Gert Kollmer-v. Oheimb-Loup

Wirtschaft in der Nachkriegszeit



Wie bekannt, war die berühmte Rede von Außenminister James Francis Byrnes an die deutschen Ministerpräsidenten am 6. September 1946 in Stuttgart Ausdruck der von Truman eingeleiteten allmählichen Neuorientierung der amerikanischen Deutschlandpolitik.


Wirtschaftlicher Wiederaufbau

Die USA hatten schon im Dezember 1945 die Potsdamer Deklaration zu interpretieren begonnen und die Absicht verneint, der deutschen Wirtschaft auf alle Zeiten Beschränkungen aufzuerlegen. Jetzt, veranlaßt durch die Erfahrungen der Politik der Sowjetunion, vollzogen die USA neun Monate später einen wichtigen Schritt: Byrnes gab die Botschaft der künftigen US-Politik vor den versammelten deutschen Ministerpräsidenten in Stuttgart am 6. September 1996 bekannt: "... dem deutschen Volk solle doch nicht das Recht beschnitten werden .. , seine Industrie für friedliche Zwecke wieder aufzubauen".1 Die USA und das westliche Europa hatten neben humanitären und politischen Beweggründen ein vitales Interesse daran, die deutsche Industrie nicht dem Ruin preiszugeben.


Bizone

Das politische Mißtrauen der westlichen Alliierten gegenüber der Sowjetunion bestätigte sich auf der Moskauer Konferenz im März 1947. Es zeigte sich, daß nicht einmal die im Potsdamer Abkommen vorgesehene wirtschaftliche Einheit Deutschlands verwirklicht werden konnte. Das führte zur raschen Bildung der Bizone mit zentralen deutschen Verwaltungsstellen für Finanzen, Verkehr, Nachrichten- und Postwesen, Landwirtschaft sowie Industrie und Außenhandel im Juni 1947. Der Aktionsradius des Vereinigten Wirtschaftsgebietes war zunächst auf wirtschaftliche, soziale und finanzielle Befugnisse beschränkt. Ein Anfang zur Überwindung der chaotischen Zustände bei Kriegsende war damit gemacht und führte zwei Jahre später zur Gründung der Bundesrepublik.2


Politische Rahmenbedingungen

Die Byrnes-Rede signalisierte also die Regelung der politischen Rahmenbedingungen, die die nötige Sicherheit geben sollten, um die west- deutsche Wirtschaft wieder aufbauen zu können. Mit den allseits bekannten Begriffen wie Währungsreform, Soziale Marktwirtschaft, Erhardsche Wirtschaftspolitik und Gründung der Bundesrepublik verbindet die heutige Generation zumeist das Schlagwort vom Wirtschaftswunder.

Die Meinung vom schnell erfolgten wirtschaftlichen Wiederaufstieg spätestens nach der Währungsreform entspricht jedoch nicht den historischen Tatsachen. Im Gegenteil: Die soziale Marktwirtschaft lief nach der Währungsreform mehrfach Gefahr, außer Kraft gesetzt werden zu müssen. und daß errungene gesellschaftliche Freiheiten wieder hätten rückgängig gemacht werden müssen.

So einfach, wie manche Wirtschaftswissenschaftler es sehen, wenn sie die These aufstellen, daß wirtschaftliche Wachstumsprozesse die Tendenz besitzen, nach einer Unterbrechung wieder automatisch zum Wachstumspfad zurückzukehren, kann für die hier untersuchten Jahre 1945 - 1952 nicht bestätigt werden.3 Vielmehr bot sich den Verantwortlichen der deutschen Wirtschaftspolitik ein unterschiedliches Wachstum und über mehrere Jahre eine schwierige Situation mit vielen Unbekannten und kaum abschätzbaren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Folgen.


Schwierigkeiten der Nachkriegswirtschaft

Um diese Probleme aufzuzeigen, sollen einige ausgewählte Themenkreise beleuchtet werden, die die Schwierigkeiten der Nachkriegswirtschaftwirtschaft deutlich werden lassen. Als Schwerpunkte werden im folgenden zunächst der Kapitalstock - d.h. der Bestand an Maschinen und zu Produktionszwecken genutzten Grundstücken und Gebäuden -, die Kriegsschäden und Demontagen, sowie die Situation des deutschen Außenhandels geschildert, um dann das zentrale Thema zu behandeln: der Kapitalmangel mit dem daraus resultierenden Problem von mittel- und langfristigen Krediten für die Wirtschaft. In diesen Zusammenhang gehören auch die Fage nach einer adäquaten Steuerpolitik und die Folgen des Marshallplans. Die zeitliche Entwicklung wird dann weiterverfolgt bis zur Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit dem Koreaboom 1952.


Ökonomische Einflußfaktoren

Die von Rolf Krengel vom Institut für Wirtschaftsforschung 1955 durchgeführte Untersuchung über die Entwicklung des Anlagevermögens der westdeutschen Industrie von 1914 - 1955 hat überraschende Ergebnisse hervorgebracht. Die Kriegsschäden und Demontagen wurden durch eine erhebliche Investitionstätigkeit während des Krieges völlig kompensiert. Von Mai 1945 bis Mitte 1948 stagnierten die Investitionen. Zwischen Mitte 1943 bis zur Währungsreform 1948 sank das Bruttoanlagevermögen zwar von 72 Mrd. RM im Jahresdurchschnitt auf 57 Mrd. RM bis Juni 1948. Dies entsprach jedoch dem Bruttoanlagevermögen von 1939. Der Kapitalstock in Deutschland war 1945 im technischen Sinne bemerkenswert modern. Dies zeigt der Altersaufbau des Brutto-Anlagevermögens zum 1.1.1948. So waren die Bausubstanz im Bergbau- und Grundstoffsektor sowie im Investitionsgütersektor zu 40% geringer als 10 Jahre zuvor. Der Maschinenpark und die gesamte betriebliche Ausrüstung war im Bergbau und in der Grundstoffindustrie zu 64% und bei der Investitionsgüterindustrie zu 58% unter zehn Jahre, in beiden Bereichen zu ca. 25% weniger als 5 Jahre alt. Nach diesen Berechnungen lag das Problem nicht in der Überalterung des Maschinenparks.4 Allerdings lag die Produktionsbereitschaft zwischen 1945 und 1948 geringer als 1939, da Kriegsschäden und Demontagen am Anlagevermögen an zahlreichen Stellen Produktionsengpässe schufen. Und hier beeinträchtigten dann doch die Kriegseinwirkungen die deutsche Industrie, insbesondere die im Südwesten beheimatete exportorientierte Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie.


Besondere Bedingungen in der französischen Zone

Vor allem die Industrie der französischen Zone litt in besonderem Maße unter den starken Maschinenentnahmen, insbesondere in der ersten Phase 1945/46. In Südbaden wurde die feinmechanische und optische Industrie, aber auch die Werkzeugmaschinenindustrie auf 50% des Leistungsstandards von 1936 durch Demontagen geschwächt. Stärker als die Demontagen wirkten auf die anlaufende Industrieproduktion die durch den Krieg unterbrochene und eingeschränkte Stromversorgung, unzureichend funktionierende Transportmittel, fehlende Grundstoffe und Rohprodukte sowie Halbfertigfabrikate. Infolge der hohen deutschen Reparationsleistungen flossen Rohstoffe und Strom - noch 1948 wurden 73 Prozent des erzeugten Stroms nach Frankreich geliefert - vor allem nach Frankreich ab. Besonders die infolge Kohleknappheit, Überalterung der Kraftwerksanlagen mit entsprechender Störanfälligkeit und durch eine bei hohem Stromverbrauch reduzierte Frequenz und Spannungsabfälle bis 1949/50 ungenügende Energieversorgung machte der Industrie erhebli- che Schwierigkeiten5.

Für die exportorientierte südwestdeutsche Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie war die Lage noch erschwert durch die Abhängigkeit von Zulieferern, die sich teilweise in allen deutschen Zonen befanden. Neben bürokratischen Hindernissen bestand die Schwierigkeit, daß für beschädigte oder demontierte Zulieferer, die vor allem für einen Hersteller arbeiteten, kaum Ersatz zu finden war und die Herstellung von Spezialfertigungsteilen nicht mehr möglich war. Ursache dafür war auch, daß die kleinen bis mittelbetrieblichen Zuliefererbetriebe regional zerstreut waren und in den Stadtkernen ansässig waren. Mit diesen Schäden wurde das auf dem Prinzip der Arbeitsteilung aufgebaute Strukturgefüge der Exportindustrie empfindlich getroffen und teilweise auch zerschlagen.6 Die kurze Skizzierung der durch Kriegshandlungen und Demontagen erfolgten Schäden macht deutlich, daß in umfangreicher Weise die Bereitstellung von Kapital in Form von Krediten Grundvoraussetzung war, um die deutsche Wirtschaft überhaupt wieder am internationalen Geschäft teilhaben zu lassen.


Im- und Exportmonopol der Besatzungsmächte

Ein weiteres Problem stellte der Außenhandel dar. Die Alliierten hatten von Anfang an ein allgemeines Außenhandelsverbot über Deutschland verhängt. Es war keiner deutschen Firma gestattet, im Ausland einzukaufen oder zu verkaufen, der Ex- und Import lag ausschließlich in den Händen der Besatzungsmächte. In der Bizone wurden diese Aufgaben der Joint Export-Import Agency (JEIA) übertragen.7 Im Laufe des Jahres 1948 wurde die entsprechende Institution der französischen Besatzungszone, des sogenannten OFICOMEX mit der JEIA vereinigt. Bis zum Petersberger Abkommen im November 1949, also erst viereinhalb Jahre nach Kriegsende, bekam die Bundesrepublik Deutschland die Vollmacht, Verhandlungen über Zahlungs- und Handelsabkommen selbst zu führen, was dann das Ende des alleinigen Außenhandelsmonopols der JEIA bedeutete.8


Hauptsächliche Probleme

Aus diesem System ergaben sich folgende Probleme für die westdeutsche Wirtschaft:

1. Alle Exporte waren in Dollar-Währung zu bezahlen. Die Ausfuhren betrafen jedoch nur zu einem ganz geringen Teil die Vielfalt klassischer deutscher Verbrauchs- und Investitionsgüter, zu deren Fertigung die deutsche Wirtschaft, insbesondere die südwestdeutsche Industrie traditionell prädestiniert war. Der Löwenanteil der Exportgüter waren Grundstoffe wie Holz, Kohle oder Schrott, die die deutsche Wirtschaft selbst dringendst benötigte. Die Ausfuhrrate westdeutscher Güter war entsprechend gering, sie belief sich 1948 auf 642 Millionen Dollar.9

2. Die Exporterlöse reichten nicht annähernd aus, um die notwendigsten Einfuhren zu decken, so daß die Rohstoffknappheit in hohem Maße das Produktionsgeschehen bestimmte und immer wieder zu Produktionseinbußen führte.10

3. Ein Hauptproblem bestand vor der Währungsreform im Juni 1948 auch darin, daß die JEIA für westdeutsche Exportwaren maximale Preise erzielen wollte und dem Lieferanten nur einen möglichst niedrigen Reichsmark-Satz zu Inlandsfestpreisen gewährte.11

4. Da außer den USA alle anderen europäischen Länder infolge der dort ebenfalls stark auftretenden wirtschaftlichen Probleme nach dem Zweiten Weltkrieg unter starkem Devisenmangel litten, konnten keine deutschen Waren, die in Dollar zu entrichten waren, importiert werden, so daß die Dollar-Klausel die Rückkehr der deutschen Wirtschaft zum Weltmarkt verhinderte.

5. Mit der Währungsreform wurde ein einheitlicher Umrechnungskurs von 30 Cents für 1 DM, allerdings bei Beibehaltung der Dollar-Klausel, festgelegt. Der 30-Cent-Kurs hatte jedoch zwei Seiten: Zum einen verbilligte er die Importe und führte zu einer besseren Sicherung der Rohstoffdecke. Zum anderen ermöglichte er den absatzfähigen deutschen Gütern einen hohen Devisenerlös, was erneut zu Problemen führte: vielen Exporteuren galt der festgelegte Umrechnungskurs als zu hoch. Der starke ausländische Wettbewerb machte der deutschen exportorientierten Wirtschaft sehr zu schaffen, da eine große Anzahl deutscher Waren zum 30-Cent-Kurs häufig nur noch schwer absetzbar war. Auch nach dem Zeitpunkt der Währungereform litt das Ausland unter chronischem Dollarmangel. Auch nach der Währungsreform wurde der 30-Cent-Kurs aus Stabilitätsüberlegungen beibehalten. Eine Herabsetzung des Umrechnungskurses hätte eine Erhöhung der Lebensmittel- und Rohstoffpreise bedeutet, was eine Erhöhung der Löhne nach sich gezogen hätte. Erhard entschied sich, die Probleme der Produktionsgüterindustrie wie Rationalisierung und Modernisierung nicht vorrangig anzugehen. Ihm ging es zunächst darum, die Währung stabil zu halten, also die Wirtschaft nicht der Gefahr einer LohnPreis-Spirale auszusetzen.12

Wollten deutsche Industrien mit hohen Exportaussichten, wie z. B. die Textil-, Maschinenbau-, Chemie- oder Elektroindustrie überhaupt am Weltmarkt wettbewerbsfähig sein, so mußte sie mit rationellen Produktionsmethoden gute Qualitäten anbieten, wozu vor allem die amerikanische oder Schweizer wie auch japanische Industrie fähig war. Vor allem in den USA wurde während der ganzen Kriegszeit im Gegensatz zu den europäischen kriegsbeteiligten Ländern auch der Friedensproduktion große Aufmerksamkeit geschenkt und auf Rationalisierung und Massenproduktion geachtet. Um dies zu erreichen, bedurfte es jedoch umfangreicher Kredite zur Errichtung eines modernen, funktions- und leistungsfähigen Maschinenparks.13

6. Erschwerend kam noch hinzu, daß die deutsche Industrie infolge der zehnjährigen Unterbrechung der Kontakte ein hohes Nachholbedürfnis an Informationen über die Auslandsmärkte besaß. Neben Rohstoff- und Energiemangel herrschte auch ein Defizit an Kenntnissen modernen Marketings. Um im internationalen Markt wieder Fuß fassen zu können, wäre eine weltweite Kontaktpflege notwendig gewesen. Die dafür erforderlichen Investitionskosten waren jedoch für die Unternehmen zunächst nicht finanzierbar, da auch hierzu das nötige Betriebskapital fehlte.


Neugestaltung des Geldwesens

Bei der Darstellung der Produktionssituation und des Außenhandels wurde deutlich, daß die Industrie in der Rekonstruktionsphase vor allem des Geldwesens Kredite benötigte. Voraussetzung für diese Forderung war jedoch eine Neugestaltung des Geldwesens. Vor der Währungsreform war das Land ohne Währung. Die Reichsmark hatte ihre wichtigste Funktion eingebüßt, mit ihr konnten weder Gewinne noch Verluste berechnet werden, noch war sie als Tauschmittel zu verwenden. Ein unentbehrliches Instrument einer modernen Volkswirtschaft war gestört. Eine Nutzung der vorhandenen Produktionsmöglichkeiten und die Rückkehr zum Weltmarkt war ohne eine Reform des Geldwesens nicht mehr möglich. So entschlossen sich die Alliierten, die Reichsmark zwangsweise schnell zu beseitigen und den Aufbau eines neuen Zentralbanksystems zu forcieren, das den zukünftigen Geldumlauf regulieren sollte. Ungewiß war, welche Geldmenge belassen werden konnte, wenn die vorhandene Zwangswirtschaft ohne nennenswerte Preissteigerungen in eine stufenweise freie Marktwirtschaft überführt werden sollte.14


Notwendige Investitionen

Wie schon erwähnt, stand auch nach der Währungsreform nach wie vor die Verfügbarkeit ausreichender Mittel und langfristiger Kredite für die Bauindustrie, die gesamte Produktionsgüterindustrie sowie viele andere Industrien, die vor der unaufschiebbaren Notwendigkeit langfristiger Investitionen standen, im Vordergrund. Allen voran die Investitionsgüterindustrie, die traditionell im Südwesten beheimatet war. Diese stark exportorientierte Branche büßte mit einem zum Teil veralteten, ausgefahrenen und durch Demontage und Kriegseinwirkung geschwächten Maschinenpark an Konkurrenzfähigkeit ein. Neben dem Maschinenersatz waren umfangreiche Investitionen in Gebäude nötig. Auch mußte manche Produktion lange vorfinanziert werden, bis Erlöse eingingen.15

Wie konnte nun die Kapitalbeschaffung aussehen? Dafür kommen generell drei Wege in Betracht:

1. Durch envirtschaftete Gewinne, also durch Selbstfinanzierung

2. Durch Aufnahme von mittel- und langfristigen Krediten

3. Durch steuerliche Maßnahmen

Wenden wir uns zuerst der Selbstfinanzierung zu. Investitionen aus eigener Kraft konnten von den Unternehmen in der Regel nicht geleistet werden: zum einen lag dies an der zu geringen Kaufkraft der Bevölkerung, und zum anderen an der zu einseitig orientierten Kaufkraft, die fast ausschließlich in kurzlebige Konsumgüter ging. Die Ursachen dafür sind in einem hohen Nachholbedarf der Bevölkerung zu suchen, die mit fortschreitendem Kriegsverlauf zunehmend Konsumverzicht üben mußte.


Selbstfinanzierung

Mit dem Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform vom 24. Juni 1948 wurde die Preisbindung und Rationierung im Bereich der industriellen Fertigung und weniger dringlicher Nahrungsmittel aufgehoben. Mit diesem Leitsätzegesetz erhielt Ludwig Erhard die Vollmacht, die herrschende Wiederaufbaustrategie auf den Kopf zu stellen. Wurde bisher die Produktionsgüterindustrie mit allen - wenn auch unzureichenden - Mitteln auf Kosten des Verbrauchsgütersektors bevorzugt, förderte er nun durch gezielte Entlassung aus den Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften die Konsumgüterindustrie. Dies bedeutete eine wirtschaftspolitische Verlagerung der Führungsrolle vom Produktionsgüter- zum Konsumgüterbereich. Der größte Teil der südwestdeutschen Industrie gehörte traditionell zum exportorientierten mittelständischen Produktionsgüterbereich. Jedoch können Investitionsgüter- und Konsumgüterindustrie nicht isoliert von einander betrachtet werden - auch die Konsumgüterindustrie benötigt bei steigender Nachfrage Investitionsgüter. Im Zentrum stehen dabei zwei Fragen. Erstens: Reichten die Gewinne der Konsumgüterindustrie aus, um Investitionsgüter anschaffen zu können, und zweitens: stellte die Konsumgüterindustrie dem Investitionsgüterbereich ausreichend Kapitalmittel zur Verfügung, um die notwendigen Investitionen durchführen zu können? Beides war nicht der Fall. Dafür gab es eine Reihe von Gründen: Zwar herrschte in der Phase der Währungsreform im Juni 1948 bis zum Ende des Jahres ein regelrechter Kaufrausch, der zu beträchtlichen Unternehmergewinnen als Folge der Knappheit des Angebots führte - nicht zuletzt, weil die Preissteigerungen höher waren als die Kostensteigerungen. Der Boom war jedoch zu kurz, um eine Belebung der Investitionsgüterindustrie auszulösen. Die Gewinne flossen zuerst in die Finanzierung der Produktion, in Reparaturen, in den Import von Rohstoffen sowie in eine höhere Lagerhaltung aus spekulativen Gründen. Vor allem der Handel wurde in dieser kurzen Phase überliquide. Was in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 vielversprechend aussah, blieb ein Strohfeuer. Bereits zu Beginn des Jahres 1949 zeigte sich, daß die Kopfgelder schnell verbraucht waren, die Festgelder nur zurückhaltend der Bevölkerung zugänglich gemacht wurden und die Konsumausgaben infolge Kapitalknappheit und der allgemein schwierig werdenden Konjunktur wieder zurückgingen. Bereits 1949 stieg die Arbeitslosenquote rapide an, das Wirtschaftswachstum ging zurück infolge von Geldverknappung und fehlenden Krediten, was wiederum zu einer sinkenden Inlandsnachfrage sowohl im Konsum- als auch im Investitionsgüterbereich führte. Verstärkt wurde diese negative Entwicklung durch die zurückgehende Auslandsnachfrage infolge des größeren Wettbewerbdrucks aus dem Ausland. Ferner ging die Kaufkraft durch die inflatorische Entwicklung im Spätherbst des Jahres 1948 zurück.16 Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Konsumgüterindustrie allein den Wirtschaftsmotor nicht dauerhaft in Fahrt brachte. Dafür erfolgte die Kapitalbildung zu einseitig im Handel und in den Konsumgüterbereichen und es fehlten Kredite im Investitionsgüterbereich.


Kredite

Betrachten wir nun die Möglichkeit der Aufnahme von mittel- und kurzfristigen Krediten. Es gibt in der Tat mehrere gewichtige Gründe, weshalb die Kreditversorgung der Wirtschaft, insbesondere der Investitionsgüterindustrie, zu einem Engpaß wurde. Ein zentraler Punkt ist dabei die Vernichtung des Sparkapitals durch die Währungsreform. Das Umstellungsgesetz, eines der drei wichtigsten Gesetze der Währungsreform, hatte den Sparwillen der zahlenmäßig übewiegenden Kleinsparer erschüttert. Durch die Umstellung der Altgeldguthaben im Verhältnis 10 zu 1, von denen zunächst einmal der neunfache Betrag des ausgezahlten Kopfgeldes abgesetzt wurde, fühlten sich die Sparkontenbesitzer ihrer Ersparnisse beraubt. Vom Neugeldguthaben war aber nur die Hälfte frei verfügbar, der Rest wurde auf einem gesperrten Festkonto gutgeschrieben. Über das dort festgeschriebene Sparkapital wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt. am 4. Oktober 1948, bestimmt, das dann noch einmal gekürzt wurde.17 Das Umstellungsgesetz führte dazu, daß die Neubildung von Sparguthaben, die für langfristige Kredite als dringend notwendige Voraussetzung angesehen wurden, empfindlich behindert wurde. Nur bei einem Bodensatz an Sparguthaben war es den Banken möglich, langfristig zu disponieren. Durch mangelnde Selbstfinanzierung und Kapitalknappheit in der Bevölkerung war auch die Verfügbarkeit von Kapitalmarktmitteln aus Inlandsquellen, gemeint sind Aktienkäufe, unbedeutend. Auch Hypothekenbanken waren nur dann in der Lage, langfristige Kredite zu geben, wenn der Pfandbriefmarkt florierte. Aber Geldanlagen in längerfristigen Anlagepapieren wurden nicht nachgefragt.18


Währungspolitische Maßnahmen

Eine weitere Möglichkeit, die Liquidität zu erhöhen, schlug aus politischen Gründen fehl: Der währungspolitische Ansatz, die Währungsreform mit dem notwendigen Lastenausgleich zu koppeln, wurde durch die alliierte Politik zunichte gemacht. Mit dem Lastenausgleich sollten Kriegssachgeschädigte und Heimatvertriebene einen ausreichenden Ausgleich ihrer Verluste erhalten, und zwar durch eine Umschichtung bestehender Vermögen, ohne daß die Produktivkraft der Unternehmen gefährdet sein sollte. Durch die Einbeziehung des Lastenausgleichs wäre vor allem der Mittelstand gestärkt worden, was wiederum zu einer Erhöhung der Sparquote und der Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern geführt hätte. Durch den Lastenausgleich wäre neben dem sozialpolitischen auch ein erheblicher wirtschaftspolitischer Effekt ausgelöst worden. Als langfristig angelegtes Programm hätte es den Mittelstandsbereich mit der höchsten Zahl von Arbeitskräften gestärkt, da die Lastenausgleichsleistungen im wesentlichen aus Aufbaudarlehen, Arbeitsplatzdarlehen, Hausratsentschädigungen und Wohnraumhilfe bestanden. Da eine Koppelung mit der Währungsreform nicht vollzogen wurde, blieb diese potentielle Kreditquelle ungenutzt.19


Kapitalbildung

Stellen wir uns in diesem Zusammenhang auch die Frage: wie sah die Hilfe durch Schaffung neuer Kapitalsammelbecken aus? Die Marshallmittel waren in naher Zukunft nicht greifbar. Zwar wurde in Aussicht gestellt, daß sogenannte Gegenwertfonds zur Finanzierung im Engpaßbereich des Wiederaufbaus eingesetzt werden sollten. Es handelte sich dabei um Mittel, die Importeure in deutscher Währung aufzubringen hatten, wenn sie Waren aus dem ERP-Programm einführten. Jedoch setzte die ERP-Finanzierung als Bruttoanlageinvestition erst 1949 ein. In diesem Jahr wurden sieben Prozent der Bruttoanlageinvestitionen durch ERP-Mittel finanziert, 1950 waren es 13 Prozent, 1951 fiel die Hilfe auf 4,5 Prozent. Nach Erhards Vorstellungen sollte die Kapitalbildung vor allem in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie aus Marshallplanmitteln finanziert werden. Betrachtet man jedoch die Verteilung der ERP-Mittel im Jahre 1949, so wurde der Löwenanteil der Kredite für den Bahnbau, den Kohlebergbau, die Energieversorgung, die eisenschaffende Industrie sowie die Textilindustrie verwandt. Die Investitionsgüterindustrie war daran kaum beteiligt.20


Wirtschaftliche Lageberichte

Weil die erwirtschafteten Erträge für die erforderlichen Investitionen nicht ausreichten, ein Kreditanstoß durch einen Lastenausgleich in Verbindung mit der Währungsreform und eine sofortige Marshallplanhilfe nicht erfolgte, betrachten wir nun die Möglichkeiten für den Investitionsgütersektor, mittel- und langfristige Kredite erhalten zu können. Die Freigabe der Preise führte in den ersten Monaten nach der Währungsreform zu unerwünschten Konsequenzen: Der Preisindex stieg infolge des Nachfragebooms nach Konsumgütern erheblich und führte zur ersten Inflationskrise der DM. Der Inflationsschub ließ erst Ende 1948 nach. Neben einer ganzen Palette restriktiver Maßnahmen im zweiten Halbjahr 1948, bei der die Zentralbank an die Tradition deutscher Geldpolitik der 1920er Jahre anknüpfte, sprachen sich zur Vermeidung weiterer inflatorischer Wirkungen sowohl Erhard als auch der Zentralbankrat gegen eine Freigabe der Festgeldguthaben aus.21 Die westdeutsche Wirtschaftspolitik geriet in einen prekären Zielkonflikt: Stabilitätspolitik und Bekämpfung starker inflationärer Tendenzen auf der einen Seite und das immer dringender werdende Bedürfnis nach mittel- und insbesondere langfristigen Krediten bei der Investitionsgüterindustrie. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats bei der Verwaltung der Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes forderte noch am 11. Juli 1948 eine zielbewußte Investitionsfinanzierung, jedoch bei Beibehaltung eines hohen Zinsniveaus, eine investitionsfördernde Steuerpolitik und die Verwendung der gesperrten Festgelder für die Vorfinanzierung notwendiger Investitionen.22 Der Wissenschaftliche Beirat rückte am 3. September 1948 den Stabilitätsgedanken weiter in den Vordergrund und plädierte auch hier wieder für hohe Geldzinssätze.23 Die neue Regelung des Umstellungsgesetzes vom 4. Oktober 1948 durch den Erlaß des Festkontogesetzes folgte fast ausschließlich dem Gedanken der Stabilitätspolitik. Ohne hier auf die genauen Regelungen einzugehen, ist festzuhalten: die Altgeldbestände wurden bei der Umrechnung in DM auf einen minimalen Sockelbetrag reduziert. Von diesem wiederum war auch nur ein Teil frei verfügbar.24 Folglich waren die freigesetzten Beträge zu gering: Das Problem der Kreditrestriktion für den Aufbau der Investitionsgüterindustrie blieb bestehen.


Finanzbedarf

Dies zeigen auch die wirtschaftlichen Lageberichte der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes für das letzte Quartal 1948. Zwar vermerken die Berichte, daß wohl auch Investitions- und Grundstoffindustrien von einem gewissen Aufstieg erfaßt worden seien, räumen jedoch zugleich ein. daß es sich dabei vorwiegend um Stahl-, Hochofen- und chemische Werke handle sowie um Betriebe, die von den Aufbauprogrammen der Reichsbahn und des Bergbaus profitierten. Aber gerade die für den Südwesten typische mittelständische Investitionsgüterindustrie stand abseits und reihte sich noch nicht in die Aufschwungstendenzen ein.25 Die Lageberichte der Verwaltung für Wirtschaft stellen im zweiten Halbjahr 1948 fest, daß die Zunahme der Sparkonten äußerst gering sei. Die Festkontenregelung hatte Mißtrauen bei den Sparern hervorgerufen, die ihre freigegebenen Beträge, die sonst unter Umständen stehengeblieben wären, abhoben. Die Verwaltung für Wirtschaft bekannte ferner, daß die Frage des mittel- und langfristigen Kredits bislang noch immer keine Antwort gefunden hätte. Dies bedeutete, daß die Produktionsgüterindustrien mit ihren Zuliefererbetrieben, insbesondere die mittelständisch orientierten, sowie auch die Bauwirtschaft in den ersten Monaten nach der Währungsreform zunächst benachteiligt wurden, wobei hier auch noch mangelnde Hilfs- und Rohstoffversorgung eine wichtige Rolle spielten. Vor allem die Bauwirtschaft - eine der Schlüsselindustrien des Wiederaufbaus - befand sich in einer schwierigen Lage: Sie benötigte sofortige Kapitalhilfe für Löhne und Materialkosten, die aber mit kurzfristigen Krediten wie z. B. Wechsel nicht über Monate weiterfinanziert werden konnten.26 Immerhin dienten z. B. in Württemberg-Baden im Juli/August 1948 rund 80 Prozent aller Kreditgesuche der Ausbezahlung von Löhnen und Gehältern. Für Industrien mit hohen Exportaussichten, wie z. B. die Textil-, Maschinenbau-, Chemie- oder Elektroindustrie setzte dies aber voraus, daß die Produktionsbedingungen im Inland denen im Ausland wenigstens angeglichen waren. Dies erforderte langfristige Kredite zur Errichtung moderner und leistungsfähiger Maschinenparks in diesen Industrien.27

Wie es um die Bereitstellung mittel- und langfristiger Kredite aussah, veranschaulichen folgende Zahlen der Bank Deutscher Länder und der württemberg-badischen Geschäftsbanken. Während die Statistik der Bank Deutscher Länder bereits im Dezember 1948 beinahe 4,4 Milliarden DM an kurzfristigen Krediten der Banken außerhalb des Zentralbanksystems ausweist, werden Zahlen über mittel- und langfristige Kredite überhaupt erst für November und Dezember in Höhe von 200 bzw. 400 Millionen DM notiert. Ähnlich lauten die Angaben für Württemberg-Baden. Dort beginnt die Statistik für kurzfristige Kredite bereits ab Juli 1948 mit 117 Millionen DM, die sich bis Dezember 1948 vervierfachen. Zahlen für mittel- und langfristige Kredite liegen wie bei der Bank Deutscher Länder erst ab November vor und betragen in diesem Monat 19, im Dezember 62 Millionen DM. Die baden-württembergische Geschäftsbankenstatistik für mittel- und langfristige Kredite vom November 1948 weist aus. daß nur rund 5 Prozent dieser Kredite an Wirtschaftsunternehmen ging. Erst ab April 1949 waren dann nennenswerte Zunahmen zu verzeichnen, die in der zweiten Jahreshälfte noch einmal anstiegen, jedoch im Dezember erst rund ein Fünftel aller Kredite an Wirtschaftsunternehmen ausmachten.28


Steuerpolitische Maßnahmen

Wie sah es nun mit den steuerpolitischen Maßnahmen nach der Währungsreform aus? Um dem Mangel an mittel- und langfristigen Krediten abzuhelfen, sollten im Vordergrund der steuerpolitischen Überlegungen Maßnahmen stehen, die der Bildung des betrieblichen Eigenkapitals dienten. Mit dem Militärregierungsgesetz Nr. 64 vom Juni 1948 wurden die vom Kontrollrat seit Februar 1946 verfügten Steuersätze gemildert, sie erbrachten jedoch nur eine Steuererleichterung für kleinere und mittlere Einkommen.29 Erst im zweiten Gesetz zur Neuordnung der Steuern vom April 1949 wurden der Industrie verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet. Der in der Einkommensteuer neu eingeführte § 7 a ermöglichte eine gewisse Bewertungsfreiheit für Ersatzbeschaffungen beweglicher Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens. Die Abschreibungsfreiheit betrug innerhalb von zwei Jahren bis zu 50 Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten, durfte jedoch 50.000,-- DM nicht überschreiten. In dieselbe Richtung zielte auch die in § 10 geregelte Vergünstigung, wonach die Hälfte des entnommenen Gewinns bis zur Höhe von 10 Prozent des Gesamtgewinns als Sonderausgabe vom Gesamtbetrag der Einkommen abzugsfähig war. Ferner wurde der Höchstsatz der Körperschaftssteuer von 65 auf 50 Prozent gesenkt.30 Jedoch wurden erst über ein Jahr nach der Währungsreform größere Steuervorteile für die Kapitalbildung der Unternehmen durch das DM-Bilanz-Gesetz vom 21. 8. 1949 erzielt. Das Gesetz verpflichtete zur Aufstellung einer DM-Eröffnungsbilanz für den 21. 6. 1948. Der Gesetzgeber hatte sich im Laufe der mit der Wärungsreform einsetzenden steuerpolitischen Diskussion zugunsten eines relativ großen Spielraums bei Neubewertungen entschieden. Das Betriebsvermögen konnte demnach hoch angesetzt werden, was den Unternehmen nach der Wähzungsreform die Möglichkeit einer erhöhten Abschreibung und Steuervorteile erbrachte.31


Nach der Währungsreform

Fassen wir zusammen und betrachten die Jahre nach der Währungsreform, die mit ihren gesetzlichen Regelungen nicht die notwendige Liquidität für die Wirtschaft verschaffen konnten. Mit der Währungsreform wurden ca. 90 Prozent aller geltenden Preisvorschriften außer Kraft gesetzt und der seit 1936 bestehende allgemeine Preisstop aufgehoben. Dies führte zwischen Juli und Dezember 1948 zu einem explosionsartigen Anstieg der industriellen Produktion im Konsumgüterbereich und zu einer einseitig aufgeblähten Konjunktur. Mit der Nachfrage stiegen aber auch die Preise und damit die Lebenshaltungskosten, die Folge war ein Anstieg der Löhne. Der freien Marktwirtschaft drohte die erste Inflationskrise. Die Regierung reagierte mit einem Lohn- und teilweisen Preisstop, das Jedermann-Programm wurde aufgelegt. Die Bank Deutscher Ländere wollte das Volumen des Bankkredits auf einer bestimmten Höhe halten und begenzte durch eine Mindestreservepolitik den Kreditspielraum der Geschäftsbanken.32 Damit endete zunächst der erste Anlauf zur freien Marktwirtschaft in erneuten dirigistischen Maßnahmen. Der künstlich geschaffene Boom im Konsumgüterbereich ging nach wenigen Monaten zu Ende. Die davon ausgegangenen Gewinneffekte im Handel und in der Konsumgüterindustrie waren verpufft, sie waren zu schwach und zu kurz, um den Motor der Volkswirtschaft am Laufen zu halten, geschweige denn, ihn längerfristig zu beschleunigen. Das Geld der Verbraucher aus Neugeldguthaben war aufgezehrt - was sollte unter diesen Bedingungen den Motor der Wirtschaft wieder in Gang bringen?

Am Beginn des Jahres 1949 stand die gesamte Wirtschaft, insbesondere die Investitionsgüterindustrie, vor großen Problemen: Der Preisindex der Lebenshaltung fiel wieder, infolge der Preisverordnungen nahmen die überhöhten Gewinne ab, die Konsumenten hatten jedoch ihr Neugeldguthaben verbraucht, die Sparrate blieb nahezu unverändert nieder, die Liquidität nahm überall ab und die Kreditklemme wurde noch stärker spürbar als in der zweiten Hälfte des Jahres 1948, und, was das Schlimmste war, die Arbeitslosigkeit stieg. Arbeitslosigkeit, der Verbrauch der Neugeldguthaben sowie der erste verrauschte Kaufboom unmittelbar nach der Währungsreform ließen die Nachfrage im Konsumgütersektor zu Beginn des Jahres 1949 rapide zurückgehen, die Reglementierung des Außenhandels mit den immer noch relativ kleinen Exportquoten, die fehlenden Aufträge aus dem Inland, dazu der starke Wettbewerb aus dem Ausland mit seinen besseren Qualitäten setzte die Flaute im Investitionsgüterbereich fort.33 Obwohl sich gegenüber der Zeit der Währungsreform die Produktion insgesamt ausweiten konnte, waren die Produktionskapazitäten selten ausgelastet. So kam es zur zweiten Krise der Marktwirtschaft, die das erste Halbjahr 1949 andauerte. Die Arbeitslosigkeit stieg von Monat zu Monat, vom 30. 9. 1948 zum ersten Quartal des Jahres 1950 von 5,5 auf 12,2 Prozent.34


Ausrichtung auf dem Weltmarkt

Die Auslandsmärkte rückten infolge der gelockerten Politik der Alliierten immer näher. Es war abzusehen, daß die Bundesrepublik wieder in den Weltmarkt zurückkehren konnte. Dafür bedurfte es aber einer besseren, moderneren und rationelleren Ausrüstung der Industrie und moderner Marketingstrategien, um an einem internationalen Wettbewerb teilhaben zu können. Zunehmend wurden nun die nicht getätigten Investitionen nach der Währungsreform spürbar. Die Situation wurde immer prekärer, so daß in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 wirtschaftspolitische Weichenstellungen unumgänglich wurden. Drei Maßnahmen kennzeichnen diese Monate.


"Marshallplan"

1. Schon im Vorfeld der Währungsreform wurde im April 1948 vom amerikanischen Kongreß das Auslandshilfegesetz, der sogenannte "Marschallplan", mit einer Gesamtleistung von 1,5 Milliarden Dollar für die Bundesrepublik verabschiedet. Die von Amerika importierten Güter mußten nicht sofort bezahlt werden. Für die exportierten Güter wurden die Zahlungen auf ein sogenanntes Gegenwertkonto verbucht, woraus vorzugsweise Kredite für Infrastrukturinvestitionen an gewisse Schlüsselindustrien zu niedrigen Zinsen gewährt wurden. Die Kredithilfe dieser Gegenwertfonds für die deutschen Produktions- und Investitionsgüterindustrien liefen im Mai/Juni 1949 an und erfaßten den Kohlebergbau, die
Grundstoffindustrien, die Energieversorgung, den Wohnungsbau sowie Teile der Textilindustrie. Das Investitionsprogramm bewirkte im Jahre 1949, daß ca. sieben Prozent der Bruttoanlageinvestitionen der Industrie damit finanziert werden konnten. 1950 war der Anteil mit 13 Prozent am höchsten.35


Abwertung der D-Mark

2. Bei den gegebenen Wechselkursen war es nahezu unmöglich, zu einem Handelsbilanzausgleich mit dem Dollarraum - also dem Wirtschaftsraum, in dem in Dollar verrechnet wird - zu kommen. So erfolgte im Dezember 1949 eine planmäßige Abwertung einer Vielzahl von Währungen gegenüber dem Dollar. Die DM wurde von bisher drei zu eins auf vier zu eins abgewertet. Der neue Kurs verbilligte die deutschen Waren im Ausland und verteuerte zugleich die Importe. Die Schwierigkeit bestand aber jetzt noch darin, daß viele mit Deutschland am Weltmarkt konkurrierenden Länder ebenfalls ihre Währungen abwerteten, zum Teil stärker als die Bundesrepublik, so daß sich in der deutschen Handelsbilanz am Ende des Jahres 1949 ein größeres Defizit als zuvor ergab.36


Petersberger Abkommen

3. Am 22. November 1949 schloß die Bundesrepublik Deutschland mit der Alliierten Hohen Kommission das Petersberger Abkommen. Der Bundesrepublik war es von da an möglich, selbständig mit anderen Staaten Handels- und Zahlungsabkommen zu treffen. Damit gelang der Bundesrepublik die Rückkehr zum Weltmarkt. Von nun an konnten Handelsabkommen mit steigenden Umsätzen geschlossen werden, und die Dollar-Abrechnung konnte mit einer frei gewählten Währung erfolgen.37

Aber auch diese Maßnahmen bewirkten keine schnelle und umfassende Änderung der wirtschaftlichen Situation. Im Gegenteil: Zu Beginn des Jahres 1950 war die Arbeitslosigkeit viermal so hoch wie am Tag der Währungsreform. Zwar sank der Preisindex der Lebenshaltung wieder auf den Stand unmittelbar nach der Währungsreform,38 was sich stabilitätspolitisch günstig auswirkte, jedoch fehlte nach wie vor ein ausreichender Auftragsschub für weite Bereiche der Industrie, insbesondere der Investitionsgüterindustrie. Zwar verstärkten sich, wie bereits erwähnt, im Laufe des Jahres 1950 die Investitionshilfen aus der Marshallplanhilfe, aber damit wurde die Konjunktur nicht auf breiter Basis dauerhaft angekurbelt. Übrigens sei an dieser Stelle angemerkt, daß die Auswirkungen der Marshallplanhilfe immer noch nicht ausreichend erforscht sind, um zu einer endgültigen Beurteilung gelangen zu können.39


Wirtschaftlicher Aufschwung durch den Koreakrieg

Der Anstoß für einen ausreichenden Konjunkturaufschwung kam nicht vom Binnenmarkt, sondern von außen: Der Ausbruch der Kriegshandlungen in Korea im Juni 1950. Damit wurde mit einem Schlag die Konjunktursituation der Weltwirtschaft und somit auch der westdeutschen Wirtschaft verändert. Zunächst setzte ein heftiger Aufschwung, getragen von der spekulativen Nachfrage nach Rohstoffen, übergreifend auf Investitionsgüter, Nahrungsmittel und Textilien ein. Hortungskäufe sowohl im Inland wie im Ausland beherrschten das Bild. Die veränderte weltwirtschaftliche Situation kam besonders der deutschen Wirtschaft zugute. Aufrüstung und Binnenkonjunktur in den westlichen Ländern regten deren Einfuhrbedarf kräftig an und es kam zu einer bislang nicht gekannten Expansion des Außenhandels. Westdeutschland befand sich mit seiner Industriestruktur in einer besonders glücklichen Lage. Es besaß die Investitionsgüterindustrien wie Maschinen- und Fahrzeugbau, elektrotechnische und chemische Produkte, deren Erzeugnisse sich auf dem Weltmarkt einer ständig steigenden Nachfrage erfreuten. Jetzt kam zum Tragen, daß vor allem die Investitionsgüterindustrie über große, bislang unausgelastete Kapazitäten verfügte. Der steigenden Nachfrage konnte dadurch rasch entsprochen werden. So stieg die Ausfuhr von 8,3 Mrd. DM im Jahre 1950 auf 16,9 Mrd. DM im Jahre 1952.40 Weitere Umstände begünstigten den Exporterfolg:

1. Relativ niedrige Preise deutscher Exportgüter durch günstige Wechselkurse.

2. Die rasch steigende Produktivität wurde nicht geschmälert, da es als Folge der Arbeitslosigkeit keine Lohnerhöhungen gab.

3. Die Preise für Importgüter, vor allem Rohstoffe, entwickelten sich günstig.

4. Eine vorsichtige und an Stabilität orientierte Geld- und Finanzpolitik.

Erst durch den mit der Koreakrise zunächst von außen ausgelösten Nachfrageboom gelang der Durchbruch zu einem sich selbst tragenden Wachstum der westdeutschen Wirtschaft.


1  Siehe Stuttgarter Zeitung vom 7. September 1946. Vgl. dazu auch Thilo Vogelsang: Das geteilte Deutschland, 6. Aufl., 1975, S. 33 f. Ferner Gustav Stolper, Karl Häuser und Knut Borchardt: Deutsche Wirtschaft seit 1870, Tübingen 1964, S. 229

2  Vgl. Georg Müller: Die Grundlegung der westdeutschen Wirtschaftsordnung im Frankfurter Wirtschaftsrat 1947 - 1949. Frankfurt a. M. 1982, S. 54 ff.

3  Vgl. dazu R.F. Harrod: An Essay on Dynamic Theory. In: Economic Journal 49 (1939), S. 14 ff. Franz Jánossy und M. Holló: Das Ende der Wirtschaftswunder. Erscheinung und Wesen der wirtschaftlichen Entwicklung. Frankfurt a. M. 1969

4  Vgl. Rolf Krengel: Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigte der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik von 1924 bis 1996 (DIW, Sonderhefte NF 42, Reihe A). Berlin 1958, S. 49 ff.

5  Wiederaufbau im Zeichen des Marshallplans 1948 - 1952. Bundesminister für den Marshallplan. Bonn 1953, S. 62 ff. Rudolf Laufer: Industrie und Energiewirtschaft im Land Baden 1945 - 1952. Südbaden unter französischer Besatzung (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte Bd. XXVIII). Freiburg - München 1979, S. 174 ff., 197 f., 217 f. Knut Borchardt und Christoph Buchheim: Die Wirkung der Marshallplan-Hilfe in Schlüsselbranchen der deutschen Wirtschaft. In: Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.): Marshallplan und westdeutscher Wiederaufbau. Positionen - Kontroversen. Stuttgart 1990, S. 119 ff.

6  Vgl. dazu Paul Sauer: Demokratischer Neubeginn in Not und Elend. Das Land Baden-Württemberg von 1945 bis 1952. Ulm 1978, S. 370.

7  Vgl. dazu Ludwig Erhard: Deutschlands Rückkehr zum Weltmarkt. Düsseldorf 1953, S. 69 ff.

8  Ebd. S. 85 ff.

9  Geschäftsbericht der Bank Deutscher Länder 1951, S. 64. Siehe dazu auch Rudolf Strucken: Deutsche Geld- und Kreditpolitik 1914 bis 1963. Tübingen 3 1964, S. 225.

10 Vgl. dazu Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952. Hg. v. Statistischen Bundesamt Wiesbaden. Stuttgart - Köln 1952, S. 235.

11 Vgl. Erhard: Deutschlands Rückkehr ... (wie Anm. 7) S. 70

12 Vgl. dazu Gert Kollmer-von Oheimb-Loup: Die Wirtschaftspolitik Erhards als Fessel des Aufschwungs? Kritische Forderungen der südwestdeutschen Wirtschaft. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 82. Bd. (1995)  Heft 4, S. 476.

13 Vgl. Erhard: Deutschlands Rückkehr ... (wie Anm. 7) S. 82.

14 Einen guten Überblick dazu bietet Hans Möller: Die westdeutsche Währungsreform von 1948. In: Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 - 1975. Hg. von der Deutschen Bundesbank. Frankfurt a. M. 1976, S. 433 ff.

15 ZumKreditproblem der Nachkriegswirtschaft siehe Gert Kollmer-von Oheimb-Loup (wie Anm. 12) S. 459 - 477.

16 Vgl. Statistisches Jahrbuch ... (wie Anm. 10) S. 209. Werner Abelshauser: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (1945 - 1980). Frankfurt a. M. 1983, S. 64

17 Vgl. Gesetz Nr. 63 der amerikanischen Militärregierung Teil I und Durchführungsverordnung Nr. 1 zum Militärregierungs-Gesetz Nr. 65 der amerikanischen Militärregierung. In: Sammlung der vom Alliierten Kontrollrat und der Amerikanischen Militärregierung erlassenen Proklamationen, Gesetze, Verordnungen, Befehle, Direktiven, im englischen Originalwortlaut mit deutscher Übersetzung zusammengestellt von R. Hemken. Stuttgart o.J.

18 Vgl. dazu Stucken (wie Anm. 9) S. 235 f.

19 Vgl. Kollmer-von Oheimb-Loup (wie Anm. 12) S. 465 f.

20 Vgl. dazu Egon R. Baumgart. Investitionen und ERP-Finanzierung. Eine Untersuchung über die Anlage-Investitionen (DIW-Sonderhefte, NF 56: Reihe a). Berlin 1961, S. 122 ff. Siehe auch die Beiträge in Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.): Marshallplan und westdeutscher Wiederaufstieg. Positionen - Kontroversen. Stuttgart 1990.

21 Vgl. dazu Der Wissenschaftliche Beirat bei der Verwaltung für Wirtschaft des vereinigten Wirtschaftsgebietes. Gutachten 1948 bis Mai 1950. hrsg. vom Bundeswirtschaftsministerium. Göttingen o.J., S. 39 ff. Eduard Lais: Die Preisentwicklung nach der Währungsreform (Referat auf der Sitzung des Landeswirtschaftsrates vom 18.11.1948).

22 Vgl. dazu Der wissenschaftliche Beirat ... (wie Anm. 21) S. 34 ff.

23 Ebd. S. 38 ff.

24 Vgl. Gesetz Nr. 65 der amerikanischen Militärregierung - Deutschland - amerikanisches Kontrollgebiet vom 04.10.1948. In: Sammlung ... (wie Anm. 17). Siehe auch Stucken (wie Anm. 9) S. 204.

25 Siehe Lagebericht der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom Oktober bis Dezember 1948.

26 Ebd. Juli bis Dezember 1948

27 Vgl. Kollmer-von Oheimb-Loup (wie Anm. 12) S. 470

28 Vgl. Statistisches Handbuch der Bank Deutscher Länder 1948 - 1954. Frankfurt a. M. 1955, S. 4. Statistisches Handbuch Württemberg-Baden 1950. Hrsg. von den Statistischen Landesämtern in Stuttgart und Karlsruhe. O.O. 1951, S. 260 f.

29 Vgl. Gesetz Nr. 64 der amerikanischen Militärregierung vom 22.6.1948. In: Sammlung ... (wie Anm. 17).

30 Vgl. Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Nr. 15 vom 25.5.1949, S. 69 f.

31 Ebd. Nr. 32 vom 30.08.1949, S. 279 ff.

32 Vgl. dazu Stolper, Häuser, Borchard (wie Anm. 1) S. 261 f. Ludwig Erhard: Wohlstand für Alle. Düsseldorf 1957, S. 24 ff.

33 Vgl. Bericht der Deutschen Bundesregierung über die Durchführung des Marshallplanes. Ein Rückblick 1. Oktober 1949 bis 31. März 1951. Erstattet vom Bundesminister für den Marshallplan. Bonn 1951, S. 88 f.

34 Vgl. dazu Abelshauser (wie Anm. 16) S. 64

35 Vgl. Wiederaufbau im Zeichen des Marshallplanes 1948 - 1952. Erstattet vom Bundesminister für den Marshallplan. Bonn 1953, S. 19 ff. Baumgart (wie Anm. 20).

36 Vgl. Stucken (wie Anm. 9) S. 227. Stolper, Häuser, Borchardt (wie Anm. 1) S. 265.

37 Vgl. Erhard: Deutschlands Rückkehr ... (wie Anm. 7) S. 86 ff.

38 Wie Anm. 34.

39 Vgl. dazu Schröder (wie Anm. 20)

40 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1953. Hg. v. Statistischen Bundesamt Wiesbaden. Stuttgart - Köln 1953, S. 307. Abelshauser (wie Anm. 34) S. 67 f.