Hans-Jürgen Reichardt

Besteuerung des Energieverbrauchs?



Dr. rer. pol. Hans-Jürgen Reichardt ist Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart und federführend für Industriefragen für den Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag tätig.

1. Einführung

Das Thema Globalisierung als Chance" soll auch für den Energiebereich daraufhin untersucht werden, ob im Zuge der verschärften Konkurrenz von Unternehmen und Standorten neue Handlungsmöglichkeiten entstehen können. Die Globalisierung unserer Wirtschaft ist ausgelöst durch hohe Arbeitskosten, starke Regulierungen, hohe Steuersätze und die Notwendigkeit, in geographischer Nähe zum Markt zu produzieren. Unter volkswirtschaftlichen Aspekten führt die Globalisierung zu Wohlfahrtsgewinnen und ermöglicht den Schwellenländern den Einstieg in den Kreis der wirtschaftlich prosperierenden Länder.

Die Globalisierung ist durch ein Standortgefälle zu unseren Ungunsten ausgelöst. Die negativen Effekte bei uns sind der Abbau einfacher Industriearbeitsplätze und das Entstehen von nicht-existenzsichernden Billig-Jobs. Die Erfahrung zeigt, daß der Dienstleistungssektor nicht in der Lage ist, diesen Arbeitsplatzeffekt aufzufangen. Mit einem gewissen zeitlichen Verzug müssen wir sogar feststellen, daß sich bei den Dienstleistungen die gleichen Effekte wie bei der Industrie wiederholen: Massive Rationalisierung und Globalisierung.

Generell sichern Auslandsinvestitionen nach allen Erfahrungen der Vergangenheit Arbeitsplätze im Inland. Mit Sicherheit wird der größte Teil der baden-württembergischen Investitionen zur Absicherung des Exports getätigt. Die Investitionen sind nötig, um die Nähe zum Kunden zu gewährleisten, den bei technischen Produktionen notwendigen Service vor Ort zu garantieren, Modifikationen entsprechend den Bedürfnissen der fremden Märkte aufzunehmen oder auch um Rücklieferungsverpflichtungen für Exporte in bestimmte Märkte zu ermöglichen.

Für die Politik stellt sich aber die Frage, ob und gegebenenfalls wann Globalisierungstrends dadurch gegengesteuert wird, daß die Standortbedingungen in der Bundesrepublik wieder attraktiver werden.

2. Besteuerung des Energieeinsatzes

In diesem Zusammenhang soll der Frage nachgegangen werden, welchen Effekt eine Besteuerung des Energieeinsatzes auf die Wirtschaft hat. Die gesamte Entwicklung der Weltwirtschaft hängt von der energetischen und rohstofflichen Basis ab. Auf absehbare Zeit wird es keinen physischen Mangel an Energieträgern geben. Das Wachstum der Weltbevölkerung und das Wirtschaftswachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern wird in den nächsten 25 Jahren etwa 43 Prozent betragen. Der globale Energieverbrauch beträgt zur Zeit ca.14 Milliarden Tonnen SKE (Steinkohleeinheiten). Er wird bis zum Jahr 2020 auf ca. 20 Milliarden Tonnen SKE ansteigen. Zwei Drittel dieses Zuwachses sind durch den prognostizierten wirtschaftlichen Erfolg der Schwellen- und Entwicklungsländer verursacht. Vor diesem Hintergrund muß der Energiebedarf befriedigt werden, ohne ökologische Regelmechanismen zu stören. Das dafür vorgesehene Konzept, Sustainable Development, sieht dafür verschiedene Möglichkeiten vor: Effizienzsteigerung von Anlagen und Maschinen durch neue Technologien, Wirkungsgradverbesserungen, Einsatz von Niedrigenergiehäusern, verbesserte Wärmepumpentechnik, Energieeinsparung und Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch.

Neben diesen globalen Rahmenbedingungen zeigt ein schärferer Fokus auf die Bundesrepublik Deutschland die Bedeutung der Energie als Standortfaktor. Die westdeutsche Industrie muß derzeit ca. 40 Milliarden Mark für Energie aufwenden, zwei Drittel dieser Kosten entfallen auf Strom. Die bundesdeutschen Unternehmen müssen dabei wegen der verschiedenen politischen Sonderlasten ca. 6 Milliarden Mark mehr bezahlen als vergleichbare Konkurrenten im europäischen Ausland. Je nach Branche haben die Energiekostenanteile eine Schlüsselstellung für die Wettbewerbsfähigkeit. In der Eisen- und Stahlindustrie beträgt der Energiekostenanteil über 11 Prozent, bei der Holz-, Zellstoff und Papierindustrie 9 Prozent, in der Chemie 3,6 Prozent und im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt 2,3 Prozent.

Damit wird die Bedeutung der Energiekosten als Standortfaktor für die Industrie in der Bundesrepublik deutlich.

Energiesteuern sind nichts Neues. 1995 wurden in der Bundesrepublik aus der Besteuerung von Energie 90 Milliarden Mark, dies entspricht ca.11 Prozent des gesamten Steueraufkommens, abgeschöpft. Dabei war die Mineralölsteuer mit einem Aufkommen von etwa 65 Milliarden Mark am ergiebigsten. Sie hat sich seit Beginn der neunziger Jahre fast verdoppelt. Neben diesen augenfälligen Besteuerungen gibt es weitere Steuertatbestände, die allerdings erst bei näherem Hinsehen ersichtlich sind: Ca. 6 Milliarden Mark sind bei Strom- und Gaslieferungen an Konzessionsabgaben in die Kassen der Versorger geleitet worden. 6 Milliarden Mark machte in der Vergangenheit der Kohlepfennig aus. 2,6 Milliarden Mark mußten an Erdgassteuer abgeführt werden. Die anteilige Mehrwertsteuer auf diese Abgaben betrug nochmals 11 Milliarden Mark.

Die weitere Besteuerung des Energieeinsatzes wird seit längerem diskutiert. Ein aktueller Bezug ist durch die Klimaschutzdiskussion und durch die hohe Arbeitslosigkeit entstanden. Die Befürworter einer Besteuerung des Primärenergieverbrauches setzen nämlich auf eine Doppelte Dividende". Über die Verteuerung von Energie soll einerseits der Energieverbrauch gesenkt und damit die Ressourcenschonung vorangetrieben werden und andererseits über die Einnahmen eine Entlastung insbesondere bei den Lohnnebenkosten erreicht werden. Die Besteuerung des Energieeinsatzes soll also gut sein für die Umwelt und gleichzeitig den Einsatz menschlicher Arbeitskraft verbilligen. Mit einer Energiesteuer bzw. einer Ökologischen Steuerreform" soll der Einsatz von Energie weiter verteuert werden. Dabei sind verschiedene Vorgehensweisen denkbar. Zu den bestehenden Steuern kommen neue Steuern hinzu, ohne daß eine Aufkommensneutralität erreicht wird. Die zweite Möglichkeit ist der Umbau des gesamten Steuersystems mit dem Ziel, eine strikte Aufkommensneutralität zu erreichen. Die dritte Variante liegt in der Entscheidung, ob eine ökologische Steuerreform im nationalen Alleingang oder im Verbund mit anderen Ländern angestrebt wird.

Aus systematischer Sicht gibt es gegen Energiesteuern Einwendungen. Energiesteuern verfälschen den Energie- und Rohstoffmarkt, weil sie Inputfaktoren, also Produktionsfaktoren sind. Energiepreise sind darüber hinaus Schlüsselkosten, die für die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Branchen hohe Bedeutung haben. Eine Energiesteuer, die tatsächlich eine Lenkungsfunktion dahingehend ausübt, daß der Energieeinsatz zurückgeht, kann ihrem fiskalischen Zweck nicht nachkommen. Greift die Len-kungswirkung, geht das Aufkommen zurück. Ist die Steuer dagegen so ausgestaltetet, daß der Energieverbrauch unelastisch reagiert, wird der auf Dauer angelegte reine Finanzierungseffekt deutlich. Der Umweltschutzgedanke wäre dann nur das Deckmäntelchen für ein fiskalpolitisches Instrument.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind verschiedene Energiesteuer-Modelle vorgebracht und durchgerechnet worden. Je nach Standpunkt der Autoren wird die Doppelte Dividende" erreicht oder auch nicht. Aus mikroökonomischer Sicht liegen erst wenige Untersuchungen vor. Diese bestätigen die bisherigen Vermutungen zu den Auswirkungen einer Energiesteuer auf das Produzierende Ge-

Die Einführung einer ökologischen Steuer führt zu nicht beabsichtigten und nicht vorhersehbaren Folgen.
werbe. Die Verlierer werden die Unternehmen sein, die eine hohe Energieintensität haben.

Die Untersuchung Veränderung der Steuer- und Abgabenbelastung auf Unternehmensebene durch eine ökologische Steuerreform" hat die Umweltsteuervorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, der SPD und des BUND. untersucht. Bei allen Modellen wird eine Kompensation angestrebt, die zu einer Aufkommensneutralität führen soll. Die Ergebnisse zeigen, daß dies aus makroökonomischer Sicht gelingen mag, aus der betrieblichen Sicht jedoch zu gravierenden Einzelnachteilen führen wird. Das Verarbeitende Gewerbe insgesamt, besonders aber die Branchen Nahrungsmittel und Rohstofferzeugung, werden je nach Steuermodell mit bis zu 790 Prozent zusätzlichen Kosten belastet. Zu den Gewinnern einer solchen Steuerreform würden Branchen wie der Automobilbau, der Handel, der Maschinenbau oder allgemein die Dienstleister gehören. Die konkrete Belastungswirkung für das einzelne Unternehmen ist aber nicht nur vom Energieverbrauch abhängig. Eine Vielzahl von Faktoren, die ohne Korrelation zu Umweltbelastungen stehen, haben einen nachhaltigen Einfluß auf das Ergebnis: Personalintensität, Ertragslage, Finanzierungs- und Vermögensstruktur und Konzernzugehörigkeiten. Es zeigt sich deutlich, daß die Einführung einer ökologischen Steuer zu nicht beabsichtigten und nicht vorhersehbaren Wirkungen führt. Eine besonders überproportionale starke Belastung wird auf schwache Unternehmen bzw. Grenzbetriebe zukommen.

3. Schlußfolgerungen

Daraus lassen sich aus wirtschaftlicher Sicht einige wesentliche Schlußfolgerungen ziehen: Ein nationaler Alleingang bei der Einführung einer ökologischen Steuerreform ist indiskutabel. Die Aufkommensneutralität durch eine vollständige Kompensation ist mikroökonomisch für jedes Unternehmen nicht zu realisieren. Unbekannt sind darüber hinaus die Elastizitäten zwischen Kosten-, Einkommensentwicklung und Nachfrage bei einer Besteuerung des Energieverbrauchs. Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, bisheriges Prinzip der Steuerpolitik, würde angetastet. Die erstmalige Besteuerung der Produktionsgrundlagen wäre mit dem Sägen am eigenen Ast" vergleichbar. Die Abschaffung der ertragsunabhängigen Steuern, erklärtes politisches Ziel, würde durch die Ausrichtung auf den Energieeinsatz unterlaufen werden. Der Konflikt mit dem Beschäftigungsproblem ist unvermeidbar. Je nach Rechenansatz wird bei Einführung einer Energiesteuer mit mehren 100.000 zusätzlichen Arbeitslosen gerechnet. Das Ziel einer Doppelten Dividende" wird nicht erreichbar sein.