Arbeitslosengeld II – Hartz IV – Bürgergeld

Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Stillstand und horrende Sozialausgaben waren der Hintergrund für das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, kurz: Hartz IV. Das Gesetz trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Hartz IV (umgangssprachlich für Arbeitslosengeld II) war das Herzstück der „Agenda 2010“. Damit wollte die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Sozialsysteme umbauen.

Wie haben die Reformen bis heute gewirkt? Inwiefern waren und sind sie umstritten? Was ändert sich mit dem Bürgergeld? Und wie hoch ist der Regelsatz? Diese Fragen greift das Dossier auf.

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Kurz & knapp: Was ist Hartz IV? Was ändert sich mit dem Bürgergeld?

  • Was bedeutet der Begriff? Hartz IV ist umgangssprachlich. Damit ist ein Gesetz gemeint, das die finanziellen Ansprüche für Menschen, die längere Zeit arbeitslos sind, regelt. Dieses Geld heißt „Arbeitslosengeld II“ und wird oft auch „Hartz IV“ genannt.
     
  • Woher kommt der Begriff? Der Begriff Hartz IV geht auf die sogenannten Hartz-Reformen zurück. Fachleute erarbeiteten im Jahr 2002 Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation. Der Leiter dieser Arbeitsgruppe war Peter Hartz, nach ihm wurde in der Umgangssprache das Gesetz benannt. Eigentlich heißt das Gesetz: „Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Dieses Gesetz trat 2005 in Kraft.
     
  • Wie viel Geld erhalten jetzt Bürgergeld-Empfänger? „Arbeitslosengeld II“ soll ein würdevolles Leben garantieren. Was genau leistungsberechtigte Personen erhalten, wird im sogenannten Regelsatz definiert.
     
  • Was ändert sich mit dem Bürgergeld? 
    Die 2021 gewählte Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzt. Mitte September 2022 hatte das Bundeskabinett grünes Licht für die Einführung des Bürgergelds gegeben, Bundestag und Bundesrat hatten dem Gesetz im November zugestimmt.
    Mit dem Bürgergeld sind die Regelsätze der Grundsicherung gestiegen: Alleinstehende Erwachsene erhalten 502 Euro anstatt bisher 449 Euro. Außerdem soll es weniger Druck auf Arbeitssuchende geben.
    Mehr Infos: Was ändert sich mit dem Bürgergeld?

    ​​​​​​​Quellen: Tagesschau.de, Arbeitsagentur.de,bpb.de

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Wie hoch ist der Bürgergeld-Regelsatz?

Wer erhält den Bürgergeld-Regelsatz? Wie hoch ist der aktuelle Bürgergeld-Regelsatz? Und wie setzt sich der Bürgergeld-Regelsatz zusammen? Das erfahren Sie hier.

Bürgergeld Regelsatz 2023

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Hartz IV – Wie alles begann

Der Hintergrund für das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, kurz: Hartz IV, waren Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Stillstand und horrende Sozialausgaben. Deutschland galt als „kranker Mann“ Europas und sollte an diesem neuen Gesetz gesunden, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat. Hartz IV war das Herzstück der „Agenda 2010“, mit der die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Wirtschaft des Landes anschieben und die Sozialsysteme umbauen wollte. Unternehmer und wirtschaftsnahe Gruppen begrüßten das Programm. Linke und Gewerkschaften liefen Sturm, weil Hartz IV denjenigen herbe Einschnitte brachte, die ohnehin am unteren Ende der Einkommensskala standen.

Genau das war der Plan: Um vom Staat Geld für den Lebensunterhalt und die Miete (Arbeitslosengeld II) zu erhalten, sollen Arbeitslose Gegenleistungen erbringen und sich ernsthaft um eine Ausbildung oder Arbeit bemühen. Vernachlässigen sie dies, kann das Jobcenter ihre Bezüge seit 2019 um bis zu zehn Prozent kürzen. Anfangs waren noch weit härtere Kürzungen möglich. Als äußerste Maßnahme konnte die Behörde statt Geld nur noch Einkaufsgutscheine ausgeben. Doch seit Inkrafttreten ist Hartz IV immer wieder angepasst und nachgebessert worden. An der grundsätzlichen Devise „Fordern und Fördern“ hat sich dabei aber nichts geändert.

Die Agenda 2010 nahm übrigens nicht nur den Arbeitsmarkt in den Blick, sondern auch Wirtschaft, Bildung und Ausbildung. So war es einem Handwerker nun auch ohne Meisterbrief möglich, einen eigenen Betrieb zu gründen. Der Kündigungsschutz wurde gelockert und die Lohnnebenkosten gesenkt, indem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun mehr Sozialabgaben bezahlten. Die Bundesregierung erhöhte ferner ihre Bildungsausgaben, reformierte das BAföG und förderte die Ganztagsschulen. All das war dazu bestimmt, die Konjunktur in Schwung zu bringen und dem „kranken“ Mann aufzuhelfen.

Bis heute wird über Hartz IV gestritten

Über die Wirksamkeit der Kur wird bis heute gestritten. Fakt ist, dass die Massenarbeitslosigkeit verschwunden ist. Von ehemals 11,7 Prozent im Jahr 2005 ist die Arbeitslosenquote kontinuierlich bis ins Jahr 2019 auf rund fünf Prozent gesunken. Erst im Corona-Jahr 2020 gab es laut Statista erstmals wieder einen signifikanten Anstieg auf eine Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent. 2021 lag die Arbeitslosenquote dann bei 6,3 Prozent. Der jahrelange Rückgang der Arbeitslosigkeit verdankte sich maßgeblich der belebten Konjunktur. Welchen Anteil die Hartz-Reformen am wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands hatten, ist umstritten. Die Zahl der Hilfebedürftigen im Land ist langfristig indessen nicht zurückgegangen, sondern verharrt seit etwa zehn Jahren auf demselben Niveau. Der Grund: Es gibt nach wie vor viele Erwerbstätige, deren Verdienst zum Leben nicht reicht und die mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssen. Daran hat auch der gesetzliche Mindestlohn nichts geändert, der letztmals zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro angehoben wurde.

Besonders umstritten bei Hartz IV war die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Viele Menschen fürchten nun den sozialen Abstieg, sollten sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Zeiten stabiler, auf Dauer angelegter Arbeitsverhältnisse sind vorbei. Inzwischen sind auch jene Arbeitnehmer nicht mehr sicher, die gut ausgebildet sind und Berufserfahrung haben. Allerdings finden sie meist eine neue Stelle, bevor sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit tatsächlich bei Hartz IV, dem Arbeitslosengeld II, landen. Hartz IV trifft eher Menschen, die aufgrund ihrer geringen Qualifikation schon vorher zu kämpfen hatten, weil die Globalisierung den Wettbewerb insgesamt verschärft hat und einfache Jobs wegrationalisiert wurden.

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Hartz IV in der Kritik

Die wohl bedeutsamste Reform in der deutschen Sozialgeschichte legte 2005 einen holprigen Start hin: Es begann mit Software-Problemen, dann fehlten Bankdaten für die Überweisungen von Arbeitslosengeld II, die Kommunen und Arbeitsagenturen vor Ort verknäuelten sich unterdessen im Kompetenzgerangel, weil sie plötzlich in den Jobcentern zusammenarbeiten sollten.

Vor allem aber polarisierte die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer einheitlichen Grundsicherung, der Kern der Hartz IV-Gesetze, die Bevölkerung. Und ob die soziale Rosskur gewirkt hat, weiß bis heute niemand sicher zu sagen: Welchen Anteil die Reform an der Verbesserung der Arbeitslosenzahlen hatte und welchen die Konjunktur, bleibt unter Fachleuten aus Politik und Wirtschaft umstritten. Und so ebbt die Kritik an der Reform gut 15 Jahre nach ihrer Umsetzung nicht ab.

Im Jahr 2005, als die Hartz-Reform in Kraft trat, waren in Deutschland fast fünf Millionen Menschen ohne Arbeit. 1,8 Millionen von ihnen waren Langzeitarbeitslose. Hartz-Befürworter führen den anschließenden Konjunkturaufschwung und die zeitweilige Halbierung der Arbeitslosigkeit maßgeblich auf die Sozialreform zurück. Bei Beschäftigung und Jugendarbeitslosigkeit stehe Deutschland im internationalen Vergleich gut da. Der Trend der zuvor ständig wachsenden Sockelarbeitslosigkeit sei gebrochen worden, Arbeitslose würden seither systematisch gefördert. Kritiker sehen indessen die Konjunktur als Treiber dieser Entwicklung und prangern die soziale Kälte an, die sich mit Hartz IV in der Bundesrepublik breitgemacht habe.

Die finanzielle Situation von Millionen Langzeitarbeitslosen und deren Familien hat sich verschlechtert. Langzeiterwerbslose, die vorher Arbeitslosenhilfe erhielten, sind jetzt Fälle für die Fürsorge, wodurch sich auch die Kinderarmut beinahe verdoppelt hat. Kurz vor der Einführung von Hartz IV gab es rund 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die Sozialhilfe bezogen. Inzwischen liegt die Zahl der minderjährigen Empfänger von Hartz-IV-Leistungen seit Jahren bei knapp zwei Millionen. Laut dem Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe wurden Hartz-IV-Bezieher sukzessive immer weiter von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt.

Kritiker sagen, Hartz IV habe zu Dumpinglöhnen geführt und in der Folge dazu, dass Millionen Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Das Arbeitslosengeld II war als ergänzende Transferleistung gedacht für geringen Lohn. Von den niedrigen Löhnen profitierten die Arbeitgeber und schufen mehr solcher Jobs, analysiert der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge: Das war das „Haupteinfallstor für heutige Erwerbs-, Familien- und Kinderarmut wie für spätere Altersarmut“, die „mittlerweile beinahe ein Viertel der Beschäftigten umfasst“. Verstärkend für die Entwicklung ist: Erwerbslose sind gezwungen, auch kurz befristete Tätigkeiten anzunehmen. Sie landen danach oft bald wieder in Hartz IV. Hartz IV wird so zum Dauerzustand, Phasen von aufstockendem Bezug und Erwerbslosigkeit wechseln sich ab. Ein Job, der die Existenz sichert, kommt aber nicht.

Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe kommt in einer jüngeren Untersuchung zu dem Schluss, die Hartz-Gesetze hätten zwar die Arbeitslosigkeit gesenkt, doch zugleich habe die Armut im Land stark zugenommen. Aus kritischer Sicht wirkte Hartz IV demnach doppelt negativ: Die Empfänger von Transferleistungen werden immer ärmer und die Personengruppe, die es trifft, immer größer. Das Arbeitsklima ist rauer als vor der Reform: „Für die Bezieher/-innen von Arbeitslosengeld II ist Hartz IV ein Disziplinierungsinstrument und für ‚normale‘ Arbeitnehmer/-innen eine Drohkulisse und ein Druckmittel“, so der Politikwissenschaftler Butterwegge.

Kritiker sagen auch, Hartz IV mache krank. Denn Druck wird nicht nur auf das Lohnniveau geübt, sondern auch auf den einzelnen arbeitslosen Menschen: Er oder sie muss fast jeden Job annehmen, sonst werden Leistungen gekürzt. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in seiner vorläufig letzten Studie von 2013 feststellte, leiden bis zu 40 Prozent der Empfänger von Hartz IV an einer psychischen Erkrankung, ein Großteil unter Depressionen. Ein Henne-Ei-Problem? Praktizierende Ärzte geben hier zu bedenken, dass Menschen mit Depressionen häufig ihre Arbeit verlieren und große Schwierigkeiten haben, sich erfolgreich anderswo zu bewerben.
 

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Hartz IV – Zeit für Reformen

Stand: Mitte 2022

Seit dem Inkrafttreten von Hartz IV sind die Regelungen immer wieder Gegenstand heftiger Kontroversen. Im Grunde besteht im politischen Raum seit geraumer Zeit Einigkeit darüber, dass das Regelwerk angepasst werden sollte. Die Frage ist aber, wie weit die Änderungen gehen sollen.

Der Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Walwei beginnt mit einer Beschreibung des Status Quo und der Entwicklung wichtiger Kenngrößen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Danach werden Kritikpunkte genauer adressiert, der jeweilige Forschungsstand dazu zusammengetragen und evidenzbasierte Handlungsoptionen abgeleitet.

Hartz IV – Zeit für Reformen

Hartz IV und die politischen Folgen

Im Jahr 2004 gingen in Deutschland massenweise Menschen gegen Hartz IV auf die Straße. In keinem anderen europäischen Land hatte es einen vergleichbar rigorosen Umbau gegeben, der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung auf einen Streich erfasste. Zur Verabschiedung der Gesetze durch den Bundesrat initiierten die Gewerkschaften am 3. April den „Aktionstag gegen den Sozialabbau“. Bundesweit folgte mehr als eine halbe Million Protestierende dem Aufruf.

Montagsdemonstrationen

Doch waren die Gewerkschaften nicht der eigentliche Motor hinter den Protesten, die in Anlehnung an den Herbst 1989 unter dem Namen „Montagsdemonstration“ liefen. Vielmehr waren es zunächst die Betroffenen selbst, die Unterstützung bekamen von Prominenten wie etwa Oskar Lafontaine oder von unterschiedlichen lokalen und sozialen Bewegungen. Auf ihren Plakaten war etwa zu lesen: „Mein Sparbuch bekommt ihr nicht“ und „Hartz IV gleich Not und Armut“. Viele Protestler fürchteten den eigenen sozialen Abstieg und bangten zugleich um den sozialen Frieden im Land. Es ging aber auch um die generelle Kritik an Finanzkapitalismus, Neoliberalismus und an der rot-grünen Regierung. Aufgrund der Relevanz des Themas wurde „Hartz IV“ am Ende des Jahres 2004 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt.

Die anfangs massiven Proteste gegen die Hartz-IV-Reformen, die erst im Herbst 2004 allmählich abklangen, zeitigten Wirkung – nicht zuletzt wegen der anstehenden Landtagswahlen: Parteiübergreifend nahm die Kritik an dem Konzept zu und selbst die SPD-Fraktion verlangte eine Prüfung von Hartz IV, zumindest in einzelnen Punkten.

Für die SPD war die Reform zum Spaltpilz geworden: Mitglieder sowie Wählerinnen und Wähler in großer Zahl sahen darin einen Bruch mit den sozialen Wurzeln und solidarischen Werten der Partei und kehrten ihr den Rücken. Diese Entwicklung wird von Politikwissenschaftlern in einem Zusammenhang gesehen mit der Gründung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) im Januar 2005. Die linke Gruppierung wollte jene sozialpolitischen Themen spielen, bei denen die SPD ihr Stammpublikum enttäuscht hatte. Zwei Jahre später sollte die WASG gemeinsam mit der aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangenen PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) in der Partei DIE LINKE aufgehen. Für die SPD blieb das Hartz-Problem indessen weiter bestehen. „Hartz IV ist der Hauptgrund dafür, warum die Zerwürfnisse bei den Sozialdemokraten nicht aufhören“, schreibt der Journalist Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Inzwischen hat sich die Haltung der SPD geändert. Die Spitze der Sozialdemokraten strebt im Jahr 2021 einen massiven Umbau von Hartz IV an. Sozialminister Hubertus Heil (SPD) schwebt ein „soziales Bürgergeld“ vor, das die Grundsicherung für Arbeitssuchende ersetzen solle und „für das sich niemand schämen muss“.

Vorurteile gegen Arbeitslose

Denn auch dies hat die Hartz-Reform gebracht: Vorurteile gegen Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger/-innen. Mit der Einführung der Hartz IV-Reform verstärkte sich die Diffamierung von Langzeiterwerbslosen als „Sozialschmarotzer”, obwohl immer wieder Studien in Auftrag gegegeben wurde, die das Bild des „faulen Schnorrers“ widerlegen konnten. Die soziale Ausgrenzung wirkt sich direkt und fatal auf die politische Teilhabe aus: Nachweislich beteiligen sich Menschen, die in prekären sozialen Verhältnissen leben, beispielsweise seltener an Wahlen als andere Bürger. „Hartz IV hat einen sozialen Klimawandel bewirkt und die politische Kultur der Bundesrepublik nachhaltig beschädigt“, so das Fazit des Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge, der 2005 seinerseits aus der SPD ausgetreten war und seither der LINKEN nahesteht.

Auch das Erstarken der Rechtspopulisten lässt sich aus Sicht der Hartz-Kritiker auf das Konto der Reform buchen: Weil ein Teil der Wählerinnen und Wähler in prekäre Arbeitsverhältnisse geraten ist und sich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer nicht mehr angemessen von der SPD vertreten sieht. Und weil sich nun auch Teile der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg durch Hartz IV fürchten und aus Protest die Alternative für Deutschland (AfD) wählen. Dieses Phänomen zeigt sich vor allem in den ostdeutschen Bundesländern und stellt Parteien wie SPD und LINKE vor große Rätsel, weil die AfD nicht diejenige Partei, die einen starken Sozialstaat vertritt.

Seit 2004, seit Hartz IV, hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland vertieft. In kaum einem anderen europäischen Land ist die Vermögensungleichheit so hoch wie in Deutschland. Zugleich schrumpft die sogenannte Mittelschicht kontinuierlich. Indessen ist auch das politische Klima spürbar rauer geworden. Manche sehen darin erste Anzeichen dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt und die Demokratie in Gefahr geraten könnte.

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Kinder der Agenda 2010

Und so hatte die Reform ihren Anfang genommen: Mit der Regierungserklärung hatte Bundeskanzler Schröder einen neuen Begriff eingeführt: die „Agenda 2010“. Darunter fasste der SPD-Politiker das gesamte Reformprogramm der Bundesregierung zusammen. Mit dem Reformpaket „Agenda 2010“ sollten die Sozialsysteme saniert, Lohnnebenkosten gesenkt, der Arbeitsmarkt flexibler und die Staatsfinanzen konsolidiert werden. „Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“

Mit den Hartz-Gesetzen hatte der Bundestag eine Fülle von Reformen verabschiedet, von denen sich der Gesetzgeber mittelfristig eine deutliche Belebung des Arbeitsmarkts, aber auch Einsparungen bei den Sozialausgaben versprach.

Das Gesetzespaket Hartz I und II zur Arbeitsmarktreform lehnte sich an die Vorschläge der Hartz-Kommission an, ohne die Ergebnisse eins zu eins umzusetzen. Eingeführt wurden privat organisierte „Personal Service Agenturen“, die Zeitarbeiter an Firmen verleihen, Mini-Jobs wurden bis 400 Euro abgabenfrei, „Ich-AGs“ sollten die Selbständigkeit fördern, Arbeits- und Sozialämter wurden zu Jobzentren zusammengelegt. Mit den Gesetzesreformen Hartz III und IV wurden zwei wichtige Komplexe geregelt: Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Trotz der Reformen kletterte im Februar 2005 die Zahl der Erwerbslosen auf historische 5,3 Millionen. Im gleichen Frühjahr gingen die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen für die Sozialdemokraten verloren und die Union errang die Mehrheit im Bundesrat.

Gerhard Schröder entschied sich für vorgezogene Bundestagswahlen – und verlor. Angela Merkel (CDU) wurde zur ersten Bundeskanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt und führte eine Große Koalition aus Union und SPD.

Wie hat sich der Arbeitsmarkt durch Hartz IV entwickelt?

Von 2005 bis 2021

Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich seit den Hartz-Gesetzen positiv entwickelt – von 13 Prozent Arbeitslosenquote in 2005 hin zu einer Quote von 6,3 Prozent 2021. Die guten Bedingungen für Arbeitsuchende haben in den letzten Jahren auch dazu geführt, dass die Langzeitarbeitslosigkeit stark zurückgegangen ist. Die Bundesagentur für Arbeit ging bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie davon aus, dass der Arbeitsmarkt zwar leicht an Dynamik verlieren, aber bei leicht steigender Arbeitslosigkeit seine robuste Verfassung beibehalten werde. 2020 stieg die Arbeitslosenquote aufrund der Corona-Pandemie und lag bereits bei 6,5 Prozent. Gut 2,7 Millionen hatten sich arbeitslos gemeldet.

Destatis: Registrierte Arbeitslose und Arbeitslosenquote 1952 - 2021

Corona

Die Corona-Pandemie hat in Deutschland zu einer der schwersten Rezessionen in der Nachkriegsgeschichte geführt. Mit 15,9 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland einen historischen Wert erreicht. Es ist die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung, heißt es im Paritätischen Armutsbericht von 2020. Der Verband warnt vor einer drastischen Verschärfung der Armut angesichts der Pandemie. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist nach aktuellen Schätzungen der Deutschen Bundesbank im Jahr 2020 um 5,5 Prozent geschrumpft. Der Einbruch ist vor allem auf die Eindämmungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie im Frühjahr 2020 zurückzuführen. Mit den Lockerungen setzte im dritten Quartal eine nur kurzfristige Erholung ein, bis es im Schlussquartal zu einem neuerlichen Lockdown kam. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind daher in 2020 kräftig gestiegen. Im Jahresdurchschnitt 2020 ist die Zahl der erwerbsfähigen Menschen, die Arbeitslosengeld oder Arbeitslosengeld II bezogen, auf 4,8 Millionen gestiegen. Dabei haben gut eine Million Menschen Arbeitslosengeld erhalten und 3,8 Millionen Arbeitslosengeld II. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten lag dagegen leicht unter dem Vorjahreswert.

Grundsicherung

Die meisten arbeitslosen Menschen werden in der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom Jobcenter betreut. 2019 lag der Anteil der Arbeitslosen im SGB II bei zwei Drittel. Seit 2005 hat sich ihre Zahl deutlich reduziert: Zu den Hochzeiten waren im Rechtskreis SGB II fast drei Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, 2019 waren es kaum mehr halb so viele.
Selbst die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 hat nur kurzzeitig dazu geführt, dass wieder mehr arbeitslose Menschen in der Grundsicherung landeten. Immer wieder haben sich rechtliche oder politische Entwicklungen bei der Arbeitslosenzahl niedergeschlagen wie die EU-Osterweiterung und die Migration von über einer Million Schutzsuchenden. Einen bleibenden Einfluss hat all das in der Grundsicherung nicht hinterlassen. Vielmehr haben in den vergangenen Jahren bei sehr guten Arbeitsmarktbedingungen zahlreiche Menschen aus der Grundsicherung herausgefunden. Statistiken der Agentur für Arbeit zeigen, dass es wichtig ist, möglichst rasch wieder seinen Fuß in den Arbeitsmarkt zu setzen. Denn je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto geringer sind die Chancen, wieder Arbeit zu finden. Weil es so schwer ist, wieder herauszukommen, legt die Arbeitsmarktpolitik ein besonderes Augenmerk auf langzeitarbeitslose Menschen.

Langzeitarbeitslosigkeit

In gut fünf Jahren ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen um rund 300.000 auf inzwischen 700.000 gesunken. Insgesamt war 2019 fast die Hälfte der Arbeitslosen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende zwölf Monate oder länger arbeitslos. Im Vergleich zu Kurzzeitarbeitslosen sind langzeitarbeitslose Menschen im Durchschnitt älter und schlechter qualifiziert.

Arbeitslosengeld II

Personen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld werden als Regelleistungsberechtigte bezeichnet. Dabei erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II und deren Kinder Sozialgeld. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hatte sich tendenziell rückläufig entwickelt. Allerdings kamen die Fortschritte fast zum Erliegen durch Zuwanderung – zunächst von Menschen aus wirtschaftlich geschwächten EU-Ländern und zuletzt von Schutzsuchenden, denen Leistungen nach dem SGB II gewährt wurden. Allerdings erwies sich der deutsche Arbeitsmarkt als sehr aufnahmefähig und bot zunehmend Menschen in der Grundsicherung Chancen auf einen bedarfsdeckenden Arbeitsplatz. Zudem hat der Ausbau von geförderten Beschäftigungsverhältnissen im Rahmen des Teilhabechancengesetzes Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht.

Hilfebedürftige

Die SGB-II-Hilfequoten geben an, wie groß der Anteil von hilfebedürftigen Personen an einer Bevölkerungsgruppe ist. Sie zeigen, wie stark bestimmte Gruppen und Lebensformen von Hilfebedürftigkeit betroffen sind. Weniger häufig trifft Bedürftigkeit Ältere und Menschen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit. Höhere Quoten haben Jüngere. Dafür stehen ihre Chancen, die Grundsicherung zu verlassen, besser. Die höchsten Hilfequoten haben Menschen mit einem ausländischen Pass. Die Bundesagentur nennt als wichtigste Gründe schlechte Sprachkenntnisse und fehlende formale Berufsqualifikationen.

Geringe Einkommen

Arbeitslosigkeit ist keine Voraussetzung dafür, Arbeitslosengeld II zu erhalten. Rund ein Viertel aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hat Arbeit. Doch ist ihr Einkommen nicht bedarfsdeckend oder sie stecken gerade in einer arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahme, kümmern sich um die Erziehung der Kinder oder die Pflege der Eltern. Nach wie vor sind es überproportional viel Frauen, die dem Arbeitsmarkt wegen familiärer Pflichten nicht zur Verfügung stehen. Nur die Hälfte der erwerbstätigen Leistungsberechtigten geht einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach – und davon nur wenige in Vollzeit. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2014 hat daran kaum etwas geändert. Das liegt zum einen daran, dass Beschäftigte mit einem Einkommen von unter 450 Euro einen großen Teil der „Aufstocker“ ausmachen. Zum anderen reicht bei Bedarfsgemeinschaften mit mehreren Personen selbst ein Vollzeiteinkommen mit Mindestlohn in der Regel nicht aus, um den Haushaltsbedarf zu decken.

Kinder mit Sozialgeld

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende bezieht sich auf den Haushalt, was bedeutet, dass auch die Kinder bei Hilfebedürftigkeit Lebensunterhaltsleistungen erhalten – entweder als Arbeitslosengeld II oder als Sozialgeld, wenn die Kinder noch keine 15 Jahre alt sind. Im Sommer 2019 zählte die Agentur für Arbeit eine Million Bedarfsgemeinschaften, in denen 1,9 Millionen Kinder unter 18 Jahren lebten. 366.000 der Kinder waren keine drei Jahre alt. Die Zahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften ist im Unterschied zu den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den vergangenen Jahren kaum gesunken. Die Agentur für Arbeit führt das darauf zurück, dass die Zahl ausländischer Familien und der darin lebenden Kinder stark gestiegen ist.

Alleinerziehende

Ein besonders hohes Risiko, hilfebedürftig zu werden, haben Kinder von Alleinerziehenden. Laut einer von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Studie lag ihr Anteil an allen Kindern im SGB II-Bezug zu Beginn des Jahres 2020 bei rund 45,2 Prozent. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden liegt laut den letzten Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung in etwa dreimal so hoch wie für Paare mit Kindern. Die Politik versucht seit Jahren gegenzusteuern. So wurden der Unterhaltsvorschuss mehrfach angehoben, der steuerliche Entlastungsbetrag erhöht und eine Staffelung ab dem zweiten Kind eingeführt. Dadurch erhalten Alleinerziehende mehr Netto vom Brutto, so das Fazit im 5. Armuts- und Reichtumsbericht.

Regionale Unterschiede

Regional gesehen gibt es große Unterschiede, was die Hilfebedürftigkeit von Kindern in Deutschland betrifft. Während in Bayern nur rund sechs Prozent und in Baden-Württemberg knapp acht Prozent der Kinder unter 18 Jahren leistungsberechtigt waren, betrug der Anteil in Bremen 31 Prozent.

Ein-Euro-Jobs

Hartz IV brachte auch die Ein-Euro-Jobs, Arbeitsgelegenheiten also, die Empfängern von Arbeitslosengeld eine Hilfestellung auf dem Rückweg ins Berufsleben geben sollen. Die Höhe der Vergütung ist nicht gesetzlich geregelt, der Name Ein-Euro-Job ist irreführend, die Bezahlung liegt meist bei zwei Euro und ist auch eher eine Aufwandsentschädigung denn Vergütung. Anbieten dürfen diese Jobs nur geeignete Träger wie Vereine oder öffentliche Einrichtungen. Sie dürfen keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze gefährden. Wer einen Ein-Euro-Job und dadurch Mehraufwendungen hat, wird vom Jobcenter dafür entschädigt. Voraussetzung dafür ist, dass die Kosten angemessen sind. Der Träger wiederum erhält die Kosten für die Arbeitsgelegenheit erstattet. Ein-Euro-Jobs werden beim Jobcenter beantragt.

Mit Ein-Euro-Jobs werden neben der Erledigung von Arbeiten für das öffentliche Wohl drei Ziele für die Langzeitarbeitslosen verfolgt:

  • Zum einen sollen sie sich wieder an einen festen Arbeitsrhythmus gewöhnen und mit dieser Praxis wieder attraktiver für den Arbeitsmarkt gemacht werden.
  • Zum anderen hat die regelmäßige Tätigkeit einen positiven Effekt für die Arbeitslosen: In Studien wurde ermittelt, dass Langzeitarbeitslose neben ihrem geringen finanziellen Auskommen vor allem unter der unfreiwilligen Beschäftigungslosigkeit leiden.
  • Schließlich soll der Einkommensverlust durch den Ein-Euro-Job ein wenig gemildert werden.

Die Ein-Euro-Jobs sollen auch die Arbeitslosen-Statistik „entlasten“. Nach der derzeitigen Gesetzeslage gelten Menschen, die 15 Stunden pro Woche einer bezahlten Tätigkeit nachgehen, nicht als arbeitslos. Sie fallen damit aus der Statistik.

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Autor: Internetredaktion LpB BW | Stand der Aktualisierung: Januar 2023

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