September 2021

Erna Scheffler, geb. Friedenthal (1893 – 1983)

Erste Richterin am Bundesverfassungsgericht und Kämpferin für Geschlechtergerechtigkeit

Die Juristin Erna Scheffler zählt zu den wichtigsten Vorkämpferinnen für die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen in der Bundesrepublik. 1951 wird sie als erste Richterin an das neu gegründete Bundesverfassungsgericht berufen. Bis zum Ende ihrer Amtszeit 1963 setzt sie sich dort als einzige Frau im Richtergremium aktiv dafür ein, dass die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Männern und Frauen verwirklicht wird. Vor allem ihr ist zu verdanken, dass die Gleichberechtigung auch in das bundesdeutsche Familien- und Sozialrecht Einzug hielt.
Rund um das 70jährige Jubiläum der Gründung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 2021 ist es höchste Zeit, auch dessen erste Richterin und ihren Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit zu würdigen.

Nach oben

Kindheit, Jugend und Studium

Erna Scheffler wird am 21. September 1893 in Breslau als Erna Friedenthal geboren; ihre Mutter ist protestantisch, ihr Vater zählt zur jüdischen Minderheit. Für ihren Berufswunsch Sängerin verfügt Erna sowohl über das Talent als auch den notwendigen finanziellen Rückhalt: ihr Vater ernährt die Familie als Ölmühlen-Besitzer. Durch den frühen Tod des Vaters zerschlägt sich der Traum der damals elf Jahre alten Erna aber abrupt. Als junge Halbwaise erfährt sie die Rechtlosigkeit von Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib, aber auch vermittelt durch die Erfahrungen ihrer Mutter. Diese ist als Witwe und unerfahren in geschäftlichen Angelegenheiten dem Testamentsvollstrecker ihres Ehemannes förmlich ausgeliefert.

Um den Nachlass ihres Mannes wie auch Entscheidungen bei der Kindererziehung darf sie sich laut des (im Januar 1900 eingeführten) Bürgerlichen Gesetzbuches nicht eigenständig kümmern, sondern gerät in die Abhängigkeit fremder Männer: Für Erna und ihren Bruder wird von Gesetzes wegen ein Vormund mit weitreichender Verfügungsgewalt eingesetzt. Die junge Erna erlebt dies geradezu als „Erweckungserlebnis". Geprägt durch diese Erfahrung und durch die schwierige materielle Situation der Familie nach dem Tod des Vaters, beschließt sie, statt der Gesangskarriere einen Beruf zu erlernen, der ihr mehr Unabhängigkeit verspricht.

Erna besucht die höhere Töchterschule in Liegnitz und Breslau und bereitet sich – da höhere Mädchenschulen damals noch kein Abitur für Mädchen ermöglichen – privat auf das Abitur vor. Im Alter von 17 Jahren besteht sie 1911 die Reifeprüfung als Externe an einem Knabengymnasium in Ratibor und entscheidet sich für das Studium der Rechtswissenschaft.

Ernas Studienorte sind Heidelberg, München Berlin und Breslau. Da Frauen im Kaiserreich noch nicht zum juristischen Staatsexamen zugelassen werden, schließt Erna Friedenthal das Jura-Studium 1914 mit der Promotion ab – als einzige Studentin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Breslau. Dort – so erinnert sie sich später – wurde sie von Kommilitonen und Professoren „schlicht ignoriert“. Ihre Dissertation zu straftilgenden Maßnahmen wird sehr gut bewertet.

Nach oben

Erste Berufserfahrungen und Familiengründung

Ohne juristisches Staatsexamen ist der jungen Dr. jur. Erna Friedenthal die Laufbahn als Richterin oder Staatsanwältin verwehrt. Sie beginnt daher notgedrungen ihr Berufsleben in der Sozialfürsorge und wechselt dann als Hilfskraft in eine Rechtsanwaltspraxis.

1916 heiratet sie den Juristen Dr. Fritz Haßlacher und nimmt seinen Namen an. Dass nach der Eheschließung – so ebenfalls im Bürgerlichen Gesetzbuch festgelegt – ihre Bank sich plötzlich nicht mehr mit ihrer Unterschrift begnügt, sondern die Zustimmung ihres Mannes verlangt, wenn Erna Haßlacher über ihr eigenes Konto verfügen will, versetzt die Juristin in helle Empörung.

1917 wird die gemeinsame Tochter Lore geboren. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918 lebt die junge Familie im besetzten Belgien, wo Erna Haßlacher als Hilfsreferentin für die deutsche Zivilverwaltung eingesetzt ist. Nach dem Ende von Krieg und Kaiserreich arbeitet sie beim Bund Deutscher Architekten und in verschiedenen Anwaltskanzleien, wo sie vor allem mit Kriegsschadenssachen befasst ist. Sie wird Mitglied im 1914 gegründeten Deutschen Juristinnen-Verein (DJV), bis dieser nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 seine Arbeit einstellen muss.

In der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie, werden Frauen ab 1921 zum juristischen Staatsexamen zugelassen. Erna Haßlacher legt noch 1921 die Prüfungen zum Ersten und 1925 zum Zweiten Staatsexamen ab. Während ihres Referendariats lässt sie sich von ihrem Mann scheiden: Nun bekommt sie selbst es mit den – immer noch existierenden – diskriminierenden Sorgerechtsregelungen im Umgang mit der gemeinsamen Tochter zu tun. Erneut wird Erna Haßlacher mit der benachteiligten Stellung von Frauen im deutschen Rechtssystem konfrontiert. Trotz der Sorgerechtsprobleme behalten Erna und Lore Haßlacher ein gutes Verhältnis.

Nach den erfolgreich abgelegten Staatsexamina eröffnet Erna Haßlacher eine Anwaltspraxis in Berlin und ist am Amtsgericht wie auch an den Landgerichten Berlin I - III tätig. 1928 erfolgt ihre Übernahme in den preußischen Justizdienst Sie ist damit eine der ersten Richterinnen der Republik und wird 1932 zur Amtsgerichtsrätin ernannt.

Nach oben

Berufsverbot in der Zeit des Nationalsozialismus

Erna Haßlachers Tätigkeit als Amtsgerichtsrätin in Berlin-Mitte dauert nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 nicht lange an. Bereits im April 1933 wird sie zwangsweise beurlaubt, bis sie im Juli desselben Jahres als sogenannte „Arierin“ anerkannt wird und deswegen vorerst im Amt bleiben kann. Obwohl Ernas Mutter protestantischen Glaubens war und sie evangelisch erzogen wurde, definieren die Nationalsozialisten sie im November 1933 dennoch als jüdischer Herkunft.

Rückwirkend zum 1. März 1933 wird sie deshalb mit Berufsverbot belegt. Zusätzlich zur Diskriminierung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft schlägt hier auch Ernas Geschlecht zu Buche: Trotz ihrer vollständigen juristischen Ausbildung und ihren Erfahrungen im Justizbereich wird ihr im Rahmen des nationalsozialistischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die Berufserlaubnis als Richterin entzogen.

Erna Haßlacher bezieht nun ein geringes Ruhegehalt, bleibt aber in Berlin wohnen, da sie zunächst keine weitere Verfolgung befürchtet. Dennoch ist sie weiterer Ausgrenzung und Entrechtung ausgesetzt: Aufgrund der Nürnberger Rassengesetze und ihrer Einstufung als sogenannte „Halbjüdin“ untersagen die NS-Behörden Erna und ihrem neuen Partner Georg Scheffler 1934 die geplante Eheschließung.

Bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes im Mai 1945 wird dieses Verbot wirksam bleiben. Während dieser Zeit arbeitet Erna Haßlacher notgedrungen als Buchhalterin im Kunstgewerbegeschäft einer Freundin und verteilt Lebensmittelkarten in ihrem Wohnbezirk an der Berliner Kundrystraße.

Nach oben

Nach der NS-Zeit: Privates Glück und juristische Karriere

Drei Wochen nach Kriegsende und der Befreiung vom Nationalsozialismus schließen Erna Haßlacher und Georg Scheffler – beide inzwischen über 50 Jahre alt –  die ihnen in der NS-Zeit verwehrte Ehe. Erna nimmt den Nachnamen ihres zweiten Mannes an, mit dem sie bis zu dessen Tod im Jahr 1975 drei Jahrzehnte verheiratet bleiben wird. Elisabeth Schwarzhaupt, die 1961 erste Ministerin in einem Bundeskabinett werden sollte, erinnert sich:

„Die Ehe war überaus glücklich. Herr Scheffler begleitete … seine Ehefrau auf ihren zahlreichen Reisen zu Vorträgen bei Tagungen. Sie pflegte zu sagen: ‚Die Zeit ist kostbar. Wir trennen uns nie.“ ‘Wenn man in den Wohnraum des Schefflerschen Hauses in Wolfartsweier eintrat, sah man als erstes zwei gleiche Schreibtische, die mit ihren Längsseiten zu einer großen gemeinsamen Fläche so aneinandergerückt waren, dass die Eheleute sich bei ihrer Arbeit ansehen konnten. Diese beiden Schreibtische wirkten wie ein Symbol für die gleichberechtigte und intensive Gemeinschaft dieser beiden bedeutenden Menschen.“
(Elisabeth Schwarzhaupt, zit. n. Dertinger 1989, S.155f.)

Nach dem Ende des NS-Regimes im Mai 1945 fällt das Berufsverbot für weibliche Juristen, und Erna Scheffler kehrt in den Justizdienst zurück – zunächst als Landgerichtsrätin in Berlin. Insbesondere auf dem Feld der Rechtsprechung werden nach der Zeit der NS-Diktatur in Deutschland politisch nicht belastete Menschen gesucht – und Erna Scheffler gehört zu diesen. In den ersten Nachkriegsjahren ist sie am Neuaufbau des Landgerichts in Berlin beteiligt. Die Jahre als Landgerichtsdirektorin zählt sie später zu ihren interessantesten als Richterin.

Nachdem Georg Scheffler einen Ruf ans Oberlandesgericht in Düsseldorf erhält, kehrt auch seine Frau Erna 1948 Berlin den Rücken und wendet sich dem öffentlichen Recht zu. Bei der neu eingerichteten Verwaltungsgerichtsbarkeit in Düsseldorf wird Erna Scheffler eine „Frau der ersten Stunde" und bereits nach einem Jahr zur Verwaltungsgerichtsdirektorin berufen. Nach der Gründung des Deutschen Juristinnenbundes (djb) im Jahr 1949 tritt sie dem Verband bei und ist von 1950 bis 1952 dessen zweite Vorsitzende.

Während Erna Scheffler sich nach dem Krieg die juristische Karriereleiter hocharbeitet, kämpft zeitgleich die Juristin Elisabeth Selbert dafür, in der zu erabeitenden Verfassung des neuen (west)deutschen Staates die Gleichberechtigung von Männern und Frauen an prominenter Stelle und präzise formuliert zu platzieren. Im fast ausschließlich männlich besetzten Parlamentarischen Rat sorgt sie 1948/49 dafür, den Artikel 3 des neuen Grundgesetzes um den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ zu ergänzen. Dabei erfährt sie im Gremium viel Gegenwind. Selbert reist deshalb durch das ganze Land, um Frauen zur Unterstützung des Vorhabens aufzurufen, die vollständige Gleichberechtigung im Grundgesetz zu verankern.

Mit Erfolg: Als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland am 24. Mai 1949 in Kraft tritt, ist der Gleichberechtigungsgrundsatz tatsächlich darin festgeschrieben. (Flyer „Mütter des Grundgesetzes“)
Einem klugen Schachzug Elisabeth Selberts ist es vermutlich zu verdanken, den Männern im Parlamentarischen Rat die Angst vor den fünf Wörtern Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ zu nehmen. Weit hinter dem Grundrechte-Katalog des Grundgesetzes bringt sie in Art. 117 eine Übergangsvorschrift unter: Die Vorrechte von Männern müssen nicht sofort abgeschafft werden, sondern der Gesetzgeber hat bis ins Jahr 1953 Zeit für die Reform des Familienrechts.

So ist in der neuen Verfassung des jungen Staates nun die Gleichberechtigung von Männern und Frauen als drittes von insgesamt 19 unveräußerlichen Grundrechten verankert, nach wie vor gelten aber die veralteten und diskriminierenden Rechtsnormen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das wird ein wichtiges Handlungsfeld für Erna Scheffler.

Nach oben

Vielbeachtete Hauptrednerin auf dem 38. Juristentag

Dass Erna Scheffler aufgefordert wird, beim 38. Deutschen Juristentag 1950 in Frankfurt das Hauptreferat zu halten, zeugt von der Anerkennung, die ihr in der Fachwelt gezollt wird. Scheffler nutzt die Einladung dazu, das Thema Gleichberechtigung vor großem Publikum zu erörtern. Ihr Fokus liegt dabei vor allem auf Art. 117 Grundgesetz mit der Verpflichtung, bis zum 31. März 1953 alle Gesetze, die dem Gleichberechtigungsgrundsatz entgegenstehen, abzuändern.

So lautet Schefflers Vortragstitel: „Die Gleichberechtigung der Frau – In welcher Weise empfiehlt es sich, gem. Art. 117 des Grundgesetzes das geltende Recht an Art. 3, Abs. 2 des Grundgesetzes anzupassen?“.

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt, … kann … nur heißen, daß die natürlichen Verschiedenheiten der Geschlechter rechtlich nicht als verschiedener Tatbestand gewertet werden darf“, da diese Verschiedenheit „rechtslogisch ebenso wenig zu einer Rechtsungleichheit (führt) wie die Ungleichheit nach Glauben, Herkunft, Rasse und Berufsstand.“
(Erna Scheffler vor dem 38. Deutschen Juristentag, zit. n. Dertinger 1989, S.159f.)

Erna Scheffler kritisiert, dass die deutsche Rechtsprechung trotz der klaren Ansage im Grundgesetz versuche, eine Anwendung des Prinzips der Gleichberechtigung auf Rechtsnormen zu verhindern. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen beruflichen und persönlichen Lebensgeschichte geht sie vor allem auf das Staatsangehörigkeits-, Steuer-, Ehe-, Familien- und Beamtenrecht ein und beleuchtet deren Beziehung zum Gleichheitsgebot.

Sie thematisiert auch ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Ehe- und Familienrecht des BGB. Dies war nach ihrer Einschätzung „bereits 1900, als es in Kraft trat, hoffnungslos veraltet“ (vgl. Dertinger 1997, S. 160). Entschlossen wendet Scheffler sich etwa gegen den „väterlichen Stichentscheid“ in Paragraf 1628 BGB, einer Regelung, die bei Ehepaaren im Streitfall grundsätzlich dem Mann die letzte Entscheidung zuspricht.

„Keinesfalls darf die Entscheidung in irgendeinem Punkte von Gesetzes wegen dem Manne alleine anvertraut und die Frau darauf beschränkt werden, bei Missbrauch den Richter anzurufen. Und keinesfalls darf auf irgendeinem Gebiet eine gesetzliche Vermutung für die alleinige Vertretungsmacht des Mannes aufgestellt werden.“
(Erna Scheffler vor dem 38. Deutschen Juristentag, zit. n. Dertinger 1989, S.160f.)

Für Erna Scheffler dienen viele Regelungen im bürgerlichen Recht dazu, Frauen zu benachteiligen und

„… praktisch nur dazu, das alte Witzwort wahr zu machen: ‚Solange die Eheleute einig sind, entscheidet die Frau; sind sie uneinig, so entscheidet der Mann.‘ Wirklich wird man der Ehe nur dienen, wenn man die Stellung der Hausfrau und Mutter, die sich am wenigsten wehren kann, nicht mit schönen Worten, sondern de facto stärkt … Entschließt man sich endlich, auch im Familienleben zuzugeben, dass nicht notwendig einer entscheiden muss, so scheiden alle Missbrauchs- und Vermutungsklauseln zugunsten des Mannes nicht nur deshalb aus, weil die Verfassung es verlangt, sondern weil man sie gar nicht braucht.“ (ebd.)

Erna Schefflers für den Juristentag erarbeiteten Formulierungsvorschläge für die Reform des bürgerlichen Rechts klingen aus heutiger Sicht selbstverständlich, sind im Jahr 1950 angesichts der immer noch herrschenden Geschlechterungleichheit im BGB jedoch überaus progressiv:

  • „Für den Erwerb und den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind ist die deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter ebenso maßgebend wie die des Vaters.“
  • „Die Besoldung ist für männliche und weibliche Beamten gleich.“
  • „Die Tätigkeit im Hauswesen ist den anderen Arten, zum Unterhalt der Familie beizutragen, gleich zu bewerten.“
  • „Den Familiennamen – Namen des Mannes oder Namen der Frau oder eine Verbindung beider unter Begrenzung auf zweiteilige Namen – haben die Eheleute durch gemeinsame Erklärung gegenüber dem Standesbeamten vor der Eheschließung zu wählen.“
    (Erna Scheffler, zit. n. Dertinger 1989, S.161f.)

Wie fortschrittlich Schefflers Leitsätze sind, zeigt sich auch daran, wie lange es dauerte, bis sie in der Rechtsprechung der Bundesrepublik umgesetzt werden. So wird die vorgeschlagene Regelung zum Familiennamen erst 1977 geltendes Recht.

Schefflers fulminant-kritischer Redebeitrag erfährt auf dem Frankfurter Juristentag einigen Gegenwind – die Referentin kann jedoch mit ihrer erfrischenden Redeweise und brillanten Argumentation überzeugen. Im Rückblick ist der Juristentag von 1950 für sie ein „Wahrzeichen der Wandlung“, da „alle Argumente gegen die Gleichordnung der Frau aufgewärmt (wurden), aber sie hatten keine Kraft mehr“. (Erna Scheffler, zit. n. Dertinger 1989, S.162).

Neben starkem Beifall erhalten ihre Ausführungen breite Zustimmung des Gremiums wie auch zahlreicher Frauenverbände, die sich später im Deutschen Frauenrat zusammenschließen sollten – Verbände, die Scheffler in ihren Vorhaben bestärken und die sie ebenfalls unterstützt.

Nach oben

Der Weg ins höchste deutsche Gericht und Einsatz für die Gleichberechtigung

Sicher hat es Erna Scheffler auch ihrem überzeugenden Auftritt beim Frankfurter Juristentag zu verdanken, dass sie in die Hauptdeputation des Deutschen Juristentages gewählt und im September 1951 als einzige Richterin an das neu gegründete Bundesverfassungsgericht berufen wird.

Am 7. September 1951 wird die 57jährige zusammen mit 23 Richtern durch Bundespräsident Theodor Heuss vereidigt. Aus der einstmals einzigen Jura-Absolventin in Breslau wird nun für viele Jahre die einzige Richterin am höchsten Gericht der Bundesrepublik. Ihr ‚Einsatzort‘ in Karlsruhe ist der Erste Senat, der für die Grundrechte zuständig ist.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann, der als Richter an den (ebenfalls in der badischen Metropole ansässigen) Bundesgerichtshof berufen wird und der sie bei ihrer Karriere stets unterstützt, zieht Erna Scheffler nach Karlsruhe. Die Gleichberechtigung, die sie in ihrem Beruf für alle Frauen fordert und juristisch durchzusetzen versucht, lebt sie im neuen Zuhause, außerhalb des Stadtzentrums. Gerne lädt das Paar Freunde zum Abendessen – und sitzt danach am gemeinsamen Doppelschreibtisch, um bis spät in die Nacht an juristischen Entscheidungen zu arbeiten.

Die grundgesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch ins öffentliche und zivile Recht zu „transportieren", ist jedoch mühsam. Erna Scheffler benötigt dafür mehr Zeit und Energie, als sie es sich nach den positiven Reaktionen auf ihre Rede auf dem Juristentag und die von Frauenverbänden signalisierte Unterstützung vorgestellt hat. Obwohl Artikel 117 Grundgesetz nach einer Übergangszeit bis Ende März 1953 die Frist gesetzt hat, das Bürgerliche Gesetzbuch so zu reformieren, dass es dem prägnanten Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ entspricht, tut sich die Politik (bzw. tun sich die Politiker) mit dieser Modernisierung schwer.

Bundestag und Bundesregierung lassen die Frist verstreichen, ohne etwa das Eherecht oder das Recht der elterlichen Sorge zu reformieren. Neben konservativen und katholischen Kreisen ist das Ansinnen, die „natürliche" Ehe- und Familienordnung zu verändern, auch der CDU-geführten Bundesregierung ein Dorn im Auge. Von Bundeskanzler Konrad Adenauer ist laut Kabinettsprotokoll die Aussage überliefert, „der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt‘“ dürfe „in Verbindung mit Ehe und Familie nicht für sich allein betrachtet werden“ (zit. n. Darnstädt 2018).

Die meisten Gerichte in der Bundesrepublik wenden in den 1950er Jahren weiterhin das alte Familienrecht an – weil es kein anderes gibt. Begründet wird dies beispielsweise mit der abenteuerlichen Feststellung, das Gleichberechtigungsgebot sei nicht bindend, sondern nur ein „unverbindlicher Programmsatz“. Artikel 117 Grundgesetz, verstoße gegen das Gewaltenteilungsprinzip, da die Richter nun „ausbaden" müssten, was der Gesetzgeber versäumt habe und keiner mehr wisse, was Recht sei (ebd.). So bringt das Oberlandesgericht Frankfurt einen entsprechend unklaren Fall vor das Verfassungsgericht und fragt, ob Art. 117 Grundgesetz unwirksam sei.

Im Dezember 1953 kommt es in Karlsruhe zur Verhandlung darüber, ob das Grundrecht auf Gleichberechtigung allgemein gelten oder sich die deutsche Rechtsprechung weiterhin am Bürgerlichen Gesetzbuch orientieren soll, das dem Grundrecht zuwiderläuft. Sollen die fünf Wörter „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ aus der Verfassung gelten – oder das ihnen widersprechende BGB?
Mit einem über 40seitigen Schriftsatz votiert Erna Scheffler zugunsten der allgemeinen Gültigkeit des Grundrechts auf Gleichberechtigung. Die elf anderen Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts stehen ihrer Kollegin in dieser Sache skeptisch gegenüber.
Wie genau Scheffler ihre männlichen Kollegen auf ihre Seite gebracht hat, ist bis heute – auch aufgrund des Beratungsgeheimnisses – unklar. Randbemerkungen der anderen Richter auf Schriftsätzen von Erna Scheffler sind kritisch, zum Teil aber auch anerkennend: „Teils Geschosse“ nennt etwa ein Richter ihre Vorschläge (vgl. Darnstädt 2018).

Rechtsexperten der Bundesregierung versuchen daraufhin, das Verfassungsgericht mit einer Grundgesetzänderung zu stoppen: Laut des von der Unionsfraktion ins Parlament eingebrachten Entwurfs soll die „Gnadenfrist“ für das alte Familienrecht um zwei Jahre verlängert werden. Doch Karlsruhe lässt sich nicht beirren und verkündet: „Der Anregung der Bundesregierung auf Vertagung ist nicht zu folgen, und die Verhandlung ist fortzusetzen.“

Unerschrocken und rhetorisch überzeugend setzt Erna Scheffler sich durch und bringt die „Sache der Frauen" voran. Möglicherweise ist dies auch der Tatsache zu verdanken, dass der Vorsitzende Richter überraschend erkrankt und an den Beratungen nicht mehr teilnehmen kann. Am 18. Dezember 1953 entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass das Gleichberechtigungsgebot im Grundgesetz gilt und das Bürgerliche Gesetzbuch entsprechend anzupassen ist (ebd.).
Schefflers Motivation, weiter für die Gleichberechtigung zu kämpfen, wächst mit dieser Erfahrung

Erst im Juli 1958 tritt nach heftigen Auseinandersetzungen im Bundestag das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, das einige positive Veränderungen im Ehe- und Familienrecht auf den Weg bringt: Es macht Schluss mit dem alleinigen Entscheidungsrecht des Ehemannes und erkennt die Familienarbeit von Ehefrauen gegenüber der Erwerbstätigkeit ihrer Partner rechtlich als gleichwertig an. Allerdings bekräftigt das Gesetz das traditionelle Leitbild der „Hausfrauenehe“.

Gerade in Fragen des Familienrechts bedarf es auch in den Folgejahren oft erst der „Nachhilfe" durch das Bundesverfassungsgericht, um den gesetzlich formulierten Anspruch auf Gleichberechtigung umzusetzen.

Im Januar 1957 erklärt das höchste deutsche Gericht etwa die Zusammenveranlagung von Ehepaaren im Steuerrecht in der damaligen Fassung für verfassungswidrig. Die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Frau – so das Urteil – „von vornherein als ehezerstörend zu werten“, widerspreche nicht nur dem Grundsatz und Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz.

„Zur Gleichberechtigung der Frau gehört, dass sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger“ – so eine Passage des dank Erna Scheffler zustande gekommenen Urteils.
(Urteil BVerfG vom 17.1.1957, zit. n. Maurer 2018).

Die bisherige Rechtsprechung mit der verpflichtenden Zusammenveranlagung von Eheleuten hat deren Freiheit bei der Gestaltung ihres Privatlebens stark eingeschränkt. Das Ziel der Zusammenveranlagung, erwerbstätige Ehefrauen „ins Haus zurückzuführen“, entspreche „einer bestimmten Vorstellung von der besten Art der Ehegestaltung“, so die Urteilsbegründung. Das Gebot des Schutzes von Ehe und Familie gelte aber für jede Ehe und Familie und nicht nur für solche mit erwerbstätigem Ehemann und nichterwerbstätiger Ehefrau (ebd.).    

Zunehmend gelingt es Erna Scheffler, ihre Überzeugungen in die Rechtsprechung des obersten deutschen Gerichtes einzubringen. Allerdings existieren bei der Umsetzung der Gleichberechtigung immer noch große juristische „Baustellen" – so besteht das BGB immer noch auf der alleinigen Vertretungsmacht und Entscheidungsgewalt des Ehemannes und Vaters und dessen Recht, über eine Erwerbstätigkeit seiner Partnerin zu entscheiden.

Tragisch, wenn nicht lächerlich“ nennt Erna Scheffler vor diesem Hintergrund die Bezeichnung „Gleichberechtigungsgesetz“ (zit. n. Darnstädt 2018).

Nach oben

Die Abschaffung des „väterlichen Stichentscheids“

Ein Urteil schreibt Rechtsgeschichte

„Es gehört zu den seltsamsten Erscheinungen der Entwicklung, dass der Frau längst alle beruflichen Tätigkeiten unter gleichen Bedingungen offenstanden wie den Männern, dass sie aber als Mutter in ihrem ureigensten Wirkungsbereich sich dem Vater fügen musste, so dass ihre Stimme als Abgeordnete oder als Richterin ebenso viel wog wie die Stimme eines Mannes, aber bei Entscheidungen über das Kind verstummen musste.“
(Erna Scheffler über den väterlichen Stichentscheid, zit. n. Dertinger 1997, S. 164)

Als „Krönung“ ihrer Arbeit bezeichnet Erna Scheffler die Entscheidung des Verfassungsgerichts gegen den sogenannten „väterlichen Stichentscheid“. Vier Verfassungsbeschwerden wenden sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre gegen diese „letzte Bastion des Patriarchats“ und Erna Scheffler führt ihren „Angriff“ dagegen „mit chirurgischer Präzision“, wie der justizpolitische Experte des SPIEGEL analysiert. Das Recht des Vaters zum Stichentscheid ist ihrer Einschätzung nach so eindeutig verfassungswidrig, dass sie sogar eine erneute mündliche Verhandlung des Verfassungsgerichts für überflüssig hält.

Beim Bundesjustizministerium beißt sie damit aber auf Granit – es muss mündlich verhandelt werden, und in den langen Schriftsätzen der Vertreter der Bundesregierung geht es offensichtlich „um nicht weniger als die Rettung des Abendlandes und der christlichen Familie‘“ (Darnstädt 2018).
Erna Scheffler reagiert mit einem 100 Seiten umfassenden Votum und wird anfangs nur von einem Kollegen im Senat unterstützt, kann mit ihren Ausführungen dann aber doch die anderen Richter in vielen Punkten überzeugen.

Durch das am 29. Juli 1959 ergangene Urteil werden zwei Regelungen des BGB für nichtig erklärt: Paragraph 1628 BGB sah vor, dass Väter in Erziehungsfragen das letzte Wort haben, und Paragraph 1629 sprach die Vertretung minderjähriger Kinder allein dem Vater zu. Mit dem Karlsruher Spruch wird beides abgeschafft. Doch nicht nur der Inhalt dieses Urteils schreibt Geschichte:

Erstmals in der Bundesrepublik verkündet – wenn auch nur vertretungsweise – eine Richterin ein Urteil des Verfassungsgerichts und senkt damit den Daumen über ein Gesetz der Bonner Koalition. Da Senatspräsident Gebhard Müller am Tag der Urteilsverkündung erkrankt ist, fällt Erna Scheffler diese Rolle zu – der zentrale Satz:

„Die Bestimmungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch zum sogenannten ,Väterlichen Stichentscheid‘ sind verfassungswidrig.“

Während Urteile im Regelfall mit ernster Miene verlesen werden, verkündet Erna Scheffler die höchstrichterliche Entscheidung – so die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Tag später auf der ersten Seite – „mit einem Lächeln“. Manche Zeitgenossen und Zeitgenossinnen sehen dies wohl als „einen hochverdienten Zufall“ an: „Es war ja Erna Schefflers Urteil“ (Darnstädt 2018).

Dass nun die bislang geltende väterliche Vorherrschaft gefallen ist, gilt als „familienpolitische Zäsur und epochemachender Durchbruch einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik“ (van Rahden 2005, S. 1.) Bei der CDU-geführten Bundesregierung und den Anhängern einer konservativen Familienpolitik löst der Spruch einen Sturm der Entrüstung aus.

In der Öffentlichkeit und einem Großteil der Medien trifft das Urteil aber auf breite Zustimmung: Von einem „schwarzen Tag“ der Väter spricht spöttisch „Die Welt“; „Die Zeit“ freut sich, dass nun die „letzte Bastion väterlicher Vorherrschaft“ gefallen sei, und die „Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung“ sieht die Idee des väterlichen Stichentscheids nun in der „Rumpelkammer der Geschichte“ (vgl. van Rahden 2005, S. 4).

Männern – so Thomas Darnstädt – „wurde die gesetzliche Garantie genommen, in der Familie das letzte Wort zu haben.“ Das Urteil „befreite Frauen wie Männer vom frömmelnden Mief der Fünfziger-Jahre, vom autoritären Geist einer Gesellschaft, die bis ins Innerste der Familie von mächtigen Männern und beugsamen Frauen geprägt war.“ (Darnstädt 2018)

1959 wird Erna Scheffler – noch immer einzige Richterin am Bundesverfassungsgericht – für weitere vier Jahre in das hohe Amt gewählt. Bei ihrem Einsatz für die Gleichberechtigung kann sie auf die Unterstützung vieler Frauenorganisationen zählen. Eng vernetzt ist sie vor allem mit dem Deutschen Akademikerinnenbund (DAB), in dem sie aktiv mitarbeitet und immer wieder bei Tagungen referiert.

Erna Scheffler ist ein sehr politischer Mensch, lehnt es aber aus Gründen des Berufsethos zeitlebens ab, Mitglied einer Partei zu werden.

„Nach preußischer Tradition ist ein Richter nicht politisch tätig. So bin ich groß geworden, und dabei bin ich geblieben. Aber natürlich habe ich eine politische Überzeugung.“
(Erna Scheffler, zit. n. Dertinger 1989, S.162)

Direkten politischen Einfluss nimmt sie etwa als Sachverständige vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestags oder bei tarifrechtlichen Auseinandersetzungen wahr.

Bis zu ihrer Pensionierung im August 1963 wirkt Scheffler zwölf Jahre am Bundesverfassungsgericht und leistet Erhebliches für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Rechtsprechung. Ihre gesamte Amtszeit über bleibt sie einzige Frau unter zunächst 24, später 20 Richtern.

Noch bis 1986 findet sich jeweils nur eine Richterin am höchsten deutschen Gericht. Im Jahr 2020 wird in beiden Senaten des Verfassungsgerichtes erstmals Geschlechterparität erreicht.

Nach oben

Letzte Lebensjahre und feministisches Vermächtnis

Nach ihrer Pensionierung engagiert Scheffler sich weiter in verschiedenen frauenpolitischen Organisationen. So ist sie etwa von 1964 bis 1970 Bundesvorsitzende des Deutschen Akademikerinnenbundes (DAB) und aktiv im Deutschen Juristinnenbund – beides Verbände, die sie auf ihrem beruflichen Weg begleitet und ihre rechtlichen Vorhaben unterstützt haben. In Schefflers Zeit als Vorsitzende des DAB entwirft dieser einen Gesetzesentwurf zur Teilzeitarbeit für Beamtinnen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Sicherung der materiellen Selbständigkeit von Frauen bleiben Scheffler auch im Ruhestand ein wichtiges Anliegen.

Erna Scheffler engagiert sich zudem im Verband berufstätiger Frauen in Karlsruhe, der Akademikerinnen und berufstätige Frauen aus unterschiedlichen Bereichen vernetzt, für die Gleichberechtigung von Frauen und ist Gründungspräsidentin des Soroptimist-Club Karlsruhe.

Neben dem Einsatz für mehr Chancen für Frauen im Erwerbssektor und eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit sieht Scheffler auch das Problem der Mehrfachbelastung von Frauen, das sie bis weit ins Alter in Vorträgen thematisiert. Wie aktuell ihre Ansichten noch 25 Jahre später sind, fasst die Historikerin Barbara Guttmann 1997 zusammen:

Wenn wir heute ihre Texte lesen, erscheinen die Ansichten dieser Frau, die den etablierten Frauenverbänden angehörte, nicht so weit entfernt von denen der in jenen Jahren entstehen den autonomen Frauenbewegung, wenn sie auch in ihren Formulierungen nicht so radikal wirkte:

„… Angesichts der Technisierung reicht für den Mann im allgemeinen die berufliche Leistung heute nicht mehr. Er muß auch in der Familie dasein, nicht nur nebenherlaufen." Und es reicht „für die Frau nicht mehr ihr Dasein in der Familie, sie muß auch im Rahmen der größeren Gemeinschaft etwas leisten."

Damit nicht noch die nächste und übernächste Frauengeneration von „Haushalt und Kindern aufgefressen werden", forderte Scheffler einen Wandel der Geschlechterrollen und die Schaffung gesellschaftlicher Einrichtungen zur Kinderbetreuung wie „ausreichende und gute Tageskindergärten und Tagesschulen."

Es mag fast etwas entmutigend wirken, wenn wir bedenken, daß sich in den über 25 Jahren seit Erna Scheffler diese Ansichten formulierte, in dieser Richtung so wenig vorwärtsbewegt hat. Doch sie hielt es für wichtig, den Elan zu finden, „auch in scheinbar rückläufigen Zeiten immer von neuem zu beginnen."

(Guttmann 1997, S. 109f.; die zitierten Aussagen von Erna Scheffler stammen aus deren Aufsatz „Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Wandel der Rechtsordnung seit 1918“ (1970))

Einige Jahre nach dem Tod ihres Ehemanns zieht Erna Scheffler zu ihrer Tochter Lore Fry, die als Ärztin in London lebt.

Dort stirbt sie am 22. Mai 1983 im Alter von 89 Jahren in der Nähe ihres jüngsten Enkelsohnes Tom, der ebenfalls Rechtswissenschaften studiert.

Erna Scheffler hat fast über das gesamte 20. Jahrhundert den Wandel der rechtlichen Stellung von Frauen in Deutschland erlebt und gestaltet: von den Hindernissen bei der (Aus)Bildung über die rechtliche Unmündigkeit verheirateter und verwitweter Frauen, Beschränkungen im Erwerbsbereich bis hin zur seit 1949 – zumindest auf dem Papier geltenden – vollen Gleichberechtigung. Beim Kampf um Fortschritte bei der Geschlechtergerechtigkeit hatte Scheffler erheblichen Anteil.

Trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge bei der Realisierung des Grundrechts auf Gleichberechtigung in Recht und Alltagsrealität war es ihr wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen und sich immer wieder des bereits Erreichten zu versichern: „... unsere Erfolge sind durchaus geeignet, uns mit uns selbst zu imponieren" wird sie etwa zitiert (vgl. Guttmann 1997, S. 110).

Dennoch kritisiert Scheffler in ihren letzten Lebensjahren die immer noch unzureichende Anpassung gesellschaftlicher Einrichtungen an die Bedürfnisse moderner Familien und die daraus resultierende Benachteiligung von Frauen.

„Mit dem Grundgesetz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in Deutschland die Diskriminierung der Frau im Recht nahezu völlig beseitigt. Eine tatsächliche Gleichbewertung von Mann und Frau ist jedoch mit dieser Gleichheit im Recht noch nicht einhergegangen. Ihre letzte Ursache hat die geringere Bewertung der Frau offensichtlich – und groteskerweise – in der Mutterschaft, die wesentliche Kräfte der Frau bindet … und die Frau in wirtschaftliche Abhängigkeit vom Mann bringt.“
(Erna Scheffler im Ruhestand, zit. n. Dertinger 1989, S.163)

Für ihre zukunftsweisende Arbeit wird sie mit dem Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband ausgezeichnet.

Nach oben

Wie wird an Erna Scheffler erinnert?

Angesichts der großen Verdienste, die Erna Scheffler sich für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen erworben hat, ist es geradezu skandalös, wie wenig bekannt diese Vorkämpferin immer noch ist.
Lediglich in Karlsruhe und Köln erinnern Straßennamen an die große Juristin – sinnigerweise liegt die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen in der Kölner Erna-Scheffler-Straße.

Der von Erna Scheffler gegründete Soroptimist International Club Karlsruhe vergibt seit 1996 alle zwei Jahre den Erna-Scheffler-Preis für junge Wissenschaftlerinnen. Herausragende Absolventinnen des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) können damit im Rahmen von Dissertationsprojekten oder Masterarbeiten finanziell unterstützt werden. Dieser Preis passt perfekt zur Namensgeberin, die sich zeit ihres Lebens immerzu für die gleichwertige Ausbildung von Frauen eingesetzt hat und sich die eigene hart erkämpfen musste.

Doris König, heute eine der Nachfolgerinnen Erna Schefflers im Richterinnenamt am Bundesverfassungsgericht, würdigt die große Vorreiterin:

„Mich inspiriert, wie sie gegen alle Widerstände, mit unheimlicher Beharrlichkeit und Weitsicht in einer Männerwelt für die Rechte der Frauen gekämpft hat. Für mich ist sie eine der unterschätztesten Persönlichkeiten in der Geschichte der Bundesrepublik.“
(Doris König, zit. n. Buhl 2019)

Und, so der Deutsche Juristinnenbund in einer Würdigung anlässlich von Erna Schefflers 125. Geburtstag im Jahr 2018:

„Sie war Wegbereiterin für ein modernes Frauenleben. Die Erinnerung an ihr Lebenswerk verpflichtet auch heute noch zum Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Diskriminierung.“
(Deutscher Juristinnenbund,
www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/pm18-32)

Nach oben


Autorinnen: Enora Mosesku und Beate Dörr | Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB (Stand: November 2021)

Nach oben

Literatur, Medien und Links

Literatur:

  • Darnstädt, Thomas: Fünf Wörter. Wie die erste Richterin am Bundesverfassungsgericht für Gleichberechtigung kämpfte.
    In: Der Spiegel 44/2018, S. 42ff.
  • Dertinger, Antje: „Die Diskriminierung nahezu beseitigt“. Erna Scheffler, erste Frau am Verfassungsgericht.
    In: Dies.: Frauen der ersten Stunde. Aus den Gründerjahren der Bundesrepublik, Bonn 1989, S. 155-156
  • Guttmann, Barbara: Erna Scheffler. „... unsere Erfolge sind durchaus geeignet, uns mit uns selbst zu imponieren“.
    In: Dies.: „Zwischen Trümmern und Träumen": Karlsruherinnen in Politik und Gesellschaft der Nachkriegszeit. Hrsg. von der Stadt Karlsruhe, Karlsruhe 1997, S. 105-111
  • Hansen, Marike: Erna Scheffler (1893–1983). Erste Richterin am Bundesverfassungsgericht und Wegbereiterin einer geschlechtergerechteren Gesellschaft.
    Tübingen 2019 (Dissertation, Christian-Albrechts-Universität Kiel, 2018/2019)
  • Scheffler, Erna: Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Wandel der Rechtsordnung seit 1918.
    In: Frandsen, Dorothea. u.a. (Hrsg.): Frauen in Wissenschaft und Politik, Düs-seldorf 1987, S.77-97

Medien: Podcast und Film:


Links

Nach oben

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.