Dokumentation
1. Der Beutelsbacher Konsens
1. Überwältigungsverbot.
Es ist nicht erlaubt, den Schüler
- mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und
damit an der "Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern. Hier genau
verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination.
Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen
Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des
Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch
im Unterricht kontrovers erscheinen.
Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste
verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen
unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination
beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben
sollte, d.h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten
muß, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von
ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.
Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich,
warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft
und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits
genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem
dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.
3. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische
Situation und seine eigene Interrssenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln
und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu
beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler
Fähigkeiten ein, was aber eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten
Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich - etwa gegen Herman Giesecke
und Rolf Schmiederer - erhobene Vorwurf einer "Rückkehr zur
Formalität", um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern
nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem
Minimalkonsens geht.
Hans-Georg Wehling (S.179/180) in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.): Das
Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart 1977
2. Änderungsvorschläge (von Herbert Schneider) betr.: den 3.
Grundsatz von Beutelsbach
a) Fassung 1977
"Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische
Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu
suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen."
b) Umformulierung 1987
"Der Schüler (Erwachsene) soll in die Lage versetzt werden,
politische Probleme zu analysieren und sich in die I.age der davon Betroffenen
hineinzuversetzen sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie er die Problemlösung im
Sinne seiner Interessen unter Berücksichtigung der Mitverantwortung fiir das soziale
Ganze beeinflussen kann."
c) Umformulierung 1996
"Der Schüler (Erwachsene) soll dazu befähigt werden,
politische Probleme zu analysieren und sich in die Lage der davon Betroffenen
hineinzuversetzen sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie er die Problemlösung im
Sinne seiner wohlverstandenen Eigeninteressen unter Berücksichtigung seiner
Mitverantwortung fiir das soziale Zusammenleben und das politische Ganze beeinflussen
kann."
3. Ergänzungsvorschläge
a) Vorschlag von Gotthard Breit (1996)
"Dem Jugendlichen soll im Politikunterricht Gelegenheit gegeben
werden, über die Bedeutung von Freiheit und Demokratie und über die Voraussetzungen und
Möglichkeiten von politischer Beteiligung nachzudenken."
b) Vorschlag von Wolfgang Sander (1994)
"Politische Bildung versteht sich als Teil einer demokratischen
politischen Kultur. Sie will mit pädagogischen Mitteln an der Erhaltung und
Weiterentwicklung der Demokratie mitwirken, denn nur demokratisch verfaßte Gesellschaften
können die pädagogisch intendierte Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler
akzeptieren."
4. Beutelsbacher Gespräche
- "Das Konsensproblem in der politischen Bildung",19./20.
November 1976, Landgut Burg, Weinstadt-Beutelsbach
- "Familie als Vermittler von Normen und Werten",10.11.
November 1978, Hotel "Höhenblick", MühlhausenTäle
- "Konsens und Dissens in der politischen Bildung" - 10 Jahre
Beutelsbacher Konsens, 28. - 30. November 1986, Landgut Burg, Weinstadt-Beutelsbach
- "Rationalität und Emotionalität in der politischen
Bildung", 23. -25. November 1990, Landgut Burg, Weinstadt-Beutelsbach
- "Verfassungspatriotismus als Ziel politischer Bildung?",
18.-20. Februar 1993, Haus auf der Alb, Bad Urach
- "Reicht der Beutelsbacher Konsens?", 26. -28. Februar 1996,
Haus auf der Alb, Bad Urach
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