Wählen ab 16 in Baden-Württemberg (Archiv)

Erstmals haben in Baden-Württemberg rund 200.000 16- und 17-Jährige bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 wählen dürfen. Das Kabinett der grün-roten Landesregierung hatte am 6. November 2012 eine Änderung des Kommunalwahlrechts beschlossen, nach der das Mindestwahlalter bei kommunalen Wahlen von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden soll. Am 7. März 2013 hatte die Landesregierung den Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, am 11. April 2013 wurde das Gesetz vom Landtag mit grün-roter Mehrheit verabschiedet. Die Oppositionsfraktionen CDU und FDP kritisierten die Pläne als parteitaktisch motiviert.

Kommunalwahlen sind die politischen Wahlen in Städten, Gemeinden und Landkreisen. Die Einzelheiten der Wahlen sind in den jeweiligen Landes- und Kommunalwahlgesetzen geregelt, für die die Bundesländer zuständig sind.

Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg haben in kommunalpolitischen Angelegenheiten bedeutenden Einfluss, denn sie entscheiden unmittelbar, wer Bürgermeister wird (Plebiszit); sie haben mittels Panaschieren und Kumulieren einen stärkeren Einfluss darauf, wer in den Gemeinderat kommt. Traditionell ausgeprägt sind in Baden-Württemberg auf kommunaler Ebene außerdem die "Elemente direkter Demokratie", ein bestimmtes Quorum der Bürger kann eine Bürgerversammlung erzwingen, das Bürgerbegehren, das einen Bürgerentscheid einleitet, gehört zum traditionellen Instrumentarium direkt-demokratischer Willensbildung.

Durch die von der grün-roten Landesregierung durchgeführte Gesetzesänderung des Kommunalwahlrechts können die Jugendlichen im Alter von 16 - 18 Jahren in Baden-Württemberg die Besetzung von Gemeinderäten, Kreistagen, dem Verband Region Stuttgart und dem Amt des Bürgermeisters mitbestimmen. Außerdem haben die Jugendlichen das Recht erhalten, an Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden und Bürgerversammlungen teilzunehmen, also an Verfahren der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene. Allerdings könnten die Jugendlichen künftig auch zu ehrenamtlicher Mitarbeit, etwa als Wahlhelfer, in ihrer Gemeinde herangezogen werden.

Die Absenkung des Wahlalters betrifft nur das aktive Wahlrecht. Das Recht sich zur Wahl aufstellen zu lassen, also das passive Wahlrecht, erhält man weiterhin erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Allerdings können sich Jugendliche in den Jugengemeinderat ihrer Gemeinde wählen lassen.

Jugendliche sollen aber nicht nur wählen dürfen, sondern auf kommunaler Ebene mehr Verantwortung bekommen. Ein neuer Gesetzentwurf der Landesregierung sieht eine Änderung der Gemeindeordnung vor: Jugendliche sollen einen Jugendgemeinderat in ihrer Gemeinde beantragen können, sofern es noch keinen gibt. Derzeit sieht die Gemeindeordnung für Baden-Württemberg §41a vor, dass eine Gemeinde „einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten kann", aber nicht muss. Außerdem sollen Jugendgemeinderäte verbindliche Rede- und Antragsrechte im Gemeinderat haben.

Drucksache 15 / 3360 11.04.2013

Gesetzesbeschluss des Landtags

Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und gemeindehaushaltsrechtlicher Vorschriften

Artikel 1
Änderung der Gemeindeordnung
Die Gemeindeordnung in der Fassung vom 24. Juli 2000 (GBl. S. 582, ber. S. 698), zuletzt geändert durch Artikel 28 der Verordnung vom 25. Januar 2012 (GBl. S. 65, 68), wird wie folgt geändert:

1. § 12 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe „18. Lebensjahr“ durch die Angabe „16. Lebensjahr“ ersetzt.

....

Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und gemeindehaushaltsrechtlicher Vorschriften


Die Neuwählerinnen und -wähler in Baden-Württemberg werden so mit dem Schwierigsten anfangen, was das deutsche Wahlrecht zu bieten hat: Bei einer Landtagswahl hat man in Baden-Württemberg eine Stimme, bei der Bundestagswahl sind es schon zwei. Bei der Gemeinderatswahl z.B. in Stuttgart hat man plötzlich 60 Stimmen und mehrere Stimmzettel, die Wählerinnen und Wähler können kumulieren, d.h. bis zu drei Stimmen einem Kandidaten geben und panaschieren, d.h. Kandidaten aller Listen mischen.

Andererseits beeinflusst die Kommunalpolitik das Umfeld von Jugendlichen direkt, ohne dass sie bisher Einfluss auf die Wahl ihrer Gemeindevertreter hatten. Die Gemeinderäte entscheiden über Freizeitangebote, über Jugendhäuser, Schulen und über Angebote im öffentlichen Nahverkehr, alles Entscheidungen, die die Jugendlichen direkt betreffen. Bisher war es so, dass bei einem Wahlrhythmus von fünf Jahren manche erst im Alter von 23 Jahren zum ersten Mal an Kommunalwahlen teilnehmen können. Dadurch wurde es versäumt, junge Menschen mit Wahlen in das demokratische System einzubinden.

Landtag von Baden-Württemberg
Plenarprotokoll 62. Sitzung
Stuttgart, Donnerstag, 7. März 2013, Haus des Landtags
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung
– Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und gemeindehaushaltsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 15/3119

Plenarprotokoll 65. Sitzung
Stuttgart, Donnerstag, 11. April 2013, Haus des Landtags
Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung
– Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und gemeindehaushaltsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 15/3119
Beschluss

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Baden-Württemberg ist bei Weitem nicht das erste Bundesland, das das Mindestalter für Kommunalwahlen senkt. Bereits in sieben Bundesländern ist für 16-Jährige die aktive Teilnahme an Kommunalwahlen möglich: in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt sowie in Schleswig-Holstein. In Bremen, Brandenburg und Hamburg können 16-Jährige auch bei Landtagswahlen wählen gehen. Österreich hat 2007 als einziges Land in der EU das aktive Wahlalter bei allen Wahlen auf 16 herabgesenkt.

Eine Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen ist in Baden-Württemberg zur Zeit nicht geplant. Die grün-rote Regierung hat sich dieses Vorhaben zwar in den Koalitionsvertrag geschrieben, doch dafür wäre eine Änderung der Landesverfassung notwendig. Die Landesverfassung kann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag geändert werden. Die Regierung bräuchte also die Zustimmung der Opposition, bestehend aus CDU und FDP. Beide Parteien haben sich klar gegen eine solche Änderung ausgesprochen.

Auch die Änderung des Kommunalwahlrechts wird von der schwarz-gelben Opposition im Landtag kritisiert. Das Vorhaben diene allein parteitaktischen Zielen, weil sich Bündnis 90/Die Grünen und SPD, nach Meinung der CDU und der FDP, mehr Wählerstimmen von jungen Menschen erhoffen würden. Mit der Neuerung hebe Grün-Rot den bewährten und über allen Wahlen getragenen Grundsatz auf, dass das Wahlrecht mit der Volljährigkeit komme. Es gebe andere Wege, Jugendliche am politischen Geschehen zu beteiligen, auch ohne eine niedrigeres Wahlalter, z.B. Versammlungen und Anhörungen.

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ERSTWÄHLERKAMPAGNE „WÄHLEN AB 16“:
VERANSTALTUNGEN FÜR JUGENDLICHE



Im Rahmen einer Erstwählerkampagne zur Kommunalwahl bietet die
Landeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Landesjugendring, der Baden-Württemberg Stiftung und anderen Bündnispartnern in allen vier Regierungsbezirken des Landes von März bis Mai 2019 vielfältige Informationsveranstaltungen, Events und Aktionstage an. Die Angebote werden von geschulten Referentinnen und Referenten durchgeführt und richten sich an Kommunen, Schulen, Verbände und außerschulische Bildungseinrichtungen. Begleitend zur Kampagne werden außerdem Arbeitsmaterialien und Argumentationshilfen für Multiplikatoren und Unterrichtsmaterialien für Schulen zur Verfügung gestellt, um über die Thematik zu informieren und Jugendliche zu motivieren.

www.waehlenab16-bw.de
www.facebook.com/erstewahl.lpb
www.youtube.com/user/waehlenab16

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Stimmen zur Absenkung des Wahlalters

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, Ziel des Gesetzesentwurfs sei es, Jugendliche an die Politik heranzuführen und dafür zu sorgen, dass sie "mitbestimmen und mitwirken können an der Politik". Kretschmann erklärte des Weiteren, durch die Senkung des Wahlalters bekämen Jugendliche künftig mehr Einfluss auf die Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes.

Innenminister Reinhold Gall (SPD) sagte nach der Kabinettssitzung: "Demokratie muss auch erlernt werden können." Dafür sei die kommunale Ebene besonders geeignet. Mit den neuen Rechten gingen für die 16- und 17-Jährigen auch neue Bürgerpflichten einher, betonte der Minister. So könnten den Jugendlichen ehrenamtliche Pflichten wie die Ausübung des Amtes eines Wahlhelfers angetragen werden.

Peter Hauk, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, sagte dagegen: "Demokratie ist kein Versuchslabor". Er bezeichnete es als den falschen Weg, das Wahlalter abzusenken. "Die Landesregierung vermittelt das Bild, dass Kommunalwahlen dazu benutzt werden könnten, erste Gehversuche auf noch unbekannten, politischem Terrain zu machen. Damit macht sie die jungen Menschen zu Versuchskaninchen der Demokratie", teilte Hauk mit.

Hans-Ulrich Rülke, der Vorsitzende der FDP/DVP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, erklärte zum Plan der Landesregierung, das Wahlalter zu senken: "Es gibt bessere Wege, junge Menschen an die Politik heranzuführen wie beispielsweise den Jugendgemeinderat." Es sei nicht sinnvoll, einerseits 21-Jährige nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen und andererseits 16-Jährigen das aktive Wahlrecht zu geben.

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Diskussion um das Wahlrecht ab 16

Das Wahlalter ist nichts Unveränderbares. "Sollen Teenager wählen?", fragte 1966 die "Zeit" und bezweifelte, dass "ein 18-Jähriger die Wahlreife besitzt". Für Bundeskanzler Willy Brandt war die Herabsetzung des Wahlalters ein Teil seines Programms "Mehr Demokratie wagen". Seit 1970 dürfen Jugendliche ab 18 wählen.

Ausgangslage

Nach aktuellen Studien gibt ein Drittel der Jugendlichen an, in ihrer Freizeit "oft" für soziale oder gesellschaftliche Zwecke aktiv zu sein und weitere 42 Prozent engagieren sich zumindest "gelegentlich" in diesem Bereich. Auf der anderen Seite bezeichnen sich nach der 16. Shell?Jugendstudie (2010) nur 40 Prozent der Befragten zwischen 15 und 25 Jahren als "politisch interessiert". Zentrale Einflussgrößen auf das politische Interesse sind neben Alter und Geschlecht vor allem auch Bildung und Herkunftsschicht. Je höher der Bildungsgrad, desto höher ist das Interesse, sich stärker politisch zu beteiligen.
Nach anderen Studien halten weniger als 40 Prozent der Teilnehmenden zwischen 16 und 29 Jahren Politiker und Parteien für glaubwürdig und über 60 Prozent der 16 bis 23jährigen fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen. Diese Ablehnung und das geringe Interesse gegenüber institutionalisierter Politik korrespondiert mit nur sporadisch vorhandenem Wissen über Politik. Politisches Interesse äußert sich meist in anderen Formen und wird von vielen Jugendlichen auch nicht als solches verstanden.

Die Diskussion über die Vor- und Nachteile des Wahlrechts ab 16 ist nicht auf die Parteien in Baden-Württemberg beschränkt. Auch in anderen Bundesländern, in der Wissenschaft und in der Bevölkerung ist das Thema umstritten, selbst die jetzt wahlberechtigten Jugendlichen sind skeptisch.

Argumente der Befürworter und Gegner

Pro (Argumente der Befürworter)
Die Befürworter der Reform sind grundsätzlich davon überzeugt, dass 16-Jährige schon die nötige persönliche Reife, das politische Wissen und Interesse haben, um eine Wahlentscheidung treffen zu können. Sie sehen keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Alter einer Person und ihrer politischer Bildung bzw. ihrem Verantwortungsbewusstsein. Stattdessen würden Bildung und das Interesse an Politik Menschen zu mündigen Wählern machen.

Durch das Wahlrecht würden die Jugendlichen nun ein echtes Mitbestimmungsrecht erhalten und so ihre Zukunft selbst mitgestalten können. Immerhin seinen die meisten politischen Entscheidungen sehr weitreichend und zum Teil irreversibel. Ohne die Absenkung des Wahlalters müssen Jugendliche in ihrem Erwachsenenleben die Konsequenzen von Entscheidungen tragen, an denen sie nicht teilhaben konnten.

Bei diesem Argument wird häufig auf die demografische Entwicklung in der heutigen Gesellschaft verwiesen. Dadurch, dass unsere Gesellschaft im Durchschnitt immer älter wird, verlagern sich Entscheidungen über die Zukunft unserer Gesellschaft verstärkt auf ältere Menschen. Insofern kann die Absenkung des Wahlalters als eine Gegenmaßnahme zu dieser Entwicklung gewertet werden.

Ein weiteres Argument für ein niedrigeres Wahlalter ist, dass auch Jugendliche, z.B. als Auszubildende, Steuern zahlen müssen, und deshalb auch mitentscheiden sollten, was mit dem Geld passiert.

Das Recht der Jugendlichen zu wählen würde sich außerdem positiv auf die Politik auswirken. Politiker würden die Jugendlichen als potenzielle Wähler verstärkt ernst nehmen und deshalb die Interessen der Jugendlichen besser vertreten.

Eine Absenkung des Wahlalters wäre auch eine gute Chance für die politische Bildung innerhalb und außerhalb der Schule, da Jugendliche dann über Politik und Wahlen reden könnten, wenn sie von ihrem Wahlrecht auch tatsächlich Gebrauch machen können.

Vor allem aber geht es den Befürwortern um die Wirkung des Wahlrechts auf die Jugendlichen selber. Sie argumentieren, dass die Wahlberechtigung bei Jugendlichen zu einer höheren Identifikation mit der Demokratie und zur stärkeren Teilnahme am politischen Leben führen würde. Somit soll die Absenkung des Wahlalters ein Weg sein, die Politikverdrossenheit zu stoppen. Auch weil die Politik gezwungen sei, sich stärker um die Jugendlichen zu bemühen und sie für den demokratischen Staat zu gewinnen.

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Contra (Argumente der Kritiker)
Die Gegner der Absenkung des Wahlalters führen Argumente aus verschiedenen Bereichen an. Grundsätzlich sprechen manche Kritiker Jugendlichen mit 16 die notwendige Reife für das Wählen ab. Sie sind davon überzeugt, dass Jugendliche nicht über jenes Ausmaß an Einsichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein verfügen, das für eine Wahlentscheidung notwendig sei. Überdies seien Jugendliche leichter zu manipulieren und könnten von anderen, wie Eltern, Vorbildern oder Altersgenossen, in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst werden.

Die Schule bereitet die Jugendlichen bisher unzulänglich auf eine Absenkung des Wahlalters vor, die Lehrpläne sind nicht darauf abgestimmt. Auch wird darauf verwiesen, dass Jugendliche aufgrund ihres geringen Alters noch nicht in der Lage seien, die komplexen Zusammenhänge der politischen Arbeit zu verstehen und es ihnen an politischem Basiswissen mangele.

Als besonders problematisch erscheint dabei, dass Jugendliche vermehrt zu Extrempositionen neigen und deshalb eher für Parteien mit extremen oder populistischen Positionen stimmen, was zu einer Radikalisierung des politischen Systems führen könne.

Juristisch argumentieren die Kritiker, dass zwischen dem Wahlalter und der Volljährigkeit ein innerer Zusammenhang bestehe. Mit der Volljährigkeit erhalte man sowohl Bürgerrechte, z.B. das Wahlrecht, als auch Bürgerpflichten. Mit der Senkung Wahlalters würde das Wahlrecht nicht mehr mit entsprechenden Pflichten korrespondiert - ein "halbes" Wahlrecht für unter 18-Jährige also. Minderjährige dürften dann zwar schon wählen, seien aber noch nicht voll strafmündig usw. Allerdings gibt es in Deutschland die Trennung von Rechten und Pflichten häufiger. So ist eine volle Strafmündigkeit erst mit 21 Jahren gegeben oder der Führerschein der Klasse 2 darf erst mit 21 Jahren erworben werden. Doch die Kritiker fürchten, dass durch die Entkoppelung des Wahlrechts von der Volljährigkeit, die Festlegung des Wahlalters völlig willkürlich werde.

Politisch wird argumentiert, dass Jugendliche sich nicht für Politik interessieren würden, was sich durch die Absenkung des Wahlalters nicht ändern werde. Stattdessen führe die Senkung des Wahlrechts zu einem Rückgang der Wahlbeteiligung, wodurch die Legitimation von Wahlen untergraben werde.

Ein spezieller Kritikpunkt bezieht sich auf die Herabsetzung des Wahlalters nur auf kommunaler Ebene. Dadurch könne der Eindruck entstehen, dass es sich bei der Kommunalwahl um eine Wahl minderer Qualität und Bedeutung handele.

Positionen der Parteien in Deutschland

An den bisherigen Anträgen zur Absenkung des Wahlalters in Deutschland lassen sich klare Tendenzen bei den Parteien ablesen. So sprechen sich sowohl Bündnis 90 / Die Grünen als auch Die Linke grundsätzlich für ein Wahlrecht ab 16 aus. Die Positionen der SPD und FDP sind dagegen ambivalent. CDU/CSU sprechen sich überwiegend gegen ein Wahlalter 16 aus.

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Wählen schon mit 16 Jahren?

Youtube Video: Wählen schon mit 16 Jahren?

Interview mit Nikolina Popovic (Jugendgemeinderätin Stuttgart West) und Dr. Reinhard Löffler (Landtagsabgeordneter, CDU).
YouTube Video von STUGGI.TV (12.35 Min.)

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Erfahrungen mit dem Wahlalter 16

Niedersachsen hat bereits 1996 als erstes Bundesland das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre gesenkt. Mit Baden-Württemberg sind sieben andere Bundesländer diesem Beispiel gefolgt: Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Dennoch sind gesicherte Aussagen über das Wahlverhalten speziell 16- und 17-Jähriger bei Kommunalwahlen nur schwer möglich. Das liegt daran, dass sie nur einen relativ kleinen Teil der Gesamtwählerschaft ausmachen. In vielen Wahlgebieten ist deshalb die Datenbasis für verlässliche Aussagen zu klein oder aus datenschutzrechtlichen Gründen untersagt.

In einer Studie, die anlässlich der Absenkung des Wahlalters auf 16 in Österreich durchgeführt wurde, stellte sich heraus, dass die Jugendlichen von der Schule erwarten, auf ihr Wahlrecht vorbereitet zu werden. Die Schule wurde von den befragten Jugendlichen als ein Ort für eine objektive Informationsvermittlung wahrgenommen. Gleichzeitig stellte sich jedoch heraus, dass die Jugendlichen nicht zufrieden waren mit der schulischen Vorbereitung auf ihre erste Wahlteilnahme, weil das Thema zu wenig oder zu spät im Unterricht behandelt wurde. Es zeigte sich auch, dass damit eine wichtige Chance vertan wurde, denn Schülerinnen und Schüler, die im Unterricht über die Wahl diskutiert hatten, gingen signifikant häufiger zur Wahl.

„Wählen mit 16“ Eine Post Election Study zur Nationalratswahl 2008
SORA (Institute for Social Research and Analysis), Institut für Strategieanalysen (ISA)

Wahlbeteiligung bei Jugendlichen

Den vorhandenen Daten zufolge lag die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen meistens etwas unterhalb der Wahlbeteiligung in der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung, allerdings häufig höher als die Wahlbeteiligung bei den volljährigen Erstwählern. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie der Universität Hohenheim. Diese konzentrierte sich auf Landtagswahl in Bremen 2011 und die Nationalratswahl in Österreich 2008. Auch bei diesen Wahlen zeigte sich, dass die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen unter dem Durchschnitt aller Wähler lag, aber über der Wahlbeteiligung der 20-30 Jährigen.

Wahlverhalten von Jugendlichen

Welche Parteien bei Kommunalwahlen in anderen Bundesländern von den Stimmen der unter 18-Jährigen besonders profitiert haben, lässt sich wegen der fehlenden statistischen Daten schwer sagen. Bei der U18-Jugendwahl in Baden-Württemberg, die kurz vor der Landtagswahl 2011 durchgeführt wurde und an der sich über 30.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren beteiligt haben, waren Bündnis 90/Die Grünen die klaren Gewinner. Sie erhielten 34,0 Prozent, bei der eigentlichen Landtagswahl 24,2 Prozent. Die SPD wurde bei den Jugendlichen zweitstärkste Kraft mit 23 Prozent. Bei der Landtagswahl erhielt sie 23,1 Prozent. Deutlich schlechter als bei der Landtagswahl (mit 39 Prozent) schnitt die CDU mit lediglich 17,2 Prozent ab. Die FDP bekam von den Jugendlichen 4,4 Prozent der Stimmen, 0,9 Prozent weniger als  bei der wirklichen Landtagswahl. Die Linke kam auf 3,4 Prozent und damit 0,6 Prozentpunkte mehr als bei der Landtagswahl. Die NPD erhielt eine Zustimmung von 3,9 Prozent und damit einen etwa viermal so hohen Stimmenanteil wie bei der eigentlichen Landtagswahl (1,0 Prozent).

Diese Tendenz zu rechtsradikalen Parteien zeigten Jugendliche auch bei anderen Wahlen. So wählten die jüngsten Wähler sowohl in Österreich als auch in Bremen im Vergleich zu allen Wählern eher rechtsradikale Parteien. In Österreich wählten laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Sora 31 Prozent der 16-Jährigen eine der beiden rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ, jedoch nur 18 Prozent der 18-Jährigen. Allerdings zeigen Wahlstatistiken in Bremen, dass die 16-17-Jährigen nur geringfügig stärker zur NPD tendierten als die Gesamtgruppe der 16-24-Jährigen. Die Tendenz zu radikalen Parteien kann also nicht allein auf die unter 18-Jährigen beschränkt werden.

Politisches Wissen und Interesse von Jugendlichen

Eine experimentelle Studie der Universität Hohenheim zum Thema Wahlrecht ab 16 untersuchte den Unterschied zwischen den heutigen Erstwählern (18 bis 21 Jahre) und Jugendlichen im Alter von 16 bis 17 Jahren im Bezug auf das politische Wissen und Verständnis. So sollte die Frage geklärt werden, ob minderjährige Jugendliche schon in der Lage sind zu wählen.

Die Experimente ergaben, dass bei den befragten Jugendlichen das politische Interesse in beiden Altersgruppen gleich groß war. Allerdings kam auch heraus, dass die Jugendlichen unter 18 Jahren, egal auf welche Schule sie gingen, ein signifikant geringeres politisches Wissen haben als die heutigen Erstwähler. Auch bei einem Test zum Verständnis von Politiker-Reden schnitten die jüngeren Jugendlichen schlechter ab. Dabei spielte die besuchte Schule aber sehr wohl eine Rolle. Die befragten Gymnasiasten der neunten Klasse verstanden die Politikerreden besser als ältere und wahlberechtigte Berufsschüler.

Dr. Jan Kercher, der Leiter der Studie, sieht eindeutige Wissens- und Verständnisunterschiede zwischen Wahlberechtigten und unter 18-Jährigen als bewiesen an. Daraus schließt er allerdings nicht, dass 16-Jährige generell nicht wählen sollten. "Das Interesse und die Motivation, sich mit Politik zu beschäftigen, könnte durch ein niedrigeres Wahlalter unterstützt werden", sagt er. Kercher empfiehlt, mit der politischen Bildung in Schulen früher anzufangen, dann könne eine Absenkung des Wahlalters sinnvoll sein. Bisher komme die politische Bildung aber in allen drei Schularten zu kurz.

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Materialien

D&E-Interview mit Prof. Dr. Klaus Hurrelmann zum "Wahlalter mit 16":
Wahlalter 16? "Nichts ist aktivierender als die Aktivität selbst"

Klaus Hurrelmann ist seit 1979 Professor an der Universität Bielefeld. Er leitete zudem die letzten "Shell Jugendstudien" und "World Vision Kinderstudien". Das Interview mit ihm führte Jürgen Kalb, verantwortlicher Redakteur von D&E, am 20.2.2013.
Quelle: Deutschland & Europa, 65/2013

D&E-Interview mit Dr. Jan Kercher, Universität Stuttgart-Hohenheim:
"Wahlalter 16" – eine Chance zur Überwindung der Politikverdrossenheit?

Jürgen Kalb, Chefredakteur von D&E, befragte zur Absenkung des Wahlalters auf 16 im Januar 2013 den Kommunikationswissenschaftler Dr. Jan Kercher von der Universität Stuttgart-Hohenheim, der sich bereits mit dem Thema in verschiedenen wissenschaftlichen Studien beschäftigt hat.
Quelle: Deutschland & Europa, 65/2013

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Links zum Thema

machs-ab-16.de: Wahlrecht 16 in Deutschland

Wahlrecht.de: Kommunalwahlrecht in Deutschland

LpB-BW: Kommunalwahl 2014

Untersuchungen zum Thema:

Studie Hohenheim: Politikverständnis und Wahlalter

Konrad-Adenauer-Stiftung: Kommunaleswahlrecht ab 16

Deutschen Kinderhilfswerk: Jugendliche wählen ganz anders, als man glaubt - Kommunalbefragung in Neumünster (PDF)

Institut für Strategieanalysen: „Wählen mit 16“ Eine Post Election Study zur Nationalratswahl 2008 (Österreich) (PDF)

Forum Politische Bildung (Österreich): Wählen mit 16 - Erwartungen und Perspektiven

Wahlstatistiken:

Landesjugendring und AGJF: U18 - Jugendwahl Baden-Württemberg

Medien:

Zeit Online: Wahlrecht ab 16 – Chance oder Risiko?

Stuttgarter Zeitung: Baden-Württemberg - Wählen ab 16 Jahren

FAZ: Wählen ab 16 (in Bremen)

Unterrichtsmaterial:

Landesbildungsserver Baden-Württemberg: Erörterung - Wählen mit 16

Studienstätte München: Wahlalter ab 16 - Ein Planspiel (Bezieht sich auf die Bundesebene)

Forum politische Bildung (Österreich): Onlineversion des Themenheftes "Der WählerInnenwille"

Sonstiges

Wikipedia: Liste der Altersstufen im deutschen Recht
Altersstufen und -grenzen spielen im deutschen Recht eine große Rolle, insbesondere was Rechte, Pflichten und Ansprüche natürlicher Personen betrifft.

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