Wegbereiterinnen der Demokratie im Südwesten

 

  • Deckblatt Wegbereiterinnen
  • Marie Baum
  • Mathilde Planck
  • Marianne Weber
  • Therese Blase
  • Mathilde Brückner
  • Thekla Kauffmann
  • Luise Rist
  • Clara Zetkin

Bildquellen

Deckblatt: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Marie Baum: Universitätsarchiv Heidelberg, Signatur: Pos I 00138.

Marianne Weber: Ullstein Bild.

Therese Blase: Generallandesarchiv Karlsruhe, Signatur: 231 Nr. 2937 (834).

Mathilde Brückner: Vorlage Stadtarchiv Göppingen.

Mathilde Planck: Archiv Mascha Riepl-Schmidt.

Thekla Kauffmann (Reisepass 1915): Landesarchiv Baden-Württemberg.

Luise Rist: Archiv des Katholischen Deutschen Frauenbundes e. V. Köln.

Clara Zetkin (um 1892): Landesmedienzentrum Baden-Württemberg.

 

Im November 1918 wurde in Deutschland das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht eingeführt. Endlich durften sich nun auch Frauen an Wahlen beteiligen – ein Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie.

Am 5. Januar 1919 konnten Frauen in Baden erstmals wählen und gewählt werden, am 12. Januar 1919 folgten die Württembergerinnen. Neun Frauen wurden damals in die Verfassunggebende Versammlung bzw. den Landtag von Baden gewählt, dreizehn weibliche Abgeordnete schafften diesen Sprung in Württemberg.

Das Postkarten-Set porträtiert eine Auswahl der ersten badischen und württembergischen Parlamentarierinnen. Nicht selten kämpften sie bereits vor 1918 für das Frauenwahlrecht, engagierten sich für Mädchen- und Frauenbildung, stritten für Arbeiterinnenrechte oder waren in der kommunalen Armenfürsorge aktiv. Tatkräftig und mutig mischten sie sich in die Politik im Südwesten ein und wurden so zu „Wegbereiterinnen der Demokratie“. Trotz ihres (für damalige Zeiten ungewöhnlichen) Engagements blieb die eine oder andere Politikerin „gesichtslos“ und ihre politische Leistung wurde nicht gewürdigt. Das Postkarten-Set will diese Lücke schließen.

Download der Postkarten (PDF 5,6 MB)

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Wegbereiterinnen der Demokratie im Südwesten

Gut hundert Jahre ist es her:

Nach jahrzehntelangem Engagement vieler aktiver Frauen in Deutschland, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie und nach dem Beginn der November-Revolution war es am 12.11.1918 soweit. In Deutschland wurde das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht eingeführt. Alle deutschen Bürgerinnen und Bürger ab 20 Jahren durften nun wählen und gewählt werden. Erstmals galt dies auch für Frauen.

Nach den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1919, an denen sich auch Frauen beteiligen konnten, wirkten 22 Badenerinnen und Württembergerinnen als Parlamentarierinnen an der politischen Willensbildung mit. Diese Wegbereiterinnen der Demokratie im Südwesten werden hier mit kurzen Porträts vorgestellt und gewürdigt.

Die ersten 22 weiblichen Landtagsabgeordneten des deutschen Südwestens (neun Frauen in Baden und dreizehn in Württemberg) gehören zu den frühen Demokratinnen. Sie werden hier mit je einer Nachrückerin sowie mit den beiden ersten Reichstagsabgeordneten aus Baden und Württemberg präsentiert.

Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung der Republik Baden

Am 5. Januar 1919 werden 107 Mitglieder in die Verfassunggebende Landesversammlung der Republik Baden gewählt, die im alten Ständehaus in Karlsruhe, der Hauptstadt des vormaligen Herzogtums Baden, tagt. Zwei Jahre lang ist dieses Gremium der legislative Vorläufer des während der Weimarer Republik in Karlsruhe tagenden Landesparlaments.

Im neuen, demokratisch gewählten Gremium arbeiten 98 männliche und 9 weibliche Abgeordnete:

  • Gewählt wurden bei der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) 1 Frau und 23 Männer,
  • bei der Sozialdemokratischen Partei (SPD) 4 Parlamentarierinnen neben 31 Parlamentariern,
  • bei der Zentrumspartei erlangen ebenfalls 4 Frauen neben 37 Parteikollegen ein Mandat und
  • 1 Frau sitzt in der siebenköpfigen Fraktion der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP).

Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung des Freien Württembergischen Volksstaats

Bei der Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung des Freien Württembergischen Volksstaats am 12. Januar 1919 erzielen 150 Männer und Frauen einen Sitz im Parlament. Sie ziehen in das jahrhundertealte Landtagsgebäude in der Stuttgarter Kronprinzstraße ein. Zuvor hatten hier die Landstände des Königreichs Württemberg getagt.

Die zwei Jahre lang tagende Versammlung ist Vorläuferinstanz des württembergischen Landtags, der Legislative Württembergs in der Weimarer Republik.

137 männliche und 13 weibliche Abgeordnete werden in die Versammlung gewählt:

  • Zur SPD gehören bei 52 Sitzen 4 Frauen,
  • zur DDP bei 38 Sitzen 5 Frauen,
  • zur Zentrumspartei mit 31 Sitzen 3 Frauen.
  • Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands USPD kann bei 4 Sitzen 1  Frau platzieren.

Im neuen demokratischen Prozess wollen die weiblichen Abgeordneten nun gemeinsam mit den männlichen Kollegen ihre Wählerinnen und Wähler vertreten. Sie setzen sich ein für politisch wichtige „Frauenbestrebungen“  – so die zeitge-nössische Bezeichnung – wenn auch mit unterschiedlicher politischer Einstellung und gesellschaftlicher Zuspitzung. 

Heute, gut 100 Jahre nach diesem historischen Ereignis, das dem Jahrzehntelangen Einsatz unterschiedlich ausgerichteter Frauen(bewegungen) für das "Frauenwahlrecht" zu verdanken ist, sind die ersten weiblichen Abgeordneten immer noch nicht vollständig dokumentiert. Trotz aufwändiger Recherchen ließ sich nicht von allen porträtierten 26 Politikerinnen ein Bild auffinden. Vier Parlamen-tarierinnen  müssen deshalb im Folgenden noch „gesichtslos“ bleiben.

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Republik Baden - Porträts der weiblichen Abgeordneten

Die ersten weiblichen Abgeordneten in der Verfassunggebenden Versammlung 1919 im Landtag der Republik Baden, eine Nachrückerin und die badische Abgeordnete im Berliner Reichstag:

Anna Maria Beyerle (1882-1968)

Die Pädagogin und Zentrumspolitikerin stammt aus einer beruflich hochspezialisierten, männlich bestimmten Konstanzer Familie: Der Vater und die vier Brüder sind renommierte Juristen.

Maria Beyerle legt nach höherer Töchterschule, Lehrerinnen-Examen und sechsjähriger Berufsausübung 1910 als 28jährige das Abitur ab. Sie wirkt als Lehrerin in Konstanz, übernimmt einen Lehrauftrag an der Lehrerfortbildungsanstalt in Freiburg, wird Rektorin der Mädchenfortbildungsschule in Karlsruhe und schließlich Studienrätin an der Mädchen-Oberrealschule in Konstanz.Aus scheinbar gesundheitlichen Gründen wird sie zwei Jahre nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1935 vorzeitig entlassen.

Zuvor hat sie durch ihre leitende Stellung im Katholischen Deutschen Frauenbund in Konstanz –  seit 1910 ist sie Vorsitzende – und als Gründerin des 1914 ins Leben gerufenen Vereins katholischer Lehrerinnen (VkdL) und als Vorsitzende des Badischen VkdL einen hohen Bekanntheitsgrad im kirchlichen Sozialdienst erworben. In diesem Sinn qualifiziert sie sich für die politische Arbeit: Von 1919 bis 1925 sowie von 1926 bis 1928 ist sie Abgeordnete im Landtag der Republik Baden.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Zeit wird Maria Beyerle im Mai 1947 als Mitbegründerin der CDU Abgeordnete im neuen Badischen Landtag und bleibt dies bis zur Auflösung des Parlaments im Zuge der Gründung des Bundes-landes Baden-Württemberg im Jahr 1952. Ihr gesamtes Leben lang setzt sie sich für bessere berufliche Bedingungen für Frauen ein.

Therese Blase, geb. Knauf (1873-1930)

Die Frauenstimmrechtlerin ist von 1919 bis zu ihrem Tod im Jahr 1930 als SPD-Abgeordnete in der Verfassunggebenden Versammlung und dann im Badischen Landtag tätig.

Die Tochter einer Bauernfamilie in Sachsen-Gotha und spätere Sozialpolitikerin war nach Abschluss der Volksschule nach Ludwigshafen gezogen, hatte 1903 in Mannheim den Kupferschmied Heinrich Blase geheiratet und drei Kinder bekommen. In Mannheim übernimmt sie alsbald die Führung der SPD-Frauen. Sie gehört außerdem von 1912 bis zu ihrem Tod dem badischen SPD-Landesvorstand an.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg engagiert sich Therese Blase für Bedürftige: Sie ist Mitglied der Mannheimer Armenkommission und Vorsitzende des „Krüppelvereins Baden“. Nach der kurzen Novemberrevolution wird Therese Blase 1919 in die Mannheimer Stadtverordnetenversammlung und in den Badischen Landtag gewählt. Dort mischt sie sich intensiv in den sozialpolitischen Ausschüssen ein.

Auf Landes- und Reichsparteitagen der SPD erhebt sie angesichts der wachsenden inflationären Rezession und der beginnenden Massenarbeitslosigkeit kritisch ihre Stimme.

Ihre Kräfte in der Arbeit für Familie, Partei und Armenfürsorge überschätzend, stirbt sie wenige Tage vor Vollendung des 57. Lebensjahres. Obwohl Therese Blase die prominenteste badische Sozialdemokratin der Weimarer Zeit ist, gerät sie fast völlig in Vergessenheit.

Kunigunde Fischer, geb. Bachmeyer (1882-1967)

Die spätere Sozialpolitikerin stammt aus einem landwirtschaftlich geprägten Haushalt in Mittelfranken, wo ihr Vater eines Mühle und ein Sägewerk besitzt. 1904 heiratet sie den Buchdrucker Kaspar Fischer und zieht mit ihm eine Tochter groß.

Von 1919 bis 1933 wird Kunigunde Fischer für die SPD zunächst in die Verfassunggebende Versammlung und dann in den Landtag der Republik Baden gewählt.

Seit 1912 unterstützt Kunigunde Fischer die Armen-, Gefangenen-, Kriegs-, Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge. 1919 wird sie mit zwei weiteren Frauen in den Karlsruher Stadtrat gewählt, dem sie bis 1922 angehört. Zudem ist sie Mitglied der Armenkommission und des Kriegsfürsorgeausschusses. Sie engagiert sich tatkräftig beim Aufbau der Arbeiterwohlfahrt, deren Vorsitzende sie ab 1925 wird.

Als Sozialdemokratin wird Kunigunde Fischer und zahlreiche Gesinnungsgenossen zu Beginn der NS-Zeit ins Gefängnis gesteckt. Trotz (und aufgrund) dieser bitteren Erfahrungen nimmt sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das politische Engagement wieder auf und wird von 1946 bis 1959 erneut Stadträtin in Karlsruhe.

Mit ihren großen politischen Fähigkeiten unterstützt sie den demokratischen Aufbau Badens. 1965 wird Kunigunde Fischer zur Karlsruher Ehrenbürgerin ernannt.

Luise Kräuter (1891-1937)

Die Freiburgerin sitzt von Februar bis Oktober 1919 für die SPD in der Verfassunggebenden Versammlung.

Ihr handwerklich arbeitender Vater Ernst Kräuter war schon von 1905 bis 1912 ebenfalls SPD-Abgeordneter des Badischen Landtags gewesen.

Luise Kräuter arbeitet nach einer kaufmännischen Ausbildung als Verkäuferin im Verband der Handlungsgehilfinnen mit und ist von 1914 bis 1919 Geschäftsführerin des Lebensbedürfnis- und Produktionsvereins Freiburg.

Nach der Heirat mit einem Gastwirt gibt sie ihr politisches Mandat auf. Ihre Tätigkeit im wirtschaftlich familiär bestimmten Bereich konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

Von Luise Kräuter konnte bislang kein Bild gefunden werden.

Mathilde (Philippine Mathildis) Otto (1875-1933)

Die Freiburger Zentrumspolitikerin ist 1919 bis 1920 in der Verfassunggebenden Versammlung in Baden tätig und setzt sich für religiös geprägte Frauenrechte ein.

Mathilde Otto ist die Tochter des Kaufmanns Julius Otto und seiner Frau Katharina. Die ausgebildete Religionslehrerin erfüllt als Jugendsekretärin des Diözesan-Präsidiums der katholischen weiblichen Jugendvereine selbstbestimmte Aufgaben, hält Vorträge und organisiert „soziale Kurse“ für Arbeiterinnen und in der Fürsorge tätige Frauen. 1912 übernimmt Mathilde Otto die Leitung des St.-Elisabethenvereins in Freiburg, der sich um kinderreiche Familien in Not kümmert. Sie engagiert sich zudem ab 1918 als Generalsekretärin der Elisabethen- und Frauen-Vinzenz-Vereine.

1920 legt Mathilde Otto ihr parlamentarisches Amt nieder, da ihr für die praktischen Verbandsaufgaben in Freiburg zu wenig Zeit bleibt.

1922 wird sie indes in den Freiburger Stadtrat gewählt, dem sie bis 1926 angehört.

Ihr selbstloser Einsatz für notleidende und alleinstehende Frauen und Mütter macht sie über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

1924 wird Mathilde Otto von Papst Pius XI. für ihr soziales Engagement mit dem Ehrenkreuz „Pro Ecclesia et Pontifice“ ausgezeichnet.

Sofie Regenscheit geb. Kaut (1893-1969)

Die Arbeiterin Sofie Regenscheit ist von 1919 bis 1921 als Abgeordnete der SPD  in der Verfassunggebenden Versammlung und dann kurz im Badischen Landtag eine stets präsente Parlamentarierin.

Bei der Firma Maggi ist sie in Singen als Arbeiterin und später Vorarbeiterin in der Suppenabteilung beschäftigt. Zusammen mit ihrem ersten Mann, Karl Gustav Regenscheit, Schlosser bei Maggi, kann sie in einer Werkswohnung leben.

Als überzeugte Sozialdemokratin – seit 1913 ist sie Mitglied der SPD – setzt sie sich im Betrieb für die Belange von Frauen ein und ist Mitglied im Fabrikarbeiterverband. Für die SPD, die der Gleichberechtigung von Männern und Frauen hohe Priorität zumisst, 1919 aber nur wenige weibliche Kandidaten aufstellen kann, ist Sofie Regenscheit "Zugpferd": Die Stimmen der Wählerinnen aus der Arbeiterbewegung sind ihr sicher.

Ab 1925 arbeitet sie wieder bei Maggi und verliert 1934, kurz nach Beginn der NS-Zeit, als „Doppelverdienerin“ ihren Arbeitsplatz. Die Gestapo überprüft sie vermutlich aufgrund ihrer SPD-Zugehörigkeit. Da Sofie Regenscheit in dieser Zeit aber nicht mehr in der bei den nationalsozialistischen Machthabern verpönten Partei aktiv sein kann, entgeht sie einer weiteren Verfolgung.

1943 nimmt sie nach dem Tod ihres Mannes wieder die Erwerbstätigkeit auf.Sie heiratet zum zweiten Mal und findet in Stefan Speck, mit dem sie ihre politische Einstellung verbindet, fortan Unterstützung.

Maria Rigel (1869-1937)

Die Lehrerin Maria Rigel wird von 1919 bis 1933 für die Zentrumspartei in die Verfassunggebende Versammlung und den Badischen Landtag gewählt.Mit ihrer Berufserfahrung setzt sich dort vor allem im bildungspolitischen und religiösen Kontext ein.

Als Notarstochter hatte Maria Rigel die Chance erhalten, die höhere Mädchenschule in Mannheim und dann das Klosterinstitut Offenburg zu besuchen. Im Lehrerinnenseminar in Karlsruhe verfolgt sie von 1884 bis 1887 ihre pädagogische Ausbildung und wird 1889 als Volksschulkandidatin in den badischen Schuldienst übernommen.

Ab 1927 ist Maria Rigel in Mannheim als Rektorin an der Schule im Quadrat K 5 tätig, wird aber im Oktober 1932 wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes in den vorläufigen und 1934 in den dauerhaften Ruhestand versetzt.

Clara Siebert , geb. Ritter (1873-1963)

Die Lehrerin und engagierte Befürworterin des Frauenstimmrechts ist von 1919 bis 1933 als Abgeordnete der Zentrumspartei in der Verfassunggebenden Versammlung und dann im Badischen Landtag aktiv. 

Bis zur Entfernung aller weiblichen Abgeordneten aus dem Landtag durch die Nationalsozialisten verkörpert sie eine unverwüstliche Sonderstellung in dieser – für Frauen bald nicht mehr existierenden – Zusammensetzung des Gremiums.

In den Jahren 1932/33 erlebt sie als Reichstagsabgeordnete in Berlin die letzten Tage der Weimarer Republik. In dieser Funktion stimmt Clara Siebert im März 1933 mit ihren Parteigenossen für das Ermächtigungsgesetz, das die Grundlage für die Errichtung der national-sozialistischen Diktatur bilden sollte. Diese Entscheidung hat Clara Siebert bitter bereut. Auch sie wird bald gezwungen, ihre politische Berufung aufzugeben.

Dennoch muss sie im Juli 1944 eine Woche lang eine sogenannte Schutzhaft über sich ergehen lassen.
Ihre staatsbürgerliche „Karriere“ hat Clara Siebert immer auch mit ihrem karitativ und bildungspolitisch bestimmten gesellschaftlichen Engagement unterfüttert: 1907 ist sie an der Gründung des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) beteiligt, ist Vorsitzende des Badischen Landesausschusses des KDFB und Mitglied im Diözesanvorstand der Christlichen Müttervereine.

Eine Voraussetzung für die Erfüllung ihrer selbst gewählten Aufgabe ist sicher, dass sie als Tochter eines Bezirksarztes nach der Volksschule eine Töchterschule in Basel und danach das kirchliche Lehrinstitut „Unsere Liebe Frau“ in Offenburg besuchen konnte. 1895 legt Klara Siebert am Lehrerinnenseminar in Basel das Lehrerinnen-Examen. In ihrer 1897 begonnenen Ehezeit zieht sie einen Sohn groß.

Während des Ersten Weltkriegs ist Clara Siebert  von 1914 bis 1917 in einem Lazarett tätig  und wird für ihren Einsatz noch während des Kriegs mit der Kreuzmedaille und dem Preußischen Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet.

Politisch setzt sie sich als tiefreligiöse Frau vor allem für die Interessen des Katholizismus ein. 1924 wird sie dafür von Papst Pius XI. mit dem Päpstlichen Eh-renkreuz ausgezeichnet.

Marianne Weber, geb. Schnitger (1870- 1934)

Marianne Weber ist nicht nur Frauenrechtlerin, Rechtshistorikerin, Schriftstellerin und Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung, sondern auch Politikerin. Nach den Wahlen zur  Verfassunggebenden Versammlung der Republik Baden ergreift sie als einzige gewählte Frau der DDP-Fraktion im Karlsruher Ständehaus am 15. Januar 1919 als erste Rednerin in einem parlamentarischen Gremium in Deutschland das Wort.

Sie gibt ihrer „hohen Freude und Befriedigung Ausdruck“, dass Frauen nun zu dieser politischen Aufgabe mitberufen sind und vermittelt ihre Überzeugung, dass Frauen dafür besser vorbereitet sind als das im Allgemeinen geglaubt wird.

Die Tochter eines Landarztes hatte früh ihre Mutter verloren und wuchs bei Verwandten im westfälischen Lemgo auf.  Nach ihrer schulischen Ausbildung verbringt sie einige Zeit in Berlin und hat engen Kontakt zu den Eltern ihres späteren Mannes Max Weber, der zu den Verwandten ihrer verstorbenen Mutter gehört. 1893 heiratet sie Max Weber und beginnt 1894, sich in der bürgerlichen Frauenbewegung zu engagieren.

Seit 1897 ist sie Mitglied im Verein „Frauenbildung - Frauenstudium“ Mitglied und tritt 1918 der DDP bei. Die Auseinandersetzung mit den Themen Liebe und Sexualität bündelt sie 1894 mit ihrem schriftstellerischen Hauptwerk „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“.

1920 gibt Marianne Weber ihr Landtagsmandat aufgrund der Übersiedlung nach München auf – Max Webers Berufung an die dortige Universität hat Vorrang. Kurz nach dem Umzug des Ehepaars stirbt ihr Mann, dessen Werke sie in den folgenden Jahren zur Veröffentlichung bringt.

Von 1919 bis 1923 ist Marianne Weber Vorsitzende des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF). Ursprünglich war für diese Position die Sozialreformerin Alice Salomon vorgesehen, aufgrund der Angst vor antisemitischer Propaganda wird sie jedoch übergangen.

Nach Marianne Webers Rückkehr nach Heidelberg wird ihr 1922 für ihre Herausgeberinnen-Tätigkeit die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen.

1926 publiziert sie die einflussreiche Biografie „Max Weber. Ein Lebensbild“. Bis zu ihrem Tod 1954 ist die hochgebildete Marianne Weber in Heidelberg als Wissenschaftlerin und Autorin präsent.

Dr. Marie Bernays (1883-1939)

In der zweiten Legislaturphase des Badischen Landtags setzt Dr. Marie Bernays als frauenpolitisch wichtige Nachrückerin von 1921 bis 1925 zentrale emanzipatorische Impulse. Die Gymnasiallehrerin und Leiterin der Sozialen Frauenschule Mannheim ist Abgeordnete der mit der DDP koalierenden Deutschen Volkspartei (DVP) und kann als Nachfolgerin Marianne Webers bezeichnet werden.

Marie Bernays stammt aus einer gebildeten jüdischen Familie und hatte sich als eine der ersten Studentinnen an der Universität Heidelberg immatrikulieren können. Nach dem Studium der Nationalökonomie, Philosophie und Theologie promoviert sie mit einer heute noch wichtigen empirischen Untersuchung  über die Lage von Industriearbeiterinnen vor dem Ersten Weltkrieg. Sozialpolitisch gut vernetzt setzt sie sich vor allem für eine Verbesserung der Berufschancen von Frauen ein.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Marie Bernays vom Dienst suspendiert und von der NS-Presse polemisch angegriffen. Zuflucht findet sie im Benediktinerkloster Beuron im Donautal. Sie übernimmt die kleine Leihbibliothek der Gemeinde und erteilt den Mönchen Englischunterricht.

Vor ihrem überraschenden Tod im Alter von 56 Jahren im Frühjahr 1939 erteilt sie die Anweisung, ihren Nachlass zu verbrennen.

Dr. Marie (Maria Johanna) Baum (1874-1964)

Die Chemikerin, Sozialwissenschaftlerin und Fabrikinspektorin stammt aus einer Großfamilie des gebildeten Bürgertums, die die kulturelle und naturwissenschaftliche Geistesgeschichte Deutschlands über zwei Generationen mitgeprägt hat.

Als drittes von sechs Kindern wächst sie mit ihrem Vater, dem Chefarzt des Städtischen Krankenhauses Wilhelm Georg Baum und ihrer Mutter Florentine („Flora“) Baum in Danzig auf. Schon die Mutter engagierte sich in der Frauenbewegung und leitete in Danzig den Verein Frauenwohl.

In ihrer Heimatstadt besuchte Maria Baum von 1891 bis 1893 Realkurse, die schon damals auf das Abitur vorbereiteten. Anschließend geht sie, da Frauen noch nicht als Studentinnen an deutschen Universitäten zugelassen sind, zum Studium der Chemie an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich.

Im Jahre 1902 wird sie Gewerbeinspektorin im Großherzogtum Baden und be-aufsichtigt die Arbeitsbedingungen in den Fabriken. Dabei findet sie unzumutbare Verhältnisse vor, die sie in ihrer Autobiografie „Rückblick auf mein Leben“ drastisch beschreibt.

Nach ihrer Wahl in die Verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar ist Marie Baum von 1919 bis 1921 die Vertreterin der DDP für die Republik Baden und gehört 1919 zu den ersten 41 Frauen in der Nationalversammlung. Mit ihrer engen Freundin Marianne Weber tauscht sie in Briefen ihre nicht immer positiven Erfahrungen als Parlamentarierin aus.

Aus Rücksicht auf ihre neue berufliche Aufgabe als Referentin für Wohlfahrtspflege im Badischen Staatsministerium in Karlsruhe scheidet Marie Baum jedoch bereits 1921 aus dem Reichstag aus. In den folgenden Jahren konzentriert sie sich nun auf den Aufbau des Fürsorgewesens.

1928 übernimmt sie einen Lehrauftrag für soziale Fragen an der Universität Heidelberg, der ihr 1933 nach der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogen wird. Die in Zürich promovierte Sozial- und Frauenrechtsspezialistin wird von den neuen Machthabern sofort aus dem Amt verjagt. Dennoch kann Marie Baum vielen jüdischen Familien zur Flucht verhelfen und überlebt die NS-Zeit nach jahrelanger großer Unsicherheit.

Ab 1946 übernimmt die inzwischen über 70jährige erneut einen Lehrauftrag an der Universität Heidelberg. Wenige Monate und engagiert sie sich in der Heidelberger Christlich-Sozialen Union (CSU), einem Vorläufer des CDU-Kreisverbands Heidelberg, bis sich die CDU vom christlichen Sozialismus abwendet.

Parteipolitisch binden möchte Marie Baum sich nicht mehr und nimmt deshalb auch keine politischen Funktionen mehr wahr. Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sieht sie im Lehramt. Sie stirbt im Alter von neunzig Jahren in Heidelberg.

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Freier Volksstaat Württemberg - Porträts der weiblichen Abgeordneten

Die ersten dreizehn weiblichen württembergischen Landtagsabgeordneten in der Verfassunggebenden Versammlung 1919 im Landtag des Freien Volkstaats Württemberg, eine Nachrückerin und die württembergische Abgeordnete in der Verfassunggebenden Versammlung des Reichstags:

Mathilde Brückner geb. Schwahn (1886-1958)

Die aus dem Arbeitermilieu stammende Mathilde Schwahn hatte 1894 den Metalldrucker Julius Brückner geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen. Das Ehepaar betreibt ein Wasch- und Bügelgeschäft in Göppingen. Obwohl ihr Mann 1913 aus der SPD ausgeschlossen wurde, tritt sie in diese Partei ein.

Sie, die Tochter eines Korsettwebers, hatte die Volksschule regelmäßig besuchen können und wird als Hausfrau 1918 Mitglied des Arbeiterrats Göppingen und seines Konsumentenausschusses. 1919 wird sie die Vorsitzende des (überparteilichen) Frauenverbands Göppingen.

Mathilde Brückner engagiert sich in Göppingen im sozialen Bereich und ist 1919 die erste und einzige Kandidatin im Wahlkreis Göppingen für die Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung. Nach ihrer Wahl im Januar 1919 arbeitet sie dort etwa im Sonderausschuss für den Entwurf des Jugendfürsorge-Gesetzes mit. Dem württembergischen Landtag wird sie in den Jahren 1932/1933 noch einmal angehören.

Zweimal kandidiert Mathilde Brückner erfolglos für den Deutschen Reichstag. 1922 zieht sie für die SPD wiederum als erste und einzige Frau in den Göppinger Gemeinderat ein. Bei ihrer Wiederwahl 1928 erhält sie die zweithöchste Stimmenzahl aller Kandidierenden.

1933 beendet die Willkür der NS-Machthaber 1933 Mathilde Brückners politische Laufbahn in Landtag und Gemeinderat. Einer in Stuttgart drohenden Verhaftung kann sie sich gemeinsam mit ihrer Fraktion nur durch die Flucht durch eine Hintertür des Landtags entziehen.

Obwohl sie ihre demokratisch-sozialistische Gesinnung nie aufgibt, übersteht sie die NS-Zeit fast unbeschadet. Ihre menschlichen und religiösen Werte halten sie aufrecht und sind der Boden, auf dem sie soziale Ungerechtigkeit bekämpft.

Emilie Hiller, geb. Kittler (1871-1943)

Die in der sozialistischen Arbeiterbewegung sozialisierte Heilbronnerin ist von 1919 (mit Unterbrechungen) bis 1933 Landtagsabgeordnete für die SPD.

Die Tochter eines Schreiners besucht in Heilbronn die Volksschule und heiratet 1890 den Sozialdemokraten Heinrich Hiller. Mit dem Tapezier und Dekorateur, der später als Gastwirt arbeitet, hat sie eine Tochter. Emilie Hiller tritt 1900 in die SPD ein und gründet 1908 die Heilbronner SPD-Frauengruppe: Mit ihr als lang-jähriger Vorsitzender ist diese Gruppierung in ihrer Arbeit so erfolgreich, dass Ende 1928 der Anteil Heilbronner SPD-Frauen den der Stuttgarter SPD-Frauen um ein Vielfaches übersteigt.

In den ersten beiden Jahren des demokratisch gewählten Landtags gehört Emilie Hiller gemeinsam mit ihrem Vater Gustav Kittler der Verfassunggebenden Landesversammlung Württembergs an. Dort setzt sie sich für Frauenemanzipation und Gleichberechtigung ein. Weitere Anliegen sind ihr die soziale Fürsorge und die Waisenpflege.

Im Landtag ist Emilie Hiller zeitweise Mitglied des Rechtsausschusses und engagiert sich für einen humaneren Strafvollzug für Kinder, die Verbesserung der Fürsorgeerziehung, für unterprivilegierte Bevölkerungsschichten und für frauenpolitisch wichtige Änderungen: Schon in den 1920er-Jahren setzt Emilie Hiller sich für die Abschaffung des § 218 StGB ein. Im SPD-Landesvorstand Württemberg-Hohenzollern ist sie Mitglied.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten endet 1933 ihre politische Laufbahn. Das der SPD-nahen Vereinsdruckerei gehörende Gebäude, in dem sich die Hillersche Gaststätte befindet, wird von den neuen Machthabern enteignet.

Die Gaststätte muss deshalb geschlossen werden. Emilie und Heinrich Hiller leben danach ein zurückgezogenes, notgedrungen bescheidenes Rentnerleben.

Thekla Kauffmann (1883 -1980)

Die Frauenstimmrechtskämpferin Thekla Kauffmann ist von 1919 bis 1920 die einzige jüdische Abgeordnete im Landtag von Württemberg.

Sie stammt aus einem angesehenen bürgerlichen und gut situierten Elternhaus, in dessen Besitz die mechanische Baumwollweberei Kauffmann ist. Nachdem Thekla Kauffmann mehrere Jahre in einem der drei seit 1906 auch in Württemberg existierenden Frauenstimmrechtsvereinen mitgewirkt hat, tritt sie bei den Wahlen 1919 als Kandidatin für die DDP an.

Schon 1920 zieht Thekla Kauffmann sich aus der Politik zurück und übernimmt die Leitungsstelle der Hilfsstelle für Frauenarbeit beim Arbeitsamt Stuttgart. 1933 wird sie nach dem Beginn der NS-Herrschaft entlassen. Sie arbeitet nun als Sozialarbeiterin der Wohlfahrtsstelle der Stuttgarter Israelitischen Gemeinde und leitet die regionale Auswanderungskommission des Hilfsvereins der Juden in Deutschland.

Von hier aus kooperiert sie etwa mit dem amerikanischen Konsulat in Stuttgart. Dort wird die große Zahl an Einwanderungsgesuchen der zur Emigration gezwungenen Juden bearbeitet und werden im besten Fall Visa ausgehändigt.

1941 kann Thekla Kauffmann selbst kurz vor den ersten Deportationen deutscher Juden mit ihrer Mutter nach Frankreich und von dort in die USA entkommen. In Chicago leitet sie jahrelang ein Heim für berufstätige Mütter.

Ihren Lebensabend verbringt sie ab 1960 bei ihrer Schwester in New York. Ihrem deutschen Heimatland kann sie nie verzeihen.

Maria Keinath (1887-1969)

Die Hauptlehrerin und spätere Mittelschullehrerin in Stuttgart wird als Lehrer- und Schulleitertochter von Wilhelm Keinath und seiner Frau Pauline in Esslingen geboren. Sie und ihre Zwillingsschwester sind das 10. und 11. Kind der Familie.

Marie Keinath erhält von 1906 bis 1909 ihre pädagogische Ausbildung im Höheren Lehrerinnenseminar in Stuttgart. Schon in jungen Jahren tritt sie in die DDP ein, arbeitet im württembergischen Zentralvorstand der Partei mit und ist zweite Vorsitzende der DDP-Frauengruppe in Stuttgart.

Als jüngste Abgeordnete wird sie mit 32 Jahren 1919 in die württembergische Verfassunggebende Versammlung gewählt.

Im Landtag arbeitet sie in den Ausschüssen zur Beratung des Diätengesetzes, des Wohnungsbürgschaftsgesetzes und des Volksschulwesens mit. Zudem ist sie Protokollführerin im Fraktionsvorstand der DDP.

Im Sommer 1920 kann Maria Keinath für die zweite Legislaturperiode des Landtags kein Mandat mehr erringen Den politisch-gesellschaftlichen Bruch nach Ende der Weimarer Republik löst sie 1933 für sich mit dem Eintritt in die NSDAP. Über ihre Funktion und ihre berufliche Tätigkeit in der NS-Zeit ist nichts bekannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Maria Keinath 1946 Mitglied der neu gegründeten CDU in Württemberg-Baden.

Nach 43 Jahren Lehrerinnentätigkeit verbringt sie ihren Ruhestand zusammen mit ihrer Zwillingsschwester in Stuttgart-Heslach.

Mathilde Kühnert, geb. Dillenz (1874-1957)

Die Ulmerin wird 1919 als Mitglied der Zentrumspartei in die Verfassunggebende Landesversammlung in Stuttgart gewählt, der sie bis 1920 angehört.

Über die Biografie der Fabrikpflegerin (heute sicher als Sozialarbeiterin bezeichnet) ist nur wenig in Erfahrung zu bringen: Ihr familiäres und politisches Umfeld ist nur bruchstückhaft überliefert. Mathilde Kühnert stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Ihr Adoptivvater Johannes Dillenz ist Arbeiter. Sie wird mit fünf Geschwistern und zwei Halbgeschwistern groß. 1900 heiratet sie den Eisenbohrer Paul Kühnert und adoptiert mit ihm eine Tochter.

Einen weitgefächerten Aktionsradius findet Mathilde Kühnert im Vorstand des Landesausschusses der Württembergischen Katholischen Arbeiterinnenvereine.

Ab 1920 zieht sie sich aus der Politik zurück. Bis Mitte 1930 ist sie in den Ulmer Adressbüchern verzeichnet, zieht aber mutmaßlich nach dem Tod Ihres Mannes im Jahr 1934 aus Ulm weg und stirbt in Schussenried.

Auch von Mathilde Kühnert war bislang noch kein Foto aufzufinden.

Ella Müller-Payer, geb. Payer (1879-1957)

Ein Jahr lang sitzt die Stuttgarterin für die DDP im Württembergischen Landtag. Die Tochter des Juristen und späteren Vizekanzlers des Deutschen Kaiserreiches, Friedrich Payer und seiner Ehefrau Alwine Louise wächst mit ihrem älteren Bruder in Stuttgart auf.

Sie bewundert die politischen Aktivitäten des Vaters und wird nach der Einführung des Frauenwahlrechts Mitglied der DDP und des Landesfrauenausschusses der Partei. 1901 hatte sie den Juristen Albert Friedrich Müller geheiratet, der in die Kanzlei ihres Vaters eintritt. Auch der einzige Sohn des Ehepaares  wird Jurist.

Ella Müller-Payer ist im Landtag Mitglied des Legitimationsausschusses, im Ausschuss für den Entwurf eines Gesetzes zum Gemeindewahlrecht und der Gemeindevertretung wie auch im Ausschuss zur Beratung des Entwurfs eines Landtagswahlgesetzes aktiv.

Da sie im parlamentarischen Betrieb jedoch weniger Befriedigung findet als ihr Vater, kandidiert sie bei der Landtagswahl am 6. Juni 1920 nicht mehr.

Über Ella Müller-Payers Leben in der Folgezeit ist wenig bekannt. Gemeinsam mit ihren Eltern baut das Ehepaar Müller-Payer auf der gutsituierten Stuttgarter Gänsheide im Jahr 1926 ein Zweifamilienhaus.

In den 1950er Jahren ist sie Autorin eines Mundarthörspiels, das der Süddeutsche Rundfunk 1952 produziert und ausstrahlt.

Johanna Friederike Mathilde Planck (1861-1955)

Die Lehrerin und Publizistin zählt zu den wichtigsten Frauen der bürgerlichen Frauen- und Friedensbewegung in Südwestdeutschland und ist von 1920 bis 1928 für die DDP Mitglied des württembergischen Landtags.

Sie erlebt damit den (auch frauenpolitisch) kurzen Aufbruch wie auch den Untergang der Weimarer Republik.

Bereits im Jahr 1920 sind im württembergischen Landtag nur noch fünf weibliche Abgeordnete vertreten, 1930 sogar nur noch drei Frauen im politischen Geschäft. Frauen werden immer seltener (auch von Frauen) gewählt und von den Parteien auf den Wahllisten schlecht platziert.

Mathilde Planck entstammt der württembergischen Großfamilie Planck, ist unter anderem Gründerin und von 1906 bis 1916 Vorsitzende des Württembergischen Lehrerinnenvereins. Als  Journalistin engagiert sie sich für die Sache der Frauen und den Frieden.

Ihr Vater, der Philosoph und Gymnasiallehrers Karl Christian Planck ist der Tochter ein großes Vorbild. Anstelle der kranken Mutter Auguste muss Mathilde Planck schon früh den elterlichen Haushalt führen. Nach dem Tod des Vaters kann sie dann aber von 1884 bis 1886 in Stuttgart eine Ausbildung als Lehrerin am Lehrerinneninstitut des Fräuleins von Prieser absolvieren. Sie besteht das Lehrerinnenexamen unterrichtet an mehreren privaten Schulen und bis zu ihrem selbstgewählten Berufsende 1909 am altsprachlichen ersten Württembergischen Mädchengymnasium, das 1899 gegründet wurde. Dort bestehen 1903 die ersten vier Schülerinnen das Abitur und werden auf Beschluss des württembergischen Königs Wilhelm II. 1904 in Tübingen als erste Studentinnen zum Studium zugelassen.

Ab 1910 konzentriert Mathilde Planck sich auf ihre schriftstellerische und journalistische Arbeit für verschiedene württembergische Zeitungen. Sie publiziert zum Thema „Frauenberuf“, auch um demokratische "Frauenbestrebungen“ in Württemberg zu fördern.

Ihr einflussreichstes Organ ist von 1921 bis 1927 „Die Rosa Frau“, die Frauenbeilage des Neuen Tagblattes Stuttgart. Mathilde Planck unterstützt damit die Vereinsarbeit innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung, ist Vorsitzende des Ortsvereins Frauenbildung und Frauenstudium, 1901 Gründerin des Verbands Württembergischer Frauenvereine und des württembergischen Lehrerinnenvereins.

1914 ist sie Mitgründerin der Stuttgarter Filiale des Nationalen Frauendienstes und Gründerin des württembergischen Zweigvereins der Deutschen Friedensgemeinschaft wie auch und des Vereins für Verbesserung der Frauenkleidung. Die höchst aktive Netzwerkerin der Frauenbewegung gehört 1921 auch zu den Gründungsmitgliedern der ersten gemeinnützigen Bauspar-kasse „GdF Wüstenrot“ in Ludwigsburg und initiiert dort eines der ersten modernen Altenheime.

1918 hatte Mathilde Planck zu den Gründungsmitgliedern der DDP in Württemberg gehört. Innerparteilich engagiert sie sich auch auf Reichsebene, zwei Reichstagskandidaturen 1919 und 1920 führen aber nicht zum Erfolg. Im Dritten Reich verliert Mathilde Plack ihre politischen Ämter. Sie zieht sich aufrecht aufbegehrend ins Privatleben zurück und widmet sich der Publikation der Werke ihres Vaters wie auch ihrer eigenen Schriften.

1953 kandidiert Mathilde Planck im Wahlkreis Ludwigsburg bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag. Mit 91 Jahren ist sie bundesweit die älteste Kandidatin, wird jedoch nicht gewählt. Zum 90. Geburtstag wird ihr 1951 als erster deutscher Frau das  Bundesverdienstkreuz verliehen.

Luise Stefanie Rosine Rist, geb. Freyler (1877-1955)

Die in Rottweil geborene überzeugte Katholikin wird 1919 für die Zentrumspartei in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt und gehört bis 1933 dem württembergischen Landtag an. 

Nach Abschluss ihrer schulischen Ausbildung im Internat der "Englischen Fräulein" in Lindau heiratet Luise Freyler Josef Rist, Professor an der Stuttgarter Kunstakademie. Schon in jungen Jahren engagiert sie sich im katholischen Verbandswesen: 1918 übernimmt sie die Führung des Katholischen Frauenbunds in der Diözese Rottenburg und des Stuttgarter Zweigvereins. Sie ist Mitglied des Zentralrats in Köln und Vorsitzende der Hausfrauenvereinigung des Katholischen Frauenvereins in Württemberg.

Nach ihrer Wahl in den Landtag ist sie im Fraktionsvorstand ihrer Partei tätig, arbeitet im Finanzausschuss, im Sonderausschuss für den Entwurf eines Jugendschutzgesetzes und eines Landtagwahlgesetzes und zeitweise auch im Reichspartei- und Landesvorstand des Zentrums.

Gleichzeitig ist Luise Rist lange Jahre Redakteurin der Frauenbeilage des Deutschen Volksblatts, dem Parteiorgan des Zentrums. 1925 wird ihr der Päpstliche Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ verliehen.

1933 wird auch Luise Rist von den Nationalsozialisten aller politischen Ämter enthoben. Nach der Zerstörung ihres Stuttgarter Hauses im Zweiten Weltkrieg zieht sie nach Rottenburg und wird im Sommer 1944 im Zuge der Aktion „Gewitter“ einige Wochen in der Nerven-Heilanstalt kranke Rottenmünster in sog. Schutzhaft genommen.

Ihr enger Kontakt zur Familie des ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz machte sie für die nationalsozialistischen Machthaber zur Mitwisserin des gescheiterten Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.

Nach Kriegsende ist Luise Rist von 1945 bis 1948 Vorsitzende des Diözesanverbandes des Katholischen Frauenbundes und zählt zu den Mitbegründern der CDU Nordwürttemberg. Auch in der neuen Partei engagiert sie sich im Frauenausschuss als Vorsitzende für die Gleichberechtigung der Frauen.

An die Führungsmänner der CDU stellt sie hohe Anforderungen: Sie müssten in der wiedererstandenen Demokratie ihrer Ansicht nach ein aktives Christentum vertreten. In der noch jungen Partei genießt Luise Rist hohes Ansehen und gehört als einzige Frau dem Landesvorstand an. Aus Altersgründen kandidiert sie aber nicht mehr für ein Parlamentsmandat.

1953 wird  sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Ihren Lebensabend verbringt Luise Rist im Altersheim der Sießener Schwestern in Stuttgart.

Laura Schradin, geb. Pfenning (1878-1937)

Die Reutlingerin gehört zu den sozial überaus engagierten Sozialdemokratinnen und wird 1919 für die SPD in die Verfassunggebende Landesversammlung in Stuttgart gewählt. Sie ist Mitglied im Fraktionsvorstand zur Beratung eines Entwurfs eines Wohnungsbürgschaftsgesetzes, im volkswirtschaftlichen Ausschuss und im Volksschulausschuss.

1920 kandidiert sie nicht mehr für den Landtag, weil sie auf Platz fünf der württembergischen Reichstags-Wahlliste der SPD steht. Der Stimmenverlust ihrer Partei verhindert aber 1920 und 1924 ihren Einzug in den Reichstag.

Die darauf folgenden fünf Jahre versucht Laura Schradin als Stadträtin in Reutlingen, ihre frauenpolitischen und sozialen Forderungen umzusetzen. Aus gesundheitlichen Gründen muss sie schließlich ihr Mandat zurückgeben.

Laura Schradins familiäre Herkunft ist prägend für ihre Biografie: Schon früh muss sie zum Lebensunterhalt der in armen Verhältnissen lebenden Weingärtnerfamilie beitragen und kann sich neben dem (oft unterbrochenen) Besuch der Volksschule, der notwendigen Heimarbeit und der Mitarbeit im väterlichen Betrieb nur autodidaktisch weiterbilden.

Ab 1896 arbeitet sie als Weberin und lernt an ihrer Arbeitsstelle ihren späteren Mann, den Prokuristen Fritz Schradin kennen, den sie 1904 heiratet. Die 1910 geborene Tochter Hedwig Rieth wird sich später als SPD-Kommunalpolitikerin in Tübingen einen Namen machen.

Laura Schradin wird von ihrem in der DDP aktiven Ehemann bei ihren Vorhaben stets unterstützt. Gemeinsam besuchen sie Kurse im Kaufmännischen Verein und Vorlesungen an der Universität Tübingen.

Schon mit 18 Jahren engagiert sich Laura Schradin, die schon vor der Heirat von zu Hause auszieht, in der Gewerkschaft. 1897 tritt sie in die SPD ein und engagiert sich mit anderen Genossinnen für das Frauenwahlrecht, den Kinderschutz, die Gleichberechtigung und bessere Möglichkeiten des Bildungserwerbs für Frauen.

1907 lernt sie auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart  Rosa Luxemburg, Lily Braun und Clara Zetkin kennen. Bei der ersten Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz, die dem Internationalen Sozialistenkongress im August 1907 in der Stuttgarter Liederhalle vorgeschaltet war, stimmt Laura Schradin für Zetkins Antrag für ein geheimes, direktes, allgemeines und gleiches Wahlrecht für Frauen. Es ist das Vorbild für das 1918 in Deutschland eingeführte allgemeine Wahlrecht.

Hatte Laura Schradin sich vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs noch deutlich gegen den Krieg ausgesprochen, zeigt sie sich während des Krieges im Umgang mit der Situation eher pragmatisch. Sie finanziert in Reutlingen mit ihrem Mann „Kriegsflickwerkstätten“, in denen Arbeiterinnen durch höhere Löhne in der kriegsbedingt schweren Situation finanziell unterstützt werden. 1917 beschäftigen zehn dieser Werkstätten 2.200 Frauen. Allerdings wird  Laura Schradin aufgrund ihres Engagements für die Werkstätten von nichtaufgenommenen Frauen, von kirchlicher und nicht zuletzt von sozialistischer Seite hart kritisiert und verleumdet.

1921 ist Laura Schradin an der Gründung der Arbeiterwohlfahrt in Reutlingen beteiligt und betätigt sich weiterhin als politische Rednerin – ab 1927 allerdings nicht mehr für die SPD, sondern für die „Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung“. Für diese Partei tritt sie als 1932 bei der Wahl zum vierten Württembergischen Landtag als Kandidatin an.

Seit 1922 verwitwet, verliert sie durch die Inflation ihr Vermögen und arbeitet  im Büro des Konsumvereins in Reutlingen. In der NS-Zeit  wird sie 1936 als „Brunnenvergifterin“ und „Hetzerin“ zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die sie aufgrund eines Schlaganfalls 1937, an dessen Folgen sie sterben wird, nicht antritt.

Mit ihren politischen Ansichten hat Laura Schradin auch in der Nazi-Zeit niemanden verschont und bleibt bis zuletzt eine standhafte Gegnerin der braunen Ideologie. 1937 stirbt sie 58jährig am Internationalen Frauentag.

Amélie Charlotte Freifrau von Soden, geb. Freiin Hugo von Spitzemberg (1869-1953)

Die adelige Stuttgarterin ist Mitglied der Zentrumspartei und wird im Januar 1919 in die Verfassunggebende Versammlung Württembergs gewählt.

Obwohl sie Mitglied des Fraktionsvorstands ist, scheidet sie bereits am 2. Juni 1919 aus persönlichen Gründen aus dem Gremium aus. Bei ihrer Kandidatur war sie davon ausgegangen, dass die Legislaturperiode nur einige Monate dauern würde.

Amélie von Soden entstammt dem lothringischen Adelsgeschlecht Spitzemberg. Ihr Vater war General der Infanterie und Generaladjutant beim württembergischen König Karl I.; die Familie ihrer ebenfalls adligen Mutter Maria, lebte auf Schloss Wain in Wain.

Amélie von Spitzemberg heiratet 1890 in Stuttgart den Militärbeamten Franz von Soden, Sohn des für den König tätigen Kammerherren, "Wirklichen Geheimen Rates" und Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs in Stuttgart. In den nächsten 15 Jahren bringt sie fünf Töchter zur Welt.

Amélie von Soden engagiert sich ehrenamtlich bei der Caritas und im Bildungswesen. Im Jahr 1913 tritt sie als Nachfolgerin ihrer verstorbenen Schwiegermutter das Amt der Präsidentin des Elisabethvereins an und leitet den Mädchenschutzverein.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hilft sie aktiv bei der Versorgung verwundeter Soldaten. Im Jahr 1917 gehört Amélie von Soden dem Gründungsvorstand des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDF) in Stuttgart an und wird dessen stellvertretende Vorsitzende.

Auch nachdem ihr Ehemann nach Ende des Ersten Weltkriegs hochdekoriert in den Ruhestand tritt, bleibt Amélie von Soden politisch und ehrenamtlich aktiv und stellt sich 1919 für das Zentrum zur Wahl.
Über die Haltung der Familie zum Nationalsozialismus ist nichts bekannt. Zuletzt lebt das Ehepaar von Soden in Überlingen.

Von Amélie von Soden konnte bislang kein Bild gefunden werden.

Fanny Vorhölzer, geb. Klimmer (1869-1941)

Die ehemalige Hausangestellte und spätere Hausfrau firmiert bei der Wahl 1919 als Verbandsbeamtengattin und wird von 1919 bis 1920 württembergische Landtagsabgeordnete für die SPD.

Zur gleichen Zeit ist sie auch Vorsitzende der Filiale des Hausangestelltenverbandes in Stuttgart und gewerkschaftlich aktiv. Im Landesparlament sitzt sie im Ausschuss für ein Gesetz des Gemeindewahlrechts und der Gemeindevertretung. Auch im Petitionsausschuss und Volkswirtschaftlichen Ausschuss ist sie verzeichnet.

Die erste Etappe ihres politischen Mitwirkens datiert schon auf die Novemberrevolution 1918: Fanny Vorhölzer ist damals Mitglied der Ernährungskommission des Vollzugsausschusses des Arbeiterrats Groß-Stuttgart. Das ist die politische Vorstufe ihrer Wahl zu Verfassunggebenden Versammlung. 1920 kommt Fanny Vorhölzer als Landtagskandidatin auf dem Listenplatz 25 nicht mehr in das Parlament. Bei weiteren Wahlen kandidiert sie nicht mehr.

Fanny Klimmer stammt aus einfachen Verhältnissen und kann nur die Volksschule absolvieren. 1890 hatte sie Karl Vorhölzer geheiratet. Der ausgebildete Spengler ist ab 1902 Angestellter des Metallarbeiterverbands in Hannover und von 1904 bis 1925 Bezirksleiter des Metallarbeiterverbands für Württemberg. Wie seine Frau wird er von 1919 bis 1920 für die SPD in die Verfassunggebende Ver-sammlung gewählt.

Über den weiteren Verlauf der Biografie Fanny Vorhölzers ist wenig bekannt, ein Foto von ihr ist bislang nicht aufzufinden.

In der NS-Zeit wird sie nach dem Tod ihres Gatten noch im Rentenalter von der Gestapo überwacht. Bis zu ihrem Tod lebt sie im Stuttgarter Westen.

Eugenie Willig (1879-1954)

Die aus Bietigheim stammende Postgehilfin gehört 1919 zu den dreizehn Frauen, die in die Verfassunggebende Landesversammlung im Freien Volksstaat Württemberg gewählt werden.

Von 1919 bis 1920 ist sie Landtagsabgeordnete für die DDP und setzt sich besonders für frauenspezifisch schwierige Sachverhalte ein. Da die DDP bei der folgenden Wahl im Jahr 1920 nur noch fünfzehn Sitze gewinnen kann und Eugenie Willig nicht auf den vorderen Listenplätzen firmiert, ist sie nicht mehr im Landtag vertreten.

Eugenie Willig ist Tochter des Stadtschultheißen und Standesbeamten Wilhelm Christoph Willig und arbeitet ebenso wie weitere Familienmitglieder bei der Post in Stuttgart. 1913 erscheint ein mehrseitiger Aufsatz, in dem sie den Beruf der „Verkehrsbeamtin“ vorstellt, in Eugenie von Sodens Sammelband „Das Frauenbuch: Eine allgemeinverständliche Einführung in alle Gebiete des Frauenlebens der Gegenwart“. Eugenie Willig engagiert sich also auch schriftlich in frauenpolitischer Absicht.

Ab November 1918 gehört sie dem Arbeiterrat Groß-Stuttgart an und ist auf kommunalpolitischer Ebene als Mitglied der Wohnungskommission bei der Wohnungsrationierung tätig.

In der ersten Hälfte der 1920er Jahre heiratet sie und wird in den Stuttgarter Pass-Akten aus dem Jahr 1926 als Eugenie Russ geb. Willig geführt. Als letzter Dienstort wird Bietigheim-Besigheim genannt, danach verliert sich bis 1945 ihre Spur.

Im September 1945 gehört Eugenie Russ-Willig zu den Gründungsmitgliedern der Demokratischen Volkspartei (DVP), der dritten Partei, deren Gründung die amerikanische Militärregierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Stuttgart zulässt.

Im Präsidium der DVP im Großraum Stuttgart übernimmt sie die Funktion der Beisitzerin. Wie Willig hatten alle Präsidiumsmitglieder vor 1933 der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehört. Für ein neues Leben in der wiedergewonnenen Demokratie bleiben ihr noch fast zehn Jahre.

Leider fehlt auch von Eugenie Willig ein Foto.

Clara Zetkin, geb. Eißner (1857-1933)

Die Lehrerin und Journalistin ist Leitfigur und maßgebende Theoretikerin der deutschen proletarischen Frauenbewegung. 1919 wird sie als Kandidatin der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei USPD in die Verfassunggebende Landesversammlung in Stuttgart gewählt.

Als Sozialistin gehört Clara Zetkin zu der Partei, die als erste Partei 1891 die Stimmrechtsforderung der Frauen in ihr Programm aufgenommen hatte. Politisch engagiert, mit internationalem Einfluss und als konsequente Pazifistin lebt sie von 1891 bis 1920 in Stuttgart nach der Rückkehr aus der Pariser Emigration.

Als Herausgeberin der „Gleichheit“, der SPD-Zeitung für Arbeiterinnen, macht sie ihren politischen Einfluss deutlich und verschafft den ihr wichtigen frauenpolitischen Zielen gesellschaftliche Resonanz.

Die "Gleichheit" wird zum Organ der internationalen Frauenbewegung und auch zum Forum des von Clara Zetkin als „Erste Sekretärin des Internationalen Frauensekretariats“ 1910 ins Leben gerufenen Internationalen Frauentags.

Ihr radikaler Antikriegskurs, der jede Kriegsunterstützung und den von ihren Genossen im Reichstag abgesegneten Kriegskredit ablehnt, führt zum Bruch mit der SPD. Der USPD, deren Mitglied sie 1917 wird, bleibt sie nicht lange treu.

1918 erklärt sie sich  mit der russischen Revolution solidarisch und wird Kommunistin. Dennoch kandidiert Clara Zetkin aus taktischen Gründen nach Kriegsende 1919 für die USPD und versucht sich innerhalb der harschen Auseinandersetzungen mit den sog. „Mehrheitssozialisten“ zu behaupten.

Während der Euphorie des Ersten Weltkrieges waren ihre beiden Söhne, deren Vater der russische Revolutionär und ihr langjähriger Lebensgefährte Ossip Zetkin war, eingezogen. Der Maler Georg Friedrich Zundel, mit dem sie seit 1898 verheiratet ist, meldet sich als Freiwilliger. Den „Nationalen Frauendienst“, den Frauenvereine aller Richtungen gründen, um im sozialen Dienst für Verwundete in Lazaretten und für notleidende vaterlose Familien zu sorgen, unterstützt Clara Zetkin aber nicht. Sie betrachtet ihn als eine Verlängerung des Krieges in der Heimat. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schafft die Novemberrevolution das deutsche Kaisertum, die Königs- und Adelshäuser der deutschen Kleinstaaten ab.

In der Verfassunggebenden Landesversammlung wird Clara Zetkin spätestens am 29. Januar 1919 mit der ersten Rede einer Frau  zur Ikone der Frauengleichberechtigungsbewegung. Hier betont sie vehement, dass das Frauenwahlrecht kein Geschenk der Männer dieser neuen Demokratie an die Frauen ist, sondern nur durch die langjährige Hartnäckigkeit von Frauen erkämpft und umgesetzt worden ist.

Doch Clara Zetkins Stuttgarter Zeit ist vorbei. Seit dem Mord an Rosa Luxemburg und Wilhelm Liebknecht am 15. Januar 1919 in Berlin leidet auch sie immer mehr an den Anfeindungen und der Verfolgung durch ihre Gegner.

Von 1920 bis 1933 agiert sie als Reichstagsabgeordnete der KPD und lebt mittlerweile ge-trennt von ihrem Mann in Berlin-Birkenwerder. Immer häufiger hält die weltweit bekannte Politikerin sich ab 1920 in Moskau auf, wo sie bis zu ihrem Tod lebt und arbeitet.

Vehement und mutig warnt Clara Zetkin bei der Eröffnung des letzten demokratisch gewählten Reichstags in Berlin im August 1932 in ihrer Rede als Alterspräsidentin vor den Nationalsozialisten. Den Reichstag muss sie zur Vorsicht durch eine Hintertür und verkleidet verlassen.

Clara Zetkin war zu ihrer Lebenszeit und ist später das Opfer vieler Klischees – wie kaum eine andere Politikerin polarisiert sie die Menschen. Sie wird geliebt, gehasst, verfolgt, eingesperrt und umjubelt und später in der DDR zur Galionsfigur der Partei und zur proletarisch ‚überzuckerten‘ Heldin stilisiert.

In der Bundesrepublik wird sie trotz ihrer Verdienste um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und um die (noch nicht umgesetzten) gleichen Arbeitsrechte lange Zeit verschwiegen und als Stalinistin gebrandmarkt, die sie nie war.

Ella Ehni, geb. Mayer (1875-1952)

Eine frauenpolitisch wichtige und heute zu wenig bekannte Stuttgarter Nachrückerin ist seit 1920 die langjährige Vorsitzende des Verbandes Württembergischer Frauenvereine in Stuttgart.

1920 kandidiert sie auf der Liste der der DDP für den Landtag des freien Volksstaates Württembergs und wird von 1920 bis 1924 Abgeordnete.

Ihre kommunalpolitischen Fähigkeiten beweist Ella Ehni von 1919 bis 1922 als Stuttgarter Gemeinderätin. Im Landtag ist sie angesichts der schwindenden Zahl weiblicher Abgeordneter wichtige frauenpolitische Nachrückerin in Sachen berufliche und soziale Forderungen.

Ihre bildungspolitischen Ziele unterstützt Ella Ehni als Vorsitzende des Verwaltungsrats des ersten württembergischen alt-sprachlichen Mädchengymnasiums, dem damaligen Königin-Charlotte-Gymnasium (heute Hölderlingymnasium) in Stuttgart.

Gegründet worden war die Schule  von der Philologin und Lehrerin Gertrud Schwend-von Üxküll, der Stuttgarter Vorsitzenden des Vereins Frauenbildungs- Frauenreform. Mit Unterstützung von Gräfin Olga von Uexküll-Gyllenband, der Palastdame von Königin Charlotte von Württemberg, konnte es zu dieser Gründung kommen. In diesem bildungspolitischen Kontext muss Ella Ehni gesehen werden.

Über ihre wohl jüdische Herkunft und ihre sicher qualifizierte Ausbildung war bislang noch nichts zu erfahren. 1930 gelingt es ihr, nach Zürich zu emigrieren.

Anna Blos, geb. Tomasczewska (1866-1933)

Die Oberlehrerin, Politikerin und Journalistin gehört von 1919 bis 1920 als einzige Frau aus Württemberg der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar an. Mit den neunzehn anderen weiblichen Abgeordneten der SPD-Fraktion zählt sie zu den ersten gewählten Frauen im Deutschen Reichstag.

Anna Blos hatte am 3. November 1918 an mehreren Plätzen in Stuttgart Versammlungen zum Frauenwahlrecht organisiert. Dieser Tag war vom Soldaten- und Arbeiterrat in Berlin ursprünglich dazu bestimmt gewesen, die Deutsche Republik auszurufen.

In Stuttgart aber hatte man vorerst nichts vom kurzfristig neu festgelegten Termin, dem 9. November, erfahren, da dieser erst am Ende der entsprechenden Sitzung beschlossen worden war, als der Stuttgarter USPD-Politiker Ferdinand Hoschka bereits den letzten Zug nach Stuttgart bestiegen hatte. So konnte Anna Blos nach dem Bekanntwerden des neuen Termins am 3. November mit Veranstaltungen für das Frauenwahlrecht diese Lücke füllen und für das Stimmrecht werben.

Die aus einer gebildeten und wohlhabenden niederschlesischen Bürgerfamilie stammende Anna Tomasczewska ist fast vierzig Jahre alt, Lehrerin und in der bürgerlichen Frauenbewegung vernetzt, als sie 1905 ihr "Junggesellinnen-Dasein" aufgibt, um den 56jährigen Sozialdemokraten Wilhelm Blos zu heiraten. Der durch Sozialistengesetz und Verfolgung geeichte Politiker ist ab März 1919 ein gutes Jahr lang erster sozialistische Ministerpräsident Württembergs.

Anna Blos' eigenes Leben ist erst seit dieser Zeit – wenn auch bruchstückhaft – dokumentiert. Ihre Herkunftsfamilie war zu Ende des 19. Jahrhunderts dem Familienoberhaupt, einem hochrangigen Militärangehörigen, an dessen Stationierungsorte in ganz Deutschland gefolgt.

Die Tochter erhält für damalige Verhältnisse eine hervorragende schulische Ausbildung und kann in Berlin ein Lehrerinnenexamen ablegen. Sie gehört bald zum gemäßigten Flügel der SPD und trägt den Widerstand gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die das Proletariat benachteiligen, mit. Ihr Hauptinteresse gilt einer gesellschaftlich und innerhalb der eigenen Partei legitimierten Frauenpolitik. Den hauswirtschaftlichen Bereich, Kindererziehung und Gesundheitspflege will sie gesellschaftlich als Basis eines „Volkshauses“ aufgewertet sehen.

Als erste deutsche Ortsschulrätin kämpft Anna Blos für höhere Bildungschancen für Arbeiterkinder und bekämpft im Ersten Weltkrieg durch die Einrichtung von Kinderküchen, die von den Kommunen finanziert werden, die Unterernährung der Volksschüler. Als Schriftstellerin macht sie sich vor allem für die Darstellung weiblicher Traditionslinien stark.

Vor dem Hintergrund der frauenpolitischen Rückschläge der Weimarer Republik und der aufscheinenden nationalsozialistischen Gefahr warnt die politisch überaus wache, nun verwitwete Anna Blos ihre Geschlechtsgenossinnen davor, die politisch-gesellschaftliche Mitwirkung aufzugeben. Diese Warnung ist auch heute noch und wieder aktuell.

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Literatur:

  • Hochreuther, Ina: Frauen im Parlament, Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, Stuttgart 2012 (3. Auflage)
  • Raberg, Frank: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933, Stuttgart 2001
  • Schröder, Wilhelm Heinz: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichslandta-gen 1867-1933, Düsseldorf 1995

Autorin: Dr. Mascha Riepl-Schmidt, Redaktion: Beate Dörr,
Aufbereitung für das Netz: LpB-Online-Redaktion, Feb. 2019

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