Baustein

"...es geschah am helllichten Tag!"

Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen

 

Juden in der deutschen Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts



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Inhaltsverzeichnis


1. Juden im Südwesten Deutschlands bis zum Edikt von 1809

Seit bald zweitausend Jahren leben Juden in Deutschland. Mit den römischen Heeren sind sie über Gallien nach Deutschland gekommen. In einem Brief Kaiser Konstantins von 321 werden sie als römische Bürger in Köln bezeichnet.1 Die jüdischen Siedlungen liegen meistens an den wichtigsten Verkehrsstraßen im Rhein- und Donaugebiet, wie beispielsweise in Mainz, Worms, Trier, Augsburg und Regensburg. Die ersten Zeugnisse jüdischer Siedlungen in unserem Bundesland Baden-Württemberg stammen aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und erste Urkunden, die Auskunft über jüdische Ansiedlungen geben, sind aus dem 13. Jahrhundert.2

Kaiser Friedrich II. beschließt 1236, alle Juden in seinem Reich zu Kammerknechten zu erklären. Damit stehen sie unter dem direkten Schutz des Reiches. Für diesen Schutz müssen die Juden bestimmte Abgaben entrichten. Entstehen dem Kaiser finanzielle Engpässe, verpfändet er sein Judenregal. D. h. er "verkauft" die Juden an seine Gläubiger. Beispielsweise erhält 1303 der Graf von Wertheim von Kaiser Albrecht I. für acht Jahre die Einnahmen des Judenregals.3

Für die Juden in Deutschland stellt die Zeit des Mittelalters eine Zeit der Verfolgung und des Leidens dar. Aberglaube und Missgunst der Bevölkerung gegenüber den Juden, die an ihrer mosaischen Religion festhalten, führen zu grausamen und blutigen Taten. So werden Juden im Mittelalter des Ritualmordes angeklagt. Im Jahre 1235 werden acht Juden in Lauda und Tauberbischofsheim beschuldigt, einen Christen ermordet zu haben, um dessen Blut für rituelle Zwecke zu nutzen. Daraufhin werden sie grausam hingerichtet.

Zwar versucht Papst Innozenz IV. 1247 mit einer Bulle gegen diesen Aberglauben des Ritualmordes vorzugehen, aber in den folgenden Jahrhunderten gibt es immer wieder Beschuldigungen gegen die Juden und blutige Ausschreitungen.4

Im Spätmittelalter wird gegen die Juden eine weitere Beschuldigung vorgebracht. Vorgeworfen wird ihnen die Schändung der Hostien und es kommt wiederum zu zahlreichen blutigen Übergriffen, wie beispielsweise durch den verarmten Ritter Rindfleisch, in Konstanz 1312, 1320 und 1333 sowie in Renchen 1301 und durch "König Armleder", einem Ritter aus Uissigheim/Külsheim (1335-37).

Die schlimmste und verheerendste Verfolgungswelle ereignet sich in Südwestdeutschland während der Pestepidemie von 1348/49. Die Juden werden beschuldigt, die Brunnen und Quellen vergiftet zu haben. Ganze jüdische Gemeinden werden von den christlichen Bewohnern der Orte ermordet und die Besitztümer der Ermordeten eingezogen. Es dauert Jahrzehnte, bis sich vereinzelt wieder jüdische Gemeinden in den heimgesuchten Städten ansiedeln.

In den folgenden Jahrhunderten sind die Juden dem ständig wechselndem Schicksal von Tolerierung und Vertreibung ausgesetzt. Der wirtschaftliche Konkurrenzneid erschwert das Leben der Juden in den Städten und führt zu starken Diskriminierungen. So werden im 15. und 16. Jahrhundert die Juden aus den meisten Reichsstädten, Herrschaften und Fürstentümern im Gebiet des heutigen Landes Baden-Württemberg ausgewiesen. Nur noch einzelne Juden erhalten Privilegien zur Niederlassung, beispielsweise in Rottweil und Ulm.

Schon 1391 vertreibt Kurfürst Ruprecht II. alle Juden aus der Pfalz. Er eignet sich ihren Besitz an und vermacht jüdische Besitzungen der Heidelberger Universität. Obwohl die Vertreibung "ewig" gelten soll, werden in späteren Jahrhunderten immer wieder Ausnahmen gemacht und "Schutzjuden" zugelassen. Um 1550 gibt es in der Kurpfalz ca. 155 Juden, wobei höchstens zwei Familien in jedem Ort wohnen dürfen. Anders als die badischen Markgrafen, die den Zuzug von Juden zwar regulieren, aber nicht gänzlich unterbinden, gehen Städte und Landesherren im angrenzenden Vorderösterreich entschieden gegen die Juden vor. In Freiburg z. B. wird den Juden, die sich nach der Verfolgung von 1348/49 noch in der Stadt befinden, das Leben durch eine 1394 auf Bitten der Stadt von Herzog Leopold IV. erlassene Judenordnung schwer gemacht. Als um 1400 aus dem Elsass kommend die unglaubliche Fabel vom Ritualmord der Juden an Christenkindern Freiburg erreicht, erwirkt die Stadt 1524 von ihrem Landesherrn die Genehmigung zur "ewigen Vertreibung" sämtlicher Juden. 1573 verfügt Erzherzog Ferdinand die Fortschaffung sämtlicher Juden aus Vorderösterreich bis zum 1. Juni 1574. 1698 setzt die Markgrafschaft Baden-Baden die Zahl der schutzberechtigten Juden auf 42 Familien fest.5

Nach dem Dreißigjährigen Krieg sowie aufgrund von Zerstörungen durch französische Truppen im Jahr 1689 ist die Pfalz sehr verwüstet. Daher wird die Aufnahme jüdischer Familien liberaler gehandhabt, da dies die Steuer- und Schutzgeldeinnahmen steigert.

Bereits im 18. Jahrhundert gibt es eine kleine Anzahl von jüdischen Akademikern und 1782 wird erstmals an der Universität Heidelberg einem Juden der medizinische Doktorhut verliehen. Ähnlich wie an dem Entstehen der kurpfälzischen Stadt Mannheim im 18. Jahrhundert sind Juden am Aufbau der Stadt Karlsruhe maßgeblich beteiligt. 1801 tritt Hofrat Philipp Holzmann sogar beim Markgrafen für eine Gleichbehandlung der Juden ein. Schließlich entsteht 1806 das Großherzogtum Baden. In diesem Gebiet leben ca. 12.000 Juden, die ungefähr 1,5 % der Bevölkerung darstellen. Im Königreich Württemberg wohnen 1817 nach einer Liberalisierung der Gesetze 8.256 Juden.

In den Jahren 1807 und 1808 werden vom Großherzog in Baden das 1. und das 6. Konstitutionsedikt erlassen. Damit verbessert sich die bürgerliche Stellung der Juden und ihre Religion wird nun "konstitutionsmäßig" geduldet. Aufgrund dieser Edikte werden die Juden zu "erbfreien Staatsbürgern". Sie erhalten damit das Recht, Grundbesitz zu erwerben sowie Handel und Gewerbe zu treiben. Jedoch sind sie weiterhin Schutzbürger, die nicht an kommunalen Wahlen teilnehmen dürfen. Diese Verordnungen stellen Rahmengesetze über die Rechtsverhältnisse der Juden dar und führen bei der Auslegung immer zu Auseinandersetzungen.

Mit dem 9. Konstitutionsedikt, dem so genannten Judenedikt vom 13. Januar 1809, erhalten die badischen Juden die genauen Ausführungsbestimmungen. In diesem Gesetz werden die bürger- und kirchenrechtlichen Verhältnisse geregelt und die Schulpflicht für jüdische Kinder eingeführt. Die Juden bekommen das Recht zugestanden, ein Handwerk oder einen landwirtschaftlichen Beruf zu erlernen. Auch die bisher gültigen Heiratsbeschränkungen für Juden werden aufgehoben. Sie werden verpflichtet, erbliche Familiennamen anzunehmen. Das Gesetz stellt insgesamt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung dar.

 

2. Die Revolution von 1848/49 und die Juden

Die Judenemanzipation wird nach 1809 jedoch aufgrund der Restauration und der noch bestehenden judenfeindlichen Einstellung der christlichen Umwelt immer wieder in Frage gestellt. Eine Fortsetzung der Emanzipation in Württemberg kommt mit der Revolution von 1848/49. Mit einer Verfassungsänderung durch die Zweite Kammer der Landstände werden die Juden als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt. In Baden werden zu Beginn der Revolution in vielen Dörfern die Juden verfolgt, da sie von verarmten Bauern für ihr Elend verantwortlich gemacht werden.

Die volle Emanzipation erreichen sie allerdings erst 1862 mit dem Gesetz über die Gleichstellung von Israeliten mit anderen Bürgern und dem Recht der freien Niederlassung sowie der bürgerlichen Gleichstellung.6

 

3. Emanzipation und Assimilation der Juden in Deutschland

Das soziale Bild der Juden in Südwestdeutschland verändert sich im 19. Jahrhundert grundlegend. Am 3. Juli 1869 wird vom Norddeutschen Bund die volle rechtliche Gleichstellung beschlossen und 1871/72 auf das geeinte Deutschland ausgedehnt.

Insbesondere im kulturellen Leben finden Juden einen schnellen Anschluss an das christliche Bürgertum. Viele jüdische Frauen und Männer fördern die Kunst und ergreifen den Beruf der Künstlerin und des Künstlers.

Auch ziehen viele jüdische Familien vom Land in die Stadt. So leben 1830 noch ca. 93 % der württembergischen Juden auf dem Land und 1930 nur noch etwa 20 %. Auch in Baden ist diese Entwicklung festzustellen. In den zwanziger Jahren leben 2/3 der badischen Juden in den 16 Groß- und Mittelstädten. Die Folge davon ist, dass die ländlichen jüdischen Gemeinden überaltern und zusammengelegt werden.7

Mit der Gleichberechtigung und Assimilation betrachten die Juden das eigene kulturelle und religiöse Leben kritisch. Oft empfinden sie es als hinderlich für die Integration. Die Folgen davon sind religiöse Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinden und Gemeindespaltungen. Liberale Verfechter fordern Reformen und eine Änderung der Liturgie. Sie wollen den Gottesdienst in deutscher Sprache abhalten. Anhänger des traditionellen Flügels, auch Orthodoxe genannt, sehen darin einen Bruch mit der überlieferten Tradition und Gesetzgebung. Diese innerjüdischen Auseinandersetzungen sind auch ein Ausdruck der sozialen Unterschiede. Denn die ländlichen und ärmeren Gemeinden unterstützen meistens die orthodoxe Richtung und Gemeinden in den Städten zählen zu den Liberalen.8

Parallel zur vollständigen rechtlichen Emanzipation der Juden veränderte sich die gesellschaftliche Position. Die jüdische Minderheit hat keine Außenseiterrolle mehr inne. Alle Gesetzesänderungen tragen aufgrund der Industrialisierung im Südwesten wie im gesamten Gebiet des späteren Deutschen Reiches zur Gleichstellung und Integration der Juden bei.9 Obwohl die Juden nach der Gleichstellung Zugang zu allen Berufen haben, sind die meisten weiterhin im Handel tätig. Daneben gibt es in Württemberg auch einige Juden, die in den so genannten freien Berufen als Schriftsteller, Künstler, Architekten, Juristen und Ärzte tätig sind. Als bekannte Persönlichkeiten sind zu nennen: der aus Laupheim stammende Kommerzienrat Kilian von Steiner (1833-1903), der Dichter Berthold Auerbach (1812-1882), der Orientalist an der Universität Heidelberg Hofrat Prof. Dr. Gustav Weil (1808-1889), der 1866 zum Staatsminister ernannte und von 1868-1892 Präsident des Finanzministeriums Moritz Ellstätter (1827-1905) und der Physiker Albert Einstein (1879-1955).10

Eine weitere Streitfrage ist am Ende des 19. Jahrhunderts der Zionismus. Eingeführt wird die Idee eines jüdischen Nationalismus von jüdischen Einwanderern aus Russland. Theodor Herzl verwandelt den Zionismus in eine politische Bewegung. Herzl wird in Budapest geboren und erlebt an der Universität Wien das Aufleben des fanatischen Antisemitismus. Als Journalist und Korrespondent der Wiener Zeitung "Neue Freie Presse" in Paris verfolgt er den Dreyfus-Prozess. Dieser Prozess ist ein Verfahren gegen einen Offizier jüdischer Abstammung wegen angeblichen Landesverrates, das von antisemitischen Aussagen und Strömungen ausgelöst worden ist. Obwohl die Beweislage sehr zweifelhaft ist, wird der Offizier zu Unrecht verurteilt. Daraufhin schreibt Herzl 1896 das Buch "Der Judenstaat". Darin legt er seine Ideen dar und setzt sich für eine eigene jüdische Nation ein, die einen eigenen Staat gründen soll. Seine Hoffnungen auf volle Assimilation sind zerstört und er hält die Emanzipation für zwecklos. Der Zionismus wird zu einer weltweiten Bewegung. Sie geht vom ersten Zionistenkongress in Basel im August 1897 aus. Eine erste offizielle Anerkennung findet die Bewegung durch einen Empfang einer Delegation unter der Leitung von Herzl durch den badischen Großherzog im Schloss Mainau im September des gleichen Jahres. Jedoch wird der Zionismus erst nach dem II. Weltkrieg zu einer größeren Bewegung, als bewiesen ist, dass es für die Juden fast keine Hilfe vom Ausland gegen den Holocaust gegeben hat.11

In Baden und Württemberg findet der Zionismus vor 1933 nur wenige Anhänger. Viele assimilierte Juden sehen im Zionismus einen Verrat am Traum von der Emanzipation.

Die allgemeine Assimilation zeigt sich darin, dass sich die meisten badischen und württembergischen Juden als Badener bzw. Württemberger und Deutsche mit jüdischer Konfession empfinden.

 

4. Der I. Weltkrieg: "Burgfrieden" mit den Juden in Deutschland

"Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder."12

Mit diesen Worten schließt Kaiser Wilhelm II. aufgrund der außenpolitischen Situation zu Beginn des I. Weltkrieges einen so genannten "Burgfrieden" mit den bis dahin als Vaterlandsfeinde angesehenen Sozialdemokraten. Ebenso nimmt er die Juden als gleichberechtigte Staatsbürger in die deutsche Gesellschaft auf.

Die allgemeine Kriegsbegeisterung teilen auch viele jüdische Bürger und melden sich als Freiwillige. Im Vordergrund steht die nationale Einheit und anfangs ist auch unter den Frontsoldaten das Gefühl eines gemeinsamen Zieles und der Kameradschaft. Auch erhalten zahlreiche jüdische Soldaten Auszeichnungen und einige werden sogar Offiziere. Dieses Gefühl ändert sich mit dem Ausbleiben des Sieges und schlägt in die alte antisemitische Stimmung um. Juden werden für die militärischen Misserfolge und die Not zu Hause verantwortlich gemacht. Immer öfter werden sie als Pazifisten, Drückeberger und Kriegsgewinnler bezeichnet.13

Um angeblich diesen Behauptungen entgegenzutreten, dass viele Juden sich vor dem Kriegsdienst drücken würden, beschließt das preußische Kriegsministerium eine Zählung der Wehrdienst leistenden Juden in der Armee. Diese "Judenzählung" verleiht den Gerüchten eine noch stärkere Glaubwürdigkeit. Auch werden die Ergebnisse, die diese Vorurteile widerlegen würden, nicht veröffentlicht. Die jüdischen Soldaten sind gekränkt, fühlen sich wieder als Minderheit ausgesondert. Insgesamt schickt die jüdische Bevölkerung von insgesamt 550.000 mehr als 100.000 Männer in den Krieg. Davon dienen 4/5 an der Front.14 Diese Tatsachen spielen in der öffentlichen Meinung aber keine Rolle und der seit den 1890er Jahren entstehende Antisemitismus nimmt zu.

Mit dem Kriegsende 1918 und der Novemberrevolution, die das Kaiserreich beendet und die Republik ausruft, schöpfen die Juden neue Hoffnung auf eine Gleichbehandlung. In der Weimarer Republik mit der ersten demokratischen Verfassung im Deutschen Reich büßen die alten judenfeindlichen Eliten, wie Junkertum und Militär, zunächst an Einfluss ein. Es ist eine kurze Phase in der die jüdische Minderheit toleriert und gesellschaftlich integriert erscheint. Jedoch wächst auch gleichzeitig die Anhängerschaft der rechtsradikalen Parteien mit antisemitischen Ideologien in Deutschland.

 

5. Antisemitismus in Deutschland

Geprägt ist der Begriff Antisemitismus 1879 von W. Marr und steht für die Ablehnung und Bekämpfung der Juden vor allem aus rassischen und sozialen, weniger aus religiösen Motiven (man spricht dabei vom Antijudaismus). Antisemitische Bestrebungen richten sich nur gegen Juden und nicht gegen andere Semiten, wie beispielsweise die Araber. Antisemitismus ist rassistisches Denken. Er vertritt die Vorstellung, dass es Menschenrassen gäbe, denen eine Vormachtstellung unter den Völkern zukomme ("Arier", "Herrenmenschen"), während andere "minderwertig" seien.

Mit dem Antisemitismus drücken die konservativ-reaktionären Kräfte zu Ende des 19. Jahrhunderts u. a. auch ihre Kritik an den gesellschaftlichen Umwälzungen aus. Für sie sind die Juden verantwortlich für die negativen Auswirkungen der Industrialisierung. Eine Ursache für die starke Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland, die durch alle Schichten geht, die sozialistische Arbeiterschaft weitgehend ausgenommen, ist die Tatsache, dass viele Menschen die jüdische Konkurrenz im eigenen Milieu fürchten.15 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschärft sich die judenfeindliche Einstellung durch die rassisch-völkische Komponente. Diese judenfeindliche Einstellung richtet sich gleichermaßen gegen assimilierte und nicht-assimilierte Juden.

Der während des Kaiserreiches entstandene Antisemitismus gewinnt in der Weimarer Republik an Einfluss. Diejenigen Kräfte, die die neue demokratische Staatsform ablehnen, bereiten den Antisemitismus immer wieder propagandistisch auf. Sie sammeln sich in rechten und rechtsradikalen Parteien. Aufgrund des verloren gegangenen I. Weltkrieges und der großen sozialen Verunsicherung in der Bevölkerung finden die national-konservativen Anschuldigungen gegenüber der jüdischen Minderheit wieder Resonanz.

Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung unterstützt die neue Republik und engagiert sich für die neue Staatsordnung. So gehören beispielsweise in Baden zwei Juden der Revolutionsregierung an.16 Sie unterstützen damit die Weimarer Koalition von SPD, Zentrum und der linksliberalen DDP. Mit antisemitischen und antisozialistischen Sprüchen agitieren die Gegner der Demokratie in der Öffentlichkeit gegen die neue Staatsform. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise und der Inflation, durch die viele Mittelständler ihr Vermögen verlieren, sowie der damit verbundenen hohen Arbeitslosigkeit, finden die antisemitischen Parolen, Karikaturen und Reden der rechtsradikalen Parteien Anklang bei weiten Teilen des Volkes.

Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Weimarer Republik und der zunehmenden antisemitischen Hetze kommt es zu einer größeren Auswanderungswelle.

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ändern das bis dahin friedliche Zusammenleben der Bevölkerung in Baden und Württemberg. Mit ihrer rassistischen Ideologie hat sich die NSDAP bereits seit 1920 das Ziel gesetzt, die Juden aus der Gesellschaft auszugrenzen. Der rassisch begründete Antisemitismus verschärft sich noch in der Zeit des Nationalsozialismus. Mit den Mitteln der Staatsgewalt wird die jüdische Bevölkerung aus dem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und schließlich fast vollständig vernichtet. Bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme Hitlers finden in Deutschland die ersten diskriminierenden Aktionen gegen Juden - bis hin zu Pogromen - statt.

1 Vgl. Kampmann, Wanda, 1979: Deutsche und Juden. Die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, Frankfurt am Main, S. 11.

2 Als älteste Gemeinden gelten u.a. Grünsfeld (1218), Wertheim (1222), Überlingen (1226), Freiburg (1230), Lauda und Tauberbischofsheim (1235) sowie Konstanz (1241). Vgl. Sauer, Paul, 1996: Juden im Südwesten seit dem Mittelalter, in: Haus der Geschichte (Hrsg.): Minderheiten in der Geschichte Südwestdeutschlands, Tübingen, S. 153-173.

3 Vgl. Oberrat der Israeliten Badens (Hrsg.), 1984: Juden in Baden 1809-1984, Karlsruhe, S. 21.

4 1367 Pforzheim, 1429 Ravensburg, 1431 Überlingen, 1462 Endingen, 1504 Waldkirch.

5 Vgl. Sauer, Paul, 1996, S. 156ff, Oberrat der Israeliten (Hrsg.), 1984, S. 24f.

6 Vgl. Sauer, Paul, 1996, S. 166f.

7 Vgl. Oberrat der Israeliten Badens (Hrsg.), 1984, S. 57.

8 Vgl. Asche, Susanne, Bräunche, Ernst Otto, Müller, Karin, 1990: Juden in Baden, Karlsruhe, S. 43.

9 Vgl. Asche, Susanne, Bräunche, Ernst Otto, Müller, Karin, 1990, S. 34.

10 Vgl. Sauer, Paul, 1996, S. 167f.

11 Vgl. Volkov, Shulamit, 1994: Die Juden in Deutschland 1780-1918, München, S. 62.

12 Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914, zitiert nach Cartarius, Dirk (Hrsg.), 1982: Deutschland im Ersten Weltkrieg. Texte und Dokumente 1914-1918, München, S. 15.

13 Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr (Hrsg.), 1981: Deutsche Jüdische Soldaten 1914-1945, Freiburg.

14 Vgl. Volkov, Shulamit, 1994: Die Juden in Deutschland 1780-1918, München, S. 69. Nach Oberrat der Israeliten Badens (Hrsg.), 1984, S. 53 sind die Zahlen ähnlich für die Gebiete Württemberg und Hohenzollern. Dort leisten von den 10.824 Juden in Württemberg und Hohenzollern 1.674 Soldaten ihren Wehrdienst ab. Von ihnen fallen 270 Soldaten im Krieg. In Baden ziehen von 25.000 jüdischen Einwohnern 4.758 Männer in den Krieg und 589 kehren nicht mehr zurück.

15 Vgl. Winkler, Heinrich August, 19853: Die deutsche Gesellschaft in der Weimarer Republik und der Antisemitismus, in: Martin, Bernd; Schulim, Ernst: Die Juden als Minderheit in der Geschichte, S. 271-289, S. 286.

16 Vgl. Koch, Manfred, 1990: Die Weimarer Republik: Juden zwischen Integration und Ausgrenzung, in: Stadt Karlsruhe, Stadtarchiv (Hrsg.): Juden in Karlsruhe: Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung, Karlsruhe, S. 155-188, S. 155.


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