Demokratie in der Krise?

Was läuft schief und wie können wir die Demokratie verbessern?

„Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“

Winston Churchill, britischer Premierminister während des Zweiten Weltkriegs, meinte mit diesem Satz: Die Demokratie ist nicht perfekt, aber sie ist die beste Staatsform, die wir haben. Immer öfter ist in den Medien die Rede von einer „Krise der Demokratie". Was genau ist mit diesem Begriff gemeint? Ist die Demokratie wirklich in einer Krise? Und wie kann sie verbessert werden?

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Erklärvideo: Demokratie in Deutschland in der Krise?

Kurz & knapp: Symptome der Krise

Warum spricht man von der Krise der Demokratie?

Mehrere Punkte sprechen dafür, dass die Demokratie in einer Krise steckt:

  1. der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien,
  2. die tendenziell sinkende Wahlbeteiligung,
  3. das abnehmende Vertrauen in das politische System,
  4. antidemokratische Positionen in der Mitte der Gesellschaft, 
  5. der Machtverlust der Parlamente.

Die folgenden Abschnitte erklären diese Punkte detaillierter.

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Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien

Als Hauptgrund für eine „Krise der Demokratie" wird häufig die in den vergangenen Jahren wachsende Zustimmung für rechtspopulistische Parteien und Politiker in der Bevölkerung herangezogen. Diese langfristige Entwicklung lässt sich in vielen Ländern Europas beobachten. Vor allem in Ungarn und Polen haben die Regierungen seit der Machtübernahme populistischer Parteien die Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt. Mit der FPÖ in Österreich, Geert Wilders und der „Partei für die Freiheit“ in den Niederlanden und dem „Front National“ in Frankreich sind rechtspopulistische Parteien in einigen deutschen Nachbarländern auf dem Vormarsch. Selbst die Länder Skandinaviens, die lange als Musterbeispiele für Demokratie und Sozialstaat galten, erlebten den Einzug rechtspopulistischer Parteien in die Parlamente und teilweise auch in die Regierung.

Allerdings scheint zumindest in Deutschland die Zustimmung rechtspopulistischer Parteien wieder abzunehmen. Bei der Bundestagswahl im September 2021 und bei den Landtagswahlen 2021 in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verlor die AfD teils deutlich an Stimmen.

Exkurs: Gefährdet Populismus die Demokratie?

 Warum sind die demokratische Regierungsform und der populistische Politikstil so schwer vereinbar? Dieser Frage geht diese Seite nach.

Hintergrund: Rechtspopulismus in Osteuropa

Besonders beunruhigend mit Blick auf das Fortbestehen der Demokratie sind die Entwicklungen in Osteuropa, insbesondere in Ungarn und Polen. Hier regieren seit Jahren rechtspopulistische Parteien. In Polen hat das zum Beispiel zu Einschränkungen der Pressefreiheit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Grundrechte insbesondere für sexuelle Minderheiten geführt.

In Ungarn setzte die Fidesz-Partei unter der Führung von Victor Orbán verschiedene Verfassungsänderungen durch, die unter anderem die Macht des Verfassungsgerichtes einschränkten und das Wahlrecht zugunsten der Regierungspartei veränderten. Damit sind besonders in Ungarn tatsächlich Entwicklungen zu beobachten, die nicht mehr mit demokratischen Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung vereinbar sind.

Hintergrund: Linkspopulismus in Südeuropa

Auch in Südeuropa breitet sich der Populismus aus. Dort ist es aber vor allem der Linkspopulismus. Er ist in denjenigen Ländern besonders erfolgreich, die stark von der Finanzkrise 2007 /08 betroffen waren. Dazu gehören Griechenland, Spanien und auch Italien, wo 2018 für eineinhalb Jahre sogar eine Regierungskoalition aus Rechts- und Linkspopulisten an der Macht war. 

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Sinkende Wahlbeteiligung

Ein weiteres Indiz für eine Krise der Demokratie ist die tendenziell sinkende politische Beteiligung. Besonders häufig dient die geringe Wahlbeteiligung als Argument für eine abnehmende politische Partizipation. Während bei der Bundestagswahl 1972 noch 91,1 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben, lag die Beteiligung 2017 bei 76,2 Prozent. Bei den beiden Bundestagswahlen zuvor war sie noch niedriger. Fast ein Viertel der Wahlberechtigten machte 2017 keinen Gebrauch von ihrem Wahlrecht. Bei Landtags- und insbesondere bei Kommunal- und Europawahlen ist die Wahlbeteiligung noch geringer als bei Bundestagswahlen. In anderen Ländern Europas ist der Anteil der Nichtwählerinnen und -wähler sogar deutlich höher.

Mangelnde Beteiligung bei Wahlen ist häufig ein Indiz für Kritik am demokratischen System oder Politikverdrossenheit. 

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Abnehmendes Vertrauen in das politische System

Bevölkerungsumfragen ergeben, dass das Vertrauen in die Demokratie abnimmt. Viele Menschen äußern Skepsis oder fehlendes Vertrauen in Staatsorgane und staatliche Institutionen wie Parlamente, Regierungen und Gerichte. Die Friedrich-Ebert-Stiftung fragte in ihrer Studie „Vertrauen in die Demokratie" beispielsweise, wie viel Vertrauen die Befragten Institutionen und Organisationen entgegenbringen:

  • Rund 60 Prozent der Befragten gaben an, wenig bis gar kein Vertrauen in die Bundesregierung zu haben.
  • Knapp 80 Prozent der Befragten schenkten Parteien wenig bis gar kein Vertrauen. 

Die Befragten haben das Gefühl, sie könnten nicht richtig mitwirken und ihre Meinung werde nicht beachtet. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass verschiedenen Umfragen zufolge mehr als die Hälfte der Deutschen mit der Demokratie wenig oder gar nicht zufrieden ist. Außerdem stimmen einige Befragte Aussagen zu, die nicht zum Ideal einer liberalen und pluralistischen Demokratie passen. In der „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung 2018/19 waren zum Beispiel 36 Prozent der Befragten der Meinung, man könne im nationalen Interesse nicht allen Menschen die gleichen Rechte gewähren.

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Verlorene Mitte: Antidemokratische Positionen in der Gesellschaft

Die rechtsextremistischen Attentate von Halle und Hanau reihen sich in die Liste furchtbarer Anschläge von Utøya, El Paso bis Christchurch ein. In all diesen Anschlägen zeigt sich die Verachtung von Würde und Gleichwertigkeit von Menschen in extremster Form.

Die Attentäter beziehen sich auf einen Mix an Ideologien, der fundamentale Werte der Demokratie in Frage stellt und zum Teil gezielt existierende Demokratien zerschlagen will. Ihrer verdrehten Ideologie nach dient der Angriff auf Minderheiten dem Ziel, einen „Kampf der Kulturen" anzuzetteln und größtmögliches Chaos anzurichten. Daraus soll eine neue, alte Ordnung der „White Supremacy" mit klaren Wertigkeiten und Hierarchien entstehen, in dem konstruierte Kategorien wie „Völker" eine Rolle spielen, aber auch beispielsweise Männer über anderen Geschlechtern stehen sollen. Auffällig viele Täter fallen nicht nur durch extremen Rassismus, Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus, sondern auch durch Frauenhass auf.

Aber das sind ja nur extreme Ausnahmen - oder? Die beiden Soziologen Beate Küpper und Andreas Zick untersuchen in den „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung regelmäßig die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Die große Mehrheit befürwortet demnach die Demokratie als Staatsform und positioniert sich offensiv demokratisch. Doch Küpper und Zick kommen zu einem ernüchternden Urteil: „Zugleich vertritt aber ein nicht unerheblicher Anteil derselben Befragten ebenso antiplurale Einstellungen, die zumindest von einem illiberalen Verständnis von Demokratie und von Vorstellungen der Ungleichwertigkeit diverser Bevölkerungsgruppen zeugen. Eine nicht ganz kleine Minderheit vertritt sogar deutlich antidemokratische bis hin zu rechtsextremen Positionen." Ihr Fazit:

„Ein Teil der Mitte scheint seinen demokratischen Kompass zu verlieren."

zum Aufsatz: Verlorene Mitte? (Anti-)demokratische und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 

Was ist Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, kurz GMF, ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff, der abwertende und ablehnende Einstellungen gegenüber Personen oder Personengruppen zusammenfasst. 

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Extremismus

Definition, Begriffskritik, Alternativen, Ausprägungen

Politik, Medien und Behörden verwenden den Begriff Extremismus unterschiedlich. Eine einheitliche Definition gibt es nicht, aber eine Gemeinsamkeit: Extremismus lehnt unseren demokratischen Verfassungsstaat und seine Werte ab.

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Hintergrund: Die Gefahr der politisch motivierten Gewalt

Das Bundeskriminalamt erfasste im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik jährlich ein Vielfaches mehr an allgemeinen Gewalttaten als politisch motivierte Kriminalität. Die hohe öffentliche Aufmerksamkeit, die politisch motivierte Gewalttaten vielfach erfahren, erklärt sich meist weniger aus ihren demokratiegefährdenden Wirkungen als aus der Angst vor unbekannten Risiken, dem Mitleid mit den Opfern und der Empörung über die damit verbundene Verletzung der demokratischen Gesellschaft und ihrer fundamentalen Werte.

Fatalerweise erreichen Terroristen ihre Ziele (Destabilisierung durch Angst und Schrecken) umso eher, je höher die Wogen der Erregung schlagen. Die Bluttaten eines offenbar psychopathischen Fremdenhassers in Hanau (Februar 2020) und der islamistische Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz (Dezember 2016) forderten, so sehr sie sich in der Motivation der Täter und der Art der Tatausführung auch unterschieden, eine ähnlich hohe Zahl von Todesopfern. Sie lösten mediale Erregungswellen aus, die bei vielen Bürgern den Eindruck erweckten, Staat und Gesellschaft seien in ihren Grundfesten erschüttert. Zwar geht von kalkulierten politischen Mordtaten eine gravierende Herausforderungen für die innere Sicherheit und erhebliche Gefahren für Leib und Leben exponierter Zielgruppen aus, der Konsolidierungsstand des demokratischen Verfassungsstaates wird durch sie unmittelbar aber weit weniger gefährdet als medial oftmals dargestellt.

Weitere Informationen bietet der Artikel von Uwe Backes:
Politisch motivierte Gewalt: Gefahrenpotentiale, Wechselwirkungen und  Interaktionen

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Machtverlust der Parlamente: Schieflage zugunsten der Exekutive

Nicht nur der Blick auf die Bürgerschaft liefert Hinweise auf eine Krise der Demokratie. Bei der Betrachtung demokratischer Prozesse kommt oftmals der Kritikpunkt auf, es gebe eine Schieflage zugunsten der Exekutive. Die Regierung habe also zu viel Macht im Vergleich zum Parlament (der Legislative). Statt Gesetzesvorschläge im Bundestag mit allen Fraktionen zu diskutieren, würden die Vorschläge im kleinen Kreis von Regierungsmitgliedern ausgehandelt und im Parlament nur noch formal „durchgewunken”.

Auch internationale Organisationen und Staatenbünde führen dazu, dass nationalen und regionalen Parlamenten immer weniger Macht zugesprochen wird. Ein Beispiel: In der Europäischen Union erfolgen zentrale Vorgaben durch den Europäischen Rat. Dieser besteht aus Vertertungen der nationalen Regierungen. Das demokratisch gewählte Europäische Parlament hat dagegen weniger Macht und auch die nationalen Parlamente haben kaum Mitspracherecht bei Beschlüssen, die auf internationaler Ebene getroffen werden.

Aber nicht nur die Politik wird zunehmend internationaler, sondern auch die Wirtschaft. Globale Konzerne gewinnen an Bedeutung und ihre wirtschaftliche Macht spielt auch auf der politischen Ebene eine Rolle. Beziehungen zwischen Konzernen und Staaten sowie Staaten untereinander werden dadurch komplizierter und schwerer durchschaubar. Außerdem erschwert diese Entwicklung die sozialstaatliche Lenkung der Wirtschaft. Populistische Parteien bieten Menschen, die sich deshalb von der Politik vergessen fühlen, politische Alternativen an. Insbesondere Rechtspopulisten kritisieren nicht nur die Eliten, sondern sprechen sich auch für eine nationale Abschottung und gegen Globalisierung aus.
 

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Die Ursachen antidemokratischer Tendenzen

Eine Spurensuche

Es scheint, als drohe der Demokratie tatsächlich an einigen Stellen Gefahr. Vor allem das Aufkommen populistischer Bewegungen und Parteien wird als Indiz dafür gesehen. Aber wie entstehen solche Entwicklungen? Woher kommen Politikverdrossenheit und die Unterstützung populistischer Positionen? Eine Spurensuche.

Fehlende Repräsentation

Eine mögliche Antwort ist, dass der Krise der Demokratie eine „Repräsentationskrise“ vorausgegangen ist, die noch immer anhält. In einer fragmentierten Gesellschaft können die älteren Parteien nach dieser Erklärung die zunehmend individueller werdenden Meinungen nicht mehr integrieren. Die Parteien spiegeln außerdem nur unzureichend die Vielfalt der Gesellschaft wider. Erstens können Menschen dadurch das Interesse an Politik verlieren, zweitens bieten die nicht bearbeiteten Themen und Positionen Platz für populistische Kräfte, die so ins politische System einsteigen können.

Andererseits: Nicht erst seit dem Aufkommen des Populismus differenziert sich die Parteienlandschaft in Deutschland aus. Während bis 1980 selten mehr als drei Parteien im Bundestag vertreten waren, sind es seit der Bundestagswahl 2017 sechs Parteien, die die Sitze im Parlament unter sich aufteilen. Eigentlich ist die Repräsentation unterschiedlicher Meinungen also gewachsen.

Doch die erhöhte Parteienzahl im Bundestag führt zu neuen Problemen: Zwar ist eine breite Repräsentation der Positionen etwas Positives im Sinne einer pluralistischen Demokratie, in der alle Meinungen gehört werden sollen, doch sie erschwert aufgrund der gewachsenen Anzahl an Parteien die Regierungsbildung. Wie die Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl 2017 gezeigt hat, fällt der Umgang mit ungewohnten Mehrheitsverhältnissen den Parteien schwer. Das hat zur Folge, dass die Wählerschaft kaum vorhersehen kann, was nach der Wahl passieren wird und was sie mit ihrer Stimme bewirken wird. Die Folgen der eigenen Wahlentscheidung werden unvorhersehbarer.

Intransparente Politik

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Diskussionen in der Politik nicht ausreichend öffentlich stattfinden. Stattdessen habe sich die Vorstellung durchgesetzt, dass man der Bevölkerung Konsens und fertige Einigungen präsentieren sollte, um keine Kontroversen zu riskieren. Tatsächlich könnte die Wirkung aber genau umgekehrt sein: Wenn immer nur fertige Entscheidungen präsentiert werden, kann die Bürgerschaft das Gefühl bekommen, ihre Meinung würde im Entscheidungsprozess nicht gehört oder berücksichtigt. Auch das kann zu Unmut gegenüber der Politik und demokratischen Prozessen führen. Darüber hinaus wird den Parteien bisweilen vorgeworfen, ihre Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft nicht mehr ausreichend zu erfüllen.

Fehlendes Vertrauen in Medien

Außerdem könnte das sinkende Vertrauen in die Medien ein Grund für ein sinkendes Vertrauen in den Staat und die Demokratie sein. Hier spielen natürlich „Fake News“ eine Rolle, aber auch die Tendenz vieler großer Medienhäuser, Unterhaltung und Emotionen anstelle von sachlichen Informationen vermitteln zu wollen. Auch der Fokus auf Personen in der politischen Berichterstattung anstatt der Inhalte, die sie vertreten, wird zunehmend zum Problem, da sie die täglichen demokratische Errungenschaften in den Parlamenten und Regierungen in den Hintergrund rücken lassen.

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Was spricht gegen eine Krise der Demokratie?

Die bisherigen Aspekte beschäftigten sich mit Befunden, die für eine Krise der Demokratie sprechen. In der Mehrheit vermeiden Politikwissenschaftler diese harte Formulierung und bemängeln auch, dass sie – vor allem in den Medien – so oft verwendet wird, denn es spricht auch einiges gegen eine Krise.


Die Zufriedenheit mit der Demokratie schwankt
Bei der Zufriedenheit mit der Demokratie ist beispielsweise kein einheitlicher Rückgang erkennbar. Stattdessen zeigt sich bei der Betrachtung über einen längeren Zeitraum hinweg, dass es immer wieder Schwankungen und Phasen mit höheren und Phasen mit niedrigen Werten gab. Außerdem kritisieren in Umfragen zwar relativ viele Menschen, wie die Demokratie in Deutschland aktuell funktioniert. Gleichzeitig ist es den allermeisten Menschen aber wichtig, in einer Demokratie zu leben. 


Politische Partizipation hat sich verändert
Die relativ große Unzufriedenheit mit dem formalen Aufbau und den Institutionen der Demokratie könnte ein Grund für die abnehmende Wahlbeteiligung sein. In einer Demokratie stehen den Menschen aber auch andere Möglichkeiten offen, über die sie sich an der Politik beteiligen können. Und tatsächlich zeigt sich, dass sich insbesondere jüngere Menschen verstärkt auf anderen Wegen an der Politik beteiligen: zum Beispiel bei Demonstrationen oder über das Internet. Ein Rückgang der Wahlbeteiligung ist also nicht pauschal mit einem Rückgang der Partizipation gleichzusetzen.


Gute Demokratienoten für Deutschland
Aber natürlich wird auch in der Wissenschaft nicht nur die Wählerschaft betrachtet. Auch für die angesprochene „Schieflage zugunsten der Exekutive“ gibt es wenig auf Zahlen basierende Hinweise. Außerdem betrachten Fachleute zum Beispiel das Machtverhältnis verschiedener Institutionen und bewerten, ob Wahlen wirklich frei und gleich durchgeführt werden. Mehrere dieser Merkmale werden zu sogenannten Demokratie-Indizes zusammengefasst, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Länder gelten aber nicht einfach als demokratisch oder undemokratisch, sondern werden in verschiedene Abstufungen eingeteilt. Deutschland schneidet in allen Indizes regelmäßig gut ab. Perfekte Demokratien sind sehr selten, aber von einer Krise kann man deshalb nicht sprechen. 


Die Demokratie ist wehrhaft
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist – insbesondere in Deutschland – die sogenannte Wehrhaftigkeit der Demokratie. Oft wird das Scheitern der Weimarer Republik als mahnendes Beispiel herangezogen. Aufgrund der Erfahrungen, die in Deutschland vor und während des Nationalsozialismus gemacht wurden, bauten die Mütter und Väter des Grundgesetzes zahlreiche Hürden ein, die eine erneute (Selbst-)Abschaffung der Demokratie mit demokratischen Mitteln verhindern sollen:

  • Dazu gehört zum Beispiel die Fünfprozenthürde, die eine allzu starke Zersplitterung des Parlaments verhindern soll.
  • Gleichzeitig sorgt das Verhältniswahlsystem dafür, dass meistens nicht eine Partei alleine regieren kann, sondern Koalitionen gebildet werden müssen.
  • Außerdem wird die Bundesregierung durch den Bundestag, Bundesrat, den Bundespräsidenten und das Bundesverfassungsgericht kontrolliert und in ihrer Macht eingeschränkt. Man spricht auch von „checks and balances“, also von Gewaltenteilung und -verschränkung.
     

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Ist die Demokratie in der Krise?

Eine eindeutige Antwort auf diese Frage ist schwierig. In den letzten Jahren lassen sich durchaus Entwicklungen beobachten, die die Demokratie auf lange Sicht bedrohen können. Dazu gehört vor allem der Aufstieg populistischer Parteien.

Aber es gibt auch positive Entwicklungen, die zeigen, dass den Menschen die Demokratie wichtig ist und sie sich nach wie vor am politischen Prozess beteiligen wollen – wenn auch nicht unbedingt auf dem klassischen Weg des Wahlvorgangs. Es kommt also darauf an, an welchen Indizien man das Funktionieren der Demokratie misst. Gerade viele Medien konzentrieren sich eher auf die negativen Aspekte und kommen so zu einem vorschnellen Urteil.

In der Wissenschaft ist man mit solchen Schlussfolgerungen vorsichtiger. Wenn man verschiedene Indikatoren und größere Zeiträume untersucht, zeigen sich eher trendlose Schwankungen. Zusätzlich wird der Begriff der „Krise“ kritisiert. Trotzdem können Bürgerschaft und Regierende einiges tun, um die Demokratie zu verbessern und krisenfester zu machen. 

Pro und Kontra: Demokratie in der Krise?

Was spricht dafür...

  • Zustimmung für populistische Parteien, die undemokratische Positionen vertreten.
     
  • Relativ geringe politische Beteiligung, insbesondere niedrige Wahlbeteiligung.
     
  • Geringe Unterstützung des politischen Systems: Menschen sind unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie (in Deutschland).
     
  • Zustimmung zu Aussagen, die nicht zu demokratischen Grundwerten passen (z. B. „Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren.“).
     
  • Schieflage zugunsten der Exekutive: Regierungen haben zu viel Macht im Vergleich zu Parlamenten.
     
  • Durch Globalisierung von Politik und Wirtschaft verlieren nationale, gewählte Parlamente und Regierungen an Einfluss.

Was spricht dagegen...

  • Kein einheitlicher Rückgang in der Zufriedenheit mit der Demokratie erkennbar, stattdessen eher trendlose Schwankungen, die es in der Geschichte immer wieder gegeben hat.
     
  • Den meisten Menschen ist es wichtig, in einer Demokratie zu leben.
     
  • Insbesondere junge Menschen nutzen verstärkt andere Mittel als Wahlen, um sich politisch zu beteiligen.
     
  • Die gleichzeitige Betrachtung mehrerer Faktoren durch sogenannte Demokratie-Indizes zeigt für Deutschland keine Gefährdung der Demokratie.
     
  • Die deutsche Demokratie ist als „wehrhafte“ Demokratie mit Gewaltenteilung und -verschränkung angelegt, um ihre Selbstabschaffung zu verhindern.

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Podcast

Unsere gefährdete Demokratie

Wie umgehen mit Hass und Hetze gegen Amtsträger und ehrenamtlich Engagierte? Mitschnitt der Gesprächsrunde vom 2. Februar 2022. Im Gespräch: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein Westfalen, Muhterem Aras MdL, Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, und Gabriele Zull, Oberbürgermeisterin von Fellbach. Moderation: Sibylle Thelen und Reinhold Weber (LpB Baden-Württemberg).

Weitere Informationen

Blick in die Welt

Während lange davon ausgegangen wurde, dass die westliche Demokratie und ihre Grundwerte wie Freiheit und Gleichheit sich nach und nach weltweit durchsetzen werden, lassen Beispiele wie Ungarn und Polen Zweifel aufkommen. Sie entwickeln sich in die Richtung sogenannter „defekter Demokratien“, in denen zwar Wahlen stattfinden, in anderen Bereichen aber demokratische Grundsätze klar verletzt werden. Prominente Beispiele sind auch die Türkei und Russland, die von gewählten Präsidenten regiert werden, die allerdings autoritär handeln.

Besonders große Sorgen bereiten vielen Beobachtern die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, der ältesten Demokratie der Welt. Mit Donald Trump wurde dort 2016 ein Rechtspopulist zum Präsidenten gewählt, der sich im Wahlkampf klar gegen demokratische Ideale positionierte. Während seiner Präsidentschaft konnte er durch Dekrete auch ohne Zustimmung des Parlamentes Gesetze erlassen. Seine frühzeitige Ankündigung, den Ausgang der Wahl nicht akzeptieren zu wollen, sollte er verlieren, unterstrich erneut die generelle Ablehnung grundlegender demokratischer Prinzipien. Die Situation eskalierte am 6. Januar 2021 mit dem „Sturm auf das Kapitol“, bei dem mehrere hundert Trump-Anhänger gewaltsam ins Kongressgebäude eindrangen. Dort tagten zu diesem Zeitpunkt Senat und Repräsentantenhaus gemeinsam, um formal den Wahlsieg von Joe Biden, Trumps demokratischem Herausforderer und Wahlsieger 2020, zu bestätigen. Nationale und internationale Politikerinnen und Politiker, Medien und Interessierte auf der ganzen Welt reagierten bestürzt. Polizei und Nationalgarde konnten die Situation nach mehreren Stunden entschärfen. Die Aufarbeitung könnte aber noch lange dauern und die Folgen für das US-amerikanische Demokratieverständnis sind noch nicht absehbar.

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Dossier: Populismus und Demokratie

Was ist Populismus und passt er in eine Demokratie? Ist Populismus gefährlich für die Demokratie? Warum sind die demokratische Regierungsform und der populistische Politikstil so schwer vereinbar? Darüber informiert unser Dossier.

Populismus und Demokratie

Dossier: Wehrhafte Demokratie

Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist immer wieder aufs Neue herausgefordert. Mit den Instrumenten einer wehrhaften Demokratie versucht der Staat, diese Ordnung zu verteidigen. Was bedeutet wehrhafte Demokratie konkret? Das Dossier gibt einen Überblick und liefert Anwendungsbeispiele der wehrhaften Demokratie. 

Wehrhafte Demokratie

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Basierend auf einem Text von Finja Gilles, überarbeitet durch die Internetredaktion in Zusammenarbeit mit der Außenstelle Heidelberg.
Letzte Aktualisierung: Oktober 2023, Internetredaktion LpB BW

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