Baustein

"Zwischen Romantisierung und Rassismus"


Sinti und Roma
600 Jahre in Deutschland

als Bausteine ausgearbeitet

Hrsg: LpB, 1998



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Inhaltsverzeichnis 


 

Wilhelm Solms
Zigeunerbilder deutscher Dichter


Kommt man unter Bekannten oder Freunden auf Sinti und Roma zu sprechen, so kann oder muß man immer wieder feststellen: Sie haben zwar keinerlei Kontakte zu ihnen, besitzen aber ein klares Feindbild vom Zigeuner" und genieren sich auch nicht, dieses zu äußern. Manche schwärmen gleichzeitig von der Opern- und Filmfigur Carmen", von Musikern wie Django Reinhard oder von Urlaubsbeobachtungen in Andalusien, was ihre grundsätzliche Ablehnung jedoch nicht berührt. Die gängigen Bilder von den Zigeunern" beruhen nicht auf persönlichen Erfahrungen, sind aber auch nicht aus der Luft gegriffen. Sie gehören zum kulturellen Erbe, auf das das Volk der Dichter und Denker" so stolz ist. Deshalb nutzt es wenig, zu Toleranz und Nächstenliebe aufzurufen, solange diese ererbten Feindbilder in unseren Köpfen festsitzen.

Die Zigeunerbilder", die in der deutschen und allgemein-europäischen Kulturgeschichte überliefert wurden, sind allesamt keine Selbstbilder, sondern Fremdbilder. Sie spiegeln nicht die Lebensverhältnisse der Sinti wider, die seit nahezu sechs Jahrhunderten als Minderheit unter uns leben, sondern die Phantasien, Ängste und Wünsche, die die Mehrheitsbevölkerung auf sie projiziert hat. Und obwohl diese Klischeebilder die Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma vorbereitet und gerechtfertigt haben, werden sie nahezu unkritisch bis in die Gegenwart weitergegeben.

Die ältesten Nachrichten über die Ankunft der Sinti und Roma in Mitteleuropa finden sich in Urkunden und Chroniken des 15. Jahrhunderts. In einer Urkunde der Stadt Colmar von 1422 und einer Urkunde König Friedrichs III. von 1442, die Geleitbriefe" darstellen1, wird ihnen das Recht zugestanden, durch das jeweilige Herrschaftsgebiet hindurchziehen, sich eine bestimmte Zeit darin aufhalten und, damit sie nicht unterstützt zu werden brauchen, betteln zu dürfen. Es scheint ihnen aber nicht erlaubt zu sein, daß sie irgendwelche Berufe ausüben und in die betreffenden Zünfte aufgenommen werden dürfen. Möglicherweise hat dieses Verbot dazu geführt, daß sie mobile Berufe außerhalb des Ständewesens entwickelt haben.


Fremdbilder in der Literatur des 16. Jahrhunderts

Sebastian Münster schreibt in seiner Cosmographie", die im 16. Jahrhundert zu einem der erfolgreichsten Bücher wurde und der in der Literaturwissenschaft Lebenswahrheit und Glaubwürdigkeit" attestiert wurde2: Man weiß wohl, daß dieses elende Volk auf der Wanderschaft geboren ist: es hat kein Vaterland, zieht arbeitslos und arbeitsscheu im Land umher, ernährt sich mit Stehlen, lebt religionslos wie die Hunde, obgleich es seine Kinder unter den Christen taufen läßt." Münster hat vermutlich gesehen oder davon gehört, daß die Zigeuner" herumziehen, nicht arbeiten und nicht in die Kirche gehen. Statt nach den Gründen zu fragen und darauf zu stoßen, daß sie sich nirgends niederlassen, also auch keine festen Berufe ausüben dürfen und von keiner kirchlichen Gemeinde aufgenommen werden, schreibt er dieses Verhalten ihrer Natur oder ihrem völkischen Charakter zu und setzt die Vorurteile in die Welt, daß sie eine angeborene Neigung zum Vagabundieren und zum Stehlen hätten, arbeitsscheu" wären und religionslos" lebten.

In den Chroniken werden sie nicht etwa als braungebrannt, sondern als von Haut ganz schwarz", als schwarze Leute" oder als ein schwarzes (...) Volk" geschildert, womit auf die angebliche Farbe des Teufels angespielt wird. Weiter wird ihnen mancherlei Zauberei" wie Wahrsagen und Feuersegen vorgeworfen, womit sie die Leute um ihr Geld bringen".3 Die Leute" lassen sich von einer Zigeunerin" wahrsagen, weil sie selbst daran glauben, und werfen ihr anschließend vor, daß sie mit dem Teufel im Bund wäre. Schließlich wurden die Zigeuner" nicht nur als Heiden, sondern als Kundschafter" der Türken angesehen, die das Christenland" ausspähen, aufgrund dieses Gerüchts für vogelfrei erklärt und an vielen Orten wie wilde Tiere gejagt und mißhandelt oder getötet.4

Diese menschenverachtenden Fremdbilder sind im 16. Jahrhundert in die deutsche Literatur eingegangen. In den Sammlungen von Sprichwörtern, Schwänken und Fastnachtsspielen erscheint der Zigeuner" als Prototyp des Landstreichers, Gauners und Diebs. Nur in einem Schwank von Pauli (1522) und einem Fastnachtsspiel von Hans Sachs (Die Rockenstuben", 1536) wird vorgeführt, wie ein Zigeuner" tatsächlich die Wahrheit sagt und zum Dank getötet bzw. als verlogener (...) Tropf" beschimpft und aus dem Haus geprügelt wird.

In Thomas Birks Ehespiegel" (1598) lassen sich zwei Frauen von zwei Zigeunerinnen" wahrsagen und beschimpfen sie anschließend, weil sie sich von ihnen ertappt fühlen, als Lügnerinnen, Betrügerinnen und schwarze Teufel". Birk nimmt nicht für die Zigeunerinnen" Partei, im Gegenteil, er will in seinem Lehrstück unter Berufung auf Luther vor der Zigeunerbefragung warnen. Trotzdem kann man aus dieser Szene lernen, wie und weshalb solche Vorurteile entstehen.

Zigeuner" in der Literatur des Barock

Das bekannteste Beispiel aus der Literatur des Barock sind die Zigeunerszenen von Grimmelshausen. Grimmelshausen ist zwar selbst auf dem heimischen Hof mit Zigeunern" in Berührung gekommen, bezeichnet aber die oben erwähnten Chroniken und Sprichwörtersammlungen als seine Quellen. Simplizissimus, Courasche und Springinsfeld, die Titelfiguren seiner Schelmenromane (1669-70), werden in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs vorübergehend Anführer von Zigeunerbanden", wozu die Zigeuner" selbst offenbar nicht fähig sind.5 Sie schmieren sich mit Salben und Haarfärbemitteln ein, bis sie des Teuffels Leibfarb" haben, und beherrschen bald sehr viel Schelmenstück und Diebsgriffe" und zigeunerische Teufelskünste" wie Wahrsagerei, Segens- und Unheilsprechungen. Wahrscheinlich hat Grimmelshausen das Zigeuner-Leben" sogar heimlich bewundert"6, wie ihm in der Forschung zugutegehalten wird, die Sinti und Roma werden die Darstellung ihrer Vorfahren als Hexen und Teufel aber kaum als Bewunderung auffassen.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg haben sich die Gelehrten verstärkt mit dem sogenannten Zigeunerproblem" befaßt. Dieses war dadurch entstanden, daß die Sinti, die während der Kriegsjahre als Söldner gefragt waren, nun nicht mehr gebraucht wurden. Zwei Werke haben die literarischen Zigeunerbilder" der künftigen Epochen entscheidend beeinflußt: der curiose Traktat" von Jacob Thomasius (1671), der von Goethe für seinen Götz", und der historische Versuch" von Heinrich Grellmann (1783), der vor allem von den Romantikern als Quelle benutzt wurde. Beide Werke gehen, wie Tomasius selbst betont und wie Grellmann inzwischen nachgewiesen wurde, nicht auf eigene Untersuchungen, sondern auf ältere Bücher oder zeitgenössische Artikel zurück.7

Thomasius hat die in den Chroniken überlieferten Vorwürfe um neue vermehrt, indem er die antijüdischen Legenden vom ewigen Fluch der Wanderschaft und vom Kinderraub auf die Sinti übertragen hat.8 Grellmann, für lange Zeit der angesehendste deutsche Zigeunerforscher", der von einigen Tsigantologen noch heute als Schöpfer einer fruchtbaren Zigeunerwissenschaft" gepriesen wird, hat sich zwar als erklärter Anhänger der Aufklärung gegen die Dämonisierung der Zigeuner" als Zauberer, Hexen und Teufel gewandt, ihre Kriminalisierung jedoch verschärft. Er beurteilt die Zigeuner" als von Natur aus schlecht oder böse, ihre Frauen als zügellos" und wollüstig" und verbreitet über sie, daß sie Kinder raubten, um sie zu essen. Er plädiert dafür, die rohen" und ungebildeten Naturkinder" mit Gewaltmaßnahmen zu erziehen, womit er das unter Maria Theresia und Josef II. verfolgte Ziel der Zwangsansiedlung und Zwangsassimilierung unterstützt.

Goethes Zigeunerbild"

Die berühmteste Zigeunerszene" des Sturm und Drang, die beim damaligen Publikum Jubelstürme auslöste, ist die von Wieland als naturwahr" gerühmte nächtliche Waldszene in Goethes Götz von Berlichingen" (1774). Zigeunerinnen" kochen am Feuer, die Älteste singt ein Lied, die anderen singen den Refrain:

Älteste Zigeunerin:

Im Nebel Geriesel im tiefen Schnee,

Im wilden Wald in der Winternacht.

Ich hör der Wölfe Hungergeheul,

Ich hör der Eule schreyn.

Alle: Wille wau wau wau

Wille wo wo wo

Eine: Withe hu.

Älteste Zigeunerin: Mein Mann der schoss ein' Katz am Zaun,

War Anne der Nachbarin schwarze liebe Katz.

Da kamen des Nachts sieben Währwölf zu mir,

Warn sieben sieben Weiber vom Dorf.

Alle: Wille wau pp.

Alte Zigeunerin: Ich kannt sie all, ich kannt sie wohl

S war Anne mit Ursel und Kett

Und Reupel und Bärbel und Lies und Gret,

Sie heulten im Kreis mich an.

Alle: Wille wau pp.

Alte Zigeunerin: Da nannt ich sie all beym Namen laut.

Was willst du Anne was willst du Kett?

Da rüttelten sie sich. Da schüttelten sie sich.

Und liefen und heulten davon.

Im Refrain ertönen nicht menschliche Laute, sondern das Wolfsgeheul und der Eulenschrei. Die im Kreis um das Feuer sitzenden Zigeunerinnen" ahmen aber nicht nur das Wolfsgeheul nach, sondern stellen zugleich heulende Wölfe dar. Da sie nach dem Schlußvers selbst heulend davonlaufen, hat der Zuschauer den Eindruck, die sieben Währwölf", die nachts zur ältesten Zigeunerin kamen, sind nicht nur die mit Namen genannten sieben Weiber vom Dorf", sondern zugleich die hier singenden, genauer gesagt: heulenden Zigeunerinnen".

Daß die Zigeunerinnen" hier als dämonische Wesen vorgestellt werden, dafür spricht auch Goethes Vorlage: die Hexenszene in Shakespeares Lady Macbeth". In der Urfassung des Götz" (1771) dient diese Szene wie bei Shakespeare der Vorbereitung eines Verbrechens. Der Sohn der ältesten Zigeunerin", der natürlich Wolf" heißt, hat Adelheids Begleiter durch einen Zauber von ihr weggelockt. Adelheid reitet nun ohne männlichen Schutz ins Zigeunerlager. Der Zigeunerhauptmann begrüßt sie und stellt ihr sein Völkchen" vor: Wir thun niemanden Leids, wir säuberns Land vom Ungeziefer, essen Hamster Wieseln und Feldmäus. Wir wohnen an der Erd, und schlafen auf der Erd, und verlangen nichts von euren Fürsten als den dürren Boden auf eine Nacht, darauf wir gebohren sind, nicht sie." Und die Zigeunerin reicht Adelheid ihren Umhang mit den Worten: Es friert uns nicht, gingen wir nackend und blos." Wie die wilden Tiere schlafen sie auf der nackten Erde und leben von Hamstern und Mäusen. Und weil dies ihrer tierischen Natur entspricht, verlangen sie auch nichts anderes. Sie frieren selbst dann nicht, wenn es schneit und sie nackt sind, haben also keine menschlichen Empfindungen. Die älteste Zigeunerin liest Adelheid aus der Hand, verheißt ihr einen zweiten und einen dritten Mann, der ihr schöne Kinder" bescheren wird, und verkauft ihr gegen einen Geldbeutel eine Zauberformel, mit der Adelheid ihren Mann aus dem Weg räumen kann. Die Anstifter zum Gattenmord sind also wie in Lady Macbeth" die Hexen so im Götz" die Zigeuner". Goethe wurde in der Literaturwissenschaft nachgerühmt, er habe die Zigeuner" mit seinem Götz" in Deutschland literaturfähig" gemacht.9 Daß er sie hier als Halbmenschen und zugleich als Unmenschen portraitiert, wurde nicht erwähnt.

Eine der berühmtesten Gestalten aus Goethes Dichtung, die eine Welle von Romanen, Erzählungen und Dramen über die schöne Zigeunerin" ausgelöst hat, ist die Figur der Mignon im Wilhelm Meister" (1796). Mignon ist selbst keine Zigeunerin", sondern eine italienische Grafentochter, die als Kind von Zigeunern" geraubt wurde, in einem Wanderzirkus als Tänzerin auftritt und von Wilhelm Meister freigekauft wird. Wilhelm akzeptiert sie zwar so, wie sie ist, läßt es aber zu, daß seine Freundinnen sie in ihre Obhut nehmen. Das Kleid, das Mignon schließlich freiwillig trägt, ist in ihren Augen - und ihrem letzten Lied - aber kein Frauenkleid, sondern ein Engelsgewand. Ihre Umerziehung oder Sozialisation für die bürgerliche Gesellschaft bedeutet für Mignon den Tod. Der Versuch der Zivilisierung" dieses zigeunerähnlichen Naturkinds" ist damit gescheitert.

In der Literatur dieser Zeit taucht auffallend oft das von Thomasius und Grellmann verbreitete Motiv des Kinderraubs auf. Wenn man diesen Vorwurf umkehrt, ist er durchaus zutreffend. Denn Staat und Kirche haben damals vielen Sinti-Familien ihre Kinder weggenommen und diese, um sie zu zivilisieren", in Erziehungsanstalten oder Arbeitshäuser gesteckt.

Die Zigeunerromantik"

Die Romantiker haben die Figur des Zigeuners" und vor allem der schönen Zigeunerin" in den Mittelpunkt ihrer Dichtung gestellt und nach einhelligem Urteil der Literaturwissenschaft die schönsten Zigeunerbilder" geschaffen. Sie haben zweifellos dem bisher fast ausschließlich negativen Bild eine neue Prägung gegeben, die mit dem Begriff Zigeunerromantik" zutreffend bezeichnet ist. Sind diese Bilder aber geeignet, die Achtung vor den Sinti und Roma und ihrer Kultur zu wecken oder zu bestärken?

Auch die Romantiker haben, von flüchtigen Berührungen abgesehen, die Sinti und Roma nicht näher gekannt. Sie haben zum einen alte Legenden über die Herkunft des Zigeunervolks" in Sachbüchern aufgespürt und neu gedeutet. So hat Achim von Arnim in seiner Erzählung Isabella von Ägypten" (1812) von Grellmann die Legende vom verweigerten Nachtquartier übernommen. Zigeuner", die ja erst um 1200 im Vorderen Orient aufgetaucht sind, sollen der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten das Nachtquartier verweigert haben und deshalb von der Gottesmutter zu ewiger Wanderschaft verflucht worden sein - und zu einem märchenhaften guten Ende geführt. Die schöne Zigeunerprinzessin" Bella, kurzzeitig Geliebte des späteren Kaisers Karl V., die sowohl mit magischen Kräften wie mit Tugenden ausgestattet ist, erlöst ihr Volk von diesem Fluch, indem sie es in seine vermeintliche Heimat, nach Ägypten, zurückführt.10 In Clemens Brentanos Romanzen vom Rosenkranz" (1808-1812) ist das den Zigeunern" angedichtete Vergehen noch erheblich gesteigert. Hier planen sie, das Jesuskind zu ermorden. Am Ende wird der Fluch der ewigen Wanderschaft von drei Schwestern, den drei Rosen", entsühnt.

Zum anderen haben sie auf literarische Figuren wie Cervantes' Gitanella" und Goethes Mignon" zurückgegriffen und sie in neue Kleider gehüllt. Die Figur der schönen Zigeunerin" tritt in vielen romantischen Gedichten, Singspielen, Dramen, Märchen, märchenhaften Erzählungen und Romanen als Titel- oder Hauptfigur auf und läßt sich als die Muse der romantischen Poesie ansehen.

Zur Romantik gehört aber auch die Figur der alten Zigeunerin". Die hexenhafte, wahrsagende Zigeunerin" erscheint z.B. in den Nachtwachen des Bonaventura", in Kleists Michael Kohlhaas", in Hoffmanns Das öde Haus" und Der Doppelgänger", in Eichendorffs Die wilde Spanierin" und Dichter und ihre Gesellen", in Arnims Isabella" und Die Kronenwächter II" und in Brentanos Märchen vom Liebseelchen" und Märchen vom Murmeltier" (1812). Murmeltier erfährt am Ende des Märchens, sie sei eine burgundische Königstochter, und ihre Stiefmutter, eine schurkische und hexenhafte Zigeunerin", habe sie als kleines Kind aus dem königlichen Garten geraubt.11

In der Erzählung Die mehreren Wehmüller" (1815) hat Brentano unter ausgiebiger Benutzung von Grellmann die Bilder der jungen und der alten Zigeunerin" gegenübergestellt. Der Erzähler kommt mit seinen Kumpanen des Nachts in einem Gebirgswald an der rumänischen Grenze zu einer Zigeunerherberge", die ihnen wie eine Wohnung des Teufels" vorkommt. Als sie anklopfen, da ging die Tür auf, ein schwarzbraunes, zerlumptes, sonst glattes und hübsches Mägdlein, glänzend und schlank wie ein brauner Aal", empfängt sie und erhält vom Anführer sogleich einen Schmatz". Später wird das Mädchen das schöne, unschuldige und geistvolle wilde Naturkind" genannt.12 Sie ist ein Kind der Natur und zugleich voller Geist, sie besitzt Schönheit und zugleich Tugend, sie ist aufreizend und zugleich unschuldig, also kein wirkliches Wesen, sondern ein romantisches Idealbild. Die Großmutter ist, wie der Anführer in Erfahrung bringt, eine alte Zigeunerin, welche außer ihren Privatgeschäften: der Wahrsagerei, Hexerei, Dieberei, Viehdoktorei, auch eine Hehlerin der Contrabandiers macht." Und so sieht sie auch aus: die Großmutter (...) trat sodann zu uns in die Stube. Ihr Schatten sah aus wie der Teufel, der sich über die Leiden der Verdammten bucklich gelacht, und wäre er nicht vor ihr her in die Stube gefallen, um einen ein wenig vorzubereiten, ich hätte geglaubt, der Alp komme, mich zu würgen, als sie eintrat. Sie war von oben und rings herum eine Borste, eine Pelz und eine Quaste und sah darin aus wie der Oberpriester der Stachelschweine."

Beide Portraits gehören, wie Großmutter und Enkelin, zusammen; das eine ist die Kehrseite des anderen. In ihrer Jugend ist die Zigeunerin" hübsch, schlank, flink und wirkt wie eine Zauberin", im Alter jedoch ist sie häßlich, bucklich", halblahm und wirkt wie eine Hexe" oder des Erzfeinds Großmutter". Und beide Portraits, das der schönen jungen Zauberin und das der häßlichen alten Hexe, ergeben zusammen das Zigeunerinnenbild der Romantik. Dieses Bild ist ein Produkt von Leseeindrücken und eigenen Phantasien, hat also ursprünglich mit einer Sintezza oder Romani nichts zu tun, wird aber von den Lesern, die die Zigeunerin" nur aus solcherart Literatur kennen, auf diese bezogen.13

Die Figur der Mignon kehrt im Zuge der Zigeunerromantik" in den folgenden Epochen unter immer neuen Namen wieder: als Zinga (Brentano), Erwine und Kordelchen (Eichendorff), Emanuela (Hoffmann), Flämmchen (Immermann), Elisabeth (Mörike), Kuni (Freytag), Czika (Spielhagen), Jeremina (Raabe), als braunes Mädchen", Chelion und Juliana (Stifter) u.s.f. Die Mignon-Gestalten sind, wie sich meist am Ende herausstellt, entweder Kinder aus hohem Hause, die von Zigeunern" entführt wurden, oder zigeunerartige Wesen" bzw. Halbzigeunerinnnen" oder echte Zigeunerkinder". Während die unter die Zigeuner" gefallenen Adeligen auch in schmutziger Umgebung Reinheit und Edelmut bewahren und die Halbzigeunerinnen" als problematische Naturen" (Spielhagen) erscheinen, die nirgends hingehören, praktizieren die echten Zigeunerinnen", von ihrem Blut getrieben, die Zigeunerliebe" und landen in der Gosse.

In den Gedichten des Biedermeier wurden die Zigeunerbilder" entdämonisiert und als idyllische Miniaturen in die kleinbürgerliche Welt eingefügt. Wurde in den Erzählungen der Romantik die dämonische Natur der Zigeunerinnen" enthüllt oder ihre geheimnisvolle Herkunft geklärt, so wird in den oft vertonten Zigeunergedichten von Nikolaus Lenau und seinen Epigonen Freiligrath, Geibel und Hebbel ihre äußere, exotisch wirkende Erscheinung gezeigt. Immer wieder begegnen uns das schöne tanzende Zigeunermädchen" mit dunkelbraunem Gesicht", schwarz-lockigen Haaren" (Lenau) und schwarzen, blitzenden Augen" (Geibel) und der schwarze, schnurrbärtige Zigeunerbursche", der die Geige streicht oder den Cymbal schlägt.

Zigeunerfiguren" im Realismus

In den Erzählungen und Romanen des Realismus lassen sich noch mehr Zigeunerfiguren" entdecken als in der Romantik, sie heben sich aber nicht mehr so stark, sei es durch ihre dämonische Natur oder ihr exotisches Aussehen, von ihrer Umgebung ab und fallen deshalb weniger auf. Die Realisten behandeln jeweils ähnliche Stoffe - häufig schildern sie Lebensläufe oder Episoden von Zigeunern", die am Rande oder innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft leben -, kommen aber zu extrem verschiedenen Wertungen.

In Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Dorfe" (1856) müssen die beiden Liebenden aus dem Leben scheiden, weil der Autor den möglichen Ausweg, ein gemeinsames Leben ohne Ehebund, wie es das Kesselvolk" führt, mit seiner Moral nicht vereinbaren kann. Zur Bestätigung läßt er den schwarzen Geiger" sagen: Kommt mit mir (...) die grünen Wälder sind unser Haus, wo wir uns lieb haben, wie es uns gefällt." Kellers Unterstellung, daß das Kesselvolk" der freien Liebe anhänge und zu wahrer Liebe unfähig sei, dient ihm als Beweis, daß Treue ohne Trauschein, auch wenn beide einander lieben wie Romeo und Julia, unmöglich sei. Theodor Storm stellt in Immensee" (1849) der hochanständigen Elisabeth ein Zithermädchen" mit zigeunerhaften Zügen" und schönen, aber sündhaften Augen" gegenüber. Während der junge Dichter Reinhard Elisabeth nicht zu berühren wagt, hätte er dem Werben der schönen Sünderin beinahe nachgegeben.

In Adalbert Stifters Katzensilber" (1853) taucht ein schönes, fremdartiges Zigeunermädchen" auf, das sich hilfsbereit und dankbar zeigt, zuletzt aber, vom Zigeunerblut" getrieben, wieder verschwindet. Im Waldbrunnen" gelingt es einem weisen und gütigen Großvater, das wilde Mädchen" Juliane in jahrelanger Bemühung zu einer gebildeten Frau, die, wenn auch keine Gedichte, so doch Gedichtchen" machen kann, zu erziehen. Die Farben der Zigeunerbilder" sind umso heller, je mehr die Figuren dem Ideal der Dichter entsprechen. Wilhelm Raabe schildert in Die Kinder von Finkenrode" (1858) den armen, kinderreichen Haushalt des ansässigen Zigeuners" Nadra, der ständig mit Polizei und Gericht in Konflikt gerät. Er führt dem Leser vor, daß die unmündigen Zigeuner" das Mitgefühl und die Nachsicht guter Menschen brauchen. So sagt die junge Sidonie, die selbst fast noch ein Kind ist: Wie Kinder sind sie! Hätten sie uns nicht, den Papa, die Cäcilie und mich, es ginge ihnen gewiß sehr übel."

In Theodor Fontanes Ellernklipp" (1879) wird das schöne, fremdartige Waisenkind Hilde, Tochter einer Zigeunerin" und eines Grafen, von ihrer Umwelt als Bedrohung für das Dorfleben empfunden und für das Verbrechen ihres Adoptivvaters und Ehemanns verantwortlich gemacht. Daß der Autor den Aberglauben und Rassismus der Dorfbevölkerung nicht selbst vertritt, sondern kritisieren will, wird ein Leser, der diese Einstellung teilt, nicht unbedingt erkennen. Marie von Ebner-Eschenbach beschreibt in ihrer Erzählung Das Gemeindekind" (1893), die als ihr Meisterwerk gilt, einen Zigeunerjungen", der es trotz Anfeindungen und Rückfällen schließlich schafft, ein geachtetes Mitglied der Dorfgemeinschaft zu werden.

In den Erzählungen des späten Realismus spielt sich das Zigeunerleben" nicht mehr in Zigeunerlagern" im Wald ab, sondern am Dorf- oder Stadtrand. In einigen dieser Werke werden Zigeuner" erstmals als Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Gedanken wahrgenommen. Meist aber werden Zigeunerkinder" vorgestellt, die so lange (um-)erzogen werden, bis sie dem Ideal der Dichter entsprechen. Durch die Bilder vom guten Zigeuner", der in die Gesellschaft integrierbar ist, ja einen Gewinn für sie darstellt, werden die Vorurteile von der Anders- oder Abartigkeit des Zigeunerstamms" jedoch nicht entkräftet.

Danach aber nähert sich die Literatur wieder dem entgegengesetzten Pol: dem Irrealen. Die Dichter der Jahrhundertwende greifen auf die abgenutzten Bilder des Biedermeier zurück und suchen sie zu steigern oder zu vertiefen. Liliencron schildert das Zigeunertreiben" (1890) in vollen Zügen, d.h. in kitschigsten Farben. Das Mädchen tanzt den Fadango,/ Ziert sich,/ Ziert sich nicht", Czico, der Knabe", hält sie bald darauf in seinen Armen"; in der Früh stiehlt er noch schnell eine Gans, und dann ziehen die Zigeuner/ Braun und ungewaschen" weiter. Trakl und der junge Rilke wiederholen nicht nur, daß die Augen der Zigeunerin" schwarz und glühend sind, sie verraten uns auch, was ihre Augen ihnen gesagt haben: Sehnsucht (...) Nach (...) Heimat", Leiden am ererbten Fluch" (Trakl) und das Unglück, daß sie ihn, den Dichter, nicht lieben" darf, sondern weiterziehen" muß (Rilke). F. G. Jünger verklärt einige Jahrzehnte später die Diebin zur Verzauberte(n) Diebin", zum Zauberwesen" und segnet sie dafür, daß sie ein freies Herz" hat, sein Werben also erhörte.

Hermann Hesses Narziß und Goldmund"

Für die Literatur aus dem ersten Drittel dieses Jahrhunderts, der Zeit vor dem Völkermord, mag ein Roman des bis heute populärsten Autors als Beispiel dienen, der nicht im Verdacht steht, mit der Rassenpolitik des Dritten Reichs zu sympathisieren: Hermann Hesses Narziß und Goldmund" (1930).

Goldmund ist mittags in der Sonne auf einem Steinhaufen eingeschlafen. Vom fernen Walde her kam jemand gegangen, ein junges Weib, in einem verblichenen blauen Rock, ein rotes Tüchlein ums schwarze Haar gebunden, mit braungebranntem Sommergesicht." Das Weib" ist, wie Goldmund später Narziß berichtet, eine Fremde, eine Heimatlose, so scheint es, vielleicht eine Zigeunerin." Hesses Weibsbild ist nicht neu, sondern ebenso verblichen wie der blaue Rock. Die Farben und Requisiten, die Hesse hier komponiert, wurden in der Literatur über Zigeuner" schon oft benutzt. Hesse gelingt es aber, die aus der Literaturgeschichte sattsam bekannten Szenen, in denen der Held einer Zigeunerin" begegnet, zu steigern. Diesmal ist sie nicht das Objekt der Begierde, sondern sie begehrt den blonden, blauäugigen Jüngling und nimmt ihn sich. Sie bettet seinen Kopf in ihren Schoß, küßt ihn, als er erwacht, erst sanft, dann gierig und gibt sich ihm hin. Als er gegen Abend ins Kloster zurückmuß, bittet sie ihn, daß er in der Nacht mit ihr kommt. Er kommt, und beide lieben sich im Mondschein auf einem Heuhaufen. Am nächsten Morgen verläßt sie ihn. Ich muß jetzt zu meinem Mann, er wird mich schlagen, weil ich die Nacht ausgeblieben bin." Und als Goldmund sie fragt, warum sie nicht lieber mit ihm geht, meint sie: Daß mein Mann mich schlägt, nun ja, das ist so, es ist in Ordnung", worauf er sie gehen läßt. Folglich finden auch Goldmund und der Erzähler dies in Ordnung". Ein Zigeuner" verprügelt eben seine Frau, und da sie nachts aushäusig ist, hat sie seine Prügel verdient. Hesse reproduziert unbesehen die bürgerliche Doppelmoral; ihm kommt es nur darauf an, die Träume des Spießbürgers von der Liebe zur und mit der Zigeunerin" zu bedienen.

Literatur nach 1945

Nach Auschwitz haben sich die meisten Dichter offenbar gescheut, die Sinti und Roma zum Thema zu machen - das Beste, was diesen bisher widerfahren ist. Manche Dichter erzählen allerdings in Stil und Thematik so, als ob es das Dritte Reich nicht gegeben hätte. Werner Bergengrün setzt in seiner Erzählung Die Zigeuner und das Wiesel" (1950) die Tradition fort, Zigeuner" mit wilden Tieren gleichzusetzen. Bei beiden, den Zigeunern" und dem Wiesel, ist zudringliche Neugier mit ängstlicher Scheu" gepaart. Die Zigeuner" streifen außerdem umher, weil das ja ewiges Los und Erbe ihres Stammes" ist, und betteln, stehlen und wildern. Sie sind häufig getauft" worden, ob katholisch oder evangelisch, spielt keine Rolle. Bergengrüns Portrait eines jungen Zigeunerpaars" könnte aus einer Rassenlehre stammen. Beide hatten (...) eine weitgebogene Nase, ein wenig erhobene Backenknochen, über dunklen Ringen brennende schwarze Augen (...)". Sie hat eine Wieselin getötet und ihr Junges aufgezogen und dressiert. Das Zigeunerpaar" tanzt auf dem Seil, das Wiesel aber tanzt nicht mit, wie ihm beigebracht wurde, sondern nagt das Seil durch, so daß beide abstürzen. So wird den Zigeunern" wieder einmal die gerechte Strafe zuteil.

Andere Dichter haben - mit mehr oder weniger Erfolg - versucht, das Verbrechen an den Sinti und Roma aufzuarbeiten. Wolf Dietrich Schnurre erzählt in Jenö war mein Freund" (1958) eine Erinnerung aus seiner Kindheit. Während er mit dem gleichaltrigen Jenö spielt und ihn zu sich nach Hause einlädt, beschweren sich die Erwachsenen aus der Nachbarschaft über Jenös Besuche beim Blockwart, bis Jenös Leute" (eine Bezeichnung, die sowohl kumpelhafte Anbiederung wie Verlegenheit verrät) von der SA und der SS weggebracht werden. Schnurre wollte vermutlich zeigen, daß Kinder von den Vorurteilen der Erwachsenen nicht belastet sind, gibt aber selbst diese Vorurteile kritik- und bedenkenlos weiter. Jenö ißt Igel, er stinkt, benimmt sich seltsam, läßt etwas mitgehen, seine Familie wohnt nicht, sie haust", seine Großmutter ist unglaublich verwahrlost". Und während Jenö und seine Leute zusammengepfercht auf den Lastwagen standen, lachten und schwatzten" und Jenö zum Abschied durch die Finger pfiff, war der Erzähler traurig, daß Jenö jetzt weg war. Denn Jenö war mein Freund." Die Erzählung ruft dazu auf, den Zigeuner" wegen seiner vermeintlichen Fremdartigkeit und Verwahrlosung nicht als Feind, sondern als Freund zu betrachten. Dazu braucht man, ja darf man ihr elendes Leben, zu dem man sie gezwungen hat, aber nicht ändern.

In Johannes Bobrowskis Roman Levins Mühle (1963) deckt der Erzähler ein Verbrechen seines eigenen Großvaters auf. Der Mühlenbesitzer Johann hetzt ständig gegen die Polacken", um die deutsche Obrigkeit für sich einzunehmen, er schwemmt in einer Frühjahrsnacht heimlich die Holzmühle seines Konkurrenten, des zugewanderten Juden Levin, weg und zündet das Haus an, in dem der Zigeunergeiger" Haberdank nun zusammen mit Levin wohnt, um den Verdacht auf ihn zu lenken. Weil sich die Opfer, katholische Polen, Juden und `Zigeuner', solidarisieren, kommt die Wahrheit an den Tag. Bobrowski macht sich nicht nur zum Anwalt der Ausgestoßenen, sondern zeigt, daß wir mit der Aufklärung der Verbrechen an den Juden und den Sinti und Roma unsere eigene Familien- und Heimatgeschichte aufarbeiten.

In Abschied von Sidonie" (1989) berichtet der österreichische Erzähler Erich Hackl von dem Fall eines Zigeunermädchens", das von einer Arbeiterfamilie aufgenommen und wie ihr eigenes Kind erzogen wurde, bis es in ein KZ verschleppt wurde, wo es, gerade zehn Jahre alt, starb. Der Autor beschränkt sich lange Zeit auf die Rolle des Berichterstattes, dann aber meldet er sich selbst zu Wort, wirft der Gemeinde und ihren Autoritäten": Volksschuldirektor, Bürgermeister und Landrat, Feigheit, Anschwärzen, vorauseilende(n) Gehorsam" vor und gibt den Lesern zu bedenken, wie leicht Sidonie, Mut und Selbstachtung aller Beteiligten" vorausgesetzt, hätte gerettet werden können. So betrifft der Fall, den der Erzähler aufdeckt, nicht so sehr das Sintu-Mädchen wie die Gesellschaft, in die es hineingeboren wurde, also uns.

Daß die Vernichtung der Sinti und Roma überall akzeptiert wurde, während die Vernichtung der Juden und der Behinderten mancherorts, wenn nicht Widerstand, so doch erhebliche Unruhe auslöste14, dazu haben die literarischen Zigeunerbilder" maßgeblich beigetragen. Die deutschen Dichter, die sich sonst als Anwälte der Erniedrigten und Beleidigten verstehen, haben die negativen Vorurteile der Bevölkerung gegen diese deutsche Minderheit ungeprüft und bedenkenlos übernommen und gemäß ihrer eigenen Wunschphantasien, Begierden und Ängste umgedichtet und verschärft. Und die Literaturwissenschaftler, die die hier vorgestellten Werke seit 1945 neu edierten, kommentierten und interpretierten, haben an keiner Stelle - ich lasse mich gerne korrigieren - Einspruch erhoben. Dies beweist, daß die Ablehnung der Sinti und Roma, die den meisten von uns nur aus der Literatur bekannt sind, bis heute anhält.

Wer die Zigeunerbilder" nicht durch die Brille der Autoren, sondern unvoreingenommen betrachtet, kann eigentlich nicht übersehen, daß fast alle, ob sie die dargestellten Personen verzerren oder verklären, verlogen und diffamierend sind. Würden wir dies zugestehen, so würde unser ererbtes Bild der deutschen Dichter Sprünge erhalten. Wer dagegen an der Idee eines Kanons deutscher Meisterwerke festhält, wird sich den hier vorgetragenen Ansichten natürlich versperren.


1 So Wolfgang Wippermann (Wie die Zigeuner". Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Berlin 1997, S. 53), der die Berichte über die Sinti und Roma in den Chroniken nicht nur zitiert, sondern auch überzeugend kommentiert hat.

2 Wilhelm Ebhardt: Die Zigeuner in der hochdeutschen Literatur bis zu Goethes Götz von Berlichingen". Diss. Allendorf a.d. Werra 1928, S. 17.

3 Siehe Johann Hartlieb: Buch aller verbotenen Kunst (1456), Albert Krantz: Saxonia (ca. 1500) und Münster in Ebhardt, a.a.O.

4 Vgl. die Akten des Freiburger Reichstags von 1498 (zitiert bei Wippermann, a.a.O., S. 54) und die Nürnberger Chronik des Heinrich Deichsler von 1499.

5 Tatsächlich führten damals relativ viele Sinti als Offiziere eigene Mannschaften an, wie aus Thomas Fricke: Zigeuner im Zeitalter des Absolutismus, Paffenweiler 1996 hervorgeht.

6 Dieser Ansicht von Robert Jüttes (Vagantentum und Bettlerwesen bei Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. In: Daphnis, Bd. 9, H. 1 (1980), S. 109-131) kann ich zustimmen, nicht jedoch seiner Bewunderung für die von Grimmelshausen geschaffenen Bilder verbrecherischer und teufelsartiger oder hexenhafter Zigeuner".

7 Grellmann, der lange Zeit angesehendste deutsche Zigeunerforscher", hat ältere Sachbücher wie Thomasius sowie die Fortsetzungsserie über die Zigeuner" in den K.u.K. Ländern in den Wiener Anzeigen" von 1775 und 1776 ausgeschlachtet" (Martin Ruch: Zur Wissenschaftsgeschichte der deutschsprachigen Zigeunerforschung" von den Anfängen bis 1900, Freiburg/Br. 1986, S. 101). Wippermann kommt in seiner Würdigung Grellmanns zum Ergebnis, dieser habe die traditionellen Vorurteile gegenüber den Sinti und Roma verfestigt und zugleich rassisiert" (a.a.O., S. 101).

8 Die erste Legende wurde vermutlich 1521 von Johannes Aventinus erfunden (vgl. Ines Köhler-Zülch: Die Heilige Familie in Ägypten. In: Daniel Strauß (Hg.): Die Sinti/Roma-Erzählkunst. Heidelberg 1992, S. 42f.), die zweite dürfte auf Thomasius zurückgehen (vgl. Wippermann, a.a.O., S. 62)

9 Vgl. Wilhelm Ebhardt, a.a.O., S. 13 und Fernand Baldensberger: L'entrée pathéthique des tziganes dans les lettres occidentales, Revue de la littérature comparée 18 (1938), p. 502.

10 Heidi Berger ist der Meinung, Arnim projiziert hier offenbar keine eigenen Gefühle in die Zigeuner", weil sie die antiziganistischen Legenden über die Zigeuner" für deren eigenen Legendenschatz" hält (Das Zigeunerbild in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Diss., Waterloo/Ontario 1972, S. 87).

11 In Brentanos Vorlage, dem von Jacob Grimm aufgezeichneten Märchen Murmelthier" (Handschrift Nr. 37, siehe Die älteste Märchensammlung der Brüder Grimm, hrsg. v. Heinz Rölleke, Coligny-Genève 1975, S. 208-220) kommt die Figur der Zigeunerin" nicht vor. Diese bewußte und böswillige Änderung Brentanos wird in den kommentierten Ausgaben von Friedhelm Kemp, Wolfgang Frühwald und Brigitte Schillbach mit keinem Wort erwähnt.

12 Grellmann hatte die Zigeuner" als geistlose Naturen" bezeichnet. Brentano, Arnim und Tieck haben von Grellmann zwar die Beschreibungen des Zigeunerlebens", aber nicht die dort gefällten Urteile" übernommen, wie Günter Oesterle (Zigeunerbilder" als Maske des Romantischen. In: "Zigeunerbilder" in der deutschsprachigen Literatur, a.a.O., S. 59) bemerkt. Was sie mit den Mitteln der Parodie und Satire zerstören" (Oesterle), ist allerdings nicht die Kriminalisierung der Zigeuner", sondern ihre Entdämonisierung.

13 Wenn man das Zigeunerbild" der Romantik als Verkörperung einer poetischen Existenz" (Gerhard Kluge, Frankfurter Brentano-Ausgabe, Bd. 19, S. 694) oder als Metapher der gefährdeten romantischen Poesie" deutet (Günter Oesterle, a.a.O., S. 49), so unterstellt man den Romantikern, daß sie sich ernsthaft für die Zigeuner" interessiert oder gar für sie Partei ergriffen hätten, und übersieht, wie stark diese Bilder die Einstellung der Leser zu den Sinti und Roma geprägt haben.


14 Vgl. Henry Friedlander: Die Vernichtung der Behinderten, der Juden und der Sinti und Roma. In: Kinder und Jugendliche als Opfer des Holocaust, hrsg. v. Edgar Bamberger u. Annegret Ehmann. Heidelberg 1995, S. 15-27.



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