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"...es geschah am helllichten Tag!"

Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen

 

Das Internierungslager Gurs in Südfrankreich



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Inhaltsverzeichnis


8. Die Einrichtung des Lagers

In Frankreich werden 1939 entlang der spanischen Grenze rund 100 27 Internierungslager (Camps d’internement) eingerichtet. Anfangs werden geflüchtete Spanienkämpfer darunter französische Kommunisten interniert.28

So entsteht im April 1939 am Fuße der Pyrenäen auf einem Hochplateau 50 Kilometer von der spanischen Grenze entfernt das größte Lager: "Camp de Gurs". Den Namen erhält es durch das Nachbardorf Gurs, heute Departement Pyrénées maritimes, südlich von Pau. In den Jahren 1939 bis 1943 werden dort über 60.000 Menschen festgehalten. 29 Unter diesen Menschen sind ca. ein Drittel deutsche Flüchtlinge und die unterschiedlichsten Personengruppen: Spanienkämpfer, die nach dem Ende des spanischen Bürgerkrieges nach Frankreich geflohen sind, französische Kommunisten, politische Häftlinge, "feindliche Ausländerinnen", jüdische Flüchtlinge, Prostituierte und ethnische Minderheiten.30

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Das Lager vor 1940
Quelle: Philipp, 1993, S. 13

 

Die Baracken bestehen aus einfachen Brettern, die mit Dachpappe verkleidet sind. Diese Baracken schützen kaum gegen Wind, Kälte oder Hitze.

Bis Mitte April 1940 treffen im Lager Gurs etwa 20.000 Flüchtlinge aus Spanien ein. Bis Juni 1940 leert sich das Lager und in ihm befinden sich noch 916 Menschen. Viele Internierte werden meistens gegen ihren Willen für den Bau der französischen Verteidigungslinie oder in der Waffenindustrie eingesetzt. Andere treten aufgrund des Drucks der Lagerleitung in die Fremdenlegion ein. Diejenigen, die sich nicht zu Hilfsarbeiten einteilen lassen, kommen in das Straflager Le Vernet.

Die nächste Internierungswelle folgt nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich im Mai 1940. Zu dieser Zeit ordnet die Französische Regierung die Internierung aller deutschen Frauen an. Nach Kriegsbeginn sind bereits die aus Deutschland stammenden Männer in Frankreich interniert worden. Viele der "feindlichen Ausländerinnen", die vor den Nazis aus Deutschland und Österreich geflohen sind, kommen in das Lager Gurs.31

Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen Deutschland und Frankreich im Juni 1940 entsteht ein politisches Vakuum und die Lagerverwaltung ist verunsichert. Das Lager wird geöffnet und viele der Menschen können aus dem Lager in die USA fliehen. Unter ihnen sind: Marta Feuchtwanger, Friedel Kantorowicz, Gerda Misch, Toni Kesten, Lisa Fittko sowie Hannah Arendt. Andere kehren nach Deutschland zurück und wieder andere bleiben aus Existenzangst im Lager.32

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Hannah Arendt als Internierte in Gurs (ab Frühjahr 1940)
Quelle: Philipp, 1993, S. 26

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Elsbeth Weichmann im Frauenlager
Quelle: Philipp, 1993, S. 21f.

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Lager in Frankreich (die Zahlen der Opfer beziehen sich auf die Stadt Pforzheim)
Quelle: Brändle, 1985, S. 208

9. Die Deportation der badischen, pfälzischen und saarländischen Juden

Nach dem Waffenstillstand mit Frankreich sind den beiden Gauleitern von Baden und Saarpfalz, Robert Wagner (1895-1946) und Josef Bürckel (1895-1944) neben ihren Gauen auch die Gebiete Elsass und Lothringen unterstellt. Sie fassen den widerrechtlichen Plan, aus diesen Gebieten alle Juden auszuweisen und nach Frankreich zu deportieren.

Eine Klausel im Waffenstillstandsvertrag besagt, dass alle Juden französischer Staatsangehörigkeit in den unbesetzten Teil Frankreichs abgeschoben werden können. In willkürlicher Interpretation dehnen sie diese Klausel auch auf sämtliche Juden in den Gauen Baden und Saarpfalz aus.

Das badische Innenministerium ordnet am 15. Oktober 1940 an, alle "Volljuden" aus Baden, der Pfalz und dem Saarland auszuweisen.33

Die französische Regierung in Vichy wird von diesem Vorgehen am 22. und 23. Oktober völlig überrascht. Daher sind auch keine Vorkehrungen für die Unterbringung der 6.504 Juden getroffen. Die französische Regierung verlegt daraufhin die ungewollten badischen, pfälzischen und saarländischen Juden in das Internierungslager Gurs und protestiert bei der Reichsregierung. Man fordert die unverzügliche Rückführung der widerrechtlich nach Frankreich verbrachten Personen.

"Die französische Regierung kann diesen Ausländern nicht länger Asyl gewähren. Sie beantragt dringendst, dass die Reichsregierung unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen trifft, damit die Betreffenden nach Deutschland zurückbefördert und die während des Aufenthalts in Frankreich verursachten Auslagen zurückbezahlt werden".34

Berlin reagiert auf diese diplomatische Démarche (Maßnahme; Einspruch) jedoch nicht. Die deportierten Menschen verbleiben im Lager Gurs.

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Meldung über den französischen Protest
Quelle: Auswärtiges Amt

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Das Lied von Gurs
Quelle: Wiehn, 1990, S. 23

Am 22. und 23. Oktober 1940 werden am frühen Morgen 6.504 badische, pfälzische und saarländische Juden von den Nazis festgenommen, in Züge verfrachtet und in das Internierungslager Gurs, deportiert. Nur wenige bleiben verschont. Unter den verschleppten Menschen befinden sich Alte, Kranke, Männer, Frauen, Kinder und Babys. Auch der 98-jährige Moritz Steiner aus Mannheim wird festgenommen und abtransportiert. Viele von ihnen werden aufgrund der schrecklichen Lebensverhältnisse im Lager die ersten Wochen bzw. den Winter 1940/41 nicht überleben.

"(...) Die Abschiebung der Juden aus Baden und der Saarpfalz vollzog sich in der Form, dass lt. Befehl der Gauleiter "alle Personen jüdischer Rasse, soweit sie transportfähig sind", abtransportiert werden mussten, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Ausgenommen wurden lediglich bestehende Mischehen. Auch Männer, die als Frontkämpfer und zum Teil als Offiziere der alten Wehrmacht am Weltkrieg auf deutscher Seite teilgenommen haben, mussten verschickt werden. Die Altersheime in Mannheim, Karlsruhe, Ludwigshafen usw. wurden evakuiert. Frauen und Männer, die nicht zu gehen imstande waren, wurden befehlsmäßig auf Tragbahren zu den Eisenbahnzügen transportiert."35

Mit dieser verbrecherischen Aktion wird das jüdische Leben in Baden, der Pfalz und dem Saarland beendet. Deutsche Bürgerinnen und Bürger werden deportiert, nur weil sie Juden sind. Die beiden Gauleiter melden Hitler ihre Gaue als erste im Reich "judenfrei". Sie wollen sich damit als besonders überzeugte und eifrige Amtsträger empfehlen.

Im Detail geplant und unter strengster Geheimhaltung wird diese Aktion von der Gestapo und den notwendigen Regierungsstellen vorbereitet. Über diesen grausamen Plan sind sowohl Hitler, der Reichsführer-SS Heinrich Himmler als auch Reinhard Heydrich, Chef des Sicherheitsdienstes, informiert. Auf die genaue Planung durch die Verantwortlichen deutet das ausgewählte Datum für die Aktion hin. Der 22. Oktober 1940 ist der letzte Tag einer jüdischen Feiertagswoche, "Sukkoth", an dem das heitere Laubhüttenfest gefeiert wird. Ahnungslos sind allein die überraschten und festgenommenen Opfer, die häufig nur wenige Stunden, manchmal nur Minuten zur Vorbereitung ihrer Ausweisung und dem damit verbundenen Abtransport bekommen.

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Merkblatt für eingesetzte Beamte
Quelle: Sauer, 1966, Bd. 2, S. 236f.

Die kurze Zeit zum Packen des Notwendigsten und die Beschränkung des Gepäcks auf 50 kg sowie höchstens 100 Reichsmark stellt für einige der Betroffenen eine so ausweglose Situation dar, dass sie sich das Leben nehmen.36

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Anordnung über die Verwaltung und Verwertung des jüdischen Vermögens
Quelle: Sauer, 1966, S. 238

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Meldung über die auftragsgemäß durchgeführte Juden-Sonderaktion
Quelle: Sauer, 1966, S. 238f.

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Diensttagebuch der Freiburger Polizei von 1940
Quelle: Stadtarchiv Freiburg, K1 49/Teil 2 B Nr. 5

Bericht einer Augenzeugin von Maria Krehbiel-Darmstädter:

"Als ich am 22. Oktober 1940 im Begriff war, zur Schule zu gehen, klingelte es an unsrer Tür: In höchster Aufregung frug die Hausdame der ein Stockwerk unter uns wohnenden jüdischen Familie, ob wir Reiseproviant im Hause hätten. Es seien noch keine Geschäfte offen, und die ›Juden müssen fort‹. Polizisten seien mit dem Befehl dagewesen. Innerhalb einer Stunde müsse man abmarschbereit sein. Es dürfe soviel mitgenommen werden, wie der Einzelne tragen könne."37

Unter den Augen der Öffentlichkeit werden die Verhaftungen durchgeführt. Zu Fuß, mit Autos und Bussen werden die Juden an Sammelplätze gebracht und von dort mit mehreren Transportzügen am 22. und 23. Oktober 1940 in das unbesetzte Frankreich ausgewiesen.

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Fotos von der Deportation

 


27 Vgl. Eggers, Christian, 1990: Die Reise der Kundt-Kommission durch die südfranzösischen Lager, in: Grandjonc, Jacques; Grundtner, Theresia (Hrsg.): Zone der Ungewissheit, Paris, S. 235-248.

28 Vgl. Mittag, Gabriele, 1996: "es gibt Verdammte nur in Gurs": Literatur, Kultur und Alltag in einem südfranzösischen Internierungslager. 1940-1942, Tübingen, S. 26f.

29 Vgl. Philipp, Michael (Hrsg.), 19932: Gurs. Ein Internierungslager in Südfrankreich 1939-1943. Literarische Zeugnisse, Briefe, Berichte, Hamburg, S. 5.

30 Vgl. Mittag, Gabriele, 1996, S. 13.

31 Vgl. Bullinger, Thomas (Hrsg.), 1993: Gurs: ein Internierungslager in Südfrankreich 1939-1943, Zeichnungen, Aquarelle, Fotographien, Hamburg, S. 15.

32 Vgl. Mittag, Gabriele, 1996, S. 30.

33 Vgl. Obst, Johannes, 1986: Gurs. Deportation und Schicksal der badischen-pfälzischen Juden 1940-1945, Hemsbach, S. 16f.

34 Vgl. Obst, Johannes, 1986, S. 32.

35 Dokument: Bericht über die Verschickung von Juden deutscher Staatsangehörigkeit nach Südfrankreich, abgedruckt in: Philipp, Michael, 1991, S. 34, aus: Klarsfeld, Serge, 1989: Vichy-Auschwitz. Die Zusammenarbeit der deutschen und französischen Behörden bei der "Endlösung der Judenfrage" in Frankreich, Nördlingen, S. 360.

36 Vgl. Taddey, Gerhard, 1984: Die Zeit der Verfolgung 1933-1945, in: Oberrat der Israeliten Badens: Juden in Baden 1809-1984, Karlsruhe, S. 57-71, S. 63.

37 Schmitthenner, Walter (Hrsg.), 1970: Maria Krehbiel-Darmstädter. Briefe aus Gurs und Limonest 1940-1943, Heidelberg, S. 17.

 

 


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