Juni 2011

Dr. Elisabeth Selbert – Kämpferin für den Gleichberechtigungsartikel im Grundgesetz

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – dieser  Satz ist wichtiger Teil des Grundgesetzes und untrennbar mit dem Namen von Elisabeth Selbert verbunden, deren Todestag sich im Juni 2011 zum 25. Mal jährt.
Sie war es, die bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat 1948/49 den Gleichheitsgrundsatz nicht nur formuliert, sondern auch für dessen Aufnahme in den Grundrechte-Katalog gekämpft hat.
An ihrer Seite stritten die übrigen Mütter des Grundgesetzes: Frieda Nadig, Helene Weber und Helene Wessel.

„Wir müssen nun dahin wirken, dass die Gleichberechtigung in der Praxis bis zur letzten Konsequenz durchgeführt wird.“

Elisabeth Selbert

1896 in Kassel in einfachen Verhältnissen als Elisabeth Rohde geboren, besuchte sie zunächst die Höhere Handelsschule und wurde Auslandskorrespondentin.

Im Ersten Weltkrieg trat sie eine Stelle als Telegraphenbeamtin an. In dieser Zeit trat sie der SPD bei und engagierte sich partei- und frauenpolitisch in ihrer Heimatstadt.

Eheleute Selbert ©Nachlass Elisabeth Selbert, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung. Kassel
Eheleute Selbert  ©Nachlass Elisabeth Selbert, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung. Kassel

Im Alter von 30 Jahren legte Elisabeth Selbert als Ehefrau und zweifache Mutter die Reifeprüfung ab. Es folgte ein Jurastudium in Marburg und Göttingen, was Frauen erst seit 1922 möglich war.

Elisabeth Selberts Ziel war es dabei, Kenntnisse des Staats- und Verfassungsrechts zu erwerben, um einflussreicher politisch aktiv sein zu können. 1930 promovierte Elisabeth Selbert über die Ehezerrüttung als Scheidungsgrund – ein Thema, dem sich zu diesem Zeitpunkt kaum jemand widmete. Es dauerte noch fast 50 Jahre, bis das Schuldprinzip bei Scheidungen in Deutschland abgeschafft wurde.

1934 war Elisabeth Selbert eine der letzten Frauen, die als Rechtsanwältin zugelassen wurde, bevor die Nationalsozialisten Frauen den Zugang zum Anwaltsberuf endgültig verboten. Während des Nationalsozialismus wurde ihr Mann, der Buchbinder und Sozialdemokrat Adam Selbert, zeitweise in einem Konzentrationslager festgehalten. Sie ernährte fortan alleine die Familie mit ihrer Arbeit als Anwältin für Familienrecht.

Nach dem Krieg arbeitete Elisabeth Selbert an der hessischen Landesverfassung mit, wurde 1946 in den Bezirks- und Parteivorstand der SPD gewählt und war bis 1958 hessische Landtagsabgeordnete.
1948 wurde sie mit direkter Unterstützung von Kurt Schumacher in den Parlamentarischen Rat entsandt, der im Auftrag der westlichen Besatzungsmächte eine demokratische Verfassung für den neuen deutschen Staat ausarbeiten sollte. Hier brachte sie den Gleichberechtigungsgrundsatz in seiner einfachen Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ohne Erfolg in den Grundsatzausschuss ein. Auch im Hauptausschuss scheiterte die Selbertsche Formulierung zunächst. Die „Verfassungsväter“ bevorzugten während der Verhandlungen die Übernahme der Formulierung „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ aus der Weimarer Verfassung. Ungleichheiten im Ehe- und
Familienrecht – der Ehemann bestimmte alleine über die Erziehung der Kinder, Frauen durften Bankkonten nur nach Zustimmung ihres Ehemannes eröffnen –  wären bei einer solchen Formulierung außen vor geblieben. Aber auch die drei Frauen im Parlamentarischen Rat waren zunächst zu überzeugen – wollten sie einerseits doch die ‚Eigenart’ des Weiblichen berücksichtigt sehen und fürchteten sie zudem ein Rechtschaos, weil durch den Gleichberechtigungsartikel das gesamte Ehe- und Familienrecht außer Kraft gesetzt worden wäre.

Am 18. Januar 1949 setzte sich Elisabeth Selbert schließlich durch: Der Gleichheitsartikel wurde im Parlamentarischen Rat einstimmig angenommen.

„Meine verehrten Hörerinnen und Hörer, der gestrige Tag, an dem im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates in Bonn, dank der Initiative der Sozialdemokratinnen die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen worden ist, dieser Tag war ein geschichtlicher Tag – eine Wende auf dem Weg der deutschen Frauen der Westzonen.“

Rundfunkansprache von Elisabeth Selbert 1949

Diese Wende war vor allem Elisabeth Selberts hartnäckigem Einsatz zu verdanken. Erst der von ihr organisierte "außerparlamentarische Widerstand" von Frauenverbänden, Kommunalpolitikerinnen und weiblichen Berufsverbänden, der sich in Wäschekörben voller Protestschreiben an den Parlamentarischen Rat ausdrückte, hatte die Meinung der anderen Mitglieder im Rat geändert.  

"Ich wollte die Gleichberechtigung als imperativen Auftrag an den Gesetzgeber, im Gegensatz zur Weimarer Verfassung, verstanden wissen. Ich hatte nicht geglaubt, dass 1948/1949 noch über die Gleichberechtigung überhaupt diskutiert werden müsste und ein ganz erheblicher Widerstand zu überwinden war! Aber ich habe es dann doch mit Hilfe der Proteste aller Frauenverbände geschafft. Es war ein harter Kampf, wie die Protokolle des Parlamentarischen Rates beweisen."
Elisabeth Selbert in einer schriftlichen Notiz

Selbert sorgte so dafür, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen als Grundrecht verankert wurde. Das zunächst befürchtete Rechtschaos versuchte sie durch den Artikel 177 Absatz 1 GG zu vermeiden. Die darin enthaltene Übergangsregelung besagte, dass die der Gleichstellung entgegenstehenden Rechte im BGB bis zu seiner Anpassung bis spätestens dem 31. März 1953 in Kraft bleiben sollten. Tatsächlich dauerte es deutlich länger, bis die Gleichberechtigung in allen einfachen Gesetzen berücksichtigt worden war: Erst 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet, 1977 erfolgte die Reform des Ehe- und Familienrechts und im Jahr 1980 trat das Gesetz über die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz in Kraft. Mehrmals führte erst ein Einspruch des Verfassungsgerichtes zur Veränderung, das Gesetze als verfassungswidrig erklärte, wenn deren Normen im Gegensatz zum Art. 3, Abs. 2 GG standen.

Elisabeth Selbert bemühte sich in der neugegründeten Bundesrepublik um ein Bundestagsmandat und um hohe Richterämter, scheiterte aber auch aufgrund innerparteilicher Widerstände. Mit dem Ende der 1950er Jahre zog sich Elisabeth Selbert aus der Poltik zurück und arbeitete bis ins hohe Alter als Rechtsanwältin für Familienrecht. 1986 starb sie im Alter von 89 Jahren in ihrer Geburtsstadt Kassel.

Zu ihrer Lebzeit hat Elisabeth Selbert trotz des Bundesverdienstkreuzes, das ihr 1956 verliehen wurde, nicht die Würdigung erfahren, die ihrer Leistung entsprochen hätte. Danach aber wurde sie – durch die Frauenbewegung und Frauengeschichtsforschung der 1980er Jahre – als eine der Vorbildfiguren der zweiten Frauenbewegung in der Bundesrepublik wieder entdeckt. Inzwischen sind zahlreiche Straßen, Plätze und Schulen nach ihr benannt.

Elisabeth Selbert auf einer bundesdeutschen Briefmarke der Dauerserie Frauen der deutschen Geschichte (1987)

Seit 1983 verleiht die hessische Landesregierung zudem den bundesweit ausgeschriebenen Elisabeth-Selbert-Preis an Personen, die sich der Verwirklichung der Chancengleichheit von Männern und Frauen verschrieben haben.

Dass der Staat sich aktiv für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen einzusetzen hat, wurde als Zusatz des Art. 3, Absatz 2 erst 1994 im Zuge der Verfassungsänderung nach der deutsch-deutschen Vereinigung spezifiziert: der Staat „wirkt  auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Auch im Vorfeld dieser Verfassungsänderung mussten Hürden überwunden werden; beim schließlich beschlossenen Zusatz in Art. 3, Abs. 2 GG handelt es sich um einen Kompromiss, nachdem CDU und FDP sich einer eindeutigen Kompensationsklausel zugunsten von Frauen versperrt hatten. Dennoch ist Gleichberechtigung heute Staats- und Verfassungsziel.

Dass Anspruch und Wirklichkeit dabei auch lange nach Elisabeth Selberts Bemühungen noch weit auseinander lagen – und dies noch immer tun – brachte Selbert in einem Interview wenige Jahre vor ihrem Tod plastisch auf den Punkt:

„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“

 

Juni 2011 (Johanna Thumm)


Lektüretipps und Links:


  • Faltblatt „Die vier Mütter des Grundgesetzes – ein Glücksfall für die Demokratie“ (Hrsg. LpB, 2009)
    Download des Faltblattes

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