Kinderrechte im Grundgesetz

„Kinder haben eigene Rechte, die wir im Grundgesetz verankern werden“, heißt es in der Präambel des aktuellen Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP. Die Idee ist nicht neu: Bereits die Vorgängerregierung der jetzigen Ampel-Koalition hatte sich zum Ziel gesetzt, Kinderrechte explizit im Grundgesetz zu verankern – doch das Vorhaben scheiterte. Die Fraktionen von Union, SPD, FDP und Grünen, die es für die Grundgesetzänderung gebraucht hätte, konnten sich damals nicht auf eine gemeinsame Formulierung einigen.

Was würde es bedeuten, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen – und was wäre bei einem erneuten Scheitern? Diese Seite bietet einen Überblick über die Kinderrechtsdebatte.

 

Nach oben

Info: Für wen gelten Kinderrechte?

In Deutschland gelten alle Menschen bis 18 Jahre als Kind. Kinderrechte gelten somit auch für alle jugendlichen Personen, solange sie jünger als 18 Jahre sind.

Nach oben

Was bedeutet es, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen?

Bislang stehen Kinderrechte nicht explizit im Grundgesetz. Doch nun heißt es auf Seite 77 im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021: „Wir wollen die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz verankern und orientieren uns dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention. Dafür werden wir einen Gesetzesentwurf vorlegen (…).“ Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bekräftigte im Januar 2024 im Bundestag: „Diese Bundesregierung will nach wie vor Kinderrechte im Grundgesetz verankern.“ Sie kündigte an, dass das Bundesjustizministerium dazu noch 2024 einen Formulierungsvorschlag zwischen den beteiligten Ressorts abstimmen werde.

An der Formulierung war das Vorhaben allerdings bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode gescheitert. Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag für die Regierungszeit von 2018 bis 2021 ebenfalls die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz als Ziel genannt, doch nach zehn Verhandlungsrunden kam keine notwendige Zweidrittelmehrheit zustande.

Es geht um das Verhältnis Familie – Eltern – Staat

Eine Änderung des Grundgesetzes würde sich auf das Verhältnis von Familie, Eltern und Staat auswirken. Das in Artikel 6 des Grundgesetzes austarierte Verhältnis ist bewusst so gewählt, dass der Staat nicht ohne Weiteres in die Eltern-Kind-Beziehung eingreifen kann. Dieser Umstand liegt auch in der NS-Zeit begründet, als Kinder von ihren Eltern getrennt wurden, aus rassenideologischen Gründen oder zur Indoktrination.

Was steht bisher im Grundgesetz über Kinder?

Bisher beschäftigt sich insbesondere Artikel 6 des Grundgesetzes mit Kindern.

Art. 6 GG:

  1. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
  2. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
  3. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
  4. Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
  5. Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Das Grundgesetz

75 Jahre seit der Verkündung

Ein Provisorium, das nun schon ein Dreivierteljahrhundert Bestand hat: Im Jahr 2024 wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Unser Dossier gibt einen Überblick über die Grundlage unserer freiheitlichen Demokratie:
mehr

Nicht zuletzt in der Corona-Pandemie wurde jedoch für viele offensichtlich, dass die Interessen von Kindern nicht immer im vorrangigen Fokus der Politik standen. Durch eine Grundgesetzänderung könnten, so die Hoffnung der Befürworter, Behörden und Gerichte in Zukunft die Perspektive und das Wohl der Kinder stärker im Auge haben.

Kinderrechte existieren auf jeden Fall

Sollte die Grundgesetzänderung erneut scheitern, würde das aber natürlich nicht bedeuten, dass Kinder in Deutschland rechtlich ungeschützt wären. Kinderrechte existieren in Deutschland. Das Grundgesetz gilt außerdem für alle, nicht nur für Erwachsene. Zudem hat Deutschland bereits 1992 die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert, sie hat damit Gesetzesrang.

In zahlreichen anderen Ländern werden Kinder in der Verfassung bereits gesondert erwähnt. Österreich, Irland und Norwegen haben sogar das Beteiligungsrecht von Kindern in ihre Verfassung aufgenommen.

Wie kann das Grundgesetz geändert werden?

Eine Grundgesetzänderung ist gar nicht so einfach. Im Grundgesetz sind die wichtigsten Grundlagen unseres Staates verankert, ebenso die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger. Damit diese nicht ohne Weiteres ausgehebelt werden können, muss eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat der Grundgesetzänderung zustimmen.

Nach oben

Woran scheiterten die Verhandlungen im Jahr 2021?

Ein Adjektiv kann eine große Wirkung haben. Als im Januar 2021 der Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes bekannt wurde, entbrannte eine Debatte darüber, wie der Staat das Wohl der Kinder schützen solle. Laut des Ent­wurfs der damaligen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sollte Artikel 6 des Grundgesetzes um folgenden Absatz ergänzt werden:

„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Um das Adjektiv, wie das Wohl des Kindes berücksichtigt werden müsse, drehte sich der Streit. Da Gesetze besonders präzise formuliert sein müssen, ist es tatsächlich relevant, ob das Kindeswohl „angemessen“, „vorrangig“, „wesentlich“ oder „maßgeblich“ berücksichtigt wird. Dieses Wort hätte das Verhältnis von Staat, Kindern und Eltern neu austariert. Die Formulierung „angemessen“ im Gesetzentwurf ging den Grünen nicht weit genug, die darüber hinaus die Förderung und die Beteiligungsrechte von Kindern stärker verankern wollten. Die FDP brachte einen eigenen Gesetzentwurf mit einem neuen Absatz 1a zu Artikel 6 ein. Die Union verwies darauf, man wolle das Dreiecksverhältnis zwischen Kind, Eltern und Staat nicht zulasten der Familien verengen. Letztlich kam kein Kompromiss zustande, der Aussicht auf eine für eine Grundgesetzänderung nötige zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat gehabt hätte.

Insgesamt gesehen war der Gesetzesentwurf wohl von vornherein zu wenig progressiv formuliert, denn die in Deutschland geltende EU-Grundrechtecharta verpflichtet Staaten dazu, das Kindeswohl „vorrangig“ zu berücksichtigen, nicht nur „angemessen“. Kritiker des damaligen Entwurfs sahen daher bereits vor den Verhandlungen in der vorgeschlagenen Formulierung einen Rückschritt für die Kinderrechte.

 

Nach oben

Warum sollten Kinderrechte überhaupt ins Grundgesetz?

Kinder besitzen zwar Grundrechte, doch sie sind gleichzeitig besonders schutzbedürftig. Sie haben eigene Vorstellungen, Meinungen und Interessen, doch sie können ihre Rechte kaum selbst durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 1968 ausdrücklich betont, dass Kinder vom Staat in besonderer Weise geschützt werden müssen (Quelle). 

Um zu zeigen, dass Kinder und ihre Rechte in unserer Gesellschaft eine hohe Bedeutung haben, sollten Kinderrechte nun ausdrücklich im Grundgesetz verankert werden. Momentan sind die Rechte von Kindern im Grundgesetz nicht explizit aufgeführt. Nur im Artikel 6 des Grundgesetzes sind Kinder erwähnt. Die Sachverständigenkommission, die den Kinder- und Jugendbericht erstellt, spricht sich im Bericht von 2020 dafür aus: „Kinder und Jugendliche haben politische Rechte. Diese sollten garantiert werden, indem Kinderrechte umfassend umgesetzt und grundgesetzlich verankert werden." Auch der Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen empfahl nach seiner bislang letzten Sitzung zur Situation der Kinderrechte in Deutschland im September 2022, die Bemühungen zu verstärken, Kinderrechte explizit ins Grundgesetz aufzunehmen.

Welche Rechte Kinder bereits heute haben, erklärt die Grundrechtefibel der LpB kindgerecht. 

Die Grundrechtefibel

Durch die Auseinandersetzung mit den spannenden und lebensnahen Geschichten der Grundrechtefibel lernen die Kinder die Grundrechte und deren Bedeutung für das eigene Leben kennen und verstehen. 
www.grundrechte-fibel.de
Online-Bestellung

Nach oben

Was sagen Gegner der Verankerung?

Da das Grundgesetz nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder gilt, gibt es in der Debatte auch die Ansicht, dass Kinderrechte überhaupt nicht separat aufgelistet werden müssten – Kinder seien ja bereits geschützt. Zumal Gesetze allein nicht ausreichen, um Kinder zu schützen und ihnen alle Möglichkeiten zu bieten, sich zu entfalten und mitzubestimmen. Vielmehr befürchten Gegner der Änderung, dass sich der Staat auf die Kinderrechte im Grundgesetz berufen könnte, um sich in die Familien einzumischen.

Was steht in der UN-Kinderrechtskonvention?

Die UN-Kinderrechtskonvention
Kinderrechte sind in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen niedergeschrieben. Deutschland hat diese Konvention 1992 anerkannt, man sagt auch „ratifiziert“. Dadurch hat sich Deutschland verpflichtet, die Rechte von Kindern zu achten, zu schützen und zu fördern. Der Staat muss bei seinen Gesetzen und Entscheidungen, die Kinder betreffen, immer das Kindeswohl berücksichtigen.


Beteiligung von Kindern an der Politik
Übrigens enthält die Kinderrechtskonvention neben den Artikeln zum Schutz des Kindes auch eine Regelung zur Mitsprache:

„Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, SPD, Grüne und FDP wollten einen „Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung“ entwickeln und „Beteiligungsnetzwerke stärken“. Inwiefern dies mit der geplanten Grundgesetzänderung zusammenhängt, wird nicht gesagt. Jedenfalls gibt es immer wieder Kritik daran, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland bislang nicht ausreichend mitbestimmen können. So forderte zum Beispiel auch der Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen die Bundesrepublik im September 2022 nachdrücklich dazu auf, die Teilhabe von Kindern sicherzustellen, wenn bestimmte Maßnahmen oder Programme auch Kinder betreffen („Abschließende Bemerkungen“ des Ausschusses, Englisch).

Wie ist die Situation in Baden-Württemberg?

Ähnlich wie in anderen Bundesländern hebt auch die Landesverfassung von Baden-Württemberg die Rechte und den Schutz von Kindern und Jugendlichen besonders hervor. Das betont zum Beispiel Artikel 2a, der also ganz am Anfang der Verfassung steht:

„Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Persönlichkeiten ein Recht auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung und auf besonderen Schutz.“

Und nur etwas weiter hinten steht in Artikel 13:

„Kinder und Jugendliche sind gegen Ausbeutung, Vernachlässigung und gegen sittliche, geistige, körperliche und seelische Gefährdung zu schützen.“

Auf der kommunalen Ebene ist in Baden-Württemberg die Kinder- und Jugendbeteiligung außerdem bereits in der Gemeindeordnung verankert.

 

Kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung

§ 41a Gemeindeordnung für Baden-Württemberg

Beteiligung ist elementarer Bestandteil von Zivilgesellschaft und damit die Basis einer Demokratie. Daher ist auch Kinder- und Jugendbeteiligung an den Entscheidungen in einer Stadt oder Gemeinde nicht nur ein wünschenswert, sondern Grundpfeiler eines demokratischen Zusammenlebens – und nach § 41a der Gemeindeordnung vorgeschrieben. 
mehr

Hintergrund: Weitere Regelungen zu Kinderrechten

Abseits des Grundgesetzes gibt es weitere Gesetze und verbindliche Dokumente, in denen Kinderrechte eine Rolle spielen. 

BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)

Das sogenannte Buch 4 des BGB beschäftigt sich mit Familienrecht. Darin sind unter anderem Unterhaltsanspüche oder die "elterliche Sorgfaltspflicht" geregelt.Diese Gesetze betreffen  Kinder und in mehreren Paragrafen wird das Wohl der Kinder ausdrücklich erwähnt. Ausdrückliche Rechte spricht ihnen beispielsweise §1631 BGB zu:

„Das Kind hat ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen.“

SGB (Sozialgesetzbuch)

Das achte Buch des Sozialgesetzbuchs wird auch Kinder- und Jugendhilfegesetz genannt (KJHG). Darin sind bundesweit die öffentliche Jugendhilfe und die Leistungen für Kinder- und Jugendliche geregelt, beispielsweise der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Auch dieses Gesetz nennt ausdrückliche Rechte für Kinder- und Jugendliche, beispielsweise in §8 KJHG:

"Kinder und Jugendliche haben das Recht, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden."

Kinderrechte in der Europäischen Grundrechtecharta

Nicht nur auf globaler Ebene, sondern auch innerhalb der Europäischen Union sind Kinderrechte verankert, zum Beispiel in der europäischen Grundrechtecharta. Dort heißt es:

„Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Nach oben


Letzte Aktualisierung: 17. April 2024, Internetredaktion der LpB BW

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.