Oktober 2014

Regina Jonas (1902-1944) – Die erste Rabbinerin weltweit

Sie war weltweit die erste Frau, die als Rabbinerin tätig war. Lang erkämpfte sie sich ihren Weg zu diesem Amt, in dem sie nur viel zu kurz wirken durfte, bevor sie dem Nazi-Regime zum Opfer fiel. Im Jahr 2014 jährt sich Regina Jonas Tod zum 70. Mal.

Kindheit und Jugend

Regina Jonas wird am 3. August 1902 als Tochter von Wolf und Sara Jonas geboren. Sie wächst im von Armut geprägten Berliner Scheunenviertel auf, in dem damals vor allem jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa leben. Der Vater ist Kaufmann und stirbt, als Regina 11 Jahre alt ist. Bescheidene Verhältnisse, vor allem nach dem Tod des Vaters, und strenge Religiosität zeichnen das Zusammenleben mit ihrem Bruder Abraham und der Mutter aus.

In der Jüdischen Mädchenschule erstaunt Regina Jonas ihre Mitschülerinnen mit ihrem Wunsch, einmal Rabbinerin zu werden. Nach der Schulzeit im Oberlyzeum in Berlin-Weißensee und der Reifeprüfung besucht sie  Seminare in Pädagogik und erhält die „Lehrbefähigung für Lyzeen“. 1924 nimmt Regina Jonas das Studium an der Berliner „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ auf, das sie 1930 abschließt.

Ein ungewöhnliches Ziel

Neben Regina Jonas studieren an der liberalen Hochschule noch andere Frauen, von denen sie sich ab Beginn des Studiums durch ihr außergewöhnliches Ziel unterscheidet, Rabbinerin zu werden. Sie wollte nicht nur Religionslehrerin sein, sondern Predigerin, Seelsorgerin und Rechtsgelehrte. Unterstützung findet sie lediglich bei dem für die Ordination zuständigen Professor Eduard Baneth. Er stellt ihr für die Abschlussarbeit die Aufgabe, aus den Quellen die Frage zu beantworten „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“. Regina Jonas’ Arbeit rüttelt auf, provoziert – und stößt beim zeitgenössischen deutschen Judentum auf Widerstand.
Streng argumentierend kommt Regina Jonas zu einem positiven Urteil: 

„Außer Vorurteil und Ungewohnt sein steht halachisch (Anm.: religionsgesetzlich) fast nichts dem Bekleiden des rabbinischen Amtes seitens der Frau entgegen."

Regina Jonas in Klapheck 2003:20

Darüber hinaus seien Rabbinerinnen eine „Kulturnotwendigkeit“, da Frauen mit besonderen Gaben ausgestattet seien. Diese seien insbesondere Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und ein besserer Zugang zu Jugendlichen. Des Weiteren bescheinigt Regina Jonas Frauen wie ihresgleichen „Konzentrationsfähigkeit und Auffassungsgabe“ (Regina Jonas in Klapheck 1999:175) – Fähigkeiten, die gerade auch für das Rabbinat erforderlich sind.

Jonas will das Judentum nicht reformieren, sondern sieht im Gegenteil keinen Widerspruch zwischen jüdischer Tradition und der Öffnung des Rabbinats für Frauen. Ihr Anliegen ist es, Frauen im Judentum sichtbar zu machen. Sie hebt die Verdienste jüdischer Frauen für das Judentum in der Vergangenheit hervor und kritisiert, dass in der herrschenden Diskussion oft nur diejenigen Talmud-Zitate benutzt würden, die überkommene Stereotype verfestigen.

„Ich kam zu meinem Beruf aus dem religiösen Gefühl, dass G’tt keinen Menschen unterdrückt, dass also der Mann nicht die Frau beherrscht."

Regina Jonas in Herweg 2014: o.S.

In ihrer akademischen Abschlussarbeit wie auch in ihren Vorträgen verwendet Regina Jonas den bislang unbekannten Begriff „Rabbinerin“, um ihn als neue Berufsbezeichnung zu etablieren.

Enttäuschung nach dem Studium

Scheint es nach Abschluss ihrer Arbeit noch so, als würde Regina Jonas die Ordination zur Rabbinerin erhalten, scheitert dies am unerwarteten Tod ihres Unterstützers Eduard Baneth, der nicht mehr die für die Ordination erforderliche mündliche Prüfung abnehmen kann. Sein Nachfolger steht der Ordination von Frauen ablehnend gegenüber. Mit Abschluss des Studiums wird Regina Jonas deshalb nur als akademisch geprüfte Religionslehrerin zugelassen und unterrichtet an Berliner Mädchenschulen.

Ehemalige Schülerinnen beschreiben sie später als „patent“, „intelligent“, durchaus aber auch als „exzentrische“ Person. Ihre religionspädagogische Arbeit wird nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 zunehmend schwieriger. Fünf Jahre nach ihrem Studienabschluss sollte es noch dauern, bis Regina Jonas ihr Berufsziel erreicht.

Die Jahre als Rabbinerin


Regina Jonas (1902-1944) – erste Rabbinerin weltweit Foto: wikimedia, gemeinfrei, Manfred Brueckels (Eisenacher)

Im Dezember 1935 nimmt der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann im Auftrag des Liberalen Rabbinerverbands in Deutschland der 33jährigen Regina Jonas die mündliche Prüfung ab und stellte ihr das Rabbinatsdiplom aus.

Neben der liberalen Einstellung Dienemanns wird die erste Ordination einer Frau vermutlich auch durch die zunehmende Vertreibung von Rabbinern bzw. deren Verfolgung durch das Nazi-Regime begünstigt – die antisemitischen „Nürnberger Gesetze“ waren bereits in Kraft und täglich nahm der offene Rassismus zu. Unter diesen schwierigen Bedingungen braucht es Menschen wie Regina Jonas.

Trotz ihrer Fähigkeiten und ihrer Beharrlichkeit wird die junge Rabbinerin zunächst von der Jüdischen Gemeinde nicht angestellt. Erst ab 1937 darf sie tatsächlich seelsorgerisch tätig sein. Neben ihrer Arbeit in sozialen Einrichtungen hält Regina Jonas zahlreiche Vorträge über die Rolle der Frau im Judentum. Insbesondere nach der Reichspogromnacht im November 1938 übernimmt sie zunehmend Vertretungen geflohener oder deportierter Rabbiner, so etwa in Bremen, Göttingen und Braunschweig.

Den Rat, als erste Rabbinerin der Welt in den USA Karriere zu machen, weist Regina Jonas zurück – eine Auswanderung kommt für sie nicht in Frage: Sie möchte ihre Mutter nicht im Stich lassen und sieht es als ihre Aufgabe und Pflicht an, in dieser schwierigen Zeit jüdischen Menschen zur Seite zu stehen.

Die Frage nach Partnerschaft und Ehe

Um sich als Frau voll auf die Aufgaben des Amtes konzentrieren zu können, sollten Rabbinerinnen nach der Überzeugung von Regina Jonas nicht heiraten. Auch die Rabbinerin Regina Jonas bleibt unverheiratet. Sicher war dies nicht immer einfach: So gibt es Hinweise auf eine Beziehung zu dem verwitweten Rabbiner Joseph Norden (1870-1943), den Regina 1939 kennen lernt. In seinen Briefen vergleicht Norden Regina mit einer Madonna und spricht sie als „Geliebte“ an. Eine offenbar von ihr anvisierte Heirat lehnt er jedoch ab. Die Freundschaft der beiden sollte bald darauf zerrissen werden.

Deportation und Arbeit in Theresienstadt

Wie andere Berliner JüdInnen muss auch Regina Jonas Zwangsarbeit in der Industrie leisten. Im Jahr 1942, ein Jahr, nachdem ihr Bruder Abraham von den Nationalsozialisten umgebracht wurde, wird sie zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert. Dort versucht Regina Jonas, ihr Amt als Rabbinerin weiter auszuüben: Sie hält Predigten und sieht sich besonders für die Seelsorge an Neuankömmlingen im Ghetto verantwortlich. In noch erhaltenen Notizen zu einer Theresienstädter Predigt ist zu lesen:

 

„Von Gott gesegnet sein heißt, wohin man tritt, in jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden."

Regina Jonas zit. n. Klapheck 2003:48

 

 

Selbst in der auch für sie „prüfungsreichen“ Arbeit in Theresienstadt bleibt sie ihren religiösen Ansichten treu (Kellenbach 1993: 98). Am 12. Oktober 1944 werden Regina Jonas und ihre Mutter Sara in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überführt und dort vermutlich kurz nach der Ankunft ermordet. Regina Jonas wird nur 42 Jahre alt.

Erinnerung an Regina Jonas

Bis in die 1990er Jahre bleiben Leben und Wirken von Regina Jonas weitgehend unbekannt. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer wird ihr spärlicher Nachlass aus DDR-Archiven Historiker/innen zugänglich gemacht. Elisa Klapheck, heute Rabbinerin in Frankfurt, veröffentlicht Regina Jonas Prüfungsarbeit von 1930.

Im Jahr 2001 wird in Berlin-Mitte am Haus Krausnickstraße 6, wo Regina Jonas bis zu ihrer Deportation lebte, eine Gedenktafel angebracht, seit 2002 ist ein Weg in Offenbach nach ihr benannt. Zum 75. Jahrestag der Ordination von Regina Jonas widmet ihr 2011 die „Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ die Ausstellung „Fräulein Rabbiner Jonas“. 2013 produziert die ungarische Regisseurin Diana Groó einen künstlerischen Dokumentarfilm über die erste Rabbinerin weltweit.


Gedenktafel für Regina Jonas, Berlin, Krausnickstraße 6 Foto: wikimedia, gemeinfrei, Manfred Brueckels (Eisenacher)

Rabbinerinnen heute

Lange Jahre bleibt Regina Jonas ohne ‚Nachfolgerin‘: Erst 1972 wird Sally Priesand in Cincinatti (USA) als Rabbinerin ordiniert. In Deutschland sollten 60 Jahre vergehen, bis 1995 mit der Schweizerin Bea Wyler wieder eine Frau als Rabbinerin eingesetzt wird und 2010 ist Alina Treiger die erste Frau nach Regina Jonas, die in Deutschland ihre Ordination erhält.

Heute ist die Hälfte der Studierenden an Rabbinerschulen weiblich. Weltweit arbeiten weit über 200 Frauen als Rabbinerin, mehrheitlich in kleineren und liberalen jüdischen Gemeinden in den USA, Großbritannien und Israel. Orthodoxe Gemeinden fühlen sich dagegen nach wie vor an die traditionelle Lehre gebunden, dass das Rabbineramt nur Männern vorbehalten zu sein hat.

Regina Jonas vorrangiges Ziel war nicht, die Rolle von Frauen und die damit verbundenen moralischen Vorstellungen in der jüdischen Religion zu revolutionieren. Ihr war wichtig, die Fähigkeiten von Frauen in den Vordergrund zu rücken, damit diese die Möglichkeit bekämen, sie gemäß ihres Glaubens auszuleben.

Der Mut und die Ausdauer, mit denen Regina Jonas ihr Ziel verfolgte, Rabbinerin zu werden und diesen Weg damit auch anderen Frauen zu erleichtern, machen sie aus heutiger Sicht zu einem wichtigen Vorbild für das Engagement in Sachen Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Juni 2014 (Friederike Raiser) 

 


Zitierte Quellen, Literatur und Links

Literatur

  • Kellenbach, Katharina von: Jonas, Regina. Rabbinerin. In Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert.
    Lexikon zu Leben und Werk, hrsg. von Jutta Dick und Marina Sassenberg.
    Reinbek bei Hamburg 1993, S. 196-198.
  • Klapheck, Elisa: Fräulein Rabbiner Jonas. Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?
    Editiert – kommentiert – eingeleitet von Elisa Klapheck.
    Berlin 1999.
  • Klapheck, Elisa: Jüdische Miniaturen Bd. 4. Regina Jonas. Die weltweit erste Rabbinerin.
    Berlin 2003.
  • Prestel, Claudia: Confronting Old Structures: Regina Jonas, the First Female Rabbi.
    In: Jewish Intellectual women in Central Europe 1860-2000, hg. von Judith Szapor, Andrea Peto, Maura Hametz und Maria Calloni.
    Lewiston 2012.

Link

Trailer des Films REGINA (in Englisch)
von reginajonasfilm Plus

An inspiring story of the world's first woman Rabbi. Groós’s poetic documentary tells the story of Regina Jonas (1902-1944), a woman who made history by becoming the first properly ordained woman rabbi in the world. The daughter of an Orthodox Jewish peddler, Jonas was ordained in 1935. During the Nazi era and the war, her sermons and her unparalleled dedication brought encouragement to the persecuted German Jews. Regina Jonas was murdered in Auschwitz in 1944. The only surviving photo of Jonas serves as a leitmotif for the film, showing a determined young woman gazing at the camera with self-confidence. REGINA is a tale of love and defiance.

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