M 1
In einem parteiinternen
Bericht des Obersten Parteigerichts der NSDAP vom Februar 1939, der
1946 in Nürnberg dem Internationalen Militärgerichtshof als
Beweisstück vorgelegt wird, heißt es:
- "Die mündlich gegebenen Weisungen des
Reichspropagandaleiters sind von sämtlichen anwesenden
Parteiführern so verstanden worden, dass die Partei nach außen
nicht als Urheber der Demonstrationen in Erscheinung treten, sie
in Wirklichkeit aber organisieren und durchführen sollte." 36
M 2
- "Im Rahmen der gesamteuropäischen Entjudung gehen
z. Z. laufend Eisenbahntransporte mit je 1000 Juden aus dem
Altreich [...] nach dem Reichskommissariat Ostland.
Württemberg ist daran zunächst mit einem Transport von 1000
Juden beteiligt, der am 1.12.1941 von Stuttgart aus abgeht.
[...]
- Die in Frage kommenden Juden wurden bereits hier
zahlenmäßig und personell erfasst. [...]
- Der für die Beförderung der Juden vorgesehene
Eisenbahnzug fährt fahrplanmäßig am 1. Dezember 1941
zwischen 8 und 9 Uhr von Stuttgart ab. Die zu evakuierenden
Juden [...] werden in einem Durchgangslager auf dem Gelände
der früheren Reichsgartenschau (Killesberg) in Stuttgart vom
27.11.1941 ab konzentriert. [...]
-
- Es darf pro Person mitgenommen werden:
- Zahlungsmittel bis zu RM 50.– in
Reichskreditkassenscheinen. Die Beschaffung dieser
Zahlungsmittel erfolgt von hier aus, so dass die dortigen
Juden praktisch keine Zahlungsmittel beim Transport mit sich
führen dürfen.
- 1 oder 2 Koffer mit Ausrüstungsstücken [...]. Dieses
Gepäck darf das Gewicht von 50 kg nicht überschreiten.
- Bettzeug [...], Vollständige Bekleidung [...],
Mundvorrat für 1-2 Tage [...] Essgeschirr [...].
-
- N i c h t mitgenommen werden dürfen: Wertpapiere,
Devisen, Sparkassenbücher usw., Wertsachen aller Art (Gold,
Silber, Platin, mit Ausnahme des Eherings), lebendes Inventar.
-
- Die ab 1.12.1941 gültigen Lebensmittelkarten sind vorher
[...] abzugeben.
- Vor Überstellung der [...] Transporte nach hier ist
durch die Ortspolizeibehörde eine eingehende Durchsuchung
nach Waffen, Munition , Sprengstoffen, Gift, Devisen, Schmuck
usw. vorzunehmen. Das dabei erfasste Vermögen ist
listenmäßig dem örtlichen Finanzamt zu übergeben [...]
-
- Um etwaigen Vermögensverschiebungen vorzubeugen, wird
das Vermögen der abzuschiebenden Juden in seiner Gesamtheit
staatspolizeilich beschlagnahmt.
- Über die Jüdische Kultusvereinigung ist den Juden
bereits das als Anlage beigefügte Formular einer
Vermögenserklärung zugegangen, in dem sie ihr Vermögen
restlos aufzuführen und das Verzeichnis bis spätestens
15.11.1941 dem jeweiligen Bürgermeisteramt vorzulegen haben.
Die Bürgermeister haben die Verzeichnisse stichprobenweise
nachzuprüfen und dem zuständigen Finanzamt einzusenden.
- Das gesamte Vermögen dieser Juden wird generell
eingezogen. [...]. Die Liquidation führt der
Oberfinanzpräsident in Württemberg durch die örtlichen
Finanzämter durch. Ich ersuche daher, sofort mit diesen wegen
der Versiegelung der Wohnungen und sonstigen Maßnahmen in
Fühlung zu treten [...].
-
- Die zur Evakuierung kommenden Juden wurden aus Gründen
der Verwaltungsvereinfachung und der Einheitlichkeit wegen auf
meine Anordnung durch die Jüdische Kultusvereinigung heute
durch das in Mehrfertigung beiliegende Rundschreiben
(Einschreiben) verständigt. [...]
-
- Zur Sammlung des übrigen, zum Teil schweren Gepäcks
habe ich für den ganzen Bereich Württemberg und Hohenzollern
die Firma Barr, Möhring und Co., Stuttgart, beauftragt. Sie
hat im Benehmen mit der dortigen Behörde das anfallende Gut
[...] zusammenzuziehen und zum Abgangsbahnhof zu befördern
[...]
- Weil in dem Siedlungsgebiet zur Errichtung eines Ghettos
nicht das geringste Material vorhanden ist, ersuche ich ferner
[...] zu veranlassen, das sich eine nach der jeweiligen
Kopfzahl richtende Menge von Baugerät, Werkzeugkästen,
ferner Küchengerät für Gemeinschaftsverpflegung, z.B.
Kessel, sowie Öfen, Eimer und Sanitätskästen vorhanden
sind. [...]: Auf je 10 Personen einen Eimer, eine Schaufel
oder einen Spaten, einen Pickel, ein scharfes Beil oder eine
Axt, auf je 20 Personen eine Säge, einen größeren
Werkzeugkasten, auf je 50 Personen einen Ofen mit Ofenrohr und
Ofenblech und Sanitätskasten, auf je 100 Personen einen
Kochkessel und eine Nähmaschine [...].
-
- Dortige Aufgabe 37 [d.h. Aufgabe der Landrats- und der
Bürgermeisterämter] ist es also, die Juden rechtzeitig zu
sammeln, im Benehmen mit den Finanzbehörden das Vermögen
sicherzustellen, die Wohnungen zu versiegeln, evtl.
Hausverwalter zu bestellen, die einzelnen Personen durchsuchen
zu lassen, das Gepäck zu kontrollieren und mit einer
entsprechenden Anzahl von Beamten im Sammellager Stuttgart
einzuliefern.
- Soweit für den Personentransport nach Stuttgart im
Hinblick auf die Zahl der zu befördernden Personen besondere
Eisenbahnwagen benötigt werden, ist das Erforderliche von
dort aus zu veranlassen. Der Transportführer (Beamter) hat
eine genaue Transportliste, die die Transportnummer, die
Personalien, den Beruf und die Kennummer enthält, in
vierfacher Fertigung vorzulegen.
- In Vertretung:
-
Mußgay." 38
M 3
z.B.:
Für den Erwerb der erlaubten Reichskreditkassenscheine
in Höhe von RM 50,-- sowie zweier Proviantpakete im Wert von RM 7,65
sind umgehend RM 57,65 bei der Jüdischen Kultusvereinigung Stuttgart
einzuzahlen. Die eingeteilten Personen haben sich ab dem 26. November
1941 in ihrer Unterkunft bereit zu halten und dürfen diese ohne
besondere Erlaubnis der Behörden nicht verlassen. Beigefügt ist dem
Schreiben auch eine zweiseitige Auflistung, die je nach Erfordernis der
Zusammenstellung des persönlichen Gepäcks dienen soll.
M 4
Sammellager auf dem Killesberg
in der sog. "Ehrenhalle des Reichsernährungsstandes"
der Reichsgartenschau 1939
Quelle: Stadtarchiv Stuttgart
M 5 (mit dem Film „Synagoge Baisingen“
kombinieren)
Harry Kahn
Die wenigen Überlebenden machten bis zu ihrer Befreiung oft eine wahre
Odyssee mit: Harry Kahn aus Baisingen (*1911) blieb bis 1944 in
Jungfernhof, wurde nach kurzem Aufenthalt in den Lagern Ogre und
Kaiserwald nach Stuttgart gebracht. Von dort aus kam er nach Buchenwald,
dann nach Rehmsdorf und Komotau. Seine letzte Station als KZ-Häftling
war Theresienstadt. Zum Zeitpunkt der Befreiung waren von den 828 Juden,
die bereits am 30. Januar 1933 in Baden-Württemberg ansässig gewesen und
am 1.12.1941 von Stuttgart aus deportiert worden waren, noch 35 am
Leben.39
M 6
Das Deportationsgleis am Nordbahnhof im Frühjahr 2002.
Foto: Stiftung Geißstraße Sieben
M 7
Ansichtsskizze zum Entwurf für die Gedenkstätte aus
dem Wettbewerb.
Foto: Stiftung Geißstraße Sieben
M 9
Literarische Parallelen – Jurek Becker, Jakob der Lügner
Pünktlich zum Arbeitsbeginn trifft Jakob vor dem verschlossenen
Bahnhofstor ein und liest die dort befestigte Bekanntmachung. Daß wir
alle uns heute Mittag, Punkt dreizehn Uhr, auf dem Platz vor dem Revier
einzufinden haben, fünf Kilo Gepäck pro Person, die Wohnungen sind
unverschlossen und in sauberem Zustand zurückzulassen, wer nach der
festgesetzten Zeit in seinem Haus angetroffen wird, das gleiche gilt
auch für Bettlägerige und Gebrechliche, Näheres um dreizehn Uhr am
angegebenen Ort. […] Dann fahren wir. In dem Waggon ist es sehr stickig
und heiß, die Juden hocken oder sitzen neben ihren fünf Kilogramm auf
dem Boden, mindestens dreißig, meine ich. Das Schlafen in der Nacht,
falls die reise so lange dauert, wird ein Problem, denn hinlegen können
sich alle auf einmal nicht, man wird es schichtweise tun müssen. Dunkel
ist es auch, die wenigen schmalen Luken unter dem dach geben nur
schwaches Licht, außerdem sind sie fast ständig besetzt. Gespräche sind
kaum zu hören, die meisten sehen aus, als hätten sie über schrecklich
wichtige und ernste Dinge nachzudenken, dabei könnte man sich unter dem
Geräusch der rollenden Räder unbelauscht unterhalten, trotz der Enge,
wenn man nur wollte. […] wir fahren, wohin wir fahren.40
M 12
Erschießungs- und Gräberstätte Bikernieki 1941
M 13
Erschießungs- und Gräberstätte Bikernieki 2001.
Durch das weitläufige Gelände führt der "Weg des Todes", vom zentralen
Gedenkplatz zu den einzelnen Grabfeldern. Entlang des Weges stehen
Betonstelen mit Davidstern, Kreuz oder Dornenkranz.
Außer den jüdischen Opfern des Ghettos wurden hier auch lettische
Verfolgte (für sie steht das Kreuz) und Kriegsgefangene
unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Nationalität
(Dornenkranz) ermordet.
M 15
Die heutige Gräber- und Gedenkstätte Riga.
Die weiße Marmorstruktur bildet das Zentrum. Das Feld mit den
Granitsteinen symbolisiert sowohl die Zahl der Opfer wie auch die
widerstrebende und unwirtliche Aura des Ortes.
Der Künstler Sergejs Rizs sagt dazu: "Die Steine sind wie ein Schrei der
schuldlos Getöteten und lassen erkennen, dass der gesamte Ort ein
einziger Hinrichtungsplatz war". Im Vordergrund eine der Stelen entlang
des "Weges des Todes". Sie tragen je nach den Gruppen von Opfern
unterschiedliche Symbole, hier mit Dornenkranz als Märtyrer-Zeichen für
die sowjetischen Kriegsgefangenen.
Foto: Uldis Briedis, Riga
M 16
Motiv von Plakat und Katalog der Wanderausstellung
" Ruth 'Sara' Lax, 5 Jahre alt, deportiert nach Riga "
Deportation und Vernichtung badischer und württembergischer Juden
Quelle: Staatsarchiv Ludwigsburg / Katharina Schmidt, Kirchheim u.T.
Ansprechpartner für Auskünfte und Buchungen ist das
Bundesarchiv - Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der
deutschen Geschichte,
Frau Jesse, Herrenstraße 18 (Schloss), Postfach 1235, 76402 Rastatt,
Tel.: (07222) 77139-4, Fax: 777139-7
Kommentiertes Verzeichnis
der Quellen und Literatur
Umfangreiches Quellenmaterial zu den Deportationen ist
im Hauptstaatsarchiv Stuttgart im Bestand EA 99/001 zusammengestellt.
Einen raschen Zugriff auf wichtige Dokumente erlaubt:
Sauer, Paul:
Dokumente über die Verfolgung der Jüdischen Bürger in
Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933-1945.
Teile I und II. Im Auftrag der Archivdirektion Stuttgart bearb. von Paul
Sauer. Stuttgart 1966. (Veröffentlichungen der Staatlichen
Archivverwaltung Baden Württemberg, Bd. 16 und Bd. 17).
Immer noch die umfassendsten und zuverlässigsten Werke:
Sauer, Paul:
Die Schicksale der jüdischen Bürger
Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit
1933-1945. Stuttgart 1969. (Veröffentlichungen der Staatlichen
Archivverwaltung Baden Württemberg, Bd. 20).
Gedenkbuch:
Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in
Baden-Württemberg 1933-1945. Ein Gedenkbuch. Hrsg. von der
Archivdirektion Stuttgart. [Bearb. von Paul Sauer]. Stuttgart 1969.
(Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden
Württemberg, Beiband zu Bd. 20).
Was die Deportationen aus Baden-Württemberg anlangt,
weitgehend auf dem vorgenannten
Gedenkbuch basierend, und mit einem benutzerfreundlichen
Ortsindex versehen:
Gedenkbuch:
Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. Bearb.
vom Bundesarchiv Koblenz, und dem Internationalen Suchdienst Arolsen. 2
Bde. Koblenz 1986.
Ein wichtiges Hilfsmittel für die Erforschung der
weiteren Schicksale der nach Theresienstadt deportierten Juden:
Theresienstädter Gedenkbuch:
Theresienstädter Gedenkbuch: Die Opfer der
Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942-1945. Prag und
Berlin 2000.
Benützte Quellen und Literatur
Neben den bereits oben erwähnten Quellen und der
Literatur wurden weiter benützt:
Quellen, Gesetzestexte
Stadtarchiv Haigerloch |
Akten Nr. 697 und 898. |
Staatsarchiv Sigmaringen |
Ho 400 Nr. 576 |
Reichsgesetzblatt |
Teil I, Jg. 1938 und Jg. 1941 |
Literatur
Goebbels, Joseph:
Tagebücher. Hg. von Ralf Georg Reuth. Bd. 3. München 2.1992.
Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg (IMT):
Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen
Militärgerichtshof.
Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946. (Deutsche Ausgabe).
Nachdruck München 1984.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch:
Lexikon Nationalsozialismus. Begriffe, Organisationen und Institutionen.
Reinbek b. Hamburg 1999.
Krausnick, Helmut:
Judenverfolgung. In: Buchheim, Hans [u.a.] (Hg.): Anatomie des
SS-Staates. Bd. II.
München1967, S. 233-366.
Poliakov, Léon / Joseph Wulf:
Das Dritte Reich und die Juden. Dokumente und Aufsätze. Berlin 1955.
Sauer, Paul:
Zum 40. Jahrestag der "Reichskristallnacht". Die Verfolgung
der jüdischen Bürger in Baden-Württemberg 1933 bis 1945. In: Lehren
und Lernen, 4. Jg. 1978, Heft 10, S. 16-52.
Walk, Joseph:
Das Sonderrecht für Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen
Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung. Heidelberg 2.1996.
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