Dokumentation

Europa im Griff der Mafia

 

Internationales Symposium der LpB

25. Oktober 1993 - Stuttgart (Rathaus/Großer Sitzungssaal)



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Frieder Birzele
Innenminister des Landes Baden-Württemberg

Baden-Württemberg im Fadenkreuz der Mafia?

 


Für die Einladung zu dem heutigen Symposion bedanke ich mich. Kriminalität mit ihren vielschichtigen Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht nur im Kreis von Fachleuten erörtert werden sollte. Ich danke daher der Landeszentrale für politische Bildung, daß sie eine öffentliche Erörterung im Rahmen der heutigen Veranstaltung ermöglicht hat.

Zum Thema "Baden-Württemberg im Fadenkreuz der Mafia?" möchte ich einige grundsätzliche Bemerkungen voranschicken. Zunächst werde ich die Bezeichnung "Mafia" - dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend - als Synonym für die Organisierte Kriminalität insgesamt verwenden, also für eine Vielzahl strengorganisierter Straftätergruppierungen. Die traditionelle sizilianische Mafia ist lediglich ein Teilbereich. Würde ich mich auf diesen Bereich beschränken, müßte ich die Problematik zu stark verkürzen.

Zum andern zeichnen sich organisierte Tätergruppen in der Regel durch internationale, staatenübergreifende Planung und Ausführung der Taten aus. Obwohl die strikte Beschränkung auf Baden-Württemberg daher nur einen Ausschnitt der gesamten internationalen Verflechtungen beleuchtet, will ich meine Ausführungen dennoch auf diesen Aktionsbereich beschränken.

Fachleute kennen das Problem, Organisierte Kriminalität - die ja zumindest bislang noch keinen abgrenzbaren Straftatbestand bildet - zu definieren. Entsprechende Versuche, zuletzt von der gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei, werden angesichts des ständigen Wandels in diesem Kriminalitätsbereich sicherlich noch fortgesetzt. Eine einheitliche Definition ist jedoch als Grundlage der polizeilichen Arbeit notwendig. So müssen beispielsweise Straftatenkomplexe bundesweit einheitlich bewertet, der Datenaustausch zwischen den Dienststellen gewährleistet und international vergleichbare Lagebilder erstellt werden. Für mich ist in diesem Zusammenhang wichtig, daß sich die Organisierte Kriminalität klar von den Formen der herkömmlichen Bandendelinquenz abgrenzen läßt. Solche Bandenkriminalität hat die Strafverfolgungsorgane schon immer beschäftigt, erfordert keine für die Organisierte Kriminalität spezifischen Bekämpfungsstrategien und weist auch nicht deren typisches Bedrohungspotential auf. Die besondere Dimension der Organisierten Kriminalität folgt dagegen aus ihrer enormen Finanzkraft - der Umsatz wird auf mehrere hundert Milliarden DM geschätzt - und aus ihrer Einflußnahme auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche. Hohe illegale Gewinne werden in legale Geschäfte der Wirtschaft investiert und dringen auf diesem Weg in wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen, wobei - wie Beispiele anderer Länder zeigen - zusätzlich vom Mittel der Korruption in Politik, Medien, Justiz und Verwaltung Gebrauch gemacht wird. Drahtzieher und Hintermänner können so Macht und Einfluß, auch in legalen Wirtschaftsabläufen, erlangen und festigen. Durch die außergewöhnliche Liquidität, die in normalen Unternehmen nie zu erreichen ist, können mafiose Vereinigungen die Gesetze des Marktes, z.B. durch Unterbieten eines Mitbewerbers, aushebeln.

Wenn wir uns mit der Entwicklung und den Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität - speziell in Baden-Württemberg - beschäftigen, müssen wir uns an den Fakten orientieren. Eine Versachlichung der Diskussion ist umso notwendiger, als einige vermeintliche und - was noch schlimmer ist - tatsächliche Experten immer wieder dazu neigen, die von der Organisierten Kriminalität ausgehende Bedrohung zu dramatisieren. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit sind für mich die Äußerungen des BKA-Präsidenten Zachert, der aus dem vom BKA erstellen OK-Lagebild verkündete, daß in jedem sechsten Fall Einflußnahmen auf den öffentlichen Dienst und in jedem 20. Fall Einflußnahmen auf die Justiz festgestellt worden seien. Auf Intervention der Bundesjustizministerin, die insbesondere die Einflußnahmen auf die Justiz in diesem Umfang bezweifelte, wurde Herr Zachert von seinem Dienstherrn, dem Bundesinnenminister, zur Ordnung gerufen und angehalten, künftig solche Verlautbarungen erst dann abzugeben, wenn die zugrundeliegenden Sachverhalte bei den betroffenen Ministerien überprüft worden sind.

Das Problem bei solchen Äußerungen liegt darin, daß sich hinter vermeintlichen Einflußnahmen auf Behörden in der Bundesrepublik auch Fälle verbergen können, die sich in Wirklichkeit im Ausland abspielen. Außerdem hat es sich nach sorgfältiger Überprüfung herausgestellt, daß viele sogenannte "Einflußnahmen" keine OK-typische Gefährlichkeit aufweisen. So ging man auch in einem baden-württembergischen Lagebericht fälschlicherweise von einer Einflußnahme auf die Justiz aus, als ein Angeklagter dem Staatsanwalt Repressalien für den Fall androhte, daß er das Verfahren nicht einstellen würde.

Um das tatsächliche Ausmaß der Korruption im öffentlichen Bereich festzustellen, habe ich in der letzten Woche bei der Führung des Landeskriminalamts, bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart und beim Justizministerium den aktuellsten Stand nachfragen lassen. Dabei wurde mir bestätigt, daß in Baden-Württemberg bisher kein einziger Fall einer OK-typischen Korruption innerhalb der Verwaltung oder Justiz bekannt wurde. Ich möchte daher nochmals betonen, daß Dramatisierungen die Arbeit der Polizei und Justiz nicht voranbringen. Deren berechtigtes Anliegen ist letztlich nur überzeugend und erfolgreich, wenn die augenblickliche Situation gewissenhaft und realistisch analysiert wird. Überzeichnungen schleifen sich ab und werden auf die Dauer nicht mehr ernst genommen.

Andererseits halte ich auch alle Verharmlosungen der Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität für äußerst schädlich. Es war daher wohl richtig und wichtig, daß hinter das Thema meines Referats ein Fragezeichen gesetzt wurde.

Bevor ich die konkrete Situation in Baden-Württemberg anspreche, muß ich noch klarstellen, daß es sich bei den uns bekanntgewordenen Fällen der Organisierten Kriminalität nur um die Spitze eines Eisbergs handelt. Die Lagebilder der letzten Jahre lassen den Schluß auf ein beträchtliches Dunkelfeld zu. Für die "erfolgreiche" Organisierte Kriminalität ist geradezu typisch, daß sie nicht ohne weiteres wahrnehmbar ist.

1992 wurden in Baden-Württemberg insgesamt 69 Verfahren der Organisierten Kriminalität bearbeitet. Dahinter verbergen sich nahezu 3.000 Einzeldelikte. Bei einem festgestellten Schaden von über 28 Mio. DM wurden kriminelle Gewinne in Höhe von ca. 54 Mio. DM - allein in Baden-Württemberg - erzielt. Von den 69 Verfahren waren 25 deliktspezifisch, d.h. die kriminellen Macher konzentrierten sich lediglich auf ein Delikt wie z.B. den Waffenhandel. In weiteren 44 deliktsübergreifenden Ermittlungsverfahren häufen sich die in Baden-Württemberg besonders typischen Deliktsbereiche wie

  • die Rauschgiftkriminalität,
  • der illegale Waffenhandel und -schmuggel,
  • die KFZ-Verschiebung,
  • die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (wie z.B. Menschenhandel, Zuhälterei und Prostitution) und
  • Schutzgelderpressungen.

Bei diesen Betätigungsfeldern ergibt sich aus Tätersicht ein günstiges Verhältnis zwischen Aufwand und Entdeckungsrisiko einerseits und dem erwarteten hohen Gewinn andererseits.

Eine besondere Anziehungskraft auf die Täter der Organisierten Kriminalität übt auch in Baden-Württemberg das Rotlichtmilieu aus. Teilweise werden Straftaten im Zusammenhang mit dem Nachtleben begangen, teilweise werden Kontakte geknüpft und Straftaten verabredet und geplant. Hierbei spielen Geschäftsbetriebe als Basis krimineller Aktivitäten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Vor allem der Menschenhandel nimmt stark zu. Diese Entwicklung ist Ausfluß der veränderten politischen Situation in Osteuropa. Frauen aus den dortigen Ländern werden vielfach gewaltsam der Prostitution zugeführt.

Ein weiteres Aktionsfeld, hauptsächlich osteuropäischer Gruppierungen, ist der organisierte KFZ-Diebstahl, der - präzise geplant - mit Hilfe einer Vielzahl voneinander abgeschotteter Komplizen auf Bestellung durchgeführt wird. Uns sind Fälle bekannt, bei denen nicht nur Typ und Farbe des zu stehlenden PKW vorgegeben wurden, sondern auch noch Art und Farbe der Innenausstattung bis hin zum Typ des hochwertigen Autoradios. Das Fahrzeug wird von hochspezialisierten Dieben in Sekundenschnelle gestohlen und zum zuvor vereinbarten Übergabeort des örtlichen Residenten gebracht, der das Fahrzeug in der Regel in einer ausländischen Werkstatt "umfrisieren" läßt. Die dazu notwendigen Fahrzeugpapiere werden entweder als Blankodokumente von anderen, darauf spezialisierten Tätern gestohlen, oder es werden Dokumente eines baugleichen Schrottfahrzeugs benutzt. Weitere Organisationsmitglieder sind dafür zuständig, die Fahrzeuge so schnell wie möglich in das Ausland zu den dortigen Residenten zu bringen.

Bei diesem Organisationsgrad wird deutlich, wie schwer es ist, eine derartige Gruppierung zu knacken. Der eventuell auf frischer Tat ertappte Fahrzeugdieb kennt in der Regel die Identität seines Auftraggebers nicht. Er kennt auch nicht dessen Abnehmer, sondern weiß nur, daß er das gestohlene Auto zu übergeben hat. Durch die bewußt aufgebaute Abschottung innerhalb der kriminellen Organisationen geht es den anderen Bandenmitgliedern genauso. Man kennt meist nur oberflächlich den oder die Geschäftspartner, mit denen notwendigerweise zusammengearbeitet wird. Der Aufbau der darüber hinausgehenden Organisation ist dem einzelnen aus der Ausführungsebene nicht bekannt. Aufgrund dieser gewerbsmäßigen Strukturen und der mit der KFZ-Verschiebung oftmals einhergehenden Bestechungen ausländischer Grenzdienststellen und Zulassungsbehörden ist dieser Bereich in aller Regel der Organisierten Kriminalität zuzurechnen.

Organisierte Kriminalität wird allerdings nicht nur im Unterwelt- und Rotlichtmilieu, sondern - mit zum Teil enormen Schäden - auch im sogenannten "Weiße-Kragen"-Bereich begangen. Beispiele sind Wirtschaftskriminalität, Anlage-und Subventionsbetrug sowie Verstöße gegen das Außenhandelsgesetz mit länderübergreifendem Güter- und Warenaustausch. Die enormen Gewinne dieser kriminellen Kartelle und Syndikate werden "gewaschen" und in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust. Das Erkennen dieser Kriminalität stößt gerade dort auf besondere Schwierigkeiten, wo sie den Anschein seriöser Geschäfte wahrt und sich hinter glitzernden Fassaden abspielt.

Die Tätergruppen der Organisierten Kriminalität setzen sich aus Mitgliedern verschiedener, meist europäischer Nationalitäten zusammen. In Baden-Württemberg waren dies im vergangenen Jahr 37. Unter den Tätergruppen mit Mitgliedern nur einer Nationalität waren Italiener am stärksten vertreten, gefolgt von türkischen und deutschen Vereinigungen sowie Gruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

481 der insgesamt 626 ermittelten Tatverdächtigen waren Nichtdeutsche. Der Anteil liegt somit mit nahezu 77 % deutlich über ihrem Anteil an der Gesamtkriminalität mit ca. 38%. In fünf Fällen wurden Verbindungen zur kurdischen PKK festgestellt, in einem Fall zu einer russischen Organisation. 23 mal lagen Verbindungen zur italienischen Mafia vor. Diese Verbindungen müssen jedoch genauer betrachtet werden. Unzweifelhaft hat sich der Rhein-Neckar-Raum als ein Brennpunkt in diesem Zusammenhang erwiesen. Die dortigen Mafia-Bezüge wurden vielfach in den Medien aufgegriffen. Nur lagen diesen Fällen zunächst überhaupt keine "Mafia-Aktivitäten" in Baden-Württemberg zugrunde, auf die unsere Polizei reagiert hatte. Vielmehr handelte es sich um Festnahmeersuchen des italienischen Staates, nachdem bekannt geworden war, daß sich diese Täter nach Baden-Württemberg zurückgezogen hatten. Erst nachdem innerhalb einer Organisation bekannt geworden war, daß einer der Festgenommenen mit den Behörden zusammenarbeitete, wurde offensichtlich zur Warnung und als Abschreckung dafür dessen Schwager auf offener Straße erschossen.

1993 laufen in Baden-Württemberg 13 Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der italienischen Gruppierungen, hauptsächlich wegen Drogen- und Falschgelddelikten. In 19 Verfahren, die teilweise mit den ebengenannten zusammenhängen, wird gegen Schutzgelderpresser unterschiedlicher Nationalitäten ermittelt. In einigen Fällen gelang es der Polizei bereits, die Täter zu identifizieren.

Als regionale Schwerpunkte der Organisierten Kriminalität insgesamt zeichnet sich in Baden-Württemberg neben dem Rhein-Neckar-Raum der Großraum Stuttgart/Heilbronn und die Grenzregion Frankreich-Schweiz-Deutschland ab.

Bevor sich das organisierte Verbrechen in Baden-Württemberg noch weiter festsetzen kann, müssen wir gezielt und schnell reagieren. Allerdings gibt es in diesem Kriminalitätsbereich typische Ermittlungsschwierigkeiten, die der Polizei enorme Probleme bereiten. Der Zugang für die Ermittlungsbehörden wird schon dadurch erschwert, daß mafiose Vereinigungen aus eigenständigen, ethnisch abgeschlossenen Gruppen mit mehr oder weniger fester personeller Struktur bestehen.

Ein weiteres Ermittlungshindernis ist das hochkonspirative Verhalten der Gruppenmitglieder. Dies ist teilweise auf Eigennutz, aber auch auf Angst zurückzuführen, denn die Sanktionsbereitschaft im organisierten Verbrechen nach außen - gegenüber Tatzeugen - und intern - gegenüber unbotmäßigen Mitgliedern der Gruppe - reicht über die Entziehung von Geldern und Hilfen, Einschüchterungs- und Bedrohungsversuchen bis hin zu Tötungsdelikten, wie das vorhin erwähnte Mannheimer Beispiel zeigt.

Opfer der Organisierten Kriminalität, besonders im Bereich der Schutzgelderpressungen, sind häufig ausländische Staatsbürger. Gemeinsame Sprache, gleiches Kulturverständnis und das Wissen um Angehörige in der Heimat, die bedroht werden könnten, führen dazu, daß Täter und Opfer fast immer der gleichen Nationalität angehören. Wegen der unterschiedlichen Kulturen und dem fehlenden sprachlichen Ausdrucksvermögen kommt es selten dazu, daß ausländische Opfer Vertrauen zu den deutschen Sicherheitsbehörden entwickeln und sich ihnen anvertrauen. So entsteht immer wieder ein unüberwindliches Schweigekartell, in dem nur die Täter, Opfer und Mitwisser Bescheid wissen, Polizei und Justiz aber außen vor bleiben.

Innerhalb der Organisationen gilt ein eigener Sprachschatz mit Code- und Deckbezeichnungen, der nur äußerst zeitraubend dechiffriert werden kann. Als Abschottungsmaßnahmen sind auch die Verwendung falscher Ausweispapiere, die Gegenobservation der Polizei und das Abhören des polizeilichen Funkverkehrs bekannt.

Durch die schwierigen Ermittlungen und häufigen Dolmetschereinsätze werden die Verfahren äußerst langwierig und kostspielig. Eines dieser Verfahren hat in Baden-Württemberg 29 Monate gedauert.

Baden-Württemberg hat schon frühzeitig auf die sich abzeichnende Organisierte Kriminalität reagiert. So wurden erstmals im Bundesgebiet 1973 mobile Einsatzkommandos zur Observation und Festnahme von Schwerkriminellen und 1975 Verdeckte Ermittler eingesetzt. Im Rahmen der vom Innenministerium erarbeiteten Konzeption zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität wurde das Landeskriminalamt als Zentralstelle gestärkt. Um einen breiteren Bekämpfungs- und Ermittlungsansatz zu schaffen, wurden bei sämtlichen Landespolizeidirektionen, bei den beiden Polizeipräsidien sowie bei insgesamt sechs Polizeidirektionen spezielle Dezernate zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eingerichtet. Ein weiteres Dezernat ist 1994 für die Polizeidirektion Böblingen vorgesehen.

1989 wurde beim Landeskriminalamt das Dezernat Zeugenschutz ins Leben gerufen, das allein im letzten Jahr in 13 Verfahren 19 aussagewillige Zeugen betreute, ihnen teilweise eine neue Identität verlieh und sie vor Übergriffen und Sanktionen der kriminellen Organisation erfolgreich schützte.

Im letzten Jahr entstand ebenfalls beim Landeskriminalamt das Dezernat Finanzermittlungen, mit dem gezielt gegen das illegale Gewinnstreben - die Achillesferse des organisierten Verbrechens - vorgegangen wird. Die Mitarbeiter dieser Organisation bearbeiteten in diesem Jahr bereits 13 Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche. Leider ist das neue Geldwäschegesetz immer noch nicht in Kraft getreten, so daß weiterhin die Grundlage für wesentliche Ermittlungsansätze fehlt.

1992 wurden außerdem gemeinsame, paritätisch besetzte Ermittlungsgruppen von Polizei und Zoll zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität eingerichtet. Hierdurch konnten Reibungsverluste und Informationsdefizite zwischen verschiedenen Behörden mit sich überschneidenden Bearbeitungszuständigkeiten vermieden werden. In der kurzen Zeit ihres Bestehens haben diese gemeinsamen Ermittlungsgruppen schon sehr gute Arbeit geleistet.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Maßnahmen konnten wir im letzten Jahr folgende Ermittlungserfolge verzeichnen: Insgesamt wurden 322 Haftbefehle erlassen. Bei 475 Durchsuchungen wurden Waren im Gesamtwert von ca. 23 Mio. DM sichergestellt. Allein im Zusammenhang mit dem Einsatz Verdeckter Ermittler wurden Beschlagnahmen im Gesamtwert von 11 Mio. DM durchgeführt. Darunter fallen ca. 30 kg Heroin, über 60 kg Kokain, ca. 7 kg Amphetamin, 104 Schußwaffen, 42 Handgranaten, 27 Fahrzeuge sowie Behördenstempel und Blankodokumente.

Diese Erfolge sind jedoch kein Anlaß, sich bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zurückzulehnen. Vielmehr sind über die bisherigen Maßnahmen hinaus weitere Bekämpfungsstrategien unumgänglich:

  1. Dringend notwendig ist zunächst eine nachhaltige Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit. Die Verfahrenswege der internationalen Rechts- und Amtshilfe müssen wesentlich vereinfacht und verkürzt werden. Beispielsweise sollten Rechtshilfeersuchen von der Justiz bzw. von der Polizei unmittelbar an die entsprechenden Stellen im Ausland gerichtet werden können. Im Polizeibereich müssen direkte Geschäftswege zu den ausländischen Polizeidienststellen geschaffen werden. EUROPOL ist - mit eigenständiger Ermittlungskompetenz - beschleunigt auf- und auszubauen.
     
  2. Das wichtigste Motiv für die Organisierung von Kriminalität ist das rücksichtslose Streben nach höchstmöglichem Gewinn und Vermögen. Hier muß mit gesetzgeberischen Maßnahmen angesetzt werden. Zunächst sind der Geldwäschetatbestand und das Geldwäschegesetz dahingehend nachzubessern, daß die bisher geforderte Leichtfertigkeit beim Nichterkennen der strafbaren Herkunft eines Vermögensgegenstands durch die Fahrlässigkeit ersetzt, daß der Schwellenbetrag von 20.000 DM auf 15.000 DM gesenkt und daß die Anzeigepflicht für Geldwäschevorgänge auf ausländische Filialen deutscher Banken ausgedehnt wird.1 Darüber hinaus muß die Justiz die Möglichkeit haben, rechtswidrig erlangtes Vermögen einzuziehen. Dies bedeutet eine weitere Beweislastverschiebung zu Lasten des Straftäters.

    Kann eine Straftat nicht nachgewiesen werden, gibt es nach bisherigem Recht keine Möglichkeit, Vermögen einzuziehen, auch wenn wahrscheinlich ist, daß es aus Straftaten stammt oder zur Begehung von Straftaten verwendet werden soll. So müssen einem Straftäter, der mit 100 Autoradios aufgegriffen worden ist, deren illegaler Erwerb allerdings nur bei 20 nachweisbar war, die restlichen 80 wieder zurückgegeben werden. Deshalb ist eine allgemeine Zugriffsmöglichkeit - ein Verfahren "ad rem" - zu schaffen, um unabhängig von einem Ermittlungsverfahren oder einer Verurteilung wegen einer Straftat die Beschlagnahme und Einziehung von Vermögensgegenständen zu ermöglichen. Hierfür sollte eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Deliktsbezug ausreichen, es sei denn, der Eigentümer bzw. Verfügungsberechtigte widerlegt die Vermutung und weist nach, daß das Geld weder durch eine Straftat erlangt noch zu einer Straftat verwendet werden soll.
     
  3. Nicht ausgespart werden soll der Komplex Einsatz technischer Mittel zur Gesprächsaufzeichnung und -überwachung, in der allgemeinen Diskussion oft auch verfälschend "Lauschangriff" genannt. Vorweg ist festzustellen, daß diese Bekämpfungsmaßnahme in ihrer Bedeutung weit überschätzt wird und eindeutig hinter den zuvor dargestellten Maßnahmen rangiert. Allerdings ist die elektronische Gesprächsüberwachung in solchen Fällen unumgänglich, in denen es der Polizei auch unter Ausschöpfung ihrer bisherigen Ermittlungsmethoden nicht gelingt, an die Bosse heranzukommen. Selbst wenn sie diese kennt, fehlen ihr meist gerichtsverwertbare Beweise. Nur mit einer akustischen, optischen bzw. elektronischen Überwachung können in Einzelfällen konkrete Tatbeiträge den Beteiligten zugeordnet, die Hintermänner und Geschäftswege identifiziert und die gesamte Geschäftsabwicklung überwacht werden.

Der notwendige Grundrechtsschutz beim Einsatz technischer Mittel zur  Gesprächsaufzeichnung und -überwachung muß durch das Verfahren hergestellt werden. Je stärker in die Privatsphäre eingegriffen wird, desto höher müssen die Eingriffsvoraussetzungen sein, auch im präventiven Bereich. Unbeteiligte Dritte müssen dadurch geschützt werden, daß die Gespräche, die keinen Bezug auf entsprechende Katalogstraftaten haben, unverzüglich gelöscht werden.

Abschließend ist noch die Frage zu klären, ob Baden-Württemberg nun tatsächlich "im Fadenkreuz der Mafia" steht. Gegenwärtig haben sich kriminelle Organisationen bei uns noch nicht in dem Maß in Politik, Justiz, Verwaltung oder Wirtschaft festgesetzt, daß sie einen bestimmenden Einfluß auf unser politisches und gesellschaftliches Leben ausüben können, wie dies offenbar in manchen anderen Staaten der Fall ist. Andererseits müssen wir gerade hier in Baden-Württemberg enorm aufpassen, weil besonders in Baden-Württemberg die Rahmenbedingungen für das Ausbreiten dieser Kriminalitätsform besonders vorteilhaft sind.

Dazu tragen im wesentlichen fünf Faktoren bei. Neben der weitverzweigten Wirtschaftsstruktur und der Anziehungskraft der Finanzzentren mit ihren vielfältigen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten sind es vor allem die in Ballungsgebieten vorherrschende hohe Bevölkerungsdichte und die günstigen Verkehrsbedingungen, die der Organisierten Kriminalität in Baden-Württemberg ein ideales Umfeld bieten. Die in der Themenstellung dieser Tagung enthaltene Warnung für die Zukunft ist deshalb durchaus ernst zu nehmen. Nur wenn wir unsere bereits begonnenen Bekämpfungsstrategien konsequent fortsetzen, sie laufend an die wechselnden Betätigungsfelder der OK anpassen und durch die von uns skizzierten gesetzgeberischen Schritte absichern und ergänzen, können wir verhindern, daß Polizei und Justiz ins Hintertreffen geraten.

1 Vgl. den am 19.10.93 beschlossenen Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion 

 


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