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"Evakuiert" und
"Unbekannt verzogen"

Die Deportation der Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 - 1945

 

1. „Evakuiert“ und „Unbekannt verzogen“
Helmut Gabeli



Inhaltsverzeichnis


1. „Evakuiert“ und „Unbekannt verzogen“
Die Deportation der Juden aus Württemberg und Hohenzollern
1941 bis 1945

„Evakuiert“ und „Unbekannt verzogen“ umschreiben in der NS-Verwaltungssprache verharmlosend den Beginn der „Endlösung der Judenfrage“, an deren Ende der industrialisierte Massenmord an Tausenden jüdischer Männer, Frauen und Kinder stehen wird. Für viele Juden Deutschlands beginnt der Weg in die Vernichtung auch in den Gemeinden ihrer württembergischen und hohenzollerischen Heimat.

Die Ausgrenzung und Entrechtung der Juden

In Württemberg und Hohenzollern leben zu Anfang des 20. Jahrhunderts seit Jahrhunderten Christen und Juden ganz überwiegend ohne größere Reibungen neben- und miteinander. Das ändert sich von Grund auf, als am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gelangen. Sie beginnen unverzüglich, ihre judenfeindlichen Absichten zu verwirklichen. Die Machtübernahme und die darauf folgenden Aktionen sind besonders für die nationaldeutsch gesinnten Juden ein schwerer Schock. Der wachsende Antisemitismus der Weimarer Republik war zwar beunruhigend, doch die Mehrheit der Juden glaubt, mit Appellen an Menschlichkeit, Vernunft und Gerechtigkeitssinn der Mitmenschen der Verleumdungs- und Hasskampagne entgegenwirken zu können. Die Nazis setzen jedoch ihren Kampf gegen die angeblich rassenfremde jüdische Bevölkerung fort. Die gleichgeschalteten Massenmedien Presse und Rundfunk werden hoch wirksame Werkzeuge der Hetzpropaganda.1 „Die Juden sind unser Unglück, „Sie haben aus Deutschland zu verschwinden“ ist tagtäglich zu lesen und zu hören.

Die antijüdischen Aktionen beginnen mit dem Aufruf zum Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933. Das Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entfernt die „nicht-arischen“ Beamten aus dem Staatsdienst, sofern sie nicht „Frontkämpfer“ im Ersten Weltkrieg waren. Willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Systematisch werden die Juden aus dem öffentlichen Leben und aus der Wirtschaft verdrängt.

Am 15. September 1935 werden auf dem Reichsparteitag die „Nürnberger Gesetze“ verkündet, mit denen die Juden endgültig aus der Lebensgemeinschaft des deutschen Volkes ausgestoßen werden :
Das „Blutschutzgesetz“ verbietet die Eheschließung sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen „Deutschblütigen“ und Juden. Das „Reichsbürgergesetz“ verleiht lediglich den „Ariern“ den Rechtsstatus eines Reichsbürgers, die Juden behalten nur die Staatsangehörigkeit. Sie verlieren alle bürgerlichen Ehrenrechte und unterliegen damit einer Art Fremdenrecht. Das Gesetz enthält genaue Begriffsdefinitionen: Jude ist, wer von drei jüdischen Großelternteilen abstammt, als Mischlinge I. Grades gelten alle Personen, die zwei jüdische Großelternteile haben, Mischlinge II. Grades sind Personen mit einem jüdischen Großelternteil. Das „Reichsbürgergesetz“ und vor allem die hierzu ergangenen Verordnungen werden zum Instrumentarium der völligen Ausschaltung der Juden aus dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und rechtlichen Leben. Sie werden isoliert und zu Menschen
zweiter Klasse gestempelt.

Besonders die jüdischen Kinder, die nichtjüdische Schulen besuchen, werden seit 1933 diskriminiert und diffamiert, von Lehrern und Mitschülern gequält, schikaniert und benachteiligt. Die Reichsvertretung der Juden in Deutschland und später deren Rechtsnachfolgerin, die Reichsvereinigung, baut daher ein möglichst dichtes Netz jüdischer Schulen auf. In Württemberg bestehen 1933 noch in Buttenhausen und Rexingen öffentliche israelitische Volksschulen. Sie werden in Privatschulen umgewandelt.

1937 gibt es in Württemberg in 15 Orten private jüdische Schulen: Bad Buchau, Bad Mergentheim, Baisingen, Braunsbach, Buttenhausen, Creglingen, Freudental, Göppingen, Heilbronn, Laupheim, Niederstetten, Öhringen, Rexingen, Stuttgart und Ulm. Hinzu kommen das israelische Waisenhaus Esslingen und als höhere Schule das Landschulheim mit Internat Herrlingen. Insgesamt besuchen 587 Schüler, nahezu 90 % der jüdischen Schulpflichtigen diese Einrichtungen, wobei die Schülerzahl zwischen 3 und 223 Schülern schwankt. Bis 1939 sind die meisten dieser Schulen aufgelöst. In Hohenzollern wird 1939 die Israelitische Volksschule Haigerloch, die bis zuletzt als öffentliche Schule besteht, aufgehoben.2

Die Reichspogromnacht (sog. „Reichskristallnacht“) vom 9. auf 10. November 1938, „die Nacht, als die Synagogen brannten“, ist ein Terrorakt bisher unbekannten Ausmaßes. In Württemberg werden 16
Synagogen niedergebrannt und zwölf demoliert. In den beiden jüdischen Gemeinden Hohenzollerns, in Haigerloch und Hechingen, werden die Synagogen verwüstet. Zahlreiche jüdische Geschäfte und Privatwohnungen werden zerstört oder beschädigt, viele Juden verhaftet und zum Teil schwer misshandelt. Hunderte werden wochenlang in den Konzentrationslagern Dachau und Welzheim festgesetzt. Mindestens 13 sterben in den Lagern.

Von „spontanem Volkszorn“ kann nirgendwo gesprochen werden. Die Ausschreitungen sind von der NSDAP organisiert und werden von ihr, der SA und der SS durchgeführt, Die örtlichen SA- und SSFührer
haben in der Regel telefonisch den Befehl erhalten, mit ihren rasch zusammengerufenen Mannschaften die Aktionen, durchzuführen, in der Regel nicht am eigenen, sondern an einem Nachbarort.3 (M 1)

Anlass für die Zerstörungsorgie ist vorgeblich das Attentat des jungen polnischen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath in Paris am 7. November 1938. Sogar die NS-Führung sieht ein, dass die Ausschreitungen zu weit gegangen sind. Noch am 10. November muss Goebbels das Ende der Aktionen befehlen.4 Als man in der NS-Führung erkennt, dass für die entstandenen Verwüstungen die deutsche Versicherungs- und damit die Volkswirtschaft aufzukommen habe, handelt sie rasch:5 Am 12. November 1938 wird die „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes“6 erlassen: Die jüdischen Kultusgemeinden müssen auf eigene Kosten die Trümmer ihrer Synagogen beseitigen lassen. Die Inhaber von demolierten Geschäften müssen diese selbst wieder instandsetzen.7 Die Versicherungsansprüche werden zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt. 8 Darüber hinaus müssen die Juden in Deutschland eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark aufbringen.9 Erstmals erlebt das NS-Regime aber auch, dass es mit der Gewaltmaßnahme beim überwiegenden Teil
der deutschen Bevölkerung auf betretenes Schweigen und offene Ablehnung stößt. Die meisten Deutschen missbilligen die Zerstörung der Synagogen und die Verwüstung jüdischer Geschäfte und Privatwohnungen. Mit der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 10 kommt deren wirtschaftliche Betätigung restlos zum Erliegen: Einzelhandelsgeschäfte und Versandhäuser, der selbständige Betrieb eines Handwerks, der Besuch von Messen und Märkten sind den Juden jetzt verboten. Die Zahl der jüdischen Ärzte und Rechtsanwälte geht seit 1933 drastisch zurück. Die Berufsbezeichnungen „Arzt“ und „Rechtsanwalt“ werden den Juden aberkannt. Als sog. „Krankenbehandler“ und „Rechtskonsulenten“ dürfen sie ausschließlich noch für die jüdische Bevölkerung tätig werden. Ende 1938 gibt es in Württemberg und Hohenzollern noch sieben jüdische Krankenbehandler und sieben Rechtskonsulenten.
Die weitere Entrechtung dokumentiert eine unglaubliche Fülle von Verordnungen und Erlassen, die das Leben der Juden einschränken: Der Besuch von Theatern, Kinos, Museen und Konzerten ist verboten. In zahlreichen Gemeinden wird über bestimmte Plätze und öffentliche Einrichtungen der „Judenbann“ verhängt, d.h. Juden ist der Zutritt untersagt. Im Dezember 1938 werden die Führerscheine und Zulassungsbescheinigungen für Kraftfahrzeuge der Juden für ungültig erklärt.11 Papiere und Fahrzeuge sind abzuliefern. Mit Wirkung vom 1. Januar 1939 sind die Juden verpflichtet, die Zusatznamen „Israel“ und „Sara“ anzunehmen.12 Die Pässe werden mit einem » J « gekennzeichnet.

Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 verschärft sich die Lage für die Juden noch mehr. Ausgangsbeschränkungen hindern sie in manchen Gemeinden tage- oder wochenlang am Verlassen der Häuser. Um jeden Kontakt mit der nichtjüdischen Bevölkerung zu unterbinden, dürfen sie ihre Einkäufe nur in bestimmten Geschäften zu festgelegten Zeiten tätigen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist nur noch mit besonderem Erlaubnisschein möglich. Die Juden müssen ihre Radiogeräte, Woll- und Pelzsachen, Schreibmaschinen, elektrische Geräte, Fotoapparate, Ferngläser, Fahrräder und alle entbehrlichen Kleidungsstücke abgeben. Das Halten von Haustieren ist ihnen untersagt. Sie verlieren ihre
Telefonanschlüsse und dürfen auch öffentliche Fernsprechzellen nicht mehr benützen. Seit September 1941 müssen sie den gelben „Judenstern“ auf der Kleidung tragen. Ab März 1942 sind auch jüdische
Wohnungen durch einen „Judenstern“ neben dem Namensschild zu kennzeichnen. Im Sommer 1942 werden den Juden die Raucherkarte und die Eierkarte entzogen. Seit Oktober 1942 sind sie vom Bezug von Fleisch, Fleischwaren, Weizenerzeugnissen und vieler weiterer Lebensmittel ausgeschlossen. Die jüdischen Zeitungen müssen ihr Erscheinen einstellen. Die Benutzung öffentlicher Leihbibliotheken ist den Juden untersagt. Mit wenigen Ausnahmen dürfen sie ab Februar 1942 auch keine Zeitungen, Zeitschriften, Gesetz- und Verordnungsblätter mehr beziehen. Der Kauf von Büchern ist nur noch über die Reichsvereinigung, nicht mehr in Buchhandlungen möglich.

Seit 1933 verfolgt das NS-Regime mit dem Druck auf die Juden auch das Ziel, auf die jüdischen Vermögenswerte zugreifen zu können. Offensichtlich wird dies durch die so genannte „Arisierung“: Die Juden werden gezwungen, ihre Geschäfte und Häuser weit unter Wert an „Arier“ zu verkaufen. Das jüdische Vermögen wird durch Vermögenserklärungen genauestens erfasst. Die Auswanderung ist nur gegen Zahlung einer hohen „Reichsfluchtsteuer“ möglich. Als ab Oktober 1941 eine Auswanderung nicht mehr möglich ist, verfällt das jüdische Vermögen beim Grenzübertritt, d.h. der lebensrettenden Flucht, dem Reich. Dies gilt auch, wenn der Grenzübertritt erzwungenermaßen durch Deportation erfolgt. Ab 1943, einem Zeitpunkt als immer noch Juden in Württemberg leben, verfällt das Vermögen der Juden mit dem Tode automatisch an das Reich. Für die Juden gibt es kein Erbrecht mehr.

Die lebensrettende Emigration

Bereits 1933 beginnt die Auswanderung, die Nürnberger Gesetze lassen 1935 die Zahlen deutlich ansteigen. Bis Ende 1937 wandern annähernd 29 % der Juden aus. Die Ereignisse im November 1938 machen auch den letzten Juden den Ernst ihrer Lage klar. Bis zu diesem Zeitpunkt hofften viele jüdische Bürger, der Nationalsozialismus werde nach kurzer Zeit wieder verschwinden, oder er werde sich zumindest in seiner Politik mäßigen und ihnen wieder eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz zugestehen. Nach der Reichspogromnacht setzt ein regelrechter Andrang auf Auswanderung ein. 1938 und vor allem 1939 wandern weitere rund 30 % aus. 1940 und 1942 bis zum Auswanderungsverbot am 13. Oktober 1941 emigrieren nochmals 3,5 %. Insgesamt verlassen über 62 % der Juden ihre Heimat.

Obwohl offensichtlich nur durch Emigration dem staatlichen Terror zu entgehen ist, scheuen sich viele Juden trotz aller Repressalien zunächst vor diesem Schritt. Der NS-Führung ist an der Auswanderung durchaus gelegen. Tatsächliche und emotionale Gründe stehen ihr aber entgegen. Längst nicht alle Juden können neben der im November 1938 verordneten „Sühneleistung“ auch noch die hohe „Reichsfluchtsteuer“ aufbringen. Zu bürokratischen Behinderungen auf deutscher Seite kommen teils beträchtliche Schwierigkeiten der Einwanderungsländer hinzu. So verlangen z.B. die USA durch ein „Affidavit“ den Nachweis durch Angehörige oder Vertrauenspersonen in den USA, dass die Emigranten nicht der Fürsorge zur Last fallen würden. Nicht nur in Palästina sind zudem Handwerker und Personen gefragt, die mit landwirtschaftlichen Arbeiten vertraut sind. Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte sind weniger gefragt. Ein objektives Problem stellt auch das hohe Durchschnittsalter der deutschen Juden dar.

Vor allem den jungen Juden wird ab Mitte der 30er Jahre bewusst, dass Deutschland nicht mehr ihr Land sein kann. Für die jüngere Generation der assimilierten deutschen Juden ist die Auswanderung nicht nur ein Abschied von der deutschen Lebensform und Kultur, in ihr sieht sie gleichzeitig einen
neuen Anfang. Für die ältere Generation stellt sich die Auswanderung anders dar. Sie steht vor der Wahl des Überlebens um den Preis des totalen Bruchs mit dem Land, das sie liebte, für das sie wie selbstverständlich im Ersten Weltkrieg ihr Leben eingesetzt hatte. Diese Meinung ist repräsentativ für die Mehrheit der älteren deutschen Juden. Darüber hinaus fühlen sich sehr viele einfach zu alt, zu müde, um im Ausland ein neues Leben zu beginnen.

Die NS-Judenpolitik nach Beginn des Zweiten Weltkriegs

Von der „Judenfrage“ zur „Endlösung der Judenfrage“

Umstritten ist die Frage, ob der Massenmord an der europäischen Judenheit ein originäres Ziel der Nazi-Politik war, oder ob die Nazis erst durch den tatsächlichen Verlauf der Geschichte des Zweiten Weltkriegs dieses Ziel aufgegriffen haben. Es kann hier nicht geklärt werden, wann und warum es letztlich von der „Judenfrage“ über die „Lösung der Judenfrage“ im Rahmen der geopolitischen nationalsozialistischen Rassenpolitik (Stichworte: „Madagaskarplan“ und „Generalplan Ost“) zur so genannten „Endlösung der Judenfrage“ gekommen ist. Festzustellen ist aber, dass mit der Entscheidung Hitlers, die im besetzten sowjetischen Gebiet lebenden Juden auszurotten, auch die Entscheidung zur Vernichtung jener Juden gefallen war, die man zunächst in die freigewordenen Räume deportieren wollte.13 1941 ist das Schlüsseljahr für die gesamte weitere Vernichtungspolitik gegen die Juden. Der Hitlersche Traum der „Gewinnung von Lebensraum“ im Osten ist untrennbar mit seinem weiteren Ziel verknüpft, „die Juden herauszubringen“.

Die „Wannsee-Konferenz“

Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 dient nicht, wie oft angenommen wird, dem Beschluss der Massentötung der Juden, sondern der Koordinierung bereits erfolgter und der Planung zukünftiger Maßnahmen. Der Auftrag zur Ermordung wird bereits am 31. Juli 1941 schriftlich von Göring an Heydrich erteilt:

„ Ich beauftrage Sie [...], mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“14

Der Begriff „Endlösung der Judenfrage“ selbst wird erstmals am 12. März 1941 von Adolf Eichmann, dem Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), in einem Befehl an Gestapo- und SD-Behörden verwendet. Auf der Wannseekonferenz werden

„[...] die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten besprochen [... ] wobei jedoch eine Beunruhigung der Bevölkerung vermieden werden müsse.“15

Adolf Eichmann, verantwortlich für die organisatorische Entwicklung und Ausführung des Endlösungsplanes, präzisiert in seinem Jerusalemer Prozess 1961, dass mit „Lösungsmöglichkeiten“ die verschiedenen „Tötungsmöglichkeiten“ gemeint gewesen seien.16

Die Zwangsumsiedlung der Juden in Württemberg und Hohenzollern

1939 beginnt in Württemberg und Hohenzollern die Zwangsumsiedlung von Juden. Sie werden in bestimmte Häuser und Wohnblocks eingewiesen. 1940 beginnen die Nazis damit, Städte und Dörfer „judenfrei“ zu machen. Die Juden werden zwangsweise in kleinere Städte und Gemeinden eingewiesen, die immer noch einen verhältnismäßig hohen eigenen jüdischen Bevölkerungsanteil haben. In Bad Buchau, Baisingen, Buttenhausen, Haigerloch, Laupheim, Oberdorf am Ipf und Rexingen steigen daher die jüdischen Einwohnerzahlen an. Auch größere Einzelgebäude werden zu jüdischen Altersheimen umgewandelt, so die ehemaligen Schlösser Eschenau (Kreis Heilbronn), Oberstotzingen (Kreis Heidenheim), Weissenstein (Kreis Göppingen), das ehemalige Landschulheim Herrlingen (Alb-Donau-Kreis) und das frühere Gemeindearmenhaus in Tigerfeld (Kreis Reutlingen). Die Unterbringung der Juden stellt die kleinen und meist finanzschwachen Gemeinden vor schwierige Probleme. Die Gemeindeverwaltungen und die nationalsozialistisch eingestellten Bevölkerungskreise fügen sich nur widerwillig dem zwangsweisen Bevölkerungszuwachs.

Beginn der „Endlösung der Judenfrage“ – Erste Deportationen

Am 1. September 1939 überfällt die deutsche Wehrmacht Polen. Den Wehrmachtstruppen folgen „Einsatzgruppen“, die auf Befehl Heydrichs methodisch und schrittweise die „Endlösung der Judenfrage“ vorbereiten. Die Juden werden in Ghettos zusammengetrieben. Es kommt zu vielfachen Massenerschießungen. Von Anfang an ist geplant, die polnischen Juden in den Osten zu deportieren.

Im Februar und März 1940 werden erstmals Juden aus dem „Altreichsgebiet“ deportiert: 1200 Juden aus Stettin und 600 Juden aus Schneidemühl. Diese ersten Deportationen sind regional begrenzt und
bleiben vorerst ohne Nachfolge.

Die Deportation der Juden aus Baden am 22. Oktober 1940

Eine weitaus größere Aktion ist die Deportation von rund 5.360 Juden aus Baden, die mit 1.100 Juden aus der Pfalz und dem Saarland am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Südfrankreich deportiert werden. Die Aktion ist streng geheim geplant und die Betroffenen werden von der Deportation erst unmittelbar vor der Festnahme und dem Abtransport informiert. Diese „Bürckel-Aktion“ stellt einen Sonderfall dar, da die Gauleiter von Baden und Saarpfalz, Robert Wagner und Josef Bürckel, die in Personalunion zugleich die Gauleiter des Elsaß und von Lothringen sind, vorauseilend und eigenmächtig ihre Gaue „judenrein“ melden wollen, um sich bei der NS-Führung beliebt zu machen. Sie nutzen dabei eine Klausel im Waffenstillstandsvertrag mit Frankreich, nach der alle Juden aus dem Elsaß und aus Lothringen in das unbesetzte Frankreich abgeschoben werden sollen. Wagner und Bürckel dehnen diese Bestimmung auch auf die badischen und saarpfälzischen Juden aus.

Die Deportationen 1941 und 1942 aus Württemberg und Hohenzollern

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 („Unternehmen Barbarossa“) beginnt die Ermordung der sowjetischen Juden durch Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD). Die Massenvernichtung wird grausige Realität. Ab Mitte Oktober 1941 setzen die Deportationen aus dem Reich ein: Die Züge verfrachten die Juden nach Polen, in die westlichen Gebiete der Sowjetunion und in das Baltikum. An die Stelle der Auswanderung und der gewaltsamen Vertreibung ist jetzt die Ausrottung der Juden gerückt. Damit ist die Phase des großangelegten Massenmordes erreicht, der im industrialisierten Völkermord in den Vernichtungslagern fortgeführt werden wird. Um das millionenfache Morden „technisch zu bewältigen“ und um die Nerven der Täter zu schonen, tritt neben das bislang vor allem praktizierte Erschießen die „Vergasung“, mit der man seit der Ermordung der Geisteskranken
im Rahmen der „Euthanasie“ (z.B. in Grafeneck) bereits Erfahrungen hat. 10

Die Organisation der Deportationen

Die Verschleppung der Juden aus dem Deutschen Reich wird als „Geheime Reichssache“ erklärt und im Stil einer gigantisch angelegten Polizeiaktion durchgeführt. Zuständig für die Durchführung in Württemberg-Hohenzollern ist die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Stuttgart. Am Beispiel der ersten Deportation aus Württemberg und Hohenzollern, die im Dezember 1941 erfolgt, sollen Organisation und Durchführung der Deportationen etwas ausführlicher dargestellt werden. Die weiteren Deportationen weichen in Details zwar etwas davon ab, verlaufen aber im Wesentlichen gleichartig.
Mit Erlass der Geheimen Staatspolizei vom 18. November 1941 an die Landräte und Polizeidirektoren teilt die Gestapo den bevorstehenden Transport mit:

„Im Rahmen der gesamteuropäischen Entjudung gehen z.Z. laufend Eisenbahntransporte mit je 1000 Juden aus dem Altreich [...] nach dem Reichskommissariat Ostland. Württemberg ist daran zunächst mit einem Transport von 1000 Juden beteiligt, der am 1.12.1941 von Stuttgart
aus abgeht. [...]
Die in Frage kommenden Juden wurden bereits hier zahlenmäßig und personell erfasst. [...]:17
(Umfassender Textauszug s. M 2)

Die formal-rechtliche Grundlage für die Beschlagnahme des jüdischen Vermögens bildet die „11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941“18, wonach ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, wenn er seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt. Verliert ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit, so verfällt sein Vermögen dem Reich. Die Deportation wird von den Nazis als Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland gewertet und das Vermögen geht an das Deutsche Reich.
Zu dieser Linie passt es, dass die Juden die Kosten ihrer eigenen Deportation zu tragen haben.

Es ist eine besondere Perfidie der Gestapo, dass sie der Jüdischen Kultusvereinigung Württemberg die Vorbereitung und Zusammenstellung des Transportes überträgt. Die Kultusvereinigung hat die Teilnehmer
des Transportes zu benachrichtigen und einzuberufen, und den Großteil der finanziellen, organisatorischen und technischen Anforderungen zu bewältigen. Mit Rundschreiben vom 19.11.1941 informiert die Jüdische Kultusvereinigung alle betroffenen Juden, „dass Sie und Ihre oben bezeichneten Kinder zu einem Evakuierungstransport nach dem Osten eingeteilt worden sind.“19 Die einzelnen Bestimmungen des Gestapo-Erlasses vom vorangegangenen Tag werden detailliert erläutert (M 3). 20

Die Deportation nach Riga am 1. Dezember 1941

 - Die Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung

Das Beispiel der Gemeinden Haigerloch und Hechingen soll die Umsetzung des Gestapo-Erlasses zeigen. In Haigerloch und Hechingen gehen die Vorbereitungen für die erste Deportation zügig voran.
Der Landrat von Hechingen hat bei der Reichsbahndirektion drei Eisenbahnwagen angefordert, die dem fahrplanmäßigen Zug der Hohenzollerischen Landesbahn angehängt werden. Der Zug wird in Hechingen planmäßig um 11.21 Uhr und in Haigerloch um 12.07 Uhr abfahren. In Eyach werden die Wagen auf die Reichsbahn überstellt und mit dem Zug 2818 über Tübingen nach Stuttgart weiterfahren, wo sie um 16.26 Uhr im Hauptbahnhof eintreffen werden. Nach einer entsprechenden Vereinbarung des Landrats mit der Reichsbahndirektion sollen die Wagen bis zum Nordbahnhof weitergeleitet werden, „um beim Ausladen auf dem Hauptbahnhof unliebsame Verkehrsstauungen zu vermeiden und weil das Durchgangslager auf dem Killesberg vom Nordbahnhof besser zu erreichen ist [...].“21 Am gleichen Tag werden die Bürgermeister über den Sachstand informiert:22 In Haigerloch wird das Gepäck an der Sammelstelle in der Weil’schen Scheuer, in Hechingen im Gemeindehaus gelagert. Es wird von der beauftragten Speditionsfirma am 25. November in Güterwagen verladen, die auf dem Haigerlocher Bahnhof bereitstehen. Wegen der Liquidierung des eingezogenen Vermögens trifft am 24. November ein Beamter des Finanzamts Sigmaringen ein, um den Ablauf zu regeln. Am 24. November erhält der Hechinger Landrat die Beschlagnahmeverfügungen, und schon am 26. November kann er per Eilboten der Gestapo-Staatspolizeileitstelle und dem Regierungspräsidenten mitteilen, dass die Beschlagnahme- und Einziehungsverfügungen den Juden unverzüglich durch den Obergerichtsvollzieher aus Hechingen zugestellt worden sind.23

- Der Transport

Am 27. November 1941 beginnt dann der sorgfältig vorbereitete Abtransport von jüdischen Bürgern aus Haigerloch. Die Juden aus Hechingen sind bereits dort in den Zug gestiegen. Auf ausdrückliches Verlangen der NSDAP-Ortsgruppe begeben sich die für den Transport bestimmten Juden vom jüdischen Wohnviertel „Haag“ über den abgelegenen Weg St. Annahalde zum Bahnhof, wo sie erst 20 Minuten vor Abfahrt des Zuges eintreffen sollen.24 Scheuen die braunen Schergen die Blicke der Nachbarn oder der Öffentlichkeit? Dazu passt die euphemistische Umschreibung der Deportation mit den Begriffen „Evakuiert“ oder „Unbekannt verzogen“. Auf dem Bahnhof findet die angeordnete Untersuchung nach Waffen, Munition, Sprengstoff, Gift, Devisen und Schmuck durch Beamte der Gendarmerie statt. Die jüdischen Frauen werden von Pflegerinnen und Fürsorgerinnen per Leibesvisitation
in einem Zimmer untersucht. Sie müssen ihre Kleidung öffnen. Eine Pflegerin nimmt der gleich zu deportierenden Selma Weil eine wertvolle Kette ab. Sie wird nach dem Krieg im Strafprozess gegen den ehemaligen Hechinger Landrat als Zeugin aussagen, dass nach ihrer Beobachtung vielen Frauen Schmuck aus Familienbesitz abgenommen wird.25 Viele Jüdinnen weinen. Eine der bei den Leibesvisitationen eingesetzte Fürsorgeschwester wird nach dem Krieg im Prozess aussagen, auch sie habe als weich veranlagter Mensch mit den jüdischen Frauen geweint. Angefasst habe sie niemanden. Sie habe den Unglücklichen Trost gespendet und Gottvertrauen anempfohlen. Bei der Durchsuchung beschlagnahmen die Beamten bei 46 Personen insgesamt RM 258,65. Dabei scheuen sie auch nicht vor Kleinstbeträgen von 18 oder 50 Pfennigen zurück.26 Dann setzt sich der Deportationszug in Bewegung.
In jedem Wagen befindet sich ein Polizeibeamter, Leiter des Transportes ist Regierungshauptsekretär Metzger. Unmittelbar nach dem Abtransport werden die freigewordenen Wohnungen polizeilich versiegelt und später vom Beauftragten des Finanzamts übernommen.27

- Das Sammellager auf dem Stuttgarter Killesberg

In Stuttgart werden die aus Württemberg und Hohenzollern eintreffenden Juden in einem Sammellager auf dem Killesberg zusammengefasst. Am 1. Dezember 1941 verlässt der erste Deportationstransport mit rund 1.000 Juden den Stuttgarter Hauptbahnhof. Das Ziel, das nach langer Fahrt schließlich am 4. Dezember erreicht wird, ist Riga.28 (M 4)

- Riga

Die Mehrzahl der Deportierten kommt in das Lager Jungfernhof. Sie werden in Scheunen und Ställen untergebracht. Da die Gebäude in sehr schlechtem Zustand sind, und teilweise die Dächer fehlen, liegen die Menschen bei Minustemperaturen von 30 bis 40° praktisch im Freien. Ein kleiner Teil der Deportierten kommt wohl auch in das Ghetto Riga, eine ganze Anzahl von Männern in das 12 km entfernte Lager Salas-Pils. Am 26. März 1942 wird eine unbekannte Zahl von Juden Opfer einer Massenerschießung in Bikernieki, dem „Birkenwäldchen“, der Hinrichtungsstätte des Ghettos Riga. Sehr viele Deportierte, darunter ganze Familien, können die Kälte, Hunger, Krankheiten und den harten
Arbeitseinsatz nicht aushalten und gehen an den extrem schweren Bedingungen zugrunde. Von den rund 1.000 Juden, die am 1. Dezember 1941 ab Stuttgart deportiert werden, überleben etwa 40 Personen.
(M 12, M 13)

Die weiteren Deportationen

Die Deportation nach Izbica am 26. April 1942

Am 26. April 1942 verlässt der zweite Transport Stuttgart.29 Für die Deportation gibt es jetzt eine andere Begründung. Erfolgt die erste noch „im Rahmen der gesamteuropäischen Entjudung“, so heißt es nunmehr, die „[...] Umsiedlung stellt den Beginn der Endlösung der Judenfrage [...] dar.“30 Der Transport, der von Stuttgart nach Izbica bei Lublin abgeht, umfasst etwa 350 Juden. Es sind vor allem jüngere Personen, darunter viele Kinder. Im Ghetto herrschen völlig verwahrloste Zustände. Auf den Straßen liegt der Schlamm knietief. Die Verpflegung ist äußerst knapp. Das mitgebrachte Gepäck wird den Deportierten nicht ausgehändigt, so dass ein ungeheurer Mangel an Wäsche und Kleidung besteht. Mit Fug und Recht lässt sich dieser Deportationszug als reiner Todestransport bezeichnen: Keiner der Verschleppten hat die Deportation überstanden. Wie viele bereits in Izbica sterben oder nach Belzec und Sobibór weiterverschleppt und dort in den Gaskammern ermordet werden, ist nicht geklärt.

Die Deportation nach Auschwitz am 13. Juli 1942

Am 13. Juli 1942 werden mit einem kleineren Transport rund 40 württembergische Juden von Stuttgart unmittelbar nach Auschwitz deportiert. Über ihr Schicksal ist nichts mehr bekannt geworden. Mit größter Wahrscheinlichkeit werden die Opfer direkt von der Rampe in die Gaskammern von Auschwitz getrieben.31 Umfassen die Deportationen nach Riga und Izbica vor allem Angehörige der jüngeren und mittleren Generation, so sind von dieser Deportation hauptsächlich alte, schwerkranke und gebrechliche Personen betroffen.

Die Deportation nach Theresienstadt am 22. August 1942

Am 22. August 1942 geht der größte Deportationszug aus Stuttgart mit dem Ziel Theresienstadt ab. Er umfasst rund 1.100 überwiegend ältere Juden aus Württemberg, Hohenzollern und auch aus Baden. Im Protokoll der „Wannsee-Konferenz“32 wird Theresienstadt als Altersghetto bezeichnet. Juden im Alter von über 65 Jahren sollen nicht in den Osten deportiert werden, sondern in Theresienstadt verbleiben können. Sie werden durch so genannte „Heimeinkaufsverträge“ noch in Sicherheit gewiegt, sich auf Lebenszeit eine angemessene Unterkunft und Verpflegung erkaufen zu können. Sie werden bitter getäuscht.
Knapp sechs Wochen nach ihrem Eintreffen in Theresienstadt leben von den deportierten Personen etwa 25 % nicht mehr33. Sie fallen Raumnot, Schmutz und mangelhafter Ernährung zum Opfer. Für weitere über 25 % der Deportierten geht der Transport innerhalb weniger Wochen hauptsächlich nach Treblinka, aber auch in andere Vernichtungslager weiter, wo sie durch Gas ermordet werden. Lediglich etwa 50 Personen überleben von diesem Transport.

Ab Ende des Jahres 1942 ändern sich die Verhältnisse im Lager etwas zum Besseren. Theresienstadt soll nach außen zu einem „Renommierlager“ werden, das vor allem im Ausland den Berichten von den Massenvernichtungen entgegenwirken soll. Selbst die Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes fallen auf die Täuschung herein.34 Es entstehen Reparaturwerkstätten für Kleider, Schuhe und Gebrauchsgegenstände, die Räume erhalten Bettgestelle. Die ärztliche Versorgung der Lagerinsassen wird verbessert. Epidemisch auftretende Krankheiten wie Masern, Scharlach und Typhus gehen zurück. Die Lagerleitung lässt Medikamente und Impfstoffe bereitstellen.

Gespenstisch mutet angesichts der stets lebensbedrohlichen Verhältnisse das von der SS erlaubte, zeitweilig gar geförderte „kulturelle Leben“ im Lager an. Theater- und Opernaufführungen, Konzerte, Vorträge, eine „Ghettozentralbibliothek Theresienstadt“ mit annähernd 50.000 aus jüdischem Besitz beschlagnahmten Büchern sollen „Normalität“ vorspiegeln. Der von der NS-Propaganda darüber gedrehte „Dokumentar“-Film „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ kann als Höhepunkt des für das System typischen Zynismus betrachtet werden.
Es muss angefügt werden, dass diese Maßnahmen trotz aller Perfidie ungewollt vielen Gefangenen Halt, Trost und etwas Ablenkung von der durchaus bekannten Gefahr einer künftigen weiteren Deportation in die Vernichtungslager gaben.

Weitere Deportationen aus Baden, Württemberg und Hohenzollern 35

Am 29. September 1942 werden 41 noch verbliebene badische Juden in einem Vernichtungstransport nach Auschwitz verschleppt. Nicht eine der deportierten Personen überlebt.

Am 1. März 1943 werden aus Stuttgart 44 Juden nach Auschwitz deportiert. Nur einer überlebt. Durch diesen Transport werden erstmals auch Partner von nicht mehr bestehenden Mischehen betroffen. Ob
die Ehe wegen erfolgter Scheidung oder wegen des Todes des nichtjüdischen Ehegatten nicht mehr besteht, bleibt unberücksichtigt.

Ein weiterer Transport mit 20 Juden geht am 17. April 1943 nach Theresienstadt. Fünf von ihnen überleben.

Ein größerer Transport, der 76 Personen umfasst, geht am 11. Januar 1944 ebenfalls nach Theresienstadt. 60 Personen überleben, 16 verlieren das Leben.

Rund drei Monate vor Kriegsende geht der letzte Transport nach Theresienstadt. Von den 177 Personen, die ihm angehören, kommen vier ums Leben, 173 erleben das Kriegsende.

Neben diesen Deportationstransporten führt die Gestapo zwischen Herbst 1942 und Anfang 1945 noch eine Reihe weiterer Deportationen durch, von denen jeweils nur wenige Juden oder jüdische Einzelpersonen betroffen sind. Insgesamt werden auf diese Weise mindestens 147 Personen deportiert, von denen nur 21 überleben.

Kommentiertes Verzeichnis der Quellen und Literatur
Umfangreiches Quellenmaterial zu den Deportationen ist im Hauptstaatsarchiv Stuttgart im Bestand EA 99/001 zusammengestellt.
Einen raschen Zugriff auf wichtige Dokumente erlaubt:
Sauer, Paul:
Dokumente über die Verfolgung der Jüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933-1945. Teile I und II. Im Auftrag der Archivdirektion Stuttgart bearb. von Paul
Sauer. Stuttgart 1966. (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden Württemberg, Bd. 16 und Bd. 17).

Immer noch die umfassendsten und zuverlässigsten Werke:
Sauer, Paul:
Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933-1945. Stuttgart 1969. (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden
Württemberg, Bd. 20).


Gedenkbuch:
Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Baden-Württemberg 1933-1945. Ein Gedenkbuch. Hrsg. von der Archivdirektion Stuttgart. [Bearb. von Paul Sauer]. Stuttgart 1969. (Veröffentlichungen
der Staatlichen Archivverwaltung Baden Württemberg, Beiband zu Bd. 20).
 

Was die Deportationen aus Baden-Württemberg anlangt, weitgehend auf dem vorgenannten Gedenkbuch basierend, und mit einem benutzerfreundlichen Ortsindex versehen:

Gedenkbuch:
Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. Bearb. vom Bundesarchiv Koblenz, und dem Internationalen Suchdienst Arolsen.
2 Bde. Koblenz 1986.

Ein wichtiges Hilfsmittel für die Erforschung der weiteren Schicksale der nach Theresienstadt deportierten Juden:

Theresienstädter Gedenkbuch:
Theresienstädter Gedenkbuch: Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942-1945. Prag und Berlin 2000.

Benützte Quellen und Literatur

Neben den bereits oben erwähnten Quellen und der Literatur wurden weiter benützt:
Quellen, Gesetzestexte
Stadtarchiv Haigerloch Akten Nr. 697 und 898.
Staatsarchiv Sigmaringen Ho 400 Nr. 576
Reichsgesetzblatt Teil I, Jg. 1938 und Jg. 1941

1 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 59-60.
2 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 64-67.
3 Sauer, Jahrestag S. 37.
4 Sauer, Jahrestag S.41.
5 Goebbels-Tagebücher, Bd. 3 : 1935-1939, Eintrag zum 10. November 1938 Anm. des Hrsg. S. 1282,
Anm. 131.
6 Reichsgesetzblatt I S. 1581.
7 Sauer, Jahrestag S. 42.
8 Zitierte VO (§ S Abs. 2) Reichsgesetzblatt I S. 1581.
9 Reichsgesetzblatt I, S. 1579.
10 Reichsgesetzblatt I, S. 1580.
11 Walk III Rdn. 47.
12 Sauer, Jahrestag S. 44.
13 Ebenda, S. 42.
14 Zitiert nach Kammer/Bartsch, S. 70.
15 Zitiert nach Kammer/Bartsch, S. 274.
16 Vgl. Krausnick, S. 324.
17 Erlass der Gestapo/Staatsleitstelle Stuttgart Nr. II B 2 1147/41 vom 18.1.941. Zitiert nach Sauer, Dokumente
Bd. 2, Nr. 462.
18 RGBl. 1941 I, S. 722
19 Stadtarchiv Haigerloch Akte Nr. 898.
20 Stadtarchiv Haigerloch Akte Nr. 898.
21 Schreiben des Landrats in Hechingen vom 21.11.1941 an die Reichsbahndirektion Stuttgart:
Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 99/001 Bü 235.
22 Schreiben des Landrats an die Bürgermeister in Haigerloch und Hechingen vom 21.11.1941 Stadtarchiv Haigerloch Akte Nr. 898.
23 Schreiben des Landrats
24 Schreiben des Ortsgruppen-Geschäftsführers der NSDAP Kronenbitter an den Bürgermeister vom 26.11.1941:
Stadtarchiv Haigerloch Akte Nr. 697.
25 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 400 Nr. 576.
26 Aufstellung des Bürgermeisters vom 27.11.1941: Stadtarchiv Haigerloch Akte Nr. 898.
27 Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 99/001 Bü 235.
28 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 282-290.
29 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 290-291.
30 Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 99/001 Bü 235.
31 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 291 und 393.
32 Vgl. Poliakov, Das Dritte Reich und die Juden, S. 119 ff.
33 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S 292-304 und 393.
34 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 301-302 und 393.
35 Sauer, Schicksale der jüdischen Bürger, S. 304-307 und 393.


 

2. Erinnern und Gedenken heute

1962 errichtete die Stadt Stuttgart im Eingangsbereich des Höhenparks Killesberg einen Gedenkstein zur Erinnerung an die Deportation der württembergischen Juden. Jährlich findet seither dort am 1. Dezember eine Gedenkfeier statt. In vielen Orten erinnern ebenfalls Mahnmale oder Erinnerungstafeln an die ehemaligen jüdischen Gemeinden oder die Deportation. In Blaustein-Herrlingen, Bopfingen-Oberdorf, Creglingen, Freudental, Haigerloch. Hechingen, Münsingen-Buttenhausen, Obersulm-Affaltrach, Rottenburg-Baisingen, Schwäbisch Hall, und Wallhausen-Michelbach a.d. Lücke entstanden Gedenkstätten, die an das Schicksal der jüdischen Bürger, an ihre Gemeinden und ihre Kultur erinnern. Der Besucher erfährt dort in Ausstellungen, durch Führungen, spezielle Publikationen und Veranstaltungen die Geschichte der Juden in Württemberg. Im November und Dezember des Gedenkjahrs 2001 fanden auch an vielen anderen Orten Gedenkfeiern statt. (M 11)

Die Gräber- und Gedenkstätte im Bikernieki-Wald von Riga (M 12, 13, 14, 15)

Während des Zweiten Weltkrieges besetzte die Rote Armee die baltischen Staaten, die als Sowjetrepubliken der UdSSR einverleibt wurden. Das spätere staatlich verordnete Gedenken galt ausschließlich der Sowjetarmee und den Antifaschisten. Die jüdischen Opfer aus Lettland selbst wie auch die aus Deutschland und dem übrigen Europa gerieten weitgehend in Vergessenheit.

Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989 und der wiedergewonnenen Unabhängigkeit kam es auch in diesen Staaten zur Rückbesinnung auf eine ganzheitliche Geschichtsbetrachtung. Gleichzeitig begann die lettische Regierung, die Beziehungen zu den westlichen Staaten neu zu ordnen. Bereits am 20. April 1993 wurde eine "Gemeinsame Erklärung über die Beziehungen zwischen Deutschland und Lettland" unterzeichnet. Sie war Voraussetzung für das im Januar 1996 geschlossene Kriegsgräberabkommen, das auch die Gräber „sonstiger Personen deutscher Staatsangehörigkeit ... die nach ihrer Deportation gestorben sind“ einschließt. Damit war staatsrechtlich der Weg zu einer Gedenkstätte für die Ermordeten im Bikernieki-Wald gebahnt.

Am 23. Mai 2000 gründeten Repräsentanten von dreizehn deutschen Städten auf Anregung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten in Berlin das "Deutsche Riga-Komitee". Dessen Aufgabe ist es, an das Schicksal der über 25.000 deutschen Juden zu erinnern, die überwiegend im Bikernieki-Wald ermordet wurden. Mitglieder wurden: Berlin, Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Kassel, Köln, Leipzig, Münster, Nürnberg, Osnabrück, und Stuttgart. 2001sind Bocholt, Kiel, Lübeck, Wien, Bremen und Paderborn beigetreten. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Stadtverwaltung Riga sowie die "Initiative Riga" aus Wien unterstützten das Projekt. Die Finanzierung erfolgte durch Sonderzuschüsse vom Bund und durch Zuwendungen der beteiligten Städte.

Der Volksbund errichtete in Zusammenarbeit mit seiner lettischen Partner-Organisation, dem Brüderfriedhöfekomitee, und der Stadtverwaltung Riga den Opfern eine würdige Gräber- und Gedenkstätte. Bereits am 30. November 2001, 60 Jahre nach Beginn der Deportation, wurde sie in Anwesenheit der lettischen Staatspräsidentin , Frau Vaira Vike-Freiberga, eingeweiht.

Im Zentrum steht eine weiße Marmorstruktur (M 15), mit einem Kubus in der Mitte. Er enthält das Gedenkbuch mit den Namen der 1941/42 verschleppten Juden. Es wurde von Historikern der "Neuen Synagoge Berlin - Centrum Judaicum" und der Bildungsstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" mit Unterstützung aus den Ländern erarbeitet.
In einer feierlichen Zeremonie wurden die Namensrollen der Länder in dem Kubus hinterlegt. Die Metallkartusche mit den Namen der aus Württemberg Deportierten wurde von Professor Dr. Paul Sauer, dem verdienten Historiker des südwestdeutschen Judentums, eingehoben. (M 10) In Verbindung mit der Feier fanden in Riga mehrere Gedenkfeiern wie auch wissenschaftliche Veranstaltungen statt. Mit der künftigen Pflege der Anlage durch lettische und deutsche Jugendliche soll ein lebendiges Band
zwischen Riga und den Städten, von denen die Deportation ausging, geknüpft werden. 16

Eine Gedenkstätte am Stuttgarter Nordbahnhof als „Zeichen der Erinnerung“ (M 6, 7, 8)

Die Deportationszüge aus Württemberg gingen nicht von den Personenbahnsteigen des Stuttgarter Nordbahnhofs ab, sondern von den nahegelegenen Industriegleisen des inneren Nordbahnhofs an der
Otto-Umfrid-Straße (M 6). Über lange Jahre war diese Tatsache kein öffentliches Thema, der Ort praktisch vergessen.

Das änderte sich erst Ende der neunziger Jahre. Im Zusammenhang mit den Neuplanungen im Rahmendes Projekts "Stuttgart 21" auf dem freiwerdenden Bahngelände drohte die Planierung des weitgehend
brachliegenden Reviers. Die 1994 neu gegründete "Stiftung Geißstraße 7" nahm sich im Verein mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern wie auch einer Reihe öffentlicher Institutionen des Themas an. Nach positiven Rückmeldungen aus Rathaus und Gemeinderat wurde im Winter 2001/02 ein Wettbewerb für ein "Zeichen der Erinnerung" ausgeschrieben. Die Ergebnisse wurden von einer Jury im Mai 2002 prämiert (M 8). Nach einer Überarbeitung soll die Realisierung möglichst bald angegangen werden. Die überwältigende Mehrheit des Stuttgarter Gemeinderats, die Stadtverwaltung und Oberbürgermeister Dr. Schuster haben sich anschließend für das Projekt ausgesprochen. Es besteht Einigkeit darüber, dass der Tatort an den Gleisen entsprechend der von der Jury preisgekrönten Planung von Ole Schreer durch einen begehbaren Rahmen gefasst und gesichert werden soll. Auch eine mediale Ergänzung als Information vor Ort soll es geben. Die Stadt Stuttgart wird als Eigentümerin das Gleisgelände zunächst vor jeder anderen Nutzung schützen.
Schüler der nahegelegenen Rosensteinschule reinigten im Frühjahr das ziemlich verwahrloste Gelände und kennzeichneten den „Bezirk“ der geplanten Gedenkstätte mit einem Trassierband.

Für das ganze Land: Die Wanderausstellung
" Ruth 'Sara' Lax, 5 Jahre alt, deportiert nach Riga "

Deportation und Vernichtung badischer und württembergischer Juden (M 16)

Am Schicksal der Stuttgarterin Ruth Lax, des Ludwigsburgers Ludwig Elsas und des Pforzheimers Hellmuth Wolff macht die Ausstellung die Leidensgeschichte der jüdischen Bevölkerung fassbar und konkret. Ihre Biographien stehen stellvertretend für die Verbrechen der Nationalsozialisten an Millionen anderer Menschen. Auch der Weg zur "Endlösung" wird beschrieben und Täter werden benannt.

Sie umfasst zehn übersichtliche Kapitel:
1. Ruth, mit 5 Jahren deportiert und erschossen
2. Die organisierte Gewalt beginnt
3. Polen: Experimentierfeld für Massenmord
4. "Abschiebung der Juden aus Baden"
5. Neue Dimensionen des Mordens
6. Die Deportation der württembergischen Juden
7. Täter
8. Die Wannsee-Konferenz
9. Auschwitz und "Aktion Reinhard": Vernichtung im Akkord
10. Strafverfolgung

Innerhalb der regionalen Bezüge wird auch die Arbeit und Bedeutung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg gewürdigt. Erarbeitet wurde die Ausstellung vom Bundesarchiv - Außenstelle Ludwigsburg und dem Staats- wie auch dem Stadtarchiv Ludwigsburg. Sie leisten mit dieser am 14. Mai 2002 erstmals gezeigten Ausstellung einen wichtigen Beitrag zu einer lebendigen, regional ausgerichteten Erinnerungsarbeit in Baden-Württemberg. Es wäre zu wünschen, dass die Ausstellung gerade an den Orten, an denen keine Erinnerungstradition besteht, gezeigt wird.

Ansprechpartner für Auskünfte und Buchungen ist das
Bundesarchiv - Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte,
Frau Jesse, Herrenstraße 18 (Schloss), Postfach 1235, 76402 Rastatt,
Fon: (07222) 77139-4, Fax: 777139-7

 



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