September/Oktober 2012

bell hooks (Gloria Jean Watkins) – Frauendiskriminierung ist vielschichtig

Bis heute sind die Chancen auf einflussreiche Positionen in Wirtschaft und Politik für Männer und Frauen, für Weiße und Schwarze, Oberschicht- und Unterschichtzugehörige in den USA nicht gleich verteilt. Auch von Sexismus und Rassismus sind Amerikaner/innen unterschiedlich stark betroffen. Es macht einen Unterschied, ob jemand schwarz oder weiß, arm oder reich, eine Frau oder ein Mann ist.

Bell hooks, passionierte Wissenschaftlerin und Buchautorin, ist es ein zentrales Anliegen zu beschreiben, wie Geschlecht, Ethnie und soziale Schicht miteinander verwoben sind. Sie weist auf die Verbindung von Sexismus, Rassismus und Klassismus (Benachteiligung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse) hin und zeigt, wie sich diese Phänomene auf Vormachtsstellungen in der Gesellschaft auswirken.
Ihre Arbeit ist dabei vor allem durch ihre kritische Betrachtung der gegebenen Umstände und konkreten Erfahrungen im alltäglichen Leben beeinflusst. Sie selbst beschreibt sich als eine Suchende nach dem Pfad der Liebe, als eine spirituelle Beraterin, Kulturkritikerin, feministische Theoretikerin, Autorin und Buddhistin. Am 25. September 2012 feierte sie ihren 60sten Geburtstag.

Kindheit und Jugend in Kentucky in den 1950er und 1960er Jahren

Geboren am 25. September 1952 in Kentucky ist Gloria Jean Watkins, bekannt unter ihrem Künstlerinnennamen bell hooks, mit sechs Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Den klassischen Geschlechterrollen entsprechend verdiente ihr Vater als Wachmann das Geld für die Familie und ihre Mutter kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder.

Bis in die 1950er Jahre war die „Rassentrennung“ in den Südstaaten der USA stark verbreitet und auch in vielen Schulen üblich. Erst durch die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes wurde 1954 die „Rassentrennung“ in öffentlichen Schulen für verfassungswidrig erklärt. Trotzdem dauerte es zum Teil noch einige Jahre, bis diese in den Schulen nicht mehr praktiziert wurde.
Auch bell hooks besuchte zunächst eine Schule für ausschließlich schwarze Schülerinnen und Schüler. Die ebenfalls überwiegend schwarzhäutigen Lehrerinnen förderten ihre Schulkinder sehr, um sie zu Wissenschaftler/innen, Denker/innen und kulturell gebildeten Arbeiter/innen auszubilden.

Bell hooks fühlte sich in dieser Schule sehr wohl und liebte es zu lernen. Sie beschreibt ihre Schule als einen Ort der Freude und der Gefahr. Denn so sehr sie es schätzte, sich in der Schule mit Werten und Ideen auseinanderzusetzen, wurde es dadurch für sie schwieriger, mit den in ihrer Familie vorherrschenden Wertvorstellungen umzugehen und sich den vorgegebenen Regeln ihrer Eltern unterzuordnen.

 

„But to learn ideas that ran counter to values and beliefs learned at home was to place oneself at risk, to enter the danger zone“

hooks, bell (1994): Black Looks: Popkultur - Medien - Rassismus, S. 3

 bell hooks war schon früh bewusst, dass sie Lehrerin und Schriftstellerin werden möchte.


hooks, bell; übersetzt von Pfetsch, Helga; Marion Sattler Charnitzky (1996): Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht, Berlin: Orlanda-Frauenverlag

Keine „Rassentrennung“ in der Schule = also weniger Diskriminierungen?

Im Zuge der Bürgerrechtsbewegung und mit Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes 1960 gelangte das Thema der „Rassentrennung“ immer stärker in die Öffentlichkeit. Im Jahr 1964 unterzeichnete der Präsident Lyndon B. Johnson dann den Civil Rights Act, der die Diskriminierung nach Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht und Nationalität in öffentlichen Einrichtungen, in der Regierung und in der Arbeitswelt verbot.
Und dennoch erlebte bell hooks die häufig weiterhin existierende Diskriminierung auch in ihrer neuen integrativen Schule. Ihre ausschließlich weißen und männlichen Lehrer forderten von ihren Schülerinnen und Schülern Gehorsam und reine Wissenswiedergabe. Das erlernte Wissen hatte kaum Bezug zur Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler. Laut bell hooks wurde zu viel Eifer im Lernen von den Lehrkräften schnell als Bedrohung der weißen Autoritäten aufgefasst (hooks, bell (1996): Killing rage, ending racism, London: Penguin und hooks, bell (1996): Bone Black: memories of girlhood, New York: Holt).

Studium

Zum Studieren ging bell hooks zunächst zur Stanford University, wo sie 1973 ihren  Bachelorabschluss machte. Darauf aufbauend absolvierte sie ihren Master in Englisch an der University of Wisconsin-Madison und promovierte 1983 an der Universität California, Santa Cruz, über die Autorin Toni Morisson.
Lehraufträge bekam sie anschließend in Yale für afrikanische und afrikanisch-amerikanische Studien und Englisch am Oberlin College für Frauenstudien und amerikanische Literatur.
Seit 1994 ist bell hooks Professorin für englische Literatur am City College New York.

Gloria Jean Watkins alias bell hooks

Ihren Künstlerinnennamen bell hooks verwendete Gloria Jean Watkins das erste Mal in ihrer Gedichtsammlung mit dem Titel: „And There We Wept“, den sie 1978 veröffentlichte. Sie trägt diesen Namen zu Ehren ihrer Großmutter, die so hieß. Für Gloria Jean Watkins ist ein Künstlerinnenname außerdem die Möglichkeit unabhängig von ihrer eigenen Person eine Stimme zu haben, mit der sie in die Öffentlichkeit treten kann. Klein geschrieben hat sie den Namen, um ihn vom Namen ihrer Großmutter zu unterscheiden und um darauf zu verweisen, dass es auf den Inhalt des Textes und nicht auf ihre Biografie ankommt.

Die Bedeutung von Literatur - Publikationen für eine breite Leserschaft

Für hooks ist Literatur essentiell für die Zukunft der feministischen Bewegung, um sich miteinander auszutauschen, kritische Fähigkeiten auszubilden und um möglichst viele Frauen an feministischen Gedanken teilhaben zu lassen. Literatur ist also mehr für sie, als lesen und schreiben zu können. Sie beschreibt Literatur vor allem als eine Möglichkeit für Marginalisierte und Diskriminierte, ein kritisches Selbstbewusstsein erlangen zu können.
Daher liegt es nahe, dass sie die ihr wichtigen Inhalte möglichst breit gestreut vermittelt, um sie einer heterogenen Leserinnenschaft zugänglich zu machen. Bell hooks publiziert also in unterschiedlichen Medien, mit verschiedenen Schreibstilen und rhetorischen Mitteln. Dazu gehören neben Interviews, Essays und nicht-fiktionalen Büchern auch Kinderbücher wie „Happy to Nappy“ und „Grump Groan Growl“.

Vorbilder für bell hooks

Beeinflusst sind ihre Werke unter anderem von Bürgerrechtlern wie Malcom X, Martin Luther King und vor allem auch von dem brasilianischen Pädagogen und Lehrer Paulo Freire (1921 - 1997), der in den 1960er Jahren ein Alphabetisierungsprogramm entwickelte. Aus diesen Inspirationen und Denkanstößen entwickelte sie ihre ganz eigene Handschrift, die emanzipatorische Politik mit postmodernen Theorien und kultureller Inspiration verbindet.

Intersektionalität
Diskriminierungsgründe wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und soziale Schicht überschneiden sich

„In vielen meiner Arbeiten mit feministischem Ansatz habe ich betont, wie wichtig es ist, Differenz zu verstehen, habe beschrieben, das „Rasse“ und Klassenstatus bestimmen, wieweit männliche Herrschaft und männliches Privileg sich behaupten können, und – am allerwichtigsten – habe gezeigt, dass Rassismus und Sexismus ineinander verzahnte Herrschaftssysteme sind, die sich gegenseitig unterstützen und erhalten“

hooks, bell; übersetzt von Pfetsch, Helga; Marion Sattler Charnitzky (1996): Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht, Berlin: Orlanda-Frauenverlag, S. 90 f

 „Ain't I a woman?“ mit dieser berühmten Frage kritisierte die Frauenrechtlerin Sojourner Truth 1851 einerseits, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts noch immer kein Stimmrecht hatten und andererseits den Rassismus und Klassismus in der Frauenbewegung. Die Auseinandersetzung mit der Überschneidung mehrerer Diskriminierungsformen, die dem Konzept der Intersektionalität zu zuordnen ist, ist also relativ alt, auch wenn der Begriff dafür erst Ende der 1980er Jahre von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt wurde.


hooks, bell (1994): Black Looks: Popkultur - Medien – Rassismus, Berlin: Orlanda-Frauenverlag

Bell hooks erstes großes Buch mit dem Titel „Ain’t l a Woman? Black Women and Feminism“ von 1981 nimmt schon im Titel Bezug auf Truths Frage von 1851 und greift die Verknüpfung mehrerer Diskriminierungskategorien auf. Dieses Buch von bell hooks wird häufig als ein Schlüsselbuch feministischer Gedanken im postmodernen Milieu betrachtet und etablierte sie als ausgezeichnet kritisch und intellektuell. Inhalt dieses Buches ist der Sexismus an schwarzen Frauen während der Sklaverei, der Abwertung schwarzer Weiblichkeit, dem Sexismus schwarzer Männer, Rassismus in der von weißen Frauen dominierten Frauenbewegung und der Beteiligung schwarzer Frauen im Feminismus.

Zentraler Aspekt dieser und vieler weiterer ihrer Arbeiten ist, Diskriminierungen und Vorherrschaftsstellungen aufgrund unterschiedlicher Merkmale wie Geschlecht, sozialer Schicht, ethnischer Zugehörigkeit und Hautfarbe nicht separat voneinander zu betrachten, sondern sie miteinander zu verknüpfen. Sie versteht dabei diese unterschiedlichen Diskriminierungsgründe nicht als unterschiedlich wichtig, sondern als gleichwertig, mit einander verbunden und in Abhängigkeit zueinander.

Teaching to transgress- bell hooks Ziel einer Bildung ohne Ausübungen von Macht

1994 publizierte bell hooks ihr erstes Buch zum Thema Bildung mit dem Titel: „Teaching to Transgress - Education as the Practice of Freedom“, dem fast 10 Jahre später eine Fortsetzung mit dem Titel „Teaching Community - A Pedagogy of Hope“ folgte.
Sie beschäftigt sich in diesen Büchern vor allem mit Machtstrukturen im Klassenzimmer und macht dabei deutlich, dass Machtausübungen nicht nur zwischen Lehrenden und Lernenden statt finden, sondern insbesondere auch innerhalb heterogener Schülerschaften zwischen Angehörigen unterschiedlicher „Rassen“, sozialer Schichten und Geschlechtern.
Sie führt dazu aus, dass Klassenräume sowohl dazu genutzt werden können, Schülerinnen und Schüler in einem System zu unterdrücken und sie zu Unterwürfigkeit zu erziehen, aber auch sie darin zu fördern, engagierte und freie Lernende zu sein.

Aus diesem Grund plädiert bell hooks dafür, dass im Klassenzimmer eine Umgebung geschaffen wird, in der Hierarchien aufgelöst werden und ein Gemeinschaftsgefühl entsteht.
Laut bell hooks sollte Lehren nicht hauptsächlich darauf abzielen, Informationen zu vermitteln, sondern das intellektuelle und spirituelle Wissen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Dabei sollten auch Emotionen und Gefühle der Lehrenden und Lernenden miteinbezogen und die Erotik nicht außer Acht gelassen werden.
Ihr Ziel ist eine ganzheitliche Bildung und engagierte Pädagogik, in der das Denken und der kritische Geist der Kinder und Jugendlichen geschult werden.

„The academy is not paradise. But learning is a place where paradise can be created. The classroom with all its limitations remains a location of possibility. In that field of possibility we have the opportunity to labour for freedom, to demand of ourselves and our comrades, an openness of mind and heart that allows us to face reality even as we collectively imagine ways to move beyond boundaries, to transgress. This is education as the practice of freedom.“

hooks, bell (1994): Teaching to Transgress. Education as the practice of freedom, London: Routledge. S. 207

Sie begrenzt dabei Bildung nicht auf etwas, das nur im Klassenraum stattfindet, sondern beschreibt, dass Bildung überall dort ist wo Menschen sind.

Auszeichnungen und Kritik

Nicht überraschend ist, dass bell hooks aufgrund ihrer radikalen Sichtweisen zu ethnischer Zugehörigkeit, sozialer Schicht und Geschlecht immer wieder ins Zentrum vieler Kontroversen rückt. Besonders konservative Autorinnen und Autoren kritisieren bell hooks zum Teil stark.
Insgesamt wurde ihr viel Anerkennung zuteil: Für ihr Engagement und ihre Publikationen gewann bell hooks zahlreiche Preise wie den American Book Awards, Before Columbus Foundation Award, The Writers Award vom Lils Wallace-Reader’s Digest Fund und weitere.


LBJ Civil Rights Act crowd.jpg  © wikimedia commons, Datum: 2.07.1964, Quelle: http://lbjlibrary.org/collections/photo-archive/photolab-detail.html?id=1107 (Lyndon Baynes Johnson Library & Museum photo archive, serial number C522-2-WH64)  Urheber: O: J. Rapp, gemeinfrei

 

Oktober 2012 (Tulia Goldmann)

 



Werke von bell hooks:

Ins Deutsche übersetzt:

  • hooks, bell (1994): Black Looks: Popkultur - Medien - Rassismus
  • hooks, bell; übersetzt von Pfetsch, Helga; Marion Sattler Charnitzky (1996): Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht
    Berlin, Orlanda-Frauenverlag

Auf Englisch:

  • hooks, bell (1982): Ain't I a Woman. Black women and feminism
    London: Pluto Press.
  • hooks, bell (1989): Talking back: thinking feminist, thinking black
    Toronto: Between the Lines.
  • hooks, bell (1994): Teaching to Transgress. Education as the practice of freedom
    London: Routledge.
  • hooks, bell (1996b): Killing rage, ending racism
    London: Penguin.
  • hooks, bell (1996): Bone Black: memories of girlhood
    New York: Holt.
  • hooks, bell (1997): Wounds of passion: a writing life
    New York: Holt.
  • hooks, bell (2003): Teaching Community. A pedagogy of hope
    New York: Routledge
  • hooks, bell and Raschka, Chris (2005): Skin Again, Jump at the Sun.
  • hooks, bell (2006): Outlaw Culture.
    London: Routledge.

     

    Weiterführende Links:

     

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