dem neuen Bahnhof am Flughafen verbinden soll, müsse durch schwierige Gesteinsschichten wie quellfähigem Anhydrid gebohrt werden. Es stellen sich Fragen zur Sicherheit des Tiefbahnhofs. Sie plädieren für das alternative Konzept „Kopfbahnhof 21“, das darauf setzt, die bestehenden, teils ungenutzten Trassen zu optimieren, um das künftige Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Die harten Fakten, so die Gegner, haben sich bei Stuttgart 21 teilweise verändert, Stuttgart 21 sei unwirtschaftlich.

Nur etwa zehn Prozent der Baukosten entfallen nach Angaben der Bahn auf die Tieflage des neuen Hauptbahnhofes. 85 Prozent der veranschlagten Baukosten in Höhe von derzeit 4,1 Milliarden Euro werden für die diversen Tunnelbauten benötigt. Ob diese Kalkulation aufgeht, wird von vielen Seiten bezweifelt. Stuttgart 21 hat einen Sonderstatus durch seine Finanzierung. Deshalb steht es auch nicht in der Liste des vordringlichen Bedarfs. Von den 4,1 Milliarden Euro zahlen die Bahn 1,5 und der Bund 1,2 Milliarden. Das Land hat 824 Millionen zugesagt. Die Stadt und der Flughafen Stuttgart schultern jeweils rund 230 Millionen Euro. Schon vor Jahren hat Stuttgart der Bahn Grundstücke im Wert von 450 Millionen Euro abgekauft. Die Finanzierung der Projekte erstreckt sich über einen Zeitraum von voraussichtlich zehn Jahren.

Der Beitrag des Landes für die Trasse Wendlingen - Ulm ist auf 950 Millionen Euro gedeckelt. Die Strecke, die sich an das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 anschließt, hatte sich inzwischen um 865 Millionen Euro verteuert und liegt jetzt bei 2,9 Milliarden Euro. Nach den Verpflichtungen, die der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) eingegangen ist, muss der Bund über seinen Anteil von 925 Millionen Euro hinaus für sämtliche Kostensteigerungen allein aufkommen.

Über eines sind sich Befürworter und Gegner einig: Mit einem vorzeitigen Ende des Verkehrsprojekts Stuttgart 21 wird es auf Jahre keine Entwicklung mehr auf der Stuttgarter Schiene geben, weil es keinen bewilligten Plan B gibt. Das eingesparte Geld wird in Stuttgart nicht in soziale Projekte fließen, sondern andernorts verbaut werden, da die Mittel zweckgebunden sind. Und Planungskosten im hohen dreistelligen Millionenbereich wären verloren. Das Alternativprojekt K21 - Modernisierung des Kopfbahnhofs - müsste neu geplant und in ein jahrelanges Planfeststellungverfahren gehen. Das Land müsste bei einem Ausstieg bestehende Verträge brechen und damit Schadenersatz von mindestens 350 Millionen Euro zahlen.

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Stuttgart 21 spaltet Stuttgart und bewegt Baden-Württemberg. Befürworter und Gegner stehen sich bisher scheinbar unversöhnlich gegenüber. Nach dem Beginn der Abbrucharbeiten am Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs im Sommer 2010 nahmen die Proteste gegen Stuttgart 21 zu. Teilweise mehr als 50.000 Teilnehmende zogen Woche für Woche friedlich durch die Stuttgarter Innenstadt. Mittlerweile fand die 100. "Montagsdemonstration" der Projektgegner vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof statt.

Stuttgart 21 steht längst nicht mehr nur für einen umstrittenen Tiefbahnhof. Stuttgart 21 steht für eine Krise unserer Demokratie. Die Proteste gegen Stuttgart 21 sind auch ein Zeichen an die Politik, die sich immer mehr von der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger entfernt.

Der Konflikt um Stuttgart 21 kann auch als ein Machtkampf zwischen der etablierten Parteienpolitik der S 21-Befürworter und gut organisierten zivilgesellschaftlichen Gruppen verstanden werden.

Eine Umfrage von ARD DeutschlandTrend zeigt, dass 80 Prozent der Deutschen ihre Interessen bei wichtigen politischen Entscheidungen nicht mehr berücksichtigt sehen. 94 Prozent sind der Meinung, es sei wichtig, dass Menschen auf die Strasse gehen und demonstrieren, damit die Politik ihre Meinung zur Kenntnis nimmt. Und sogar 98 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Politik wieder stärker den Kontakt zum Volk suchen muss.

Mit dem Fällen weiterer Bäume im Stuttgarter Schlossgarten und dem geplanten Abriss des Südflügels des Hauptbahnhofs im Februar 2012 besteht die Gefahr, dass es wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Schon beim Fällen der ersten Bäume am 1. Oktober 2010 eskalierten am Vortag die Proteste. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein, um ein für die Bauarbeiten benötigtes Gebiet im Schlossgarten zu räumen. Demonstranten hatten versucht, die Räumung des Parks mit Sitzblockaden zu verhindern. Bundesweit wurden die Bilder aus dem Schlossgarten mit Bestürzung aufgenommen.

Die Einladung des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus und dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Grünen Winfried Kretschmann zu einer Gesprächsrunde wurde von den Projektgegnern ausgeschlagen. Ein erstes offizielles Sondierungsgespräch von Befürwortern und Gegnern auf Einladung des katholischen Stuttgarter Stadtdekans Michael Brock am 24. September 2010 führte zu keiner Annäherung, da die Projektgegner ohne Baustopp keinen Sinn in einem Dialog sehen. Erst mit der Berufung von Heiner Geißler als S21-Schlichter kam wieder Bewegung in den Dialog.

Umfragen

Nach der Schlichtung hatte sich die Stimmung in Baden-Württemberg zunächst zugunsten von S21 gedreht. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des SWR und der Stuttgarter Zeitung ergab, dass inzwischen 54 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg grundsätzlich für das Projekt sind, 38 Prozent sprechen sich dagegen aus. Infratest dimap hatte am 1. Dezember 2010, einen Tag nach Geißlers Schlichterspruch, 1.010 Wahlberechtigte im Land telefonisch befragt.

In einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer vom 18. März 2011 (mitten im Wahlkampf) sprachen sich dann nur noch 37 Prozent der Befragten für den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs aus, 42 Prozent waren dagegen. 1.382 Wahlberechtigte waren vom 15. - 17. März befragt worden. Bei einer älteren repräsentativen Befragung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer vom 26. November 2010 stieß der Neubau der Bahnstrecke zwischen Wendlingen und Ulm auf wesentlich weniger Ablehnung: Hierfür sprachen sich 41 Prozent aller Wahlberechtigten im Land aus und nur 17 Prozent waren dagegen (egal / weiß nicht: 42 Prozent).

Bei der jüngsten repräsentativen Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Stuttgarter Zeitung und des Südwestrundfunks antworteten 55 Prozent der Befragten auf die Frage "Werden Sie dafür stimmen, dass das Land aus der Finanzierung von Stuttgart 21 aussteigt?" mit Nein, sind also für den Weiterbau. 45 Prozent sagen Ja zum Ausstieg und damit Nein zum Weiterbau. Die regionalen Unterschiede sind dabei eher gering. Bei den Befragten stehen die Kosten im Mittelpunkt. Bei den Befürwortern sind es die eventuellen Austiegskosten von 1,5 Milliarden Euro, die Gegner befürchten hingegen, dass der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro nicht halten wird. 95 Prozent der Befragten kündigten an, das Ergebnis des Volksentscheids zu akzeptieren – unabhängig vom Ergebnis. Infratest dimap hatte zwischen dem 8. bis zum 16. November 2011 2.400 Stimmberechtigte in Baden-Württemberg telefonisch befragt. 

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Ausweg Volksabstimmung?

Die Südwest-SPD sah im Herbst 2010 nur noch eine Möglichkeit die verfahrene Lage zu befrieden: Mit einem konstruierten Dissens zwischen Regierung und Parlament sollte eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 entscheiden. Der inzwischen zurückgetretene Stuttgart 21-Projektsprecher Wolfgang Drexler (SPD) äußerte sich offen gegenüber dem Vorschlag seiner Partei. "Wenn es dazu beiträgt, dass die Stimmung sich auf Sachfragen konzentriert und das Projekt dann anerkannt wird, dann könnte man das machen", sagte er. Allerdings könne es keine Abstimmung über die Frage: "Stuttgart 21 ja oder nein" geben. Die Frage müsse eher lauten, ob das Land bestehende Verträge brechen und damit Schadenersatz zahlen müsse. Drexler hatte die Entschädigungssumme bei einem Ausstieg aus dem Projekt auf 1,4 Milliarden Euro beziffert, die Projektgegner auf 500 Millionen.

Nils Schmid, Foto: SPD-BWNach dem Scheitern des Runden Tisches zu Stuttgart 21 forderten SPD-Landeschef Nils Schmid und SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel die damalige Landesregierung auf, den Weg für eine landesweite Volksabstimmung über Stuttgart 21 und das Neubauprojekt Wendlingen-Ulm mitzugehen. "Stuttgart 21 soll verwirklicht werden, aber nicht gegen die Menschen, sondern mit den Menschen. Das ist kein Kurswechsel", beteuerte Nils Schmid. Landtag und Landesregierung müssen gemeinsam versuchen, die Baden-Württemberger bei diesem Projekt mitzunehmen, erklärte Schmid. In der SPD gebe es aber die Überlegung, wie man die Bürger doch noch an der Entscheidung über das Bahnprojekt beteiligen könne. "Aber in der Sache bleibt die SPD bei der Unterstützung für das Projekt", so Schmid. Fraktionschef Claus Schmiedel sagte: "Das Scheitern des Runden Tisches zeigt, dass nur eine Volksabstimmung die starren Fronten von Gegnern und Befürwortern aufbrechen kann". Sollte die Volksabstimmung nicht zustande kommen, plädierte er für eine Änderung der Verfassung, um den direkten Weg der demokratischen Abstimmung zu ermöglichen.

Dabei stützt sich die SPD auf die rechtlichen Einschätzungen der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie Georg Hermes von der Universität Frankfurt. Die Landesregierung soll nach dem SPD-Antrag den Weg für eine Volksabstimmung gemäß Artikel 60 der Landesverfassung über einen Gesetzentwurf freimachen. Damit würde sich das Land bei einer Zahlung von Schadenersatz einseitig von den vertraglichen Verpflichtungen lösen. Das soll sich auf sämtliche Verträge beziehen, die zur Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart mit Stuttgart 21 sowie zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm abgeschlossen wurden. Dieser Gesetzentwurf würde im Landtag keine Mehrheit erhalten. Das Verhalten der Abgeordneten würde dem Verfahren auf Bundesebene entsprechen, wie es zur Einleitung eines konstruktiven Misstrauensvotums gestaltet wurde, etwa bei dem von Gerhard Schröder (SPD) initiierten Beschluss zu Neuwahlen im Jahr 2005.

Nach der Ablehnung des Gesetzentwurfs im Landtag könnte dann gemäß Artikel 60 Absatz 3 der Landesverfassung ein Drittel der Abgeordneten eine Volksabstimmung über dieses Gesetz beschließen, erläuterte Staatsrechtler Wieland. Daraufhin sei es nach Artikel 60 Absatz 3 der Landesverfassung möglich, den "fiktiven Konflikt" zwischen Landtag und Regierung durch das Volk zu lösen. Die Lösung des Vertragswerks sei aber nur möglich, indem man die Bahn entschädige.

Sollte die Landesregierung dem Vorschlag nicht zustimmen, will die SPD nach der Landtagswahl 2011 bei entsprechender Mehrheit einen Volksentscheid durchsetzen, kündigte SPD-Generalsekretär Peter Friedrich an.

Unterstützung hatte die Südwest-SPD durch die SPD-Bundestagsfraktion erhalten. Sie setzt sich für den Stopp des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 bis zu einer Volksabstimmung ein. Dazu brachte die Fraktion am 14. September 2010 einen entsprechenden Antrag im Bundestag ein.

Einen Tag später schloss sich auch die SPD-Fraktion im Landtag der Forderung nach einem Baustopp an. Parteichef Nils Schmid sagte, bis zu einer möglichen Volksabstimmung dürften nicht täglich neue Fakten geschaffen werden. Er warf der CDU vor, auf Konfrontation zu setzen.

Stefan Mappus, Foto: STM-BWDer damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) räumte einem möglichen Volksentscheid zu Stuttgart 21 wenig Chancen ein. "Wir haben ein Projekt, das in über 20 Jahren vom Gemeinderat der Stadt Stuttgart, der Region Stuttgart, dem Landtag und dem Bundestag entschieden worden ist, in dem Planfeststellungsverfahren abgeschlossen worden sind, das durch alle Rechtsinstanzen gegangen ist und wo der Bau durch den Bauherrn Deutsche Bahn AG bereits begonnen wurde. Der Bauherr hat also das Recht erworben, zu bauen. Dann kann man nicht irgendwann danach kommen und sagen, man müsse noch einmal darüber abstimmen. Ich glaube nicht, dass es verfassungsrechtlich o.k. ist. Aber ich glaube auch nicht, dass es den Bürgern vermittelbar wäre, wenn man einfach als Gesetzgeber eine 180-Grad-Wende hinlegt und genau das Gegenteil von dem beschließt, was man in der Vergangenheit gemacht hat." Dennoch werde man den Vorschlag der SPD prüfen.

Nach dem abgesagten runden Tisch sagte Mappus: "Unser Gesprächsangebot gilt fort. Nach meiner festen Überzeugung liegt in einem offenen und fairen Dialog zwischen Projektbefürwortern und -gegnern unverändert eine wichtige Chance, eine Versachlichung der öffentlichen Diskussionen zu erreichen. Ich appelliere daher trotz der Absage an die Projektgegner, sich einem konstruktiven Austausch nicht zu verweigern."

Mappus kündigte am 14. September 2011 an, der Heidelberger Verfassungsrechtler Paul Kirchhof und der Jurist Klaus-Peter Dolde sollen jetzt prüfen, ob ein Volksentscheid über das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 zulässig ist. Er wolle nicht in Verdacht stehen, dass das Thema intern weggebügelt werde, betonte Mappus. Die Verfassungsrechtler kamen zu dem Schluss, eine Volksabstimmung über ein "Ausstiegsgesetz" ist verfassungswidrig. Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags und der SPD kamen dagegen zum Ergebnis: Ein Volksentscheid zu Stuttgart 21 ist möglich.

Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler solle im Konflikt um Stuttgart 21 vermitteln. Das schlug Stefan Mappus in seiner Regierungserklärung am 6. Oktober 2010 im Stuttgarter Landtag vor. Unterstützt wurde der Vorschlag von der Südwest-SPD und der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Landtag, die Geißler schon vorher als Brückenbauer vorgeschlagen hatten. In seiner Rede sprach er sich dafür aus, gemeinsam einen Rahmen dafür zu schaffen, dass der Dialog möglich wird und dass die Sachargumente wieder die Diskussion bestimmen. Er bot den Gegnern neue Gespräche über das Jahrhundertprojekt an. Mappus betonte, bis Sommer 2011 sollten keine weiteren Bäume gefällt und auf den Abriss des Südflügels des Bahnhofs vorerst verzichtet werden.

Schlichtung Stuttgart 21
Dr. Heiner Geißler, Foto: Inforadio, Public Domain"Das ist ein neuer Weg, der ist so noch nie beschritten worden. Es ist ein neuer Weg, zur Interkommunikation zwischen Zivilgesellschaft und parlamentarischer Demokratie zu kommen," so der von Stuttgart 21-Projektbefürwortern und -gegnern eingesetzte Schlichter Dr. Heiner Geißler. Es gehe um eine Sach- und Fachschlichtung, in ihr sieht er den einzigen Weg, aus der verfahrenen Situation herauszukommen. Die Schlichtung soll den politischen Handlungsspielraum um Elemente der unmittelbaren Demokratie erweitern. Sie soll zum Vorbild für umfassende Information der Öffentlichkeit bei schwierigen Großprojekten werden. ...mehr

 

Tanja Gönner, Foto: STM-BWDie frühere Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) sagte zu, die Forderung der SPD nach einem Volksentscheid zusammen mit dem Innenministerium und dem Justizministerium über das Bahnprojekt Stuttgart 21 von Verfassungsrechtlern prüfen lassen. Das Projekt sei in nahezu 20 Jahren intensiv erörtert worden und sei zum Teil mehrfach durch alle dafür zuständigen Gremien und Instanzen gegangen. Alle erforderlichen rechtlichen Genehmigungen seien ebenso wie die demokratischen Beschlüsse der zuständigen Parlamente und das Plazet aller befassten Gerichte erteilt worden. "Das Projekt ist nach unseren rechtsstaatlichen Prinzipien und den geltenden demokratischen Spielregeln legitimiert", sagte Gönner. Aus diesem Grund habe die Deutsche Bahn AG als Bauherrin und Projektträgerin durch die Bundesbehörde Eisenbahnbundesamt das Baurecht erhalten. Sie habe also einen Anspruch auf die Projektrealisierung. Das Land selbst sei außerdem durch einen Vertrag mit finanziellen Verpflichtungen am Projekt beteiligt, die im Staatshaushaltsgesetz verankert seien und vom Landtag beschlossen wurden. "Es ist schwer vorstellbar, zum jetzigen Zeitpunkt noch einen Volksentscheid herbeizuführen, in dem das Land als Vertragspartner dazu aufgefordert werden könnte, vertragsbrüchig zu werden", erklärte Ministerin Gönner. Es müsse deshalb sehr sorgfältig geprüft werden, ob die Landesverfassung den dazu notwendigen Spielraum enthalte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Bahn-Projekt Stuttgart 21 vehement verteidigt und die SPD-Forderung nach einer Bürgerbefragung abgelehnt. Merkel sagte in der Generalaussprache über den Bundeshaushalt 2011 am 15. September: "Wir brauchen keine Bürgerbefragung. Die Landtagswahl im nächsten Jahr, die wird genau die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, über Stuttgart 21 und viele andere Projekte mehr." Zudem kritisierte Merkel SPD und Grüne dafür, an den Beschlüssen für Stuttgart 21 zu rütteln. "Die Grünen sind immer für die Stärkung der Schiene. Und wenn's dann mal um einen neuen Bahnhof geht, sind sie natürlich dagegen", sagte die Kanzlerin. Auch die SPD sei jahrelang für Stuttgart 21 gewesen: "Und jetzt, wo man ein bisschen dafür kämpfen muss, da fangen sie an, dagegen zu sein."

Ulrich Goll (FDP) sagte: "Bürgerbeteiligung durch Bürgerbegehren und Volksabstimmungen im Land halte ich grundsätzlich für sinnvoll und begrüßenswert. Aber es macht einen großen Unterschied, ob man eine Bürgerbeteiligung während der Planungsphase durchführt oder erst dann, wenn schon jahrzehntelang geplant und entschieden wurde, alle Verträge geschlossen sind und die Bauarbeiten begonnen haben. Wem die Ergebnisse einer langen Diskussion mit vielen Abstimmungen nicht gefallen, an denen er als Volksvertreter selbst über Jahre mitgewirkt hat, kann doch jetzt nicht einfach die Verfassung ändern wollen, und das Volk stimmt solange ab, bis dann das gewünschte Ergebnis herauskommt. "

Der Vorsitzende der FDP/DVP-Landtagsfraktion, Dr. Hans-Ulrich Rülke, hatte die Kehrtwende der Landes-SPD scharf kritisiert. Aus der Sicht Rülkes tut die Landes-SPD alles, um künftig nicht mehr ernst genommen zu werden. "Als jemand, der vom Sport kommt, habe ich ein Problem damit, wenn jemand bei Halbzeit die Spielregeln ändern will, nur weil ihm der Spielverlauf nicht passt", sagte der FDP-Fraktionschef.

Die Landesvorsitzenden der Grünen Silke Krebs und Chris Kühn sowie Winfried Kretschmann hatten den Vorschlag der SPD, zu Stuttgart 21 einen Volksentscheid durchzuführen, grundsätzlich begrüßt. "Wir kennen den Vorschlag zwar nicht im Detail, wenn die SPD aber einen praktikablen und juristisch einwandfreien Vorschlag vorlegt, das Volk entscheiden zu lassen, dann unterstützen wir das ausdrücklich. Die Grünen setzen sich für einen sofortigen Baustopp ein."


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