Baustein

"Euthanasie" im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940

Hrsg: LpB, 2000

 

2.2 Euthanasie in Grafeneck

Nach der "Aktion T4" - die Zeit nach August 1941




Inhaltsverzeichnis     


Am 3. August 1941, also mehr als ein halbes Jahr nach dem Zeitpunkt, an dem Grafeneck seine Tätigkeit beendet hatte, predigte Bischof Clemens August Graf von Galen in der Lambertikirche in Münster und erklärte dabei, er habe angesichts der Abtransporte von Geisteskranken aus Westfalen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Münster erstattet. Die Predigt erzielte große Wirkung und ermutigte weitere deutsche Bischöfe, die Euthanasie ebenfalls abzulehnen (M 42).

Es ist heute schwer zu sagen, ob es hauptsächlich diese bischöflichen Proteste waren, die Hitler am 24. August 1941 dazu veranlaßten, einen "Euthanasie"-Stopp zu verfügen. Sicher haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt, vielleicht hat aber auch ein persönliches Erlebnis Hitler in seiner Entscheidung beeinflußt.

Ein T4-Angestellter hat eine Bilanz der Tötungen bis zum "Euthanasie"-Stopp erstellt. Diese sogenannte "Hartheimer Statistik" kommt auf die Zahl von 70 273 "Desinfizierten". Damit waren freilich nur die Patienten erfaßt, die in den sechs "Euthanasie"-Anstalten umgebracht worden waren. Daß tatsächlich sehr viel mehr Menschen getötet wurden, unterstreicht eine andere Statistik, die errechnete, daß bis Ende 1941 93 521 "Betten" einem neuen Verwendungszweck "zugeführt" wurden. Diese Zahl bedeutet, daß in etwa jeder dritte Patient sein Bett räumen mußte.

Der offizielle "Euthanasie"-Stopp hinderte freilich die T4-Zentrale in Berlin nicht daran, ihre Arbeit fortzusetzen. Auch jetzt wurden weiterhin Meldebögen ausgefüllt und begutachtet, vor allem aber waren die Direktoren der Anstalten aufgefordert, die Euthanasie hinter den Anstaltsmauern fortzusetzen. Insgesamt und mit anderen Tötungstechniken wurde das Mordprogramm weitergeführt: Man ließ die Patienten systematisch verhungern, spritzte sie zu Tode oder dosierte spezielle Medikamente falsch.

Von den Tötungsanstalten beendete nach Grafeneck lediglich noch Hadamar seine Tätigkeit, Bernburg und Sonnenstein machten bis zum Frühjahr 1943 weiter, Hartheim wurde sogar erst im Dezember 1944 geschlossen. Die drei Anstalten vergasten jetzt Häftlinge aus Konzentrationslagern, die man damit von sogenannten "Ballastexistenzen" befreien wollte. Diese Aktion lief unter dem Aktenzeichen "Sonderbehandlung 14f13". Bei der Auswahl der Opfer in den Lagern war auch der frühere "Euthanasie"-Arzt Dr. Schumann aus Grafeneck anzutreffen, er selektierte im Juli 1941 in Auschwitz, zu einem Zeitpunkt also, wo Auschwitz noch nicht selbst die Vergasungen mit Zyklon B begonnen hatte.


 


Copyright ©   2000  LpB Baden-Württemberg   HOME

Kontakt / Vorschläge / Verbesserungen bitte an: lpb@lpb-bw.de