Gedenkstättenarbeit

Auf dem Weg zu einer Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler

Forschungsstand - Quellen - Methode

 

VI. "Le Dompteur". Der Aussagewert eines einzelnen Verfahrens
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4. Die französischen "NN"-Häftlinge

Aufgrund der "Nacht und Nebel"-Erlasse wurden insgesamt rund 7000 Menschen verschleppt, die meisten von ihnen, etwa 5000, aus Frankreich 219. Als der auf den Führerbefehl vom 7. Dezember 1941 zurückgehende OKW-Erlaß am 12. Dezember mit einer Durchführungsverordnung versehen worden war, wurden Personen verhaftet, die man wegen Widerstandsaktivitäten verdächtigte, zunächst noch vor Gericht gestellt und dann in die KL gebracht 220. Nachdem der WVHA-Erlaß vom 7. Juni 1943 die Sammlung aller "germanischen NN-Häftlinge" in Natzweiler befahl 221, regelten im folgenden zwei weitere Erlasse, daß auch "NN"-Verhaftete, deren Gerichtsverfahren eingestellt worden waren, und solche, die bereits aus dem Gefängnis entlassen worden waren, durch die Gestapo in die KL gebracht werden konnten 222. Aus dem WVHA-Erlaß vom 7. Juni geht hervor, daß offenbar auch Verhaftete ohne Gerichtsverfahren in die KL überführt wurden, denn dort heißt es :

[...] Es ist dabei unerheblich, ob es sich um einen NN-Häftling alter oder neuer Art handelt. Unter NN-Häftlingen alter Art sind solche zu verstehen, die von den Kriegsgerichten den einweisenden Dienststellen zur Verbringung ins Reich übergeben werden, während sogenannte NN-Häftlinge neuer Art ohne Beteiligung der Kriegsgerichte direkt durch die festnehmende Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD in die KL im Reich verbracht werden.

Der gleiche Erlaß regelt, daß die "NN"-Häftlinge unter Schreib-, Post- und Paketempfangsverbot sowie unter Sprech- und Auskunftverbot gestellt werden. Außerdem heißt es weiter: "Der Lagerkommandant des KL Natzweiler hat dafür Sorge zu tragen, daß die "NN"-Häftlinge von den übrigen Häftlingen getrennt untergebracht werden." Wie sah die Behandlung dieser Häftlinge in Natzweiler konkret aus? Eugen Kogon zitiert dazu den ehemaligen Häftling Robert Leibbrand:

Schon bei der Aufnahme in die Politische Abteilung erhielten sie [die "NN"-Häftlinge, B.B.] Prügel über Prügel. Die Funktionshäftlinge bekamen strenge Anweisung, daß die Neueingetroffenen nur im Freien mit schwersten Arbeiten beschäftigt werden durften. Innerhalb von sechs Tagen wurden 20 von ihnen durch die Postenkette getrieben und "auf der Flucht erschossen". Bei der Arbeit an dem steilen Berghange genügte ein kräftiger Stoß durch einen SS-Mann oder einen der grünen Antreiber, und der Häftling stürzte über die Postenkette hinaus. [...] Der spätere Lagerarzt, SS-Hauptsturmführer Schiedlausky, ab Herbst 1943 Lagerarzt in Buchenwald, verbot den Häftlingspflegern die Behandlung der Schwerverletzten im Revier 223.

Infolge der zitierten Erlasse erreichte am 15. Juni 1943 ein erster Transport mit norwegischen "NN"-Häftlingen Natzweiler. Am 10. Juli folgte ein weiterer Transport mit rund 80 Holländern. Die ersten Franzosen wurde am 9. Juli eingeliefert; es folgten zwei weitere Transporte am 12. und 15. Juni, so daß Mitte Juni etwa 170-180 französische "NN"-Häftlinge in Natzweiler gefangen gehalten wurden 224. Gemäß dem zitierten WVHA-Erlasses wurden sie in einem von den anderen durch einen Stacheldrahtzaun separierten Block untergebracht, der zunächst die Nummer 10 trug, nach einer Umbenennungsaktion dann die Nummer 13 225. Die "NN"-Häftlinge wurden mit gelben Querstreifen auf der Kleidung besonders gekennzeichnet, was ihnen den Spitznamen "Wespen" einbrachte. Außerdem trugen sie auf Rücken und Oberschenkel die Buchstaben "NN". Hatten schon die "normalen" "NN"-Häftlinge unter erschwerten Lebensbedingungen zu leiden, war das Los der Franzosen ungleich härter: sie wurden besonders erschöpfenden Arbeitskommandos wie dem "Kartoffelkellerkommando" oder denen im Steinbruch zugeteilt, durften bis Oktober 1943 nicht in das Krankenrevier eingeliefert werden und mußten bis zum 15. August 1943 unter allen Umständen, egal in welchem Zustand, zur Arbeit antreten, was vielen das Leben kostete 226. Nicht zuletzt hatten sie unter ständigen Attacken der SS und unter besonders brutalen Kapos und Blockältesten zu leiden. Dies führte zu einer Mortalitätsrate, die weit über der aller anderen Häftlingskategorien lag. Ein ehemaliger "NN"-Häftling sagte folgendes aus:

Ich kann angeben, daß ungefähr einen Monat nach unserer Ankunft, wir im Block 13 nur noch 70 Mann waren, von den 180 Mann, die ursprünglich eingetroffen waren, alle anderen waren an den Schlägen oder den Mißhandlungen gestorben, die ihnen durch den "Großen Jacques" oder durch die SS verpaßt worden waren 227.

 

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