Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten – und was noch?

Auf der Veranstaltung des Landesnetzwerks politische Bildung, dem ein breites Bündnis von Einrichtungen der politischen Bildung in Baden-Württemberg angehören, warb Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert am 19. November 2014 im Landtag in Stuttgart für die Unterstützung der politischen Bildung. “Demokratie ist die einzige Staatsform, die Bürgerengagement braucht” und “Demokratie will gelernt sein” konstatierte Lammert.

Im Vorfeld der Veranstaltung hatten die 14 Institutionen der politischen Bildung, die im Landesnetzwerk zusammengeschlossen sind „ Zehn Thesen zur Politischen Bildung in Baden-Württemberg“ als gemeinsames Selbstverständnis formuliert.

Landtagspräsident Guido Wolf wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass das Landtagsgebäude ein Provisorium sei und auch die Demokratie gewissermaßen immer provisorisch sei. Daher müsse man immer “hart an ihr arbeiten”.

Videomitschnitt der Begrüßungsrede von Guido Wolf:
(YouTube-Kanal der LpB, Aufnahme Landtag von Baden-Württemberg)

Rede Wolf


 

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Die Leiterin des Fritz-Erler-Forums Baden-Württemberg, Dr. Sabine Fandrych, erinnerte in ihrer Begrüßungsrede an Friedrich-Eberts Worte „Demokratie braucht Demokraten“, mit denen er auf den Punkt brachte, dass Demokratie zu ihrer Sicherung und Fortentwicklung des überzeugten Engagements und des Vertrauens ihrer Bürgerinnen und Bürger bedarf. Auch wenn diese Worte aus seiner Zeit heraus zu verstehen seien, so sei es auch heute keine Selbstverständlichkeit, Demokratinnen und Demokraten vorzufinden. „Denn Demokratie will gelernt sein, von jeder Generation aufs Neue“. Dafür ist politische Bildung mit verlässlichen Rahmenbedingungen essentiell, so Fandrych.

Videomitschnitt der Begrüßungsrede von Dr. Sabine Fandrych:
(YouTube-Kanal der LpB, Aufnahme Landtag von Baden-Württemberg)

Rede Fandrych


 

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Hauptredner der Veranstaltung war Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert. Lammert beklagte den Ansehens- und Vertrauensverlust wichtiger politischer Institutionen, der uns nachdenklich machen müsse. Dieser beträfe nicht nur Politiker, sondern auch Medien, Kirchen und die Wirtschaft und sei somit ein gesamtgesellschaftliches Problem. In der heutigen Zeit würde es immer schwieriger, Zusammenhänge und Wirkungsweisen zu durchschauen – in der Politik wie im Alltag. Trotz einer stabilen Demokratie und eines funktionierenden Rechtsstaates sei es bedenklich, dass gerade Parteien, die essentiell für das Funktionieren von Demokratie seien, ein so geringes Vertrauen besäßen. Lammert ging auch auf die veränderte Beteiligungserwartung der Bürger_innen ein. Diese sei hoch, wenn die persönliche Betroffenheit gegeben sei - aber das allgemeine Beteiligungsinteresse sei eher gering. Lammert warnte vor einer „Vorgartendemokratie“. Politische Bildung müsse – auch angesichts der sinkenden Wahlbeteiligung - Demokratie als Normalzustand vermitteln.

Videomitschnitt der Einstiegsrede von Prof. Dr. Norbert Lammert:
(YouTube-Kanal der LpB, Aufnahme Landtag von Baden-Württemberg)

Rede Lammert


 

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Ines Pohl, Chefredakteurin der taz ging auf die schwere Krise der Medien ein und warnte vor Retorten-Journalismus. Medien seien als Diskursraum für die Demokratie wichtig. Sie warnte vor einer Fragmentierung der Weltsicht durch die Personalisierung von News-Filtern und Infokanälen. Eine große Herausforderung sei die zukünftige Finanzierung von Qualitätsjournalismus. Eine Patentlösung gäbe es nicht, in der Diskussion seien Gebühren, Steuern oder Stiftungsmodell, um eine zunehmende Verflechtung von Wirtschaftsinteressen und Berichterstattung zu verhindern. An die Institutionen der politischen Bildung appellierte sie, die Medienbildung von Jugendlichen zu verstärken, die ganz zentral für die politische Willensbildung sei.

Videomitschnitt des Impulsvortrags von Ines Pohl:
(YouTube-Kanal der LpB, Aufnahme Landtag von Baden-Württemberg)

Vortrag Pohl


 

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Prof. Dr. Ulrich Eith, Leiter des Studienhauses Wiesneck, ging auf den Wandel in den politischen Einstellungen ein. Dabei seien vordemokratische Einstellungen immer noch recht weit verbreitet, etwa die Tatsache, dass Kompromisse in der Politik negativ konnotiert würden. Eith konstatierte einen Wandel der Bürgerrolle. Die Auffassungen darüber was das Wesen der Demokratie sei, gingen auseinander. Während die einen erwarteten, dass Demokratie eine Machtbegrenzung und Machtverschränkung ermögliche, sähen die anderen Demokratie als Lebensform. Eine Demokratie leben von der Beteiligung, so Eith. Eine reine Beteiligungsdemokratie brächte aber nicht automatische die besseren Ergebnisse. Sie könne – im Gegenteil - die soziale Schieflage verstärken. Eith führte an, dass nur ca. 10-15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine verstärkte Mitsprache forderten, während ca. 50 Prozent der Bevölkerung vor allem eine effektive Problemlösung wollten und ca. ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger „praktisch ausgestiegen“ seien. Gerade angesichts dieser Segmentierung sei es unerlässlich eine hochwertige politische Bildung aufrecht zu erhalten. Diese könne nicht kostendeckend arbeiten, sondern müsse verlässlich finanziert sein. Prof. Eith betonte auch, dass die politische Bildung nicht der Reparaturbetrieb für alles sein könne, was vorher schief laufe. Wichtig sei es, sowohl die Medienbildung als auch die Gemeinschaftskunden in den Schulen zu verstärken.

Videomitschnitt des Impulsvortrags von Prof. Dr. Ulrich Eith:
(YouTube-Kanal der LpB, Aufnahme Landtag von Baden-Württemberg)

Rede Eith


 

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Anschließende Diskussion

Was können Politik, Medien und politische Bildung gemeinsam tun?

Moderation: Marielisa von Thadden, Evangelische Akademie Bad Boll und
Florian Setzen, Europa Zentrum Baden-Württemberg

Diskutiert wurde noch lange über die offizielle Veranstaltung hinaus, welche Wege am besten zu einer gesicherten Finanzierung von Qualitätsmedien und politischer Bildung führen könnten, welche Demokratieformen am besten zur Demokratie der Zukunft passen und wie Mandatsträger/innen, Medien und politische Bildung gemeinsam für die Demokratie arbeiten können.
(Quelle: Europazentrum Baden-Württemberg, Fritz Erler Forum der FES)

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Landesnetzwerk politische Bildung Baden-Württemberg

Von links nach rechts: Prof. Dr. Jörg Hübner, Ev. Akademie Bad Boll, Friedhelm Werner, Bildungswerk für Kommunalpolitik, Dr. Stefan Hofmann, Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Andreas Baumer, Heinrich-Böll-Stiftung, Gertrud Gandenberger, Internationales Forum Burg Liebenzell, Dr. Michael Lesky, Volkshochschulverband e. V., Prof. Dr. Norbert Lammert MdB, Deutscher Bundestag, Guido Wolf MdL, Landtag von Baden-Württemberg, Prof. Dr. Ulrich Eith, Studienhaus Wiesneck, Lothar Frick, Landeszentrale für politische Bildung BW, Marielisa von Thadden, Ev. Akademie Bad Boll, Dr. Thomas Schnabel, Haus der Geschichte BW, Florian Setzen, Europa Zentrum BW, , Dr. Sabine Fandrych, Fritz-Erler-Forum

Foto: Andreas Kaier


 

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PROGRAMM

16.00 Uhr
Begrüßung
    Dr. Sabine Fandrych
    Friedrich-Ebert-Stiftung für das Landesnetzwerk Politische Bildung Baden-     Württemberg
   
    Guido Wolf MdL
    Präsident des Landtags von Baden-Württemberg

16.15 Uhr Keynote
    Prof. Dr. Norbert Lammert MdB
    Präsident des Deutschen Bundestages
 
    anschließend Frage-/Diskussionsrunde

17.15 Uhr Kaffeepause

17.45 Uhr Impulsvorträge
    Medien und Demokratie: Vermittlung von Politik
    Ines Pohl
    Journalistin und Chefredakteurin der taz
 
    (Nicht-)Beteiligung: ein Problem für die Demokratie?
    Prof. Dr. Ulrich Eith
    Direktor des Studienhauses Wiesneck, Buchenbach

    anschließend Diskussion
    Was können Politik, Medien und politische Bildung gemeinsam tun?
   
    Moderation:
    Marielisa von Thadden
    Evangelische Akademie Bad Boll 
    Florian Setzen
    Europa Zentrum Baden-Württemberg

19.15 Uhr
   Informelle Gespräche


 

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Zehn Thesen zur Politischen Bildung in Baden-Württemberg

Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten

  1. Demokratie will gelernt sein
    Die Entwicklung der demokratischen Gesellschaftsordnung lebt von der Bereitschaft der Menschen, politische Verantwortung für das Wohlergehen des Ganzen zu übernehmen. Demokratie setzt deshalb informierte, urteilsfähige, politisch gebildete und somit mündige Bürgerinnen und Bürger voraus. Demokratie ist die einzige politische Gesellschaftsordnung, die von jeder Generation neu gelernt werden muss.
  2. Demokratie braucht Politische Bildung
    Politische Bildung erfüllt eine öffentliche Aufgabe, die für die Akzeptanz, Stabilität und Zukunft des politischgesellschaftlichen Systems von grundlegender Bedeutung ist. Sie trägt dazu bei, dass die Verfassung sowie die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen der Bundesrepublik mit Leben gefüllt werden. Politische Bildung muss ein fester Bestandteil der politischen Kultur sein und benötigt dauerhafte sowie verlässliche Rahmenbedingungen. Sie sollte nicht als ‚Feuerwehr‘ bei der Gefährdung von Demokratie verstanden werden.
  3. Demokratie braucht Orientierung
    Politische Bildung vermittelt demokratische Werte, Prinzipien und Ideen. Sie weist auf drängende politische Gestaltungsaufgaben hin, informiert über komplexe Strukturen, Prozesse und Interessen und ermöglicht Orientierung und Handlungsfähigkeit.
  4. Demokratie braucht Begegnung
    Politische Bildung wirkt der Kluft zwischen Gesellschaft und Politik entgegen. Im direkten Kontakt zu Politikerinnen und Politikern schafft politische Bildung eine Brücke, die die mediale Vermittlung von Politik ergänzt. Lebensnahe und praktisch erfahrbare politische Bildung trägt zum Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und zum Gelingen der Demokratie bei.
  5. Demokratie braucht Vielfalt
    Politische Bildung vermittelt demokratische Grundwerte wie Verantwortungsübernahme für sich und andere, gesellschaftliche Solidarität, Fairness, Zivilcourage und Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Sie spiegelt die Pluralität gesellschaftlicher Strömungen und politischer Meinungen wider und vermittelt Prinzipien einer demokratischen Streitkultur.
  6. Demokratie braucht Engagement
    Politische Bildung ermutigt und befähigt Bürgerinnen und Bürger zu politischem und bürgerschaftlichem Engagement in Parteien, Vereinen, Verbänden und Initiativen. Sie fördert Beteiligung und stärkt die Zivilgesellschaft.
  7. Demokratie braucht öffentlichen Diskurs
    Politische Bildung ermöglicht öffentlichen Diskurs zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft über die Weiterentwicklung unserer Demokratie und die Gestaltung unseres Gemeinwesens im digitalen Zeitalter.
  8. Demokratie ist keine Insel
    Politische Bildung ist auch international. Sie schafft Verständnis für die Herausforderungen der Europäischen Integration und erklärt globale Zusammenhänge. Sie baut Brücken zwischen Baden-Württemberg, Deutschland und der Welt.
  9. Demokratie ist Dialog
    Politische Bildung informiert über Länder und Kulturen. Sie schärft den Blick für Menschenrechte und fördert interkulturellen Dialog. Das „Sich-hinaus-Begeben“ erweitert die Perspektive auf die Stärken und Schwächen unserer Gesellschaftsordnung.
  10. Demokratie braucht … uns alle!
    Politische Bildung spricht alle Menschen unabhängig von Herkunft, Bildungsstand, politischer Haltung, Geschlecht, sexueller Identität, Religion oder Alter an. Sie fördert die Teilhabe aller und trägt zur demokratischen Willensbildung bei.

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