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"Euthanasie" im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940

Hrsg: LpB, 2000

 

2.2 Euthanasie in Grafeneck

Das Ende der "Euthanasie" in Grafeneck




Inhaltsverzeichnis     


Über das Ende von Grafeneck als "Euthanasie"-Anstalt ist viel geschrieben und noch mehr an Vermutungen geäußert worden; das meiste stimmt nicht. Immer wieder wird vor allem der Brief der Frauenschaftsführerin Else von Löwis zitiert (M 30). Der oberste Richter der NSDAP, Walter Buch, dessen Frau die Adressaten dieses Briefes war, leitete ihn Brief an Himmler weiter mit der Bitte, den Dingen nachzugehen. Der Reichsführer-SS antwortete ihm ausweichend, schrieb aber noch am selben Tag, dem 19. Dezember 1940, an den Oberdienstleiter der KdF, Viktor Brack (M 31).

Aus diesem berühmt gewordenen Brief meint man bis heute schließen zu müssen, Grafeneck sei auf Veranlassung Himmlers und wegen der Unruhe unter der Albbevölkerung geschlossen worden. Tatsache ist aber vielmehr, daß Grafeneck seine "Arbeit" programmgemäß beendet hat. Dem Personal hatte man schließlich schon bei der Einstellung im Columbushaus in Berlin gesagt, seine Tätigkeit in Grafeneck dauere bis Ende 1940.

Am 9.Dezember 1940 wohnte die damalige Direktorin der Zwiefaltener Anstalt, Frau Dr. Martha Fauser, einer der letzten Vergasung in Grafeneck bei, und der die Kohlenmonoxyd-Flaschen bedienende "Euthanasie"-Arzt Dr. Baumhardt sagte ihr bei der Gelegenheit, es handle sich hierbei um die letzte in Grafeneck vorgenommene Tötung. In Wirklichkeit fand diese aber erst am 13. Dezember 1940 statt. Schon drei Tage zuvor, am 10. Dezember erhielt das Bischöfliche Ordinariat Rottenburg vom Stuttgarter Innenministerium die telefonische Nachricht, die Anstalt Grafeneck sei ihrer Sonderbestimmung enthoben.

Das Grafenecker Personal machte in der Folge erst einmal Urlaub, später sollte es dann in Hadamar/Hessen seine grausige Tätigkeit fortsetzen. Einige blieben auch noch deswegen bis ins Frühjahr 1941 in Grafeneck, um dessen Übergabe vorzubereiten; sie konnten jedoch nicht alle Spuren tilgen. So zeugten z.B. die verbrannten Äste der Alleebäume noch lange davon, wo das Krematorium gestanden hatte.

Abschließend bleibt festzustellen: Grafeneck arbeitete planmäßig zu Ende, seine Tätigkeit wurde nicht durch Vorgänge von außen vorzeitig beendet. Himmlers Brief an Brack wurde erst 6 Tage nach der letzten Vergasung in Grafeneck geschrieben. Ende 1940 gab es in den Anstalten keine "geeigneten" Fälle mehr, schon in den letzten Wochen vor Grafenecks Ende gingen die Zahlen der Ermordeten merklich zurück.

In Himmlers Brief vom 19. Dezember hatte es geheißen, es sei am besten, die Anstalt Grafeneck einzustellen und insofern "aufklärend zu wirken, indem man gerade in der dortigen Gegend Filme über Erb- und Geisteskranke laufen läßt." Die Berliner T4-Zentrale befaßte sich längst mit solchen Filmprojekten. Hermann Schweninger, zunächst als Transportleiter in Grafeneck eingesetzt, hatte Drehbuch-Entwürfe zu einem Film "Dasein ohne Leben" gefertigt. Aus Aktennotizen geht hervor, daß besonders elende und mißgestaltete Patienten vom Töten zurückgestellt wurden, um vorher gefilmt zu werden. Auch Grafeneck stellte eine Anzahl "besonders markanter Fälle von Idioten" von der Vergasung zurück und schickte sie nach Zwiefalten, damit sie noch gefilmt werden konnten. Dieser Film wurde im Laufe des Krieges fertiggestellt und einem auserwählten Kreis von Psychiatern vorgeführt. Die Öffentlichkeit bekam ihn allerdings nie zu sehen. Beim Einmarsch der Alliierten wurden die Kopien vernichtet.


 


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