Martin Baumgartner

Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum: Überblick in Stichworten


Dipl.-Wirtschaftsingenieur Martin Baumgartner, geb. 1951. Studium der Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Freiburg und Karlsruhe. 1976-1986 im Höheren Lehramt an kaufmännischen Schulen. 1986-1991 Parlamentarischer Berater im Landtag von Baden-Württemberg (Umwelt, Energie, Wirtschaft, Landwirtschaft). 1991-1992 im Staatsministerium Baden-Württemberg (Grundsatzabteilung). Seit 1992 im Ministerium Ländlicher Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Leiter des Referats Strukturentwicklung Ländlicher Raum und stellvertretender Leiter der Abteilung Naturschutz, Ländlicher Raum, Landwirtschaft.

Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen wurden auf Beschluß des Ministerrats das Dorfentwicklungsprogramm und das Strukturprogramm Ländlicher Raum (PLR) zum 'Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR)' zusammengeführt.

Über das Dorfentwicklungsprogramm waren von 1977 bis 1994 mehr als 3.300 Dörfer mit Landesmitteln in Höhe von über 1,5 Mrd. DM gefördert und damit Investitionen von 7,5 Mrd. DM angestoßen worden. Seit dem Jahr 1986 bestand im Strukturprogramm Ländlicher Raum (PLR) eine wirksame Ergänzung dazu. Zentrales Anliegen dieses Programms war - neben der Schaffung von Gemeinschaftseinrichtungen - die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Mit dem PLR konnten weit über 5.000 kommunale und privat-gewerbliche Projekte in ca. 700 Gemeinden des Landes gefördert werden. Mit einem Fördermitteleinsatz von über 760 Mio. DM wurden Investitionen von 4,7 Mrd. DM angestoßen.

Das ELR ist ein Förderangebot des Landes zur ganzheitlichen Strukturverbesserung von Orten im ländlichen Raum ("Strukturverbesserung des Ortes in seiner Gesamtheit"). Es leistet einen erheblichen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, insbesondere im Bauhandwerk.

Im Rahmen des ELR wurden seit 1995 bereits rund 330 Mio. DM bereitgestellt, womit ein Investitionsvolumen von ca. 2 Mrd. DM angestoßen wird. Neben der Umsetzung von kommunalen Maßnahmen werden damit ca. 2.400 neue Wohnungen und direkt ca. 5.500 neue Arbeitsplätze geschaffen. Indirekt wird eine weit darüber hinausgehende Zahl von Arbeitsplätzen geschaffen bzw. gesichert.

Die vier Förderschwerpunkte (Wohnen, Arbeiten, Grundversorgung, Gemeinschaftseinrichtungen) stehen nicht isoliert nebeneinander; sie greifen vielmehr ineinander und eröffnen im Zusammenwirken neue Perspektiven.

Beim Förderschwerpunkt Wohnen geht es zum einen um die Schaffung von neuem Wohnraum, vor allem durch Umnutzung (z.B. ehemalige Scheunen, Dachausbau), aber auch durch die Schließung von Baulücken. Zum anderen sollen auch zeitgemäße Wohnverhältnisse erreicht werden, v.a. durch umfassende Wohngebäuderenovierung und -modernisierung. Zuwendungsfähig sind auch Wohnumfeldmaßnahmen, die allerdings in engem Zusammenhang mit privaten wohnungsbezogenen Maßnahmen stehen müssen.

Förderschwerpunkte

 

Wohnen                                         Grundversorgung

Schaffung von Wohnraum                 mit Wohnen und

Zeitgemäße Wohnverhältnisse         privaten Dienstleistungen

                          

Gemeinschaftseinrichtungen      Arbeiten

Einrichtungen zur Förderung     Sicherung bzw. Schaffung

Des Gemeinschaftslebens             von Arbeitsplätzen in KMU

 

Unter dem Förderschwerpunkt Arbeiten werden zum einen die Investitionen privater Gewerbebetriebe, vor allem in Verbindung mit der Umnutzung vorhandener Gebäude, der Reaktivierung von Gewerbebrachen und der Entflechtung unverträglicher Gemengelagen, gefördert. Zum anderen werden die dazu notwendige Erschließung von Gewerbegebieten und beispielsweise auch die Errichtung von Gewerbehöfen oder Technologiebetreuungszentren in das Programm einbezogen.

Im Rahmen des Förderschwerpunkts Grundversorgung sollen privat-gewerbliche Maßnahmen unterstützt werden, denen für die Funktionsfähigkeit wie auch die Lebensqualität in den Dörfern eine besondere Bedeutung zukommt (z.B. 'Tante Emma-Laden', Dorfgasthaus).

Dem Förderschwerpunkt Gemeinschaftseinrichtungen liegt die Erkenntnis zugrunde, daß neben der Grundversorgung mit Waren und privaten Dienstleistungen gerade auch in kleineren Orten Einrichtungen zur Förderung des Gemeinschaftslebens (z. B. Dorfgemeinschaftshäuser) notwendig sind. Wohnungen und Arbeitsplätze allein reichen nicht aus, wenn die bestehenden sozialen Strukturen erhalten und gestärkt werden sollen. Hierzu bedarf es entsprechender Räumlichkeiten für die Vereine, die Jugend und für die Begegnung der Bevölkerung insgesamt. Auch hier soll bei der Förderung die Umnutzung vorhandener Gebäude im Vordergrund stehen.

Das ELR ist Anlaß und Chance, die bisherige örtliche Entwicklung zu überdenken, Stärken und Schwächen zu ermitteln, sich auf die Eigenart des Ortes zu besinnen und ein Leitbild für die künftige Entwicklung zu entwerfen ("Den Ort entsprechend seiner jeweiligen Eigenart entwickeln").

Bei der Antragstellung werden die strukturverbessernden Maßnahmen nach Prioritäten geordnet und in ein strukturelles Gesamtkonzept eingebettet. In diesem Konzept stellt die Gemeinde für den zur Förderung angemeldeten Ort die Ausgangslage dar und formuliert Entwicklungsziele, die in einem Leitbild für den Ort konzentriert werden. Dabei werden die Einzelmaßnahmen in ihrer Bedeutung, Auswirkung und Dringlichkeit begründet und die

Finanzierbarkeit dargelegt. Bei der Analyse und den Entwicklungszielen soll auf alle Förderschwerpunkte eingegangen werden. Das heißt aber nicht, daß auch Einzelmaßnahmen aus allen vier Förderschwerpunkten benannt werden müssen.

 

Aufnahmeantrag

 

Gesamtkonzeption

strukturelle Ausgangslage

Stärken-/Schwächen-Analyse

â

Entwicklungsziele

Leitbild

¯

strukturverbessernde Maßnahmen

"den Ort entsprechend seiner jeweiligen Eigenart entwickeln"

übergemeindliche / überörtliche Zusammenarbeit

Für dieses strukturelle Gesamtkonzept werden den Gemeinden keine Vorgaben gemacht. Die Darlegungen sollen vielmehr auf die konkrete örtliche Situation zugeschnitten sein, die speziellen Probleme und Lösungen herausarbeiten und auf das Wesentliche konzentriert sein. Dabei können selbstverständlich bereits vorliegende Konzepte (z. B. Örtliches Entwicklungskonzept, städtebauliche Voruntersuchung) verwertet werden. Bei Fortsetzungsanträgen ist es unabdingbar, daß der Umsetzungsstand der bereits aufgenommenen Einzelmaßnahmen dargestellt wird.

Grundsätzlich ist es der antragstellenden Gemeinde überlassen, welchen 'Ort' sie zur Förderung anmeldet. In der Regel wird unter Ort eine abgegrenzte Siedlungseinheit (Teilort, Kernort) zu verstehen sein. Dabei ist eine weitere räumliche und inhaltliche Konzentration zweckmäßig, je größer diese Einheit ist. Dies ist notwendig, um auf dem Hintergrund begrenzter Haushaltsmittel einen wirksamen Impuls für die Strukturentwicklung zu setzen.

Das ELR ist ein Instrument für die Gemeinde, um Privaten einen Anreiz für die Umsetzung von strukturverbessernden Maßnahmen (z.B. Entflechtung einer störenden Gemengelage, Umnutzung alter Bausubstanz, Baulückenschließung) im Sinne der örtlichen Entwicklungskonzeption zu bieten.

Als Bedingung für die Aufnahme privater Vorhaben - ob im gewerblichen oder nicht-gewerblichen Bereich - gilt die Einbettung in die örtliche Gesamtkonzeption.

Eine weitere Herausforderung ist ein "schonender Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen". Hierbei kommt es darauf an, in möglichst vielen Bereichen Umweltgesichtspunkte zu berücksichtigen. Umnutzungen und Baulückenschließungen tragen zu einem geringeren Landschaftsverbrauch bei. Energiesparende Bauweisen und die Verwendung einheimischer nachwachsender Rohstoffe (z.B. Holz) dienen ebenfalls den Zielen des Programms.

 

Prioritäten

 

Strukturverbesserung des Ortes in seiner Gesamtheit

Umnutzung bestehender Gebäude

Schließung von Baulücken

Entflechtung unverträglicher Gemengelagen

schonender Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen

 

Die Anträge werden auf den einzelnen Stufen des Einplanungsverfahrens im Sinne eines gemeindlichen Wettbewerbs in eine Rangfolge gebracht, die sich an der Aussagekraft und der Qualität der örtlichen Konzepte bemißt. Je schwerwiegender die strukturellen Mängel und je schlüssiger und realistischer das Entwicklungskonzept und die geplanten strukturverbessernden Maßnahmen sind, desto größer ist die Chance zur Programmaufnahme.

 

Es sind zwei 'Programmlinien' zu unterscheiden:

Zum einem werden Orte mit einem fünfjährigen Zeithorizont ins Programm aufgenommen. Dies bedeutet, daß in dieser Zeit mit einem Fördervorrang gerechnet werden kann, sofern die dargelegte konzeptionelle Linie beibehalten wird und eine zügige Umsetzung der Einzelmaßnahmen erfolgt. Um dies zu gewährleisten, bleibt es bei den jährlichen Programmentscheidungen, d.h. die Haushaltsmittel werden in der Regel jeweils für ein Jahr und nicht für einen längeren Zeitraum gebunden.

Zum anderen wird es immer Anträge geben, die lediglich eine einjährige und damit auch einzelprojektbezogene Betrachtung erfordern. Dies betrifft vor allem Einzelmaßnahmen in den sogenannten 'nicht ländlich geprägten Orten' und in Orten mit städtebaulicher Erneuerung.

Mit diesem Vorgehen kann sachgerecht den Bedürfnissen der betroffenen Orte und Gemeinden Rechnung getragen werden, indem sowohl mittelfristig angelegte Entwicklungskonzepte umgesetzt als auch akut auftretende Strukturprobleme angegangen werden können.

In das Jahresprogramm 1997 sollen insbesondere solche Vorhaben aufgenommen werden, die in ihrer Kombination zu einer Strukturverbesserung des jeweiligen Ortes in seiner Gesamtheit führen und damit Impulse für eine nachhaltig positive Entwicklung geben sowie einen Beitrag zur dauerhaften Sicherung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum leisten.

 

ELR-Ausschreibung für das Jahresprogramm 1997

 

Strukturverbesserung des Ortes in seiner Gesamtheit

Stärkung des Ortskerns

sorgsamer Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen

schlüssiges Gesamtkonzept

 

ß

 

Impulse für eine nachhaltig positive Entwicklung

dauerhafte Sicherung von Arbeitsplätzen
im ländlichen Raum

 

Das ELR ist ein flexibles Förderinstrument, das den Gemeinden ermöglicht, ein auf die jeweiligen örtlichen Verhältnisse zugeschnittenes Konzept umzusetzen. Durch die Landesmittel kann in den geförderten Orten ein Impuls ausgelöst werden, der die kommunalen Entscheidungsträger und die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt, gemeinsam eine zielgerichtete Entwicklung voranzutreiben.

 

Anschrift des Verfassers:

Martin Baumgartner

Ministerium Ländlicher Raum

Baden Württemberg

Postfach 10 34 44

70029 Stuttgart

 

Hinter den schwarzen Buchstaben des Ortsschildes beginnt die Landschaft. In einer anderen Sprache heißt sie auch Bauerwartungsland. Die Feldwege sind geteert, schnüren Wiesen und Äcker ein. Vom Ortsende herüber zieht der Wind das Geläut der Kirchenglocken hinter sich her. Bis hin zu den Urlaubern, die nach fünfblättrigen Kleeblättern suchen und nachher die Aussiedlerhöfe anschauen werden. Der linke Weg einer Gabelung führt an den Waldrand, hin zu einer Kapelle. Sie wurde seinerzeit gestiftet von einem aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten. Das Licht bricht sich an ihrem malerischen Zerfall. Der seit Jahren aufgebrochene Opferstock in ihrem Innern mutet an wie ein stummes Gleichnis. Über dem Wald, in dem sich schon Hänsel und Gretel verlaufen haben, hängt die Sonne an einem hellen Faden.

Walle Sayer: Kohlrabenweißes (1995)