Der Karikaturenstreit - Streit der Kulturen? (Archiv)

"Was darf die Satire? Alles." Kurt Tucholsky.
Das ist jedoch nicht überall akzeptiert. So sorgte eine Karikaturen-Serie der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" zum Islam, die auch in weiteren europäischen Zeitungen veröffentlicht wurde, in Teilen der arabischen Welt für gewalttätige Protesten und Boykott-Aufrufe. Der Zusammenprall der Kulturen eskalierte. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen kamen über 100 Menschen ums Leben. Die Veröffentlichung der Karikaturen führte weltweit zu einer Diskussion über die Religions-, Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit.

Auslöser für die gewalttätigen Proteste war die Veröffentlichung von zwölf Karikaturen des Karikaturisten Kurt Westergaard in der Zeitung "Jyllands-Posten" Ende September 2005. Objekt der Karikaturen war der Prophet Mohammed, und was da mit spitzer Feder gezeichnet wurde, war nicht gerade schmeichelhaft und erst recht nicht geeignet, den Frieden zwischen den Religionen zu fördern.

Auf den umstrittenen zwölf Mohammed-Zeichnungen in Dänemarks Tageszeitung "Jyllands-Posten" ist der Prophet und Religionsstifter unter anderem als finsterer Terrorist mit Bombe im Turban, aber auch zwei Mal als freundlich aussehender älterer Herr zu sehen. Auf einer anderen Zeichnung verwehrt er Männern den Zutritt zum Himmel mit den Worten: "Stop! Uns sind die Jungfrauen ausgegangen." Eine weitere Karikatur mit vier stilisierten Frauenprofilen trägt die im Dänischen gereimte Unterschrift: "Prophet! Mit 'nem Knall im Kopf hält er Frauen unterm Deckel!".  Eine Botschaft, die auch unter gemäßigten Muslimen Zorn auslöste, weil hier nicht nur Mohammed verunglimpft, sondern mit ihm der Islam insgesamt dem Terrorismus gleichgestellt wurde. Muslime sehen in Mohammed ein Vorbild und einen Gesandten Gottes, von dem kein Bild gezeichnet werden und der nicht lächerlich gemacht werden darf.

Bilderverbot im Islam

"Ein unwiderrufliches Bilderverbot gibt es im Islam ebenso wenig wie in anderen Religionen", erläutert der Arabist Michael Lüders in der "Frankfurter Rundschau". Allerdings heiße es im Koran ebenso wie in der Bibel, der Gläubige solle sich kein Bild von Gott machen. Und schon in frühislamischer Zeit habe sich ein Konsens gebildet, weder den Propheten Mohammed noch die Prophetengefährten bildlich darzustellen - auch nicht die vier ihm nachfolgenden, "rechtgeleiteten" Kalifen. Dieser Konsens habe sich zu einer generellen Ablehnung bildlicher Darstellung in der arabischen Welt entwickelt und erkläre die Vorliebe für Kalligrafie, für Schriftkunst, in den Moscheen.Dennoch gab es Zeiten in der Geschichte des Islam, in denen bestimmte bildliche Darstellungen regelrecht florierten. In der älteren islamischen Kunst des Osmanischen Reiches etwa wurde Mohammed oft gezeichnet, allerdings mit verdecktem Gesicht – verschleiert oder mit hell erleuchtetem, nicht erkennbaren Gesicht.

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Reaktionen

Nach massiven Protesten in arabischen Ländern hat sich die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" für die Verletzung religiöser Gefühle durch die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen entschuldigt. Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen distanzierte sich zwar von der Veröffentlichung der Karikaturen. Er verwies aber auf das verbriefte Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit.

Saudi-Arabien, Libyen, Iran und Kuwait hatten ihre Botschafter aus Dänemark zurückgerufen. In Teheran wie Bagdad wurden die dänischen Diplomaten ins Außenministerium zitiert. Bestimmten Kreisen in der muslimischen Welt schien der Vorfall eine willkommene Gelegenheit zu sein, am dänischen Beispiel dem Westen insgesamt Überheblichkeit und Unempfindlichkeit gegenüber dem Islam vorzuwerfen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich hinter den überzogenen Reaktionen nicht nur religiöse, sondern auch politische Motive verbergen: Islamistische Gruppen versuchen dadurch Hass gegen den Westen zu schüren und somit ihren politischen Einfluss zu festigen. Es hatte immerhin vier Monate gedauert, ehe Muslime in aller Welt ihren Protest gegen die zwölf Mohammed-Karikaturen begannen.

In Gaza wurde ein Büro der EU gestürmt. In Teheran wurde die Botschaft Österreichs angegriffen. In Syrien stürmten hunderte Demonstranten die Botschaften Dänemarks und Norwegens und zündeten die Gebäude an. Im Irak wurde eine Fatwa gegen die Zeichner der Karikaturen gefordert. Täglich schlossen sich weitere arabische und islamische Staaten einem Boykottaufruf für dänische Erzeugnisse an - und das Kopenhagener Außenministerium warnte seine Bürger vor Reisen in islamische Länder. Bei den größten Demonstrationen in Iran gingen tausende Menschen auf die Straße, verbrannten Fahnen und forderten zum Boykott dänischer Produkte auf. Ähnliche Proteste gab es in Indonesien, Bangladesch, Irak, Syrien, Ägypten, der Türkei, den Palästinensergebieten und Pakistan.

Die iranische Regierung hatte aus Protest gegen die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen alle Handelsbeziehungen mit Dänemark abgebrochen. Wirtschaftsminister Massud Mirkasemi erklärte alle Verträge und Verhandlungen mit dänischen Unternehmen mit sofortiger Wirkung für ausgesetzt. Zwischen der westlichen Welt und der islamischen wurde der Graben immer tiefer.

Die französische Zeitung "France-Soir", die in Frankreich die Karikaturen veröffentlichte, und das deutsch-jüdische Portal "Hagalil.com", das auch die Karikaturen veröffentlichte, waren wegen Hackerangriffen im Internet nur eingeschränkt  erreichbar.

Die Europäische Union hatte ihre Vertretung im Gazastreifen wegen des sich verschärfenden Streits um die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen geschlossen. Es war zunächst kein Termin bekannt, wann die Arbeit wieder aufgenommen werde, sagte ein EU-Mitarbeiter in Gaza. Die EU schrieb an 18 arabische und andere muslimische Länder, dass sie nach internationalem Recht verpflichtet seien, ausländische Vertretungen zu schützen.

Die Arabische Liga rief zur Mäßigung auf. Das Generalsekretariat der Liga äußerte in Kairo Besorgnis über die Gewaltausbrüche, die an verschiedenen Orten in dieser Region stattgefunden haben. Von den Muslimen forderte die Liga Selbstdisziplin, "trotz der Veröffentlichung beleidigender Bilder des Propheten des Islam, Mohammed". Der Dialog müsse die Oberhand gewinnen und nicht die Gewalt, hieß es in einer Erklärung der Liga.

Der Minderheitenminister des indischen Bundesstaats Uttar Pradesh, Haji Yaqoob Quereshi, setzte ein Kopfgeld von umgerechnet mehr als 11 Millionen Dollar auf die Ermordung der Karikaturisten aus. Die Vereinigung der Goldschmiede in der pakistanischen Nordwest-Grenzprovinz versprach eine Million Dollar für die Tötung der Zeichner.

Dennoch überwogen die friedlichen Proteste. In London beteiligten sich mehr als 15.000 Personen friedlich an einem Protestmarsch, zu dem der Dachverband muslimischer Vereine aufgerufen hatte. In Istanbul gingen Zehntausende wegen der Bilder auf die Straße. Die Demonstranten forderten einen Boykott dänischer Produkte. In Karachi demonstrierten etwa 12.000 Frauen gegen die Karikaturen. In der nordindischen Stadt Lucknow demonstrierten rund 15.000 Muslime weitgehend friedlich gegen die Karikaturen.

In Pakistan wendeten sich die Demonstrationen auch gegen die Regierung. In Multan riefen die Demonstranten in Sprechchören nicht nur "Wir sind Sklaven des Propheten", sondern auch "Tod Musharraf". Wegen der anhaltenden Demonstrationen in Pakistan verfügte das dänische Außenministerium die Schließung der Botschaft in Islamabad.

Deutsche Reaktionen

In Deutschland genießen Karikaturisten und Satiriker den starken Schutz der Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit - der jedoch an seine Grenzen stößt, wenn es um massive Beschimpfungen und Beleidigungen geht. Paragraf 166 des Strafgesetzbuchs droht mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe demjenigen, der öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften "den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".

In Deutschland distanzierten sich Vertreter der Kirchen und der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, von den Karikaturen. Islamische Organisationen verurteilten zugleich die gewalttätigen Reaktionen. Der Staat sei in dieser Debatte "weder Schiedsrichter noch jemand, der Noten verteilt", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg. Für eine Entschuldigung bestehe daher auch kein Anlass.
Es müsse zum Ausdruck gebracht werden, "dass wir Respekt haben, aber Gewalt und Zerstörung nicht akzeptieren", sagte Bundespräsident Horst Köhler am 5. Februar 2006 in Dresden bei einem Treffen mit sechs weiteren europäischen Präsidenten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte die Ausschreitungen scharf: Sie verstehe zwar, dass die Mohammed-Karikaturen in einigen Zeitungen die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt hätten. Die antidänischen Gewalttaten als Reaktion auf die Karikaturen seien aber inakzeptabel. Gewalt könne kein Mittel der Auseinandersetzung sein, sagte Merkel in Berlin. Sie rief zum Gewaltverzicht auf. Außenminister Frank-Walter Steinmeier beobachtet die Entwicklungen nach eigenen Worten mit großer Sorge und appellierte an "alle Kräfte der Vernunft, falschen Propheten des Kulturkampfes entgegenzutreten". Einen "Kampf der Kulturen" sehe er noch nicht.

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LpB: Heft 2/3 2003 der Zeitschriftenreihe "Der Bürger im Staat":
Islam und Globalisierung

Islam und GlobalisierungDie Beiträge in diesem Heft weisen auf die Dringlichkeit des Dialogs zwischen dem so genannten "Westen" und der islamischen Welt hin. Nur wenn es gelingt, in diesem Dialog den Anschluss des islamischen Welt an die Moderne auch aus ihrer eigenen Tradition zu begründen, wird eine friedliche Koexistenz möglich.
      
    

 

LpB: Heft 4 - 2001 der Zeitschriftenreihe "Der Bürger im Staat"
Islam in Deutschland

Islam in DeutschlandDas Interesse für den Islam bei uns so hoch wie nie zuvor. Wir müssen feststellen, wie wenig wir über die Religion des Islam wissen, über seine Lehren und seine Entwicklung, seine verschiedenen Richtungen, die Organisationsformen, die sich deutlich von den christlichen Kirchen unterscheiden, speziell auch über die Gruppen und Gruppierungen bei uns, von denen wir nur selten wissen, wie sie einzustufen, wie zu bewerten sind.
      

 

Zeitschrift Politik & Unterricht 3/4 - 2005
Gegen den Strich - Karikaturen zu zehn Themen

Gegen den StrichKarikaturen sind stumme Impulse. Sie müssen zum »Sprechen« gebracht werden und geben Redeanlass. Schon allein deshalb sind sie für den Einstieg in ein Thema oder in eine Unterrichtseinheit besonders geeignet. Von Lehrerinnen und Lehrern aller Schularten, aber auch im außerschulischen Bildungsbereich, werden sie so auch als eines der häufigsten Mittel politischen Lernens genutzt, weil sich an ihnen die drei klassischen Stufen der Kunst der Deutung geradezu paradeartig nachvollziehen lassen: Verstehen, Auslegen, Anwenden. Wenn dabei noch auf dem Gesicht des einen oder anderen Lernenden ein Schmunzeln erscheint, so kann politische Bildung durchaus auch Spaß machen.

Links

DW: Vom Karikaturenstreit zum Kulturkampf?
FAZ: Karikaturenstreit
Informationsdienst Wissenschaft: Der Prophet im Islam
quantara.de: Bombe im Turban
Spiegel Online: Mohammed Karikaturen
tagesschau: Der Konflikt um Mohammed-Karikaturen
      
Islam
Frankfurter Rundschau: Islam und Islamismus

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