Grundgesetz & Grundrechte in Zeiten der Corona-Pandemie

Viele Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben zu einer Einschränkung der Grundrechte geführt. In der Geschichte der Bundesrepublik war dies ein einmaliger Vorgang. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sogar von einer „Zumutung für die Demokratie“.

Es war eine historische Herausforderung für alle Verantwortliche in der Politik, in diesem Risikomanagement die schwierige Abwägung zwischen dem Schutz von Gesundheit und Leben der Bevölkerung einerseits und der Grundrechte andererseits vorzunehmen.

Es mussten dabei elementare Güter abgewogen werden: Freiheit und Gesundheit, Schutz des Individuums und das Gemeinwohl, offene Gesellschaft und Menschenrechte. Die Debatte über diese Gratwanderung war mit unbequemen Fragen verbunden. Gleichzeitig führte sie uns die Bedeutung der Grundrechte vor Augen, die wir in Vor-Corona-Zeiten so selbstverständlich in Anspruch genommen haben.

Aber welche Grundrechte waren eigentlich eingeschränkt? Und war das überhaupt zulässig?

Hinweis: Dieses Dossier wird nicht mehr aktualisiert (letzte Aktualisierung: Februar 2022).

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Güterabwägung: Gingen die Einschränkungen der Grundrechte zu weit?

Die vielfältigen Einschränkungen der Grundrechte während der Corona-Pandemie gingen weit, aber gingen sie zu weit?

Verfassungsjuristen betonen, die Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen bemesse sich daran, wie lange sie aufrechterhalten werden. Auch hier geht es um eine Güterabwägung: auf der einen Seite das individuelle Recht des Einzelnen auf seine Grundrechte, auf der anderen Seite das Allgemeinwohl, in diesem Fall also die Gesundheit der Bevölkerung.

Drei Aspekte stehen dabei im Zentrum:

  • Sind die getroffenen Maßnahmen geeignet, um die Pandemie zu begrenzen?
  • Sind sie erforderlich – und
  • sind sie zumutbar?

Die letzte Frage dürfte die umstrittenste sein. Prominente Verfassungsjuristen betonen, dass die Bundesregierung bis an die rechtsstaatlichen Grenzen gegangen ist, aber eben nicht darüber hinaus. Sie befürchten jedoch auch, dass der Rechtsstaat Schaden nehmen könnte, falls die Einschränkungen länger als notwendig beibehalten werden.

Im November 2021 hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die sogenannte Corona-„Notbremse“ für verfassungsmäßig erklärt. Dabei ging es vor allem um die Schulschließungen vom Frühjahr 2021 und die Ausgangsbeschränkungen, die verhängt worden waren. Das alles habe zwar erheblich in unsere Grundrechte eingegriffen, so ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts, aber „in der konkreten Situation der Pandemie waren die Eingriffe zum Schutz vor großen Gefahren für Leben und Gesundheit gerechtfertigt“.

Wie schwierig viele dieser Fragen sind, sollen drei Beispiele verdeutlichen:

Beispiel 1: Wird beispielsweise die Einschränkung der Bewegungsfreiheit eines infizierten und damit ansteckenden Menschen aufgewogen durch die Tatsache, dass damit die Ansteckung anderer Menschen verhindert wird? Was hat hier also Vorrang: Der Schutz des Lebens und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (verbrieft in Art. 2 des Grundgesetzes), oder besteht die Möglichkeit, dass es durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Betroffene zu noch schwereren Verletzungen anderer Rechte kommt?

Beispiel 2: Wie weit darf staatlicher Zwang gehen angesichts Art. 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist? Dieser Artikel 1 ist ein ganz besonderes Grundrecht, weil es keine Ausnahmen zulässt. Aber wird nicht die Würde eines alten Menschen in einem Pflegeheim angetastet, wenn er in unfreiwilliger Isolation sterben muss, ohne von Angehörigen besucht werden zu können?

Beispiel 3: Die geplante allgemeinde Impfpflicht ist auch unter Verfassungsjuristen umstritten. Für ihre Grundrechtskonformität ist vor allem die konkrete Ausgestaltung maßgeblich. Die Beeinträchtigung durch eine solche Impfpflicht darf nicht unzumutbar sein und das aktuelle Infektionsgeschehen ist mit einzubeziehen. Eine allgemeine Impfpflicht gegen COVID-19 würde mehrere Grundrechte betreffen, beispielsweise das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2, Abs. 2 GG). Demgegenüber steht das Gemeinwohl, der Versuch, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern und der Schutz besonders vulnerabler Gruppen. Eine allgemeine Impfpflicht berührt aber auch Art 1. GG (Menschenwürde) oder Art. 6 GG, das elterliche Erziehungsrecht, sofern die Impfpflicht auch Minderjährige beträfe.

zu unserem Dossier „Corona-Impfpflicht – ja oder nein?“

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Rechtliche Grundlage

Die rechtliche Grundlage für die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG) als spezielles Gesetz zur Gefahrenabwehr. Die Krankheit COVID-19 gilt seit Februar 2020 als meldepflichtig. Liegen Infektionen vor, sind die Behörden ermächtigt, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dazu gehören unter anderem die Quarantänebestimmungen.

Das Infektionsschutzgesetz ist ein Bundesgesetz, sein Vollzug ist jedoch überwiegend Ländersache, auch wenn der Bund mit der sogenannten „Bundes-Notbremse“ im Frühjahr 2021 verstärkt Kompetenzen an sich gezogen hat. Um im bundesdeutschen Föderalismus für möglichst einheitliche Regelungen zu sorgen, wurden zunächst Bund-Länder-Vereinbarungen getroffen, etwa in Bezug auf die Schließungen von Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Spielplätzen, Einzelhandelsgeschäften, Kirchen usw. Letztendlich kamen aber doch unterschiedliche Verordnungen zustande, weil die Länder die Möglichkeit haben, befristet, begründet und unter der Vorgabe der Verhältnismäßigkeit mit eigenen Maßnahmen zu agieren.

Ob diese Vielfalt eine Stärke unseres politischen Systems ist (weil z. B. die Länderbehörden näher an den regionalen Problemen sind oder weil die Länder in einer gesunden Konkurrenz um die beste Lösung ringen) oder ob sie eher eine Schwäche des bundesdeutschen Föderalismus offenlegt („Flickenteppich“ und Verwirrung der Bevölkerung), wird kontrovers diskutiert. Einige der Schutzmaßnahmen wurden inzwischen wieder gelockert, aber dennoch gehen die deutschen Länder weiterhin unterschiedliche Wege bei den Corona-Schutzmaßnahmen.

Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG):
§ 28a Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)

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Grundrechte und Corona: Welche Grundrechte waren eingeschränkt?

Die folgenden in Art. 1 bis 19 im Grundgesetz (GG) verbrieften Grundrechte waren oder sind derzeit noch (teilweise) eingeschränkt. Die damit verbundenen Fragen sind höchst komplex und die Auflistung versteht sich eher beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.


Art. 2 Abs. 1 GG: Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Mit Quarantäneanordnungen, Vorgaben für Kontaktreduzierungen und anderen Maßnahmen greift der Staat in das Recht der Freiheit der Person ein, etwa wenn Großeltern oder Freunde nicht mehr besucht werden können. Auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist eingeschränkt, wenn beispielsweise Geschäfte oder Betriebe geschlossen werden müssen.


Art. 4 Abs. 1 und 2 GG: Religionsfreiheit
Die bundesweiten Versammlungsverbote griffen zu Beginn der Pandemie massiv und beispiellos in die Religionsfreiheit von Christen, Juden, Muslimen und anderen Religionsgemeinschaften ein. Jeder Gottesdienst gilt als öffentliche Versammlung, die nicht mehr oder nur eingeschränkt stattfinden konnte. Die Freiheit der Religionsausübung war damit eingeschränkt. Allerdings haben die Religionsgemeinschaften diesen Einschnitten selbst zugestimmt. Christen waren besonders über die Oster- und Weihnachtsfeiertage betroffen, Muslime während des Fastenmonats Ramadan, Juden beim Pessachfest. Inzwischen wurden die Regelungen stark gelockert.


Art. 8 GG: Versammlungsfreiheit
Die Bundesländer haben unterschiedliche Versammlungsverbote erlassen und greifen damit in die Versammlungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger ein. Dieses Grundrecht, das eng mit der Meinungsfreiheit verbunden ist, ist eines der zentralen Elemente eines freiheitlich-demokratischen Staates. Am 15. April 2020 hat allerdings das Bundesverfassungsgericht an den Wert des Grundrechts erinnert und in einem Beschluss deutlich gemacht, dass pauschale Verbote von Demonstrationen nicht verfassungskonform sind. Unter Einhaltung besonderer Schutzmaßnahmen (Höchstzahl von Teilnehmenden, Abstandsgebot usw.) und nach Einzelfallprüfungen können seither Demonstrationen wieder stattfinden.


Art. 11 Abs. 1 und 2 GG: Recht der Freizügigkeit
Manche Bundesländer haben zu Beginn der Pandemie die Einreise von Personen aus anderen Bundesländern verboten und damit das Recht auf Freizügigkeit praktisch außer Kraft gesetzt. Besonders drastisch waren dabei Fälle, bei denen etwa ein Besitzer einer Zweitwohnung in einem anderen Bundesland nicht in sein Eigentum konnte. Berührt war damit auch Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie), weil Bürgerinnen und Bürger nicht mehr frei über ihr Eigentum verfügen können. Auch die Schließung der europäischen Binnengrenzen war in vielerlei Hinsicht eine Einschränkung der Reise- und Bewegungsfreiheit. Damit war europäisches Recht berührt. Schrittweise wurden die Grenzschließungen wieder aufgehoben.


Art. 12, Abs. 1 GG: Berufsfreiheit
Dieser Grundgesetzartikel garantiert die freie Berufswahl und die freie Berufsausübung. Vor allem Letztere war durch die Schließung von nicht systemrelevanten Einzelhandelsgeschäften massiv eingeschränkt worden. Auch hier gibt es inzwischen weitreichende Lockerungen, aber eben auch ein Fortdauern der Beschränkungen in zahlreichen Bereichen wie Gastronomie, Hotellerie oder im Kulturbereich (Theater, Oper, Konzerte, Kinos usw.).


Art. 13 Abs. 1 GG: Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung
Mit entsprechender Ermächtigung kann ein Amtsarzt unter Anwendung von Zwang die Wohnung einer infizierten Person betreten. Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist damit beschränkt.

Darüber hinaus sind viele weitere elementare Rechte der Bürgerinnen und Bürger von den Corona-Maßnahmen betroffen. Vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz), das vom Bundesverfassungsgericht in den Achtzigerjahren entwickelt wurde, steht hier in der Diskussion, wenn es etwa um die Übermittlung von Mobilfunkdaten an das Robert-Koch-Institut oder um die Corona-Tracing-App geht.

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Corona-Pandemie – Stresstest für Rechtsstaat und Demokratie

Kein Zweifel: Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest für Rechtsstaat und Demokratie. Anders aber als etwa in Ungarn wurde in der Bundesrepublik deswegen nicht der Notstand ausgerufen. Zwar wurden in den 1960er Jahren Notstandgesetze für besondere Fälle der Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie eines bewaffneten Angriffs ins Grundgesetz aufgenommen (Art. 91 und 115 GG). Auf die Corona-Pandemie sind diese Bestimmungen aber nicht anwendbar.

Insgesamt hat Deutschland gezeigt, dass der Rechtsstaat auch in der Krise funktioniert. Die Schutzmaßnahmen rund um COVID-19 haben die gerichte massiv beschäftigt und werden dies auch weiterhin tun mit Tausenden von Eilanträgen und Klagen bei deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgerichten, die im Zusammenhang mit den Einschränkungen in der Corona-Pandemie stehen. In vielen Fällen haben die Gerichte die freiheitsbeschränkenden Eingriffe und die erlassenen Ordnungsmaßnahmen als rechtmäßig beurteilt. Allerdings mahnen die Gerichte auch eine stärkere Betrachtung der jeweiligen Einzelfälle an.

Die öffentliche Diskussion über die Corona-Einschränkungen beinhaltet schwierige Themen wie beispielsweise die Absolutsetzung des Lebensschutzes, die der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Ende April 2020 angeregt hat. Letztlich wird sich die Frage stellen, was die Corona-Krise im Balanceakt von Freiheit und Sicherheit längerfristig für unsere liberale Demokratie bedeutet.

„Der Rechtsstaat hat eine Doppelfunktion als Garant der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und der Gewährleistung ihrer Sicherheit mittels des staatlichen Gewaltmonopols auf der anderen Seite.
Ein Rechtsstaatsverständnis, das einseitig von der Gewährleistung von Sicherheit und nicht zugleich von der Freiheitsidee beherrscht wird, würde den Rechtsstaat preisgeben.
Der Staat und seine Gesetzgebung haben eine angemessene Balance von Freiheit und Sicherheit herzustellen. Weder die Forderung nach einer besseren Klimaschutzpolitik noch die aktuellen Notmaßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung rechtfertigen die Aufgabe der Freiheitsrechte zugunsten eines Obrigkeits- und Überwachungsstaates. Der Staat muss und darf diese wichtigen Schutzgüter wie Klima sowie Gesundheit und Leben der Bevölkerung nur mit den Mitteln des Rechtsstaates sichern. Insofern stellt die Corona-Pandemie sicherlich eine Herausforderung und einen Test für die rechtsstaatliche Demokratie dar.“

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, in einem Interview mit Focus Online am 26. März 2020

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Quellen und Debattenbeiträge

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Informationen der Landeszentrale rund um Corona

Die Folgen der Corona-Krise

Wie verändert sich unser Alltag durch die Pandemie?

Das Grundgesetz und die Corona-Pandemie

Welche Einschränkung ist verhältnismäßig?

Coronavirus - COVID 19

Die Pandemie in Deutschland und Baden-Württemberg

Tracing-App gegen COVID-19

Wie funktioniert die technische Corona-Pandemiebekämpfung?

Corona-Impfpflicht - ja oder nein?

Positionen für und gegen eine allgemeine Impfpflicht

Die EU und die Covid-19-Pandemie

Eine existentielle Krise und die Frage nach Zusammenhalt und Solidariät

Corona in den USA

Die Auswirkungen der Pandemie auf den US-Wahlkampf

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Internetredaktion der LpB | Letzte Aktualisierung: Februar 2022

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