Gerhard Willke

Standortkonkurrenz und Beschäftigung

- Ein internationaler Vergleich -



Prof. Dr. Gerhard Willke ist Dozent an der Fachhochschule Nürtingen.

1. Einleitung

Es erfordert Mut, die Globalisierung nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance sehen zu wollen. Gemeinhin wird Globalisierung bei uns vor allem als Verschärfung der Weltmarktkonkurrenz und als Erhöhung des Rationalisierungsdrucks mit der Folge einer beschleunigten ,Freisetzung` von Arbeitskräften wahrgenommen _ kaum jedoch als Eröffnung neuer Chancen in einer zunehmend durch marktwirtschaftliche Strukturen geprägten Welt. Zudem haben die Mühen der deutschen Einheit bei uns die Neigung verstärkt, nach ,Schuldigen` zu suchen, und hier leistet das ,Gespenst Globalisierung` treffliche Dienste.2

Vom ,Megatrend Globalisierung' wird seit der Zäsur Ende der 80er Jahre gesprochen, als die Welt sich dramatisch veränderte _ durch den Zusammenbruch der sozialistischen Systeme, die Öffnung Mittel- und Osteuropas, die wirtschaftliche Konsolidierung Lateinamerikas und durch eine regelrecht entfesselte Wirtschaftsdynamik in vielen südostasiatischen Ländern. Diese Veränderungen haben dem weltwirtschaftlichen Austausch und Wettbewerb einen ganz neuen Schub verliehen. Viele Industrieländer _ zumal einige wohlfahrtsstaatlich saturierte westeuropäische Länder _ mußten die ernüchternde Erfahrung einer überlegenen Wettbewerbsfähigkeit ausländischer Anbieter und einer vergleichsweise höheren Attraktivität ausländischer Standorte machen. Einige Länder paßten sich den veränderten Bedingungen flexibel an, andere verweiger(te)n dagegen beharrlich die nötigen Strukturreformen.

Die historische Zäsur 1989/90 hat auch die Bedeutung, daß an die Stelle des lähmenden Ost-West-Konflikts die dynamisierende globale Konkurrenz getreten ist _ an die Stelle eines weithin fruchtlosen, kostspieligen, militärisch basierten Wettbewerbs der Systeme ein ökonomisch ausgerichteter, produktiver Wettbewerb der Standorte. Das bedeutet zwar verschärfte wirtschaftliche Konkurrenz, aber _ bei adäquater Anpassung an die neuen Bedingungen _ auch erhöhte Chancen für Innovation, Einkommen und Beschäftigung.

"Ein Zurück aus der Globalisierung gibt es nicht."
(J.B. Donges1)

2. Globalisierung: Megatrend oder Schlagwort?

Der steigende Grad der weltwirtschaftlichen Verflechtung läßt sich an den beiden Indikatoren Außenhandel und Direktinvestitionen ablesen (vgl. Abb. 1). Während der Dekade 1985-95 hat sich die Weltproduktion _ grob gesprochen _ verdoppelt. Importe bzw. Exporte, also der Welthandel, stieg in dieser Phase um das zweieinhalbfache, während die Direktinvestitionen um den Faktor 4,4 zunahmen.

Auch die absoluten Zahlen sind beeindruckend: Die Summe der Unternehmensinvestitionen auf ausländischen Märkten hat inzwischen das Niveau von 350 Mrd. DM erreicht.3 Der klassische Außenhandel wird also von der Dynamik der Direktinvestitionen deutlich übertroffen. Ein wesentlicher Grund ist darin zu sehen, daß viele Unternehmen dazu übergehen, auf ihren bisherigen Exportmärkten eigene Produktionsstätten aufzubauen, Tochterunternehmen und/oder Joint Ventures zu gründen, um auf alten wie auf neu erschlossenen Auslandsmärkten unmittelbar präsent zu sein. Diese Strategie geht zu Lasten des traditionellen Musters der internationalen Arbeitsteilung, das durch heimische Produktion und anschließenden Export gekennzeichnet ist. Beispielsweise produzierte VW viele Jahre nur in Deutschland; heute werden dagegen in über 20 Ländern ,Volkswagen` hergestellt. Im Gegenzug haben allerdings auch verschiedene ausländische Automobilfirmen Produktionsstätten in Deutschland aufgebaut.

Die leitenden Motive für Direktinvestitionen sind nicht so sehr die Ausnutzung von Kostenunterschieden als vielmehr die Sicherung und weitere Erschließung ausländischer Märkte, die größere Nähe zu den Kunden sowie der bessere Schutz vor Währungsschwankungen und Handelsbeschränkungen. Entsprechend spielen sich ca. 80 % der Direktinvestitionen innerhalb der Industrieländer ab und weniger als 20 % entfallen auf sogenannte Niedriglohnländer.4

Während der ersten Nachkriegsjahrzehnte hat die deutsche Wirtschaft vom expandierenden Welthandel stark profitiert: Von ca. 3 % Anfang der 50er Jahre ist der Weltmarktanteil deutscher Exporte auf gut 10 % angestiegen (in den letzten Jahren ist dieser Anteil wieder leicht rückläufig). Die Exportquote (Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt) stieg von 8,5 % auf den Maximalwert von ca. 30 % Ende der 80er Jahre; zur Zeit liegt die Exportquote _ bezogen auf die Gesamtwirtschaft _ bei ca. 25 %. Dieser Wert ist wesentlich durch die relativ schwache Exportorientierung der Dienstleistungen bedingt (ihr Anteil an den Gesamtexporten liegt in Deutschland mit 12 % noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 20,4 %5). Von der deutschen Industrieproduktion wird ein knappes Drittel auf den Weltmärkten abgesetzt (vgl. Abb. 2).

Man muß sich klar machen, daß die prosperierende Weltwirtschaft eine wesentliche Erfolgsbedingung der Nachkriegsepoche war. Im Kern ist die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Erfolgsstory, und diese wiederum vor allem weltwirtschaftlich bedingt _ angetrieben durch die Dynamik zunehmend liberalisierter und verflochtener Güter- und Finanzmärkte. Diese Bedingung gilt auch weiterhin: Die interne Prosperität vieler Länder hängt in beträchtlichem Maße von einer gedeihlichen Entwicklung der Weltwirtschaft ab _ nun aber von einer zunehmend sich ,globalisierenden` Weltwirtschaft.

Der US-Ökonom Paul Krugman hat als Beginn der Globalisierung das Jahr 1869 ausgemacht _ die Fertigstellung des Suezkanals und der Union-Pacific-Eisenbahn in den USA. Richtig daran ist, daß die Marktwirtschaft, genauer: marktorientierte Unternehmen und Pionierunternehmer schon immer einen Drang hinaus in alle Welt hatten, um die Gewinnchancen neuer Beschaffungs- und Absatzmärkte zu nutzen. Im Kommunistischen Manifest von 1848 feiern Marx und Engels die kolossale Dynamik des Kapitalismus: "... Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile..."

Während Suezkanal und Union-Pacific-Bahn für die ,Überbrückung der Entfernung` stehen, für den immer weiter ausgreifenden Güteraustausch im Rahmen fortschreitender internationaler Arbeitsteilung, scheint mit der Globalisierung nun das "Ende der Entfernung"6 näher zu rücken: Räumliche Distanzen zwischen wirtschaftlich kooperierenden und konkurrierenden Akteuren werden zunehmend in virtuellen Räumen aufgehoben. Nicht nur, daß man weltweit kostengünstig und schnell Daten austauschen und per Videokonferenz kommunizieren kann - es kommt hinzu, daß immer mehr Güter und Wertschöpfungssegmente sich digitalisieren lassen und per Mausklick transferiert, ja vermarktet werden können (von der E-Mail zum E-Commerce).

Globalisierung kennzeichnet somit eine neue Stufe in der fortschreitenden Verflechtung und Integration der Weltwirtschaft. Die Weltwirtschaft war schon immer verflochten, wie Kurt Tucholski bereits 1931 spöttisch angemerkt hat.7 Neu ist heute die Intensität und Dynamik dieser weltwirtschaftlichen Verflechtung, der sich kaum ein Unternehmen mehr entziehen kann. Das relevante Bezugssystem des wirtschaftlichen Handelns nicht nur der großen, sondern vermehrt auch der mittelständischen Unternehmen sind nicht mehr regionale oder nationale Märkte, sondern die globalen Beschaffungs-, Absatz-, Arbeits- und Kapitalmärkte. In Mittelstandszeitschriften wird den Unternehmen empfohlen, zum "global sourcing" überzugehen, also ihren Einkauf auf den Weltmarkt auszurichten, um Geld zu sparen: Im Vergleich zur Eigenfertigung oder zum Einkauf in Deutschland ließen sich durch eine internationale Beschaffung "leicht zehn bis 20 Prozent der Nettokosten sparen". Darüber hinaus könne die Beschaffung im Ausland der erste Schritt zu einer Ausweitung der Kontakte zu ausländischen Unternehmen und Märkten sein _ bis hin zu Vertrieb und Produktion im Ausland.8 Die Kehrseite dieser Entwicklung kann man sich leicht ausmalen: In dem Maße, wie Zulieferungen aus dem Ausland bezogen werden, geht inländischen Zulieferern die entsprechende Nachfrage verloren.

 

Internationalisierung

 

Globalisierung

 

Multinationale Unternehmen:

- in mehreren Ländern tätig

- gleichwohl als ,nationale` (deutsche, amerikanische oder japanische) Unternehmen identifizierbar

 

Transnationale (globale) Unternehmen:

- in vielen Ländern tätig (z.B.: Siemens in 190 Ländern präsent, davon in über 50 mit Produktionsstätten1);

- "Unternehmen ohne geographisches Zentrum und ohne Nationalität" (ABB)

 

Nationalstaaten:

- Regulierung der Wirtschaft durch den souveränen Nationalstaat

- relativ autonome Wirtschaftspolitik

 

Standorte:

- der Nationalstaat verliert an Bedeutung und an Funktionen;

- Standortpolitik unter den Zwängen der Standortkonkurrenz (z.B. Deregulierung)

 

Produktion:

- Güteraustausch über Exporte/Importe auf der Grundlage der komparativen Kosten

- technologiebasierte Wertschöpfung

 

vernetzte Wertschöpfung:

- Modularisierung der Wertschöpfung und Verteilung der Module auf die günstigsten Standorte

- Vernetzung der Wertschöpfungskette durch moderne Informations- und Kommunikationstechniken;

- wissensbasierte Wertschöpfung

 

Arbeitsmarkt und Beschäftigung:

- relativ abgegrenzte und regulierte nationale Arbeitsmärkte

- beschäftigungsintensiver Exportsektor

 

Arbeitsmarkt und Beschäftigung:

- Entgrenzung der nationalen Arbeitsmärkte

- Verlagerung einzelner Beschäftigungsmodule auf die (kosten-) günstigsten Standorte

1 Rheinischer Merkur Nr. 41 vom 10.10.1997, S. 20.


Welches sind die Triebkräfte, die hinter der Globalisierung stehen? Auf das Wesentliche reduziert lassen sich drei Faktoren anführen, die dem Zusammenwachsen der Märkte und der Intensivierung des Wettbewerbs den entscheidenden Schub verleihen:

- der kontinuierliche Abbau von Handelshemmnissen sowie von Kapital- und Devisenverkehrsbeschränkungen (GATT-Runden und Deregulierung); dadurch bedingt: die zunehmende Mobilität nicht nur des Finanz- und Investitionskapitals, sondern vermehrt auch des Faktors Arbeit;

- sinkende Transportkosten für Waren, Dienstleistungen, Informationen und Wissen durch verbesserte Transportmittel und rasante Fortschritte bei den Informations- und Kommunikationstechnologien; dadurch bedingt: sinkende Transaktionskosten der Koordination dezentralisierter Wertschöpfungsnetze; dadurch ermöglicht: die weltweite Vernetzung der verschiedenen Niederlassungen eines Unternehmens, aber auch der Beschaffungs- und Absatzmärkte; und last but not least

- das Gewinnstreben als eigentlicher Triebfeder von Unternehmen und Investoren, die bereit sind, Risiken einzugehen, um Chancen ausnützen zu können, die sich aus der Öffnung der Märkte und aus der neuen weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung ergeben.


Der ökonomische Kern der Globalisierung ist also die Ausweitung und die Liberalisierung der Märkte, die Beseitigung von bislang bestehenden Handelsschranken, die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung und daraus folgend die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft. Dieser Prozeß der Vernetzung wird durch die Fortschritte in der Telekommunikation einerseits ermöglicht und andererseits weiter beschleunigt. Am Ende steht (idealtypisch) die ,Aufhebung der Entfernung` und die Entstehung eines räumlich vollkommenen, virtuellen Marktes.

Die angedeuteten Prozesse verändern das Muster der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Während in der vorangegangenen Epoche der Internationalisierung die Konkurrenz im wesentlichen auf den ,offenen Sektor` international handelbarer Güter (Fertigwaren und Dienstleistungen) beschränkt war, geraten in der Phase der Globalisierung nahezu alle Industrie- und Dienstleistungsbranchen und immer mehr Unternehmen unter den Druck eines verschärften Wettbewerbs. Denn zunehmend sind nun auch einzelne Elemente der Wertschöpfungskette der Weltmarkt- und Standortkonkurrenz ausgesetzt. Der Gesamtprozeß der Leistungserstellung wird modularisiert mit dem Ziel, einzelne Wertschöpfungsmodule wie Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion, EDV, Logistik, Marketing, Finanzierung, Gebäude- und Anlagenmanagement, Weiterbildung, Beratung etc. optimal zu plazieren im weltweiten Angebot an geeigneten Standorten. Daraus ergibt sich eine Tendenz zur Dezentralisierung, zur global verflochtenen Wertschöpfung und zur weltweit optimierten Verteilung der Aktivitäten nach den jeweils günstigsten Standortbedingungen.

Bei vielen Unternehmen führt dies dazu, daß sie sich auf diejenigen Module ihrer Wertschöpfungskette konzentrieren, bei denen sie die größte Kompetenz haben (bzw. vermuten); sie richten ihre Anstrengungen darauf, in ihrem Segment eine Spitzenstellung zu erreichen, um so den höchsten ,return on investment`, d.h. die höchste Rendite zu erwirtschaften. Die Kehrseite dieser Fokussierung auf ,Kernkompetenzen`, d.h. auf begrenzte Segmente der Wertschöpfungskette, besteht darin, daß die nicht zum ,Kerngeschäft` gehörigen Wertschöpfungsbereiche veräußert oder ,outgesourct` werden. Im Gegenzug können dann die benötigten Leistungen von den global günstigsten Anbietern bezogen (,global sourcing`) werden; dies erlaubt es den Unternehmen, ihre Kosten zu senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

3. Globale Konkurrenz der Standorte

Die Modularisierung der Wertschöpfung ist ein wesentlicher Aspekt der neuen Standortkonkurrenz. Sie gibt dem weltwirtschaftlichen Wettbewerb einen gewaltigen Schub, weil sie strategische Produktionsverlagerungen und globale Beschaffungsmaßnahmen erleichtert, mit denen die Unternehmen ihre Kostenstrukturen optimieren können: "Produziert wird dort, wo die Standortfaktoren am günstigsten sind."10 Damit rücken die unterschiedlichen Bedingungen der miteinander konkurrierenden Standorte ins Zentrum der Auseinandersetzung.

Wenn man vom Standortwettbewerb spricht, sollte man allerdings beachten, daß es in erster Linie Unternehmen sind, die miteinander im Wettbewerb stehen, _ nicht Staaten oder Regionen. Entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen im In- und Ausland sind unternehmensspezifische Faktoren wie technische, manageriale und wissenschaftliche Kompetenz, Motivation der Mitarbeiter, Innovativität und Lernfähigkeit, Produktivität, Kosteneffizienz, Qualität, Markenimage, Service etc. Bei vergleichbar effizienten Unternehmen entscheiden dann jedoch unterschiedliche Standortbedingungen über Rentabilität und Markterfolg. Die Standortbedingungen reichen von der Infrastruktur, der öffentlichen Sicherheit und der politischen und gesellschaftliche Stabilität über die Forschungslandschaft, das Ausbildungs- und Hochschulsystem, die Steuern- und Abgabenbelastung, die Dauer von Genehmigungsverfahren, den Grad der Arbeitsmarktregulierung bis hin zur Lernfähigkeit der politischen Klasse.

Es ist keineswegs so, daß Deutschland bei allen wichtigen Standortfaktoren komparative Nachteile aufweisen würde. Trümpfe des Standorts Deutschland sind nach wie vor die gesellschaftliche Stabilität ( ,sozialer Frieden`), die hohe Produktivität, das Innovationspotential, eine gute Position bei verschiedenen Hoch- und Spitzentechnologien, das breite Spektrum des Industrie- und auch des Dienstleistungssektors. Bei anderen kritischen Faktoren jedoch _ Arbeitskosten, Arbeitszeiten, Steuer- und Abga benbelastung, Regulierung etc. _ weist der Standort z.T. beträchtliche komparative Nachteile auf. Der folgende Kommentar spiegelt die herrschende Sichtweise wieder: "Bei uns sind die Arbeitskosten zu hoch, deshalb kommen keine Investoren. Und so ist unser Standort nicht wettbewerbsfähig."11 Für Investoren, d.h. für zukunftsgerichtete Entscheidungen, ist zudem wichtig, in welche Richtung sich wichtige Standortfaktoren verändern. In den letzten Jahren ist in Deutschland eher Stagnation und ,Reformstau` zu konstatieren als beherzte Verbesserung der Standortbedingungen.

Häufig wird der stark negative Saldo der deutschen Bilanz der Direktinvestitionen als Ausdruck der mangelnden Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland gewertet. Der Saldo aus Zuflüssen an ausländischem Investitionskapital einerseits und Abflüssen von inländischem Kapital an ausländische Standorte andererseits ist in den letzten Jahren größer geworden: Im Jahre 1995 hat dieser in der Zahlungsbilanz ausgewiesene Negativsaldo einen Rekordwert von 32 Mrd. DM erreicht (deutsche Direktinvestitionen: 50 Mrd. DM; inländische Direktinvestitionen in Deutschland: 18 Mrd. DM). Im Jahr 1996 sind die Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland nochmals dramatisch zurückgegangen _ auf 1,1 Mrd. DM _ und der Negativsaldo ist weiter auf 37,7 Mrd. DM angestiegen. Ist dies ein Indikator für eine schwindende Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland?

Man muß sich vor Augen halten, daß der Saldo der Direktinvestitionen nach der Bestandsstatistik der Deutschen Bundesbank im Zeitraum von 1984-1994 bei einem Wert von ,nur` ca. 40 Mrd. DM liegt. Dieser Wert ist somit deutlich niedriger als der in der Zahlungsbilanz ausgewiesene Saldo (vgl. Abb. 4). Bei der Interpretation der ,Lücke` der Direktinvestitionen ist deswegen aus mehreren Gründen Vorsicht geboten. Die Direktinvestitionen orientieren sich weniger an Kostendifferenzen zwischen verschiedenen Standorten, vielmehr dienen sie vorrangig der Sicherung und Erschließung ausländischer Märkte. Deswegen ist "der Saldo der Direktinvestitionsbilanz ein ungeeigneter Indikator für die Position im internationalen Standortwettbewerb."12

4. Auswirkungen des Standortwettbewerbs auf die Beschäftigung

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist von vielen Faktoren abhängig _ von demographischen Veränderungen, der Erwerbsbeteiligung, der Konjunktur, den Arbeitskosten, der Arbeitsmarktflexibilität etc. Wenn im folgenden der Aspekt der Globalisierung besonders hervorgehoben wird, so bedeutet dies nicht, daß die anderen Faktoren vernachlässigt werden dürften.

Die unmittelbaren Auswirkungen der Globalisierung bestehen in einem schärfer werdenden Standortwettbewerb. Als wichtige Elemente eines Standorts unterliegen damit auch die Arbeitsmärkte einer sich intensivierenden Konkurrenz. Welche Konsequenzen dies für die Beschäftigung haben kann, läßt sich schlaglichtartig an zwei Beispielen zeigen:

Beispiel 1: Bosch verlegt seine Scheinwerferproduktion nach Tschechien

- Die Bosch-Scheinwerferproduktion ist bislang in Reutlingen angesiedelt;

- bis zum Jahr 2000 wird diese Produktion schrittweise nach Tschechien verlegt;

- am Standort Reutlingen sind die Produktionskosten zu hoch; die arbeitsintensive Herstellung von Scheinwerfern ist nicht mehr konkurrenzfähig;

- von der Verlagerung sind ca. 450 der knapp 5.000 Bosch-Beschäftigten in Reutlingen betroffen;

- die Begründung des Firmensprechers für die Auslagerung: in Tschechien sind die Arbeitskosten um rund 80 % niedriger als hier;

- die betroffenen Bosch-Mitarbeiterinnen _ überwiegend sind es Frauen in wenig qualifizierten Tätigkeiten und niedrigen Lohngruppen _ sollen unternehmensintern umgesetzt werden, zum Teil allerdings an andere Standorte.

(Daten: Schwäbisches Tagblatt/Südwestpresse vom 22.1.1997, S. 27)

Beispiel 2: Tickets aus Bangalore/Indien

- Die Lufthansa hat ihr gesamtes Buchungs- und Fakturierungssystem nach Bangalore ausgelagert; dort ist die indische EDV- und Softwareindustrie konzentriert; es steht ein großes Potential an hochqualifizierten Unternehmen und Experten zur Verfügung;

- mittels On-line-Verbindungen werden Aufträge und Arbeitsergebnisse ,über Nacht` ausgetauscht; die Entfernungen werden durch moderne Telekommunikationsmittel quasi aufgehoben;

- qualifizierte indische EDV-Fachkräfte und Informatiker verdienen nur ein Zwölftel eines durchschnittlichen deutschen Gehalts, gehören damit in Indien jedoch zur 5 %-Schicht der Höchstverdiener.

Aus diesen beiden Beispielen wird eine der zentralen Folgen der Globalisierung erkennbar, nämlich der erhöhte Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt. Die unmittelbare _ wenn auch nicht die finale _ Folge der Verlagerung von Wertschöpfungsmodulen auf andere, günstigere Standorte ist ein Verlust an Arbeitsplätzen, relativ zu einem Zustand vor der Verlagerung. Ohne Verlagerung wür den allerdings viele betroffene Unternehmen Gefahr laufen, ihre Wettbewerbsfähigkeit über kurz oder lang zu verlieren. Insofern kann die Verlagerung von arbeits- und kostenintensiven Wertschöpfungssegmenten die Rentabilität der im Inland verbleibenden (in der Regel know-how- und technologieintensiven) Wertschöpfungsmodule sichern. Dies ist eine der Chancen der Globalisierung.

Die Unternehmen unterliegen einerseits einer verschärften Konkurrenz auf ihren Absatzmärkten, andererseits profitieren sie vom globalen Wettbewerb auf ihren Beschaffungsmärkten. Durch "global sourcing" können sie Vorleistungen und Zulieferungen kostengünstiger beschaffen und/oder bisherige Eigenfertigungen und selbst erbrachte Leistungen an andere (spezialisierte und deswegen effizientere) Unternehmen vergeben. Den verschlankten, auf ihre Kernkompetenzen fokussierten, kosteneffizienteren und damit wettbewerbsfähigeren Unternehmen eröffnen sich auf diese Weise neue Absatzmöglichkeiten auf expandierenden Weltmärkten. Dies ist eine weitere Chance der Globalisierung.

Und eine dritte Chance läßt sich bei den Verbrauchern lokalisieren: Diesen bringt die Globalisierung neben einem vielfältigeren Güterangebot einen deutlich gebremsten Preisanstieg, in vielen Bereichen sogar absolut sinkende Preise, folglich eine Erhöhung ihrer realen Kaufkraft. Nicht nur aufgrund der Maastricht-Kriterien, sondern auch aufgrund der verschärften internationalen Preiskonkurrenz bewegen sich die Preise in den westlichen Industrieländern seit längerem auf historischen Tiefständen. Die Verbraucher haben den Nutzen davon.

Ein weiterer, ganz wesentlicher Aspekt sollte nicht vergessen werden: Wenn Wertschöpfungsmodule _ sagen wir aus Westeuropa nach Mittel- und Osteuropa oder nach Indien _ verlagert werden, dann verändert sich dadurch langsam, aber stetig auch die wirtschaftliche Lage in den ,Empfänger`-Ländern. Produktion schafft Einkommen, Einkommen schafft Nachfrage, Nachfrage schafft zusätzliche Produktion. Der Markt ist kein Nullsummenspiel, sondern ein Positivsummenspiel. Am Ende der Kette und auf längere Sicht steigt das Einkommens- und Wohlstandsniveau bei allen Beteiligten (wenn auch nicht unbedingt in proportionaler Weise). Dies ist die eigentliche und entscheidende Chance der Globalisierung.

5. Alternative Anpassungsstrategien:

Deutschland, Niederlande und USA

Verschiedene Länder haben auf die Herausforderung der Globalisierung bislang ganz unterschiedlich reagiert _ abhängig von ihren jeweiligen ordnungspolitischen Leitvorstellungen, dem gesellschaftlichen Klima sowie dem Kräfteverhältnis zwischen den politischen Akteuren und den Tarifvertragsparteien. Im Unterschied zu Deutschland ist es in den USA und in den Niederlanden (aber auch in Kanada, Dänemark und weiteren Ländern) gelungen, die Beschäftigung nicht nur zu halten, sondern sie sogar noch zu erhöhen. Im Zeitraum von 1991-96 nahm die Zahl der Erwerbstätigen in den Niederlanden um 13,3 % zu, in den USA um 9,7 %; in Deutschland dagegen nahm die Erwerbstätigkeit in dieser Phase ab _ um 6,6 %. In den USA und den Niederlanden sanken die Arbeitslosenquoten auf historische Tiefstände von 4,7 % bzw. 5,3 %, während die Arbeitslosenquote in Deutschland einen historischen Höchststand von fast 12 % erreichte. Diese völlig unterschiedlichen Ergebnisse verlangen nach einer Erklärung.

Im folgenden soll versucht werden, am Beispiel dreier Länder und ihrer ganz unterschiedlichen Anpassungsstrategien herauszuarbeiten, welche Handlungsoptionen angesichts der Herausforderung der Globalisierung überhaupt bestehen und mit welchen Folgen alternative Strategien verbunden sind. Ein Vergleich könnte Hinweise dafür liefern, welche Formen der Anpassung im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Ziele Wachstum, Beschäftigung und Einkommen eher abträglich und welche möglicherweise zuträglich sind.

Stark vereinfacht läßt sich die unterschiedliche Entwicklung in Deutschland, den Niederlanden und den USA folgendermaßen zusammenfassen:

- Deutschland: Nach den ,goldenen 80er Jahren` geriet Deutschland im Verlauf der 90er Jahre in eine Phase der Stagnation und steigender Arbeitslosigkeit _ bedingt durch das Zusammentreffen der beiden Herausforderungen deutsche Einheit und Globalisierung. In der Phase 1983 bis 1991 war die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik geprägt durch einen anhaltenden Aufschwung, der die Zahl der Beschäftigten um rund drei Millionen erhöhte; die Arbeitslosenquote ging (wenn auch bescheiden) zurück, die Haushaltskonsolidierung machte Fortschritte und die Realeinkommen stiegen. Mit Beginn der 90er Jahre führte jedoch die Kumulation der Belastungen aus deutscher Einheit und Globalisierung offenbar zu einer Überforderung des politisch-ökonomischen Systems: Die Wirtschaft versank in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe, die öffentliche Verschuldung stieg sprunghaft an, die Politik geriet in eine Phase der Lähmung.

- USA: Selbst die eher unterkühlte Financial Times spricht mit Blick auf die USA von einem "economic miracle", dem ,Wirtschaftswunder' der längsten und stabilsten Aufschwungsphase seit dem Vietnamkrieg13. Im letzten Jahrzehnt hat die Zahl der Arbeitsplätze in den USA um über 20 Millionen auf rund 134 Millionen zugenommen; al lein seit 1993 wurden über 11 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Es sind dies keineswegs nur minderwertige `Fast-food'-Dienstleistungsjobs ("McJobs"), sondern auch höherwertige Arbeitsplätze z.B. in Software- und Multimediafirmen, Anwaltskanzleien etc.14 Die Arbeitslosenquote ist inzwischen auf unter 5 % gesunken. Millionen neuer Jobs, stabile Preise, die niedrigsten Arbeitslosenquoten seit einer Generation und darüber hinaus auch noch der gelungene Abbau des chronischen US-Haushaltsdefizits _ dies sind, auf den ersten Blick, die Merkmale des amerikanischen ,Job- und Wirtschaftswunders`.

- Niederlande: Bis Mitte der 80er Jahre wiesen die Niederlande eine im Vergleich zu Deutschland ungünstigere Arbeitsmarktbilanz auf, u.a. deswegen, weil Holland von den beiden Ölpreiskrisen relativ stärker betroffen war. Bereits 1982 hatten sich jedoch die Tarifvertragsparteien im berühmten "Akkord von Wassenaar" auf einen Beschäftigungspakt geeinigt, in dem Arbeitszeitverkürzungen und eine moderate Lohnpolitik mit der Zusage der Beschäftigungssicherung kombiniert wurden. In der Folge stiegen die Lohnstückkosten in den Niederlanden geringer an als in Deutschland, und die Arbeitsmarktlage verbesserte sich spürbar. Im Verlauf der 90er Jahre nahm die Zahl der Erwerbstätigen in den Niederlanden rapide zu, die Arbeitslosenquote sank auf rund 5 %. Ursächlich für diesen Erfolg war jedoch nicht allein die Lohnpolitik, sondern eine neue Verteilung der Arbeit: Durch eine beispiellose Ausweitung der Teilzeitarbeitsplätze (die zudem auch für Männer attraktiv ausgestaltet wurden) ist es gelungen, die Beschäftigung zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit abzubauen.

Wirft man einen Blick auf die Ursachen dieser ganz unterschiedlichen Entwicklungen, so fällt ins Auge, daß _ wiederum stark vereinfacht _ die USA im wesentlichen auf die Karte flexibler Löhne und Arbeitsmärkte setzen (hinzu kommen Deregulierung, niedrige Steuern und Abgaben, Verfügbarkeit von Risikokapital, hohe Mobilität etc.), während die Niederlande vor allem den Bereich der Teilzeitarbeit ausgeweitet haben und die Teilzeitquote sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern beträchtlich steigern konnten (Lohnmäßigung, Arbeitsmarktflexibilisierung, Korrekturen am Sozialstaat und eine nicht zu vernachlässigende Abwertung des Gulden kommen hinzu). In Deutschland dagegen gelang weder ein nationaler Beschäftigungspakt noch die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte noch eine spürbare Erhöhung der Teilzeitarbeit; vielmehr besteht der Rationalisierungsdruck hoher Arbeitskosten unverändert fort. Zugleich wird der Bereich wenig qualifizierter und niedrig entlohnter Erwerbsarbeit durch das steigende Niveau von Mindestlöhnen und sozialer Absicherung immer weiter ,ausgetrocknet`. Auf dieses Reservoir, das in den USA Millionen von Erwerbspersonen auffängt, wird bei uns großzügigerweise verzichtet.

Die beiden konträr unterschiedlichen Strategien in den USA einerseits und in Deutschland andererseits kommen am deutlichsten in der Entwicklung der realen Arbeitskosten und der Erwerbstätigkeit zum Ausdruck (vgl. Abb. 5): In den beiden Ländern sind die Verläufe dieser beiden Größen genau gegenläufig. Spiegelbildlich zur Arbeitslosigkeit verlaufen die Arbeitslosenquoten in den USA und in Deutschland: Beide Länder starteten im Jahr 1991 quasi vom gemeinsamen ,Ausgangspunkt` einer 7 %-Arbeitslosenquote. In Deutschland folgte darauf jedoch die tiefe Rezession der 90er Jahre und ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf 12,6 %, während in den USA der lang anhaltende Aufschwung weiterging und die Arbeitslosenquote unter 5 % drückte.

Die besondere Konstellation in den USA besteht darin, daß zum ersten Mal eine Phase starken Wachstums _ und entsprechender Beschäftigungsgewinne _ einhergeht mit niedrigen und weiter rückläufigen Inflationsraten. Kräftiges und inflationsfreies Wachstum _ das ist das wirklich Neue an der "New Economy" der USA. Bislang waren Wachstumsraten über 3 % und eine Arbeitslosenquote unter 5 % regelmäßig mit einer Beschleunigung von Löhnen und Preisen verbunden. Die _ an sich schon ungewöhnliche _ Entwicklung eines stabilen Wachstums wird gekrönt durch den Abbau des US-Haushaltsdefizits, das im Jahr 1992 noch bei 290 Mrd. Dollar lag; für das Jahr 1998 konnte die Regierung erstmals seit drei Jahrzehnten wieder ein ausgeglichenes Budget vorlegen. (Im Gegensatz dazu hatte Deutschland Mühe, das Maastricht-Kriterium von 3 % zu erreichen.15)

Gleichwohl: Wenn manche Beobachter heute von einer ,neuen Ära` der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung sprechen, so erscheint dies überzogen. Nüchtern betrachtet, handelt es sich um das Zusammentreffen einer anhaltenden Wachstumsphase mit desinflationären weltwirtschaftlichen Randbedingungen.

Natürlich ist das ,US-Wirtschaftswunder` von Kritik nicht verschont geblieben. Es gibt amerikanische Autoren, die sogar von der "Illusion" eines Jobwunders sprechen (L. Thurow16, J. Rifkin17). Sie bringen die Millionen von Erwerbspersonen ins Kalkül, die sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, die unterwertig arbeiten oder nur einen Teilzeitjob haben, obwohl sie lieber Vollzeit arbeiten würden. Unter Anrechnung all dieser Formen der Unterbeschäftigung kommt Rifkin auf "eine Arbeitslosigkeit von 13 bis 14 Prozent".18 In gleicher Weise ist die niederländische Arbeitslosenquote von der OECD korrigiert worden, und zwar um die versteckte Arbeitslosigkeit in der Form von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, vorgezogenem Ruhestand, überhöhter Arbeitsunfähigkeit (Invalidität) und niedriger Erwerbsbeteiligung. Werden diese Faktoren berücksichtigt, so ergibt sich eine ,breite` Arbeitslosenquote von erstaunlichen 27,1 %.19 (Bei gleicher Meßlatte kommt die OECD für Deutschland auf einen Wert von 22 %.)

 

Das ,Job- und Wirtschaftswunder`

 

Die Kehrseite des ,Wunders`


-  In einer Phase anhaltend hohen Wachstums wurden Millionen neuer Jobs geschaffen; die Arbeitslosenquote ist unter 5 % gesunken, es herrscht quasi Vollbeschäftigung;
Ein großer Teil der tatsächlich Arbeitslosen wird aus der Statistik einfach gestrichen; Millionen würden gerne ganztags arbeiten, bekommen jedoch nur Teilzeitarbeit;

- das Preisniveau ist stabil, trotz des kräftigen wirtschaftlichen Wachstums ist das Preisniveau über Jahre hinweg gesunken; die US-Wirtschaft konnte die seltene Kombination von Wachstum, Beschäftigungszunahme und Preisniveaustabilität erreichen;
nur ca. 1/3 der Arbeitslosen erhält (relativ niedrige) Arbeitslosenunterstützung; auf dem Arbeitsmarkt herrscht großer Druck, auch ,unterwertige Arbeit` (unterhalb der Qualifikationen und zu niedrigen Löhnen) anzunehmen;

- der Regierung ist es gelungen, das chronische US-Haushaltsdefizit abzubauen; vor sechs Jahren lag es noch bei fast 300 Mrd. US-$; für das Jahr 1998 hat der Präsident einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt.
das Lohnniveau ist niedrig, für viele Gruppen sind die Reallöhne gesunken; die Einkommenszuwächse kamen vor allem den Besserverdienenden zugute; die Diskrepanzen der Einkommens- und Vermögensverteilung sind noch krasser geworden.



Abgesehen vom Problem der statistischen Erfassung der ,wahren` Arbeitslosigkeit ergeben sich bei näherem Hinsehen noch weitere Schwachstellen der ,Beschäftigungswunder` in den USA und den Niederlanden. Von vielen Beobachtern wird die entscheidende Schwäche der US-amerikanischen Entwicklung darin gesehen, daß die Einkommen der Durchschnittsverdiener in den letzten anderthalb Jahrzehnten real nicht gestiegen, sondern gefallen sind (1996 lagen die Verdienste um 3 % unter dem Niveau von 197920). Das untere Fünftel der Einkommensbezieher verdient heute real 17 % weniger als 1979, während das obere Fünftel real 18 % mehr verdient; die Einkommensdiskrepanzen sind also noch krasser geworden21. Es gibt eine ganze Schicht von ,working poor`, die trotz Erwerbsarbeit und auch mehrerer Teilzeitjobs auf Sozialhilfe angewiesen ist. In vielen Dienstleistungsbereichen (wie Fast-Food-Ketten, Einzelhandel, Hotellerie etc.) wird quasi nur der gesetzliche Mindestlohn von derzeit rund acht DM bezahlt. Mit Trinkgeldern und Zweitjobs müssen sich viele Beschäftigte über Wasser halten.22 Der US-Gewerkschaftschef John Sweeney urteilt: "Der Segen des Wohlstandes kommt nur wenigen zugute."23

In den Niederlanden ist es gelungen, die Zahl der Erwerbstätigen in einer Phase zu erhöhen, in der die Beschäftigtenzahl in Deutschland drastisch gesunken ist. Die beiden entscheidenden Instrumente waren Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung des Arbeitsvolumens durch Erhöhung der Teilzeitquote auf 37,4 % (vgl. Abb. 7). Dadurch wesentlich mitbedingt ist die Zahl der Erwerbstätigen in den letzten 15 Jahren um 16 % angestiegen.

Über diese unmittelbar am Arbeitsvolumen ansetzenden Maßnahmen hinaus haben Politik und Tarifvertragsparteien in den Niederlanden auf die neuen Herausforderungen der Globalisierung mit einer Strategie der sozialen Reformen reagiert. Dabei mußten alle drei Akteure _ Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften _ Zugeständnisse machen. Der niederländischen Tradition entsprechend erfolgten die nötigen Anpassungen im gesellschaftlichen Konsens: Im Rahmen eines Sozialpaktes wurden Steuern und Sozialabgaben gesenkt, der Sozialstaat umgebaut und zurückgeschnitten, die Teilzeitbeschäftigung ausgebaut, der Arbeitsmarkt flexibilisiert, die Lohnpolitik auf eine längerfristige, moderate Linie ausgerichtet. Dabei ist das Haushaltsdefizit nicht etwa erhöht worden, vielmehr konnte es im laufenden Haushaltsjahr (1998) auf 1,7 % des BIP gesenkt werden.

Ein wichtiges Moment der holländischen Entwicklung sind die moderaten Lohnsteigerungen. Darauf ist auch zurückzuführen, daß die Reallöhne in den Niederlanden heute unterhalb des Niveaus von 1990 liegen. Gleichwohl liegt der Schlüssel des holländischen Beschäftigungswunders nicht allein und nicht vor allem in der Lohnpolitik. Entscheidend ist vielmehr die neue Verteilung der Arbeit: "Der überwiegende Teil des niederländischen Jobwunders geht auf die Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen zurück."24 Binnen 25 Jahren stieg die Teilzeitquote von ca. 5 % auf ca. 35 % (bei den Frauen von 15 % auf 65 %). Rechnet man die gestiegene Zahl von Teilzeitbeschäftigten um auf Vollzeitbeschäftigte, dann zeigt sich, daß "die Beschäftigung seit 1990 praktisch gleich geblieben (ist). Auch zwischen 1980 und 1990 ist sie nur um 250.000 gestiegen."25 Mit anderen Worten: Ein quasi stagnierendes Arbeitsvolumen wird auf mehr Erwerbspersonen umverteilt.

Die Kehrseite der Teilzeitbeschäftigung ist das damit verbundene Teilzeiteinkommen. Für Erwerbspersonen, die neu bzw. zusätzlich in den Arbeitsmarkt eintreten und Teilzeit arbeiten wollen, ist dies unproblematisch; anders sieht es jedoch für Erwerbspersonen aus, die bislang Vollzeit gearbeitet haben und nun zur Teilzeitarbeit übergehen sollen. Ein Wechsel von Voll- auf Teilzeitarbeit erscheint _ insbesondere für Männer _ nur dann akzeptabel, wenn die soziale Absicherung der Teilzeitarbeit großzügig ausgestaltet wird (was in den Niederlanden der Fall ist) und wenn der Einkommensausfall eines bislang voll erwerbstätigen Mannes kompensiert wird durch die Aufnahme einer Teilzeitarbeit durch seine Frau bzw. Lebensgefährtin. Eine Minderung des Haushaltseinkommens in Höhe von 30 % oder 40 % erscheint sonst kaum tragbar. In Deutschland ist es diese befürchtete Einkommenseinbuße und die damit einhergehende Schlechterstellung bei der Altersversorgung, die bei den meisten vollerwerbstätigen Männern zur Ablehnung von Teilzeitarbeit führt.

Land Teilzeit-
quote a
Jahres-
Arbeitszeit b
Erwerbs-
beteiligung c
Arbeits- 
losenquote d
Teilzeit-
beschätigte
Männer e
Deutschland 16,3 1500 68,8 12,6 3,6
USA 18,6 1900 77,3 4,7 6,0
Niederlande 38,1 1400 62,4 5,4 17,0

a Anteil an den Erwerbstätigen (in %; 1995);

b durchschnittliche jährliche Arbeitszeit pro Beschäftigten (effektiv in Stunden; 1997);

c Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (in %; 1997);

d Anteil der Arbeitslosen an den Erwerbspersonen (in %; 1997);

e Anteil an allen männlichen Beschäftigten (in %; 1997). Daten: OECD, Deutsche Bundesbank

 

Durch die Steigerung der Teilzeitbeschäftigung ist die durchschnittliche Arbeitszeit pro Erwerbstätigen in den

Niederlanden deutlich gesunken, und zwar um 9 % auf 1452 Jahresstunden. Die effektive26 durchschnittliche Jahresarbeitszeit wird auf 1400 Stunden veranschlagt _ im Kontrast zu Deutschland mit ca. 1500 sowie den USA und Japan mit ca. 1900 Stunden.

Teilzeitarbeit ist allerdings nicht gleich Teilzeitarbeit. Die tägliche Arbeitszeit kann zwischen zwei und sechs Stunden variieren, ebenso wie die Arbeitstage pro Woche zwischen einem und fünf Tagen schwanken können. Teilzeitarbeit geht also fließend über in die verschiedensten Formen geringfügiger Beschäftigung. Von Kritikern wird dem holländischen ,Teilzeitarbeitwunder` zum Vorwurf gemacht, daß die Zahlen durch einen hohen Anteil von geringfügiger Beschäftigung von unter zehn Wochenstunden aufgebläht würden.

Man muß bei den Niederlanden im Auge behalten, daß es sich hier um ein kleines Land handelt, das mit einer Außenhandelsquote von über 50 % doppelt so ,offen` ist wie Deutschland. Die Niederlande sind deswegen in viel höherem Maße gezwungen, sich den weltwirtschaftlichen Veränderungen zügig anzupassen. Offenbar fördert weltwirtschaftliche Offenheit auch die Einsicht in das Notwendige. Der Beschäftigungserfolg in den Niederlanden ist wesentlich dadurch bedingt, daß es dort zum einen gelungen ist, durch eine zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Lohnzurückhaltung die Lohnstückkosten niedrig zu halten (Anstieg 1983-93 in den Niederlanden um 1 % p.a., in Deutschland um 2 % p.a.); zum anderen ist es dort gelungen, die Arbeit massiv umzuverteilen und auch die Männer in beachtlichem Maße zur Teilzeitarbeit zu konvertieren. Dies "deutet auf einen ausgeprägten Gleichheitssinn in Holland hin, der tiefe historische Wurzeln zu haben scheint."27 Insgesamt ist das ,Beschäftigungswunder` der Niederlande "das Resultat einer offensiven Strategie der Umverteilung von Arbeit und Einkommen, die von den Gewerkschaften mit getragen und durch eine starke Lohnmäßigung ergänzt wurde."28

Das ,Teilzeitwunder` Die Kehrseite des ,Wunders`

- starke Ausweitung der Teilzeitarbeit; Einführung von Teilzeitarbeit auch auf qualifizierten Arbeitsplätzen; mehr Teilzeitarbeit entspricht den Präferenzen vieler Erwerbspersonen;
- insgesamt stagnierendes Arbeitszeitvolumen, d.h. massive Umverteilung der Arbeit (und der Einkommen) auf eine größere Zahl von Erwerbspersonen;

- relativ hoher Anteil (17 %) von teilzeitbeschäftigten Männern (EU-Durchschnitt: 5 %);
- massive Frühverrentung; Exklusion von ,schwer vermittelbaren` Erwerbspersonen aus dem Arbeitsmarkt;

- gute soziale Absicherung der Teilzeitbeschäfti-gung (Regelungen, die es auch für Männer attraktiv machen, auf Teilzeitarbeit umzusteigen);
- hoher Anteil geringfügiger Teilzeitbeschäftigung (ca. 32 % < 10 Wochenstunden);

- geringer arbeitsrechtlicher Schutz bei geringfügiger Beschäftigung;


- ,produktive` Kombination von Teilzeitarbeit mit Aus- und Weiterbildung.
 

- relativ hohe unfreiwillige Teilzeitquote von 5,6 %; (in Deutschland: 1,5 %).

 

6. Gibt es eine optimale Strategie?

Dieser _ notgedrungen sehr grobe _ Vergleich dreier Ansätze zur Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung zeigt zunächst, daß es Anpassungsformen gibt, die _ wie im Fall der USA und der Niederlande _ das Beschäftigungsniveau nicht nur aufrechterhalten, sondern es sogar noch erhöhen. In den USA bestand _ und besteht _ die Strategie darin, den Arbeitsmarkt so zu liberalisieren und zu flexibilisieren, daß er Angebot und Nachfrage ,ausregelt`. Dies entspricht dem neoklassischen Dogma, wonach es auf ,freien` Arbeitsmärkten immer ein Lohnniveau gibt, das ,Vollbeschäftigung` im Sinne einer Übereinstimmung von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ermöglicht. Der Nachteil dieser Strategie liegt allerdings darin, die Löhne im Niedriglohnbereich teilweise unter die Armutsgrenze zu drücken; die Einkommensverteilungsdiskrepanzen werden dadurch noch krasser. Dies mag in der eher hemdsärmeligen US-Gesellschaft angehen, _ in unserer, der sozialen Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert einräumenden Gesellschaft ist diese Strategie nicht akzeptabel, also auch nicht übertragbar.

Gleichwohl kann man am Beispiel der USA lernen, daß eine spürbare Ausweitung der Beschäftigung unter der Rahmenbedingung Globalisierung eine größere Flexibilisierung der Löhne voraussetzt _ insbesondere nach unten zur Erhaltung des Niedriglohnsektors, aber auch im Sinne einer stärkeren Spreizung der Entgelte nach Qualifikationen und Marktbedingungen.

Die andere Alternative besteht in einer ,unechten` Ausweitung der Beschäftigung in der Form einer Umverteilung des Arbeitsvolumens auf ,mehrere Schultern` durch vermehrte Teilzeitarbeit. Die Folge ist eine entsprechende Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit je Erwerbstätigen und eine Verringerung der Einkommen im Ausmaß der Arbeitszeitverkürzung. Das holländische Beispiel lehrt, wie

ein stagnierendes Arbeitsvolumen im gesellschaftlichen Konsens auf eine größere Zahl von Erwerbspersonen verteilt und wie die Arbeitslosenquote dadurch gesenkt werden kann. Diese Strategie der Arbeitsumverteilung (bei gleichzeitiger Lohnmäßigung) setzt jedoch eine erhöhte Akzeptanz von Teilzeitarbeit und Teilzeiteinkommen voraus _ nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern. In Deutschland fehlt diese Akzeptanz bislang noch, zum einen wegen der im Vergleich zu den Niederlanden weniger attraktiven Ausgestaltung der sozialen Absicherung der Teilzeitarbeit, zum anderen aber auch wegen der bei vielen Männern ungebrochenen Fixierung auf das ,Normalarbeitsverhältnis`.

Optionen der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik unter den Rahmenbedingungen der Globalisierung:

- Option USA: Strategie der Lohnanpassung
Auf deregulierten und flexibilisierten Arbeitsmärkten werden Lohnsenkungen zugelassen, um die Beschäftigung (auch der weniger Qualifizierten) zu sichern und zu erhöhen. Die `Nebenfolge' Armut (,working poor`) wird teilweise durch Subventionen (Sozialhilfe) aufgefangen. Die Konsequenz wachsender Einkommensverteilungsdiskrepanzen wird hingenommen.

-> steigende Beschäftigung bei sinkenden Reallöhnen

-> Inklusion auf dem Arbeitsmarkt (Vollbeschäftigung bei hoher Erwerbsbeteiligung)

- Option Niederlande: Strategie der Arbeitsumverteilung

Die Zahl der Beschäftigten wird durch eine Umverteilung des Arbeitsvolumens erhöht. Die Teilzeitquote nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer, steigt erheblich an. Arbeitszeitverkürzung und moderate Lohnpolitik führen zu stagnierenden Einkommen.

-> mehr Beschäftigte durch Arbeitsumverteilung

-> partielle Inklusion (teilzeitarbeitende Frauen) und partielle Exklusion (Frühverrentung)

- Option Deutschland: Strategie der Produktivitätssteigerung

Bei hohen und weiter steigenden Arbeitskosten wird die Konkurrenzfähigkeit durch forcierte Produktivitätssteigerungen gesichert. Die steigende Arbeitslosigkeit betrifft vor allem den weniger produktiven Niedriglohnsektor. Die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit müssen über die Lohnzusatzkosten getragen werden.

-> hohe Löhne und zunehmende Produktivität bei sinkender Beschäftigung

-> Exklusion auf dem Arbeitsmarkt (Abbau des Niedriglohnsektors, Frühverrentung)

Die dritte Option besteht darin, so zu tun, als ob sich durch die Globalisierung nichts verändert hätte. Dies ist, etwas überspitzt gesagt, die deutsche Option. Wo beherzte Reformen der nationalen Steuer-, Sozial-, Renten-, Arbeits- etc. _Systeme nötig wären, begnügt man sich mit lokalen Beschäftigungspakten. Wo eine aktive Strategie zur Nutzung der Chancen der Globalisierung angezeigt wäre, beschränkt man sich aufs Lamentieren über deren Risiken. Selbst wenn man die spezifischen Probleme der deutschen Einheit gebührend in Rechnung stellt, muß man wohl konstatieren, daß bei uns noch keine angemessenen Antworten auf die Herausforderung der Globalisierung gefunden worden sind.

Welche Alternativen stehen also zur Wahl? Welche Strategien sind optimal in Bezug auf Beschäftigung, Einkommen und Wettbewerbsfähigkeit? Haben wir nur die Wahl zwischen den amerikanischen ,working poor`, den holländischen ,part-timern` und den deutschen ,jobless poor`?

Vermutlich ist es so, daß wir kaum eine wirkliche Wahl haben. Die ganz unterschiedlichen Strategien der drei beispielhaft untersuchten Länder reflektieren politisch-gesellschaftliche Werturteile über erwünschte bzw. noch hinnehmbare Formen der Zumutbarkeit von Arbeit und Arbeitslosigkeit, der Verteilungsgerechtigkeit und der Solidarität. Welche Werturteile ,richtig` sind, darüber kann Wissenschaft nichts aussagen, dies muß jede und jeder für sich selbst entscheiden.

7. Schlußbemerkungen

Durch die fortschreitende Liberalisierung der Märkte erzeugt die Globalisierung zusätzlichen Konkurrenzdruck; sie erzwingt Innovationen, stärkere Orientierung an den Kundenwünschen und -ansprüchen und fordert den Unternehmen deswegen mehr Flexibilität, höheres Tempo, verstärkte Wissensbasierung, Lern- und Innovationsfähigkeit ab. Diese Entwicklungen erscheinen dauerhaft _ und am Ende auch vorteilhaft für Kunden und Konsumenten. Ob sie sich günstig für die Erwerbstätigen und die Beschäftigung auswirken werden, muß sich noch zeigen.

Manche Autoren verbinden mit der Globalisierung die Befürchtung, daß sich im Zuge der Standortkonkurrenz die Löhne, die sozialstaatlichen Leistungen, die Umweltstandards und andere Errungenschaften der modernen Industrieländer nach unten anpassen könnten (Lohn-, Sozial- und Umweltdumping), oder _ dramatischer noch _ die Befürchtung, daß Arbeitsplätze in großem Umfang zerstört und eine neue Verelendung herbeigeführt werden könnte. Eine Anpassung nach unten wird deswegen befürchtet, weil nun auch solche Standorte in die neue globale Konkurrenz eintreten, die wesentlich niedrigere Standards bezüglich Arbeitsschutz, sozialen Leistungen, Umweltschutz, Mitbestimmung, sozialer Gerechtigkeit etc. haben.

Die Gefahr eines `Kasino-Kapitalismus' als Ordnungsform einer globalisierten Weltwirtschaft ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Sie könnte allerdings durch internationale Vereinbarungen verringert werden, wenn auf der Ebene von Wirtschaftsräumen Mindeststandards einer verträglichen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltordnung festgelegt würden. Ansätze dazu sind vorhanden.

In einer Übergangsphase dürfte es tatsächlich `Druck nach unten' geben. In der durch Globalisierung verschärften Standortkonkurrenz müssen sich die Unternehmen "dem ökonomischen Urteil der internationalen Kapitalmärkte"29 stellen. Dort fallen die Entscheidungen, wo das Kapital investiert wird und auf welchen Standorten durch Investitionen neue Arbeitsplätze entstehen. Weil das international mobile Kapital sich die attraktivsten _ d.h. profitabelsten _ Standorte aussucht, haben `teure` Standorte das Nachsehen: "Globalisierung hat die falsche Politik sehr kostspielig gemacht."30

Doch in dem Maße, wie der Wohlstand bei den neuen Konkurrenten zunimmt, werden auch die Ansprüche bezüglich der sozialen Gerechtigkeit, der Infrastruktur und der Umweltstandards steigen. In Hongkong, Singapur, Südkorea oder Taiwan liegen die Bruttoeinkommen von Facharbeitern bereits bei über 70 % derjenigen deutscher Facharbeiter (während es in Osteuropa noch unter 20 % sind). Dies führt zuverlässig zu einer gewissen Angleichung der Produktionsbedingungen. Gleichwohl besteht auch ein Bedarf an internationaler Abstimmung, denn "Konkurrenz ohne die Rahmenbedingungen einer Kooperation entartet in eine ruinöse Rivalität, die für alle Beteiligten zerstörerisch wirkt."31

Es ist nicht zuletzt auf wechselseitige Anpassungen im Zuge der Globalisierung zurückzuführen, daß inzwischen eine Reihe von Unternehmen ausgelagerte Produktionen wieder nach Deutschland zurückgeholt haben. Die durch die Globalisierung angestoßenen _ wo nicht erzwungenen _ Produktivitätssteigerungen, die Flexibilisierung der Arbeits- und Betriebszeiten, die erfolgreiche Restruktu rierung der Unternehmen und nicht zuletzt die seit mehreren Jahren sinkenden Lohnstückkosten führen dazu, daß die (schmaler werdenden) Lohnkostenunterschiede zu einer Reihe ausländischer Standorte immer weniger ins Gewicht fallen.

Globalisierung treibt den Strukturwandel voran. In jedem Strukturwandel gibt es Gewinner und (relative) Verlierer. Insgesamt aber kommt der strukturelle Wandel auf längere Sicht allen Beteiligten zugute: Die Produktivität erhöht sich und das Angebot wird den Nachfragewünschen der Konsumenten angepaßt. Entscheidend ist dabei, daß der Austausch wirtschaftlicher Güter über Märkte kein Nullsummenspiel ist (bei dem die eine Seite verliert, was die andere gewinnt), sondern ein `Positiv-Summen-Spiel' (bei dem beide Seiten gewinnen): "Grundlage hoher Einkommen und steigenden Wohlstandes ist der Wettbewerb. Er eröffnet Wachstums- und Beschäftigungschancen. Im wirtschaftlichen Wettbewerb können damit alle gewinnen. Das gilt im nationalen Rahmen wie im Weltmaßstab."32 Zudem ist der Aufstieg der neuen Industrieländer "in Wirklichkeit die einzige Chance (..), Weltwohlstand ein wenig gerechter zu verteilen."33 Man muß sich vor Augen halten: "Ein halbes Jahrzehnt Weltmarkt hat den asiatischen und südamerikanischen Ländern mehr Entwicklung und Wohlstand gebracht als drei Entwicklungsdekaden zusammengenommen."34

Globalisierung ist auch ein Ausdruck dafür, daß neben den ca. 600 Millionen Menschen in den heutigen Industrieländern zunehmend auch die ,übrigen` fünf Milliarden Menschen in den Genuß der Segnungen der Industriegesellschaft kommen wollen. Wer wollte ihnen das verwehren?

Anmerkungen

1 Juergen B. Donges, in: Handelsblatt vom 07.05.1997, S. 2.

2 Die ,Globalophobie` ist indessen kein rein deutsches Phänomen: Die Financial Times spricht von "... the dominant economic malaise of our time _ fear of globalisation." (FT vom 2.12.1997, S. 15.)

3 Vgl. Handelsblatt vom 13./14.2.1998, S. 2.

4 Vgl. Henning Klodt: Direktinvestitionsbilanzen sind als Standortindikator ungeeignet. In: Handelsblatt vom 2.2.1998, S. 41.

5 Vgl. Handelsblatt vom 12.2.1998, S. 7 (USA: 24,3 %; Japan: 12,6 %).

6 Vgl. Blick durch die Wirtschaft vom 12.11.1997, S. 2: "Logistisch und vor allem in der Kommunikation bedeutet Globalisierung das Ende der Entfernung."

7 "Was die Weltwirtschaft betrifft, so ist sie verflochten."

8 Vgl. Titelgeschichte ,Einkauf ohne Grenzen` in Markt und Mittelstand, Heft 2/98 (hier S. 20).

9 Rheinischer Merkur Nr. 41 vom 10.10.1997, S. 20.

10 Börse online 46/97, S. 14.

11 Der Mittelständler Walter Bach in Markt und Mittelstand Nr. 12/97, S. 54.

12 Henning Klodt: Direktinvestitionsbilanzen sind als Standortindikator ungeeignet. In: Handelsblatt vom 2.2.1998, S. 41.

13 Vgl. Financial Times vom 19.9.1997, S. iii.

14 Nach BDI-Angaben sollen sogar 80 % davon "hochqualifiziert" sein (vgl. Handelsblatt vom 15.4.1997, S. 5). Dies erscheint indessen reichlich übertrieben. In dengewerkschaftsnahen WSI-Mitteilungen wird der Harvard-Professor Markowitz zitiert, demzufolge 50 % der neuen Arbeitsplätze "Billig-Jobs mit weniger als 10 DM Stundenlohn" sind. (E. Niemeier: Maßlose Gewinnmaximierung zerstört unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in: WSI-Mitteilungen 1/1998, S. 51.

15 Anteil des Haushaltsdefizits am Bruttoinlandsprodukt: Bei einem BIP in Höhe von ca. 3.600 Mrd. DM im Jahr 1997 ist das ein (,zulässiges`) Defizit der öffentlichen Haushalte in Höhe von ca.108 Mrd. DM.

16 Lester C. Thurow: Die Illusion vom Jobwunder. In: Die Zeit Nr. 44 vom 25.10.1996, S. 41.

17 Jeremy Rifkin: Die Fabrikjobs sterben aus. In: Rheinischer Merkur Nr. 12 vom 21.3.1997, S. 11.

18 Jeremy Rifkin, ebd.

19 Vgl. Financial Times vom 18.9.1997, S. 13 ("Debunking the Dutch myth").

20 Vgl. Walter Pfäffle: Amerikas trügerische Job Maschine, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.4.1996, S. 22.

21 Peter De Thier: Laserstrahlmentalität zahlt sich aus. In: Süddeutsche Zeitung vom 16./17.11.1996, S. V1/1

22 Die Intensität der Unterstützung von Arbeitslosen (Unterstützungsaufwendungen je 1000 Arbeitslose) beträgt in den USA kaum 10% des deutschen Niveaus. Vgl. Angela Birk, Thomas Gries: Amerikanisches Job-Wunder versus deutsches Produktivitätswunder. In: Wirtschaftsdienst 1997/II, S. 103. Den Autoren zufolge wirkt sich dies so aus, "daß die in den USA strategisch gewünschte Reallohnanpassung beschleunigt stattfinden kann."

23 Zitiert in Handelsblatt vom 2.2.1998, S. 18.

24 Günther Schmid: Beschäftigungswunder Niederlande? Ein Vergleich der Beschäftigungssysteme in den Niederlanden und in Deutschland. In: Leviathan 3/1997, S. 310.

25 Bernhard Jagoda: Modell Niederlande _ ein Vorbild für Deutschland? In: Wirtschaftsdienst 1997/IV, S. 191.

26 Effektiv, d.h. unter Abzug von Krankheitstagen, Fehlzeiten etc. von der tariflich vereinbarten Arbeitszeit.

27 Günther Schmid: Beschäftigungswunder Niederlande? Ein Vergleich der Beschäftigungssysteme in den Niederlanden und in Deutschland. In: Leviathan 3/1997, S 311.

28 Ebd., S 322.

29 Hans D. Barbier, in: FAZ vom 5.11.1996, S. 17.

30 Bundesbank-Präsident Tietmeyer, in: Börse Online 46/97, S. 19.

31 Hengsbach 1994, S. 23.

32 Gerhard Fels: Globalisierung. In: Informationsdienst der deutschen Wirtschaft (iwd) Nr. 1/1997, S. 2.

33 Lutz 1990, S. 42.

34 E.U. v. Weizsäcker, in: Süddeutsche Zeitung vom 14.10.1996, S. 30. (Besprechung von Martin/Schumann)