Baustein

Ghettos
Vorstufen der Vernichtung

1939-1944
Menschen in Grenzsituationen

Texte und Unterrichtsvorschläge

Hrsg: LpB, 2000




 

Inhalt

 

Baustein 13

Rollenspiele und szenische Übungen

Klassenstufe: 9-13
Zeitaufwand: j mindestens 1 Unterrichtsstunde
Themen: Sensibilisierung für Menschen in extremen Situationen
Kombination: Lektüre von „Jakob der Lügner" von Jurek Becker (zu Übung 3)

Mit den Übungen und den kurzen Szenen wird der Versuch unternommen, das Thema Ghetto und die damit verbundene Ausgrenzung und Unterdrückung mit dem Erlebnisbereich der Schüler zu verbinden. Dabei sollen natürlich nicht direkt Szenen aus Ghettos nachgespielt werden, denn die Darstellung von Pogromen oder unvorstellbaren Grausamkeiten in den Ghettos der Nazizeit ist nicht möglich. Vielmehr sollen die Themen Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt in einer allgemeineren Weise dargestellt und erfahren werden.

Bei den Übungen ist es wichtig, daß die Vorgaben genau eingehalten werden und sich alle Mitspieler an die Regeln halten. So darf es zum Beispiel in keiner Phase der Übungen zu direkter Gewaltanwendung kommen. Der Einsatz der Übungen könnte immer nach längeren kognitiven Passagen der Unterrichtsreihe erfolgen. Nach den Übungen sollte unbedingt eine Besprechung stattfinden.

Impulse und Fragen nach den Übungen:

  • Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
  • Wie fühlten Sie sich in der Rolle?
  • Kennen Sie die Gefühle aus dem eigenen Erfahrungs- bzw. Erlebnisbereich?
  • Wie haben Sie die Mitspieler wahrgenommen?
  • Gab es Grenzen bzw. Schwierigkeiten in der Darstellung?
  • Gab es Alternativen in der Darstellung?
  • Wie haben die Zuschauer die Szenen wahrgenommen?

Übung 1: Bilder der Unterdrückung

Vierer- oder Fünfergruppen finden sich zusammen. Jeder aus der Gruppe darf mit Hilfe der anderen sein „Gefühlsbild" (=Figurenstandbild) von Unterdrückung modellieren, indem z. B. vier Personen eine niederdrücken. Diese Bilder werden der Großgruppe vorgestellt.

Sind alle Standbilder vorgeführt, kann jeder aus der Großgruppe einen Vorschlag machen, wie die Figur des Unterdrückten in diesen Bildern am intensivsten dargestellt werden kann (durch eine Person). Aus den Bildern wird von der ganzen Gruppe das zutreffendste ausgewählt und im Raum postiert. Es handelt sich dabei um den stärksten Ausdruck eines Unterdrückten.

Jetzt darf jeder nach obigem Verfahren seinen „Unterdrücker" darstellen. Die besten Unterdrücker und der Unterdrückte ergeben wieder ein Standbild. Dieses Standbild bekommt jetzt Leben, indem

a) jeder der im Bild beteiligten Personen seine Emotionen verbal ausdrückt, ohne seine Haltung zu verändern.

b) der Unterdrückte eine Möglichkeit darstellt, aus der Unterdrückung zu „entkommen" und die Unterdrücker ihre Unterdrückung fortsetzen. Alles wird in Zeitlupe gespielt und ohne echte körperliche Gewalt. Keiner gibt dabei nach oder gar auf, so daß die Spannung immer aufgebaut (und der Unterdrückte immer unterdrückt) bleibt.

c) andere Personen den Unterdrückten ersetzen und ihre Möglichkeit des Entweichens darstellen.

Eine abschließende Besprechung des Geschehenen und Erlebten ist sinnvoll.

(aus: Michael Grau / Wolfgang Klingauf: Theaterwerkstatt. Grundlagen, Übungen, Spiele. München 1995.)

 


Übung 2: Raum wird enger

Es gehen alle locker durch den Raum, verwandeln sich nach und nach in eine Person mit bestimmten Charaktereigenschaften (schüchtern, aufdringlich, arrogant...) und nehmen Kontakt zu den anderen Mitspielern auf. Man kann sich z.B. vorstellen auf einer Party zu sein und pantomimisch ein Sektglas nehmen oder eine Zigarette rauchen u.ä. Auf ein Zeichen des Spielleiters nehmen die Gäste langsam wahr, daß sich der Raum immer mehr verkleinert, bis zum Schluß alle wie eingepfercht zusammengedrückt sind ohne dabei aus der Rolle zu fallen.

(bis hierhin aus: s. o.)

Varianten :

a) das Gefühl und damit die Bewegungen und Haltungen ändern sich mit der Verkleinerung des Raumes.

b) der Raum wird umstellt von Wachen, die aggressive Gesten machen, aber die „Gäste" nicht berühren dürfen. Einmal reagieren die Gäste auf diese Wachen, das andere Mal ignorieren sie sie.


Übung 3: Ein Radio im Ghetto

Ausgangspunkt ist eine Situation, die dem Roman Jakob der Lügner von Jurek Becker (Frankfurt/M. 1997) entnommen ist. Der Besitz von Radioapparaten ist bei Todesstrafe im Ghetto verboten. Jakob behauptet einen zu besitzen und gibt frei erfundene, für die Ghettobewohner positive Meldungen weiter. Diese Meldungen sollen Hoffnung machen und das Gruppengefühl stärken (z. B. das Lager steht kurz vor der Befreiung usw.).

Es soll eine Szene gespielt werden, in der Jakob seine Meldungen erfindet und an die Gruppe weitergibt. Dabei reagiert die Gruppe ganz unterschiedlich und diskutiert eventuell auch die Konsequenzen. Alles muß in großer Heimlichkeit passieren, denn die Menschen stehen ständig unter Beobachtung.

Nach dieser Szene sehen wir Jakob alleine. Er befindet sich in einem großen Konflikt, denn er weiß, daß die anderen seine Meldungen einerseits brauchen, andererseits diese jedoch erfunden sind.


Übung 4: Vorschriften und Verbote

Eine normale kurze Schulszene mit Lehrer und Schülern wird gespielt. Der Lehrer verbietet nun zum Beispiel das Schreiben und den Blick zur Tafel. Mit diesen Verboten wird die Szene nochmals gespielt. Weitere unsinnige Vorschriften und Verbote kommen hinzu und werden jeweils durchgespielt.


Übung 5: Außenseiter

Die Gruppe läuft im Raum durcheinander. Alle schauen sich an, sind freundlich und grüßen einander. Der Spielleiter bestimmt einen Mitspieler aufgrund einer Äußerlichkeit wie z.B. seiner Brille oder seiner Haarfarbe zum Außenseiter, den man meiden muß und auch wegen dieser Äußerlichkeit beschimpfen kann. Nach kurzer Zeit trifft das Los des Außenseiters jemand anderen. Auch eine ganze Gruppe kann so zum Außenseiter werden.


Übung 6: Die Nachbarn

Vor dem Spielen der Szene lesen alle die Zeitungsmeldung (Frankfurter Rundschau, siehe Baustein 1, S.28), auf der diese Szene basiert.

Eine Familie sitzt um einen Tisch. Sie hat diesen Tisch billig erworben, denn er stammt aus dem Besitz der ehemaligen jüdischen Nachbarn, die verschleppt worden sind. Die Familienmitglieder verhalten sich unterschiedlich im improvisierten Gespräch über den Tisch und ihre ehemaligen Nachbarn.

Die Nachbarn kehren wider Erwarten zurück und stellen die Familie zur Rede.

Daniel Weiß

 


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