Ausgefragt: Was ist Heimat?

Was ist Heimat?

Was ist eigentlich Heimat? Ein Gefühl, ein Ort, eine Haltung? Und welche Rolle spielt der Heimatbegriff in unserer Gesellschaft und der Demokratie? Da das Thema in der Gesellschaft gerade stark diskutiert wird, wollten wir uns dazu mit Expertinnen und Experten unterhalten. Ausgefragt wurden Muhterem Aras, Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg, und Hartmut Rosa, Soziologe.
 


Das Gespräch wurde am 19.10.2020 im Stuttgarter Hospitalhof bei der Tagung "Heimat als Haltung" aufgenommen.
In der Videoreihe "Ausgefragt" fragen wir verschiedene Menschen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft aus. Uns interessieren Meinungen und Hintergründe zu Themen, die unsere Gesellschaft beschäftigen oder unsere Demokratie betreffen.
Moderation & Produktion: Rebecca Beiter.


 

Heimat als Haltung?

Transkript des Gesprächs

Was ist Heimat für dich? Ist Heimat ein Gefühl? Ein Geschmack, ein Geruch? Ist Heimat der Ort, an dem du geboren wurdest oder in dem deine Familie, deine Freunde wohnen? Und was bedeutet Heimat eigentlich für uns als Gesellschaft? Darüber spreche ich heute hier im Stuttgarter Hospitalhof auf der Tagung "Heimat als Haltung" mit zwei Personen, die einiges dazu zu sagen haben.
 

Rebecca Beiter (LpB BW): Herr Rosa, was bedeutet denn Heimat ganz persönlich für Sie? Welche Gefühle, Bilder, Eindrücke haben Sie bei diesem Begriff?

Hartmut Rosa: Also ich glaube, mir kommen bei Heimat ähnliche Assoziationen wie anderen auch, nämlich die von einem Raum, von einer Erfahrung, die erst mal mit positiven Erinnerungen verbunden ist und mit einer intensiven Art von Verbindung, mit einem intensiven Im-Raum-Sein, In-der-Welt-Sein.Ich stelle mir einen Garten vor zum Beispiel. Bäume, den Geruch von Gras, den Geruch von Regen auf dem Teer zum Beispiel, an den ich mich noch als Kind erinnere. Und biographische Erinnerungen verbinde ich damit, aber auch Naturerfahrung, Kunsterfahrungen -  immer Momente intensiver Auseinandersetzung mit der Welt.

 

Beiter: Frau Aras, wie ist das bei Ihnen? Ist Heimat ein Ort, ein Gefühl oder auch Naturverbundenheit wie bei Herrn Rosa?

Muhterem Aras: Es ist ähnlich. Heimat ist für mich auf jeden Fall mit positiven Emotionen verbunden. Mit sich wohlfühlen, heimisch fühlen, an einen Ort kommen, wo man alles kennt, zum Beispiel seine Nachbarin. Das ist, wenn ich von einer Reise zurückkomme, in meine Straße rein fahre - da denke ich `'Ja, ich bin zu Hause'. Das ist für mich Heimat. Aber Heimat ist auch, wenn ich zurückdenke an meine Kindheit, Musik zum Beispiel. Wenn ich bestimmte Lieder höre, dann kommen Erinnerungen aus der Kindheit oder dieses 'Berührt-Sein'. Das ist für mich Heimat. Und als Ort ist es für mich auf jeden Fall Stuttgart im Engeren, dann Baden-Württemberg, dann Deutschland und dann Europa.


Beiter: Also Heimat als Gefühl, als Geruch, als Erinnerung, als Ort. Herr Rosa, Sie haben ja auch in Freiburg, in Jena, in New York gelebt. Muss Heimat denn mit einem Ort verbunden sein?

Rosa: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich finde die Idee, die dieser Tagung hier in Stuttgart zugrunde liegt, eigentlich sehr schön. Heimat ist eine bestimmte Haltung, also ist eine bestimmte Art und Weise, in der ich auf meine Welt zugehe und mir die Welt entgegenkommt. Und zwar so, dass ein wechselseitiges Interesse besteht. Heimat ist der Ort, an dem mich die Dinge interessieren, an denen vielleicht auch Erinnerungen haften, die in mich eingegangen sind, aber an denen ich mich auch wirksam fühle, weil ich teilhaben darf an dieser Welt oder Umwelt. Und es kann dann eben ein Ort sein. Aber das kann auch ein institutioneller Zusammenhang sein, wenn ich an die Uni zurückkomme oder so. Oder auch, wenn ich ins Fußballstadion oder ins Rockkonzert gehe, dann kann ich diese Art von Erfahrungen auch machen.


Aras: Ich finde, Heimat kann auch etwas Politisches sein. Also für mich persönlich zum Beispiel ist Heimat insofern auch etwas Politisches:

"Heimat ist, wenn ich mit Menschen die gleichen Werte teile."

Und deshalb sage ich zum Beispiel, ist für mich das Grundgesetz, unser Wertefundament, etwas, was ich mit anderen Menschen teile, was uns zusammenhält, wo wir Teil des Ganzen sind. Deshalb kann auch das Grundgesetz Heimat sein - das ist es für mich jedenfalls.



Beiter: Das ist ein spannender Gedanke, weil Ihr [Herrn Rosas] Heimatbegriff war gerade sehr individualistisch geprägt. Sie [Frau Aras] hingegen bringen jetzt Heimat ja auch in einen gesellschaftspolitischen Kontext. Ist Heimat etwas, was ich für mich habe, oder ist Heimat etwas, das wir alle empfinden?

Rosa: Nein, ich glaube, Heimat kann nicht nur individualistisch fahren, es geht mir ja um die Art der Beziehung zwischen Menschen oder zum Beispiel auch zwischen Menschen und Dingen. Und diese Art der Beziehung, die stellen wir gemeinsam her, zum Beispiel in Institutionen, aber dann natürlich auch im politischen Raum. 

Heimat ist auch der Ort, wo ich sowas wie eine Stimme habe, an dem ich gehört werde.

Und das kann natürlich bis hin zur EU gehen. Daran kann man ganz interessant sehen, dass ich zu jedem Raum eine Haltung, die tendenziell eine Heimathaltung ist, einnehmen kann, oder eine Entfremdungshaltung. Die Heimathaltung entsteht da, wo ich das Gefühl habe: 'Das was da passiert, geht mich was an und ich habe Anteil daran'. Also wenn ich zum Beispiel irgendwo hingehe und sage: 'Wir in Europa versuchen jetzt was', dann hab ich tendenziell das Heimatgefühl: Wir in Europa, an dem ich Anteil habe. Nicht, weil ich es kontrolliere und übrigens auch nicht, weil wir da alle immer einer Meinung sind. Für mich gehört Streit ganz zentral zu Auseinandersetzung. Heimat ist auch ein Raum, in dem man sich auseinandersetzen kann, aber nicht in Form von: "Du bist ne blöde Gans." Sondern in Form von: "Das interessiert mich, was du sagst. Lasst uns darum ringen."


Aras: Das finde ich super spannend. Heimat. Wenn ich mich irgendwo heimisch fühle, mich zugehörig fühle, dann ist das hier eine Heimat. Diese Werte sind mir überhaupt nicht egal.


Rosa: Genau.


Aras: Sondern ich verteidige sie [die Werte]. Ich will was dafür tun, wenn ich sie gut finde, damit sie erhalten bleiben. Oder wenn ich sage, wir müssen es verändern, dann will ich mich ja auch einbringen, um diese Veränderungen einzubringen.


Rosa: Deshalb kann das sogar ein Antrieb sein, genau wie Sie sagen, Dinge zu verändern. Das hat man oft gesagt, dass man eine Art von Patriotismus sogar braucht, um zu sagen: "Ich kämpfe gegen das Falsche." Sonst kann ich weglaufen. Aber ich will eben nicht, dass mein Land oder meine Stadt oder mein Dorf das Falsche tut und deshalb versuche ich, genau dafür zu kämpfen.

 

Beiter: An dem Punkt würde ich aber gerne einhaken, weil der Heimatbegriff ja durchaus auch in der Kritik steht, weil er über diese Heimatverbundenheit auch mit Patriotismus konnotiert wird und die extremen Rechten ihn auch für sich vereinnahmen. Frau Aras, lässt sich denn dieser Heimatbegriff wieder zurückholen in das Bürgerliche?

Aras: Also ich finde, Heimat ist für mich persönlich, weil es mit positiven Emotionen verbunden ist, weil Heimat etwas ist, was sich auch im Positiven verteidige, wo ich mitgestalte, weil er mir nicht egal ist, dieser soziale Raum, in dem ich mich bewege. Deshalb geht es uns alle etwas an. Deshalb sollten wir vor einer Debatte überhaupt keine Scheu haben. Und ich beschäftige mich jetzt nicht mit dem Thema Heimat, weil irgendwelche Rechtspopulisten das für sich entdeckt haben. Nein, Heimat kann doch auch eine Orientierung sein, kann Ankerpunkt sein.

Deshalb finde ich, sollten wir das in der Breite der Gesellschaft diskutieren und dieses wichtige Themenfeld auf gar keinen Fall irgendwelchen Rechtspopulisten überlassen, die die Gesellschaft ja geradezu auseinanderdividieren wollen und die den Heimatbegriff auch ausgrenzend bestimmen. Und wir haben ja vorhin einen Vortrag gehört: "Heimat als Resonanzraum" heißt ja nicht, dass das nur Harmonie ist. Im Gegenteil, man muss ja auch kontrovers diskutieren können. Man muss sich streiten können, um auch etwas zu verändern, und nach vorne positiv entwickeln. Von dem her finde ich, sollten wir das auf jeden Fall diskutieren, und nicht irgendwelchen Rechtspopulisten überlassen.

 


Beiter: Herr Rosa, Heimat als Haltung, geht das?

Rosa: Ich bin da eigentlich davon überzeugt. Also ich glaube, wir sollten Heimat umdefinieren in dem Sinne. Aber vielleicht kann man die Rechtspopulisten ja sogar dafür gewinnen, wenigstens einige davon, die nicht völlig verhärtet sind.

"Vielleicht sollte man nicht sagen, Heimat muss verteidigt werden, sondern Heimat ist etwas, was wir schaffen wollen. Es ist ein Projekt."

Und die Frage ist dann: Wer soll es schaffen? Die, die da wohnen. Ich glaube, Heimat muss verschiedene Ebenen haben. Mein Dorf kann Heimat werden. Lass uns unser Dorf gut machen. Wer soll das Dorf gut machen? Alle, die da wohnen. Alle, die da ein- und ausgehen. Das scheint mir doch so auf der Hand zu liegen. Wenn ich anfange zu sagen: "Ihr dürft nicht mitmachen", dann hab ich Heimat eigentlich schon verloren. Dann hab ich Heimat wirklich verloren. Heimat bedarf - glaube ich - gar nicht, dass wir immer schon eine Geschichte teilen oder eine Sprache, sondern Heimat bedeutet, dass wir ein Projekt teilen, etwas, was wir gemeinsam herstellen wollen. Und wie dieses aussieht, darüber dürfen wir dann ringen und streiten.

Und es ist eine republikanische Grundidee, von der ich finde, die müssen wir für die Heimatidee fruchtbar machen. Dann können wir vielleicht sogar von den Rechtspopulisten viele mitnehmen. Die gemeinsame Welt, die wir schaffen wollen, dieses Projekt Heimat, entsteht nicht, weil wir schon gleich sind, sondern weil wir uns vom anderen berühren und verwandeln lassen. Wir verwandeln uns auf ein Gemeinsames hin. Wir sind erst einmal verschieden, da sind Fremde, das sind Einheimische, das sind Unterschiedliche. Und wir verwandeln uns in der Herstellung dieses Projekts Dorf und dann eben Region, Landkreis, Land, Bundesland, Nationalstaat, Europa, Welt. Alles kann in diesem Sinne unser Projekt werden. Inzwischen, in vielerlei Hinsicht, ist es die globale Ebene, in der wir Welt gestalten müssen.

 


Beiter: Also Heimat als inkludierend, aber eben auch ortsbezogen. Das vor Ort möchte ich schöner machen. Frau Aras, als Fazit: Kann Heimat eine Haltung sein?

Aras: Auf jeden Fall, und zwar eine Haltung, in der wir sagen: 'Wir sind offen', und bei uns kann sich jeder auch heimisch fühlen, sich zugehörig fühlen - auf dem Wertefundament, das wir gemeinsam haben, und das ist das Grundgesetz. Der hat hier einen Platz. Insofern passt es wunderbar:

"Heimat als Haltung."



Beiter: Vielen Dank für das Gespräch.

Beide: Danke Ihnen.

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