Kriegsverbrechen in der Ukraine

Wie können Völkerrechtsverbrechen geahndet werden?

Bereits seit 2014 ist mit dem aggressiven Vorgehens Russlands gegen die Ukraine und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim von Völkerrechtsverbrechen die Rede. Mit dem im Februar 2022 begonnenen Angriffskrieg Russlands und den zutage getretenen Gewalttaten gegenüber der ukrainischen Bevölkerung hat das Ausmaß eine neue Dimension erreicht. Inwiefern wird es gelingen, diese Kriegsverbrechen zu ahnden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen?

Spätestens angesichts der Bilder aus Butscha und anderen Orten sind schwere Völkerrechtsverbrechen nicht mehr von der Hand zu weisen. In nur wenigen Monaten hat der Krieg nach internationalen Schätzungen Zehntausende Todesopfer gefordert, darunter auch viele Tausende Opfer unter der Zivilbevölkerung. Es ist davon auszugehen, dass umfassende Untersuchungen am Ende ergeben werden, dass Russland beziehungsweise die Verantwortlichen und Ausführenden der Kriegshandlungen eine ganze Reihe an Tatbeständen zu verantworten haben werden: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mutmaßlichen Völkermord sowie auch das Verbrechen der Aggression. Aber auch auf ukrainischer gibt es Hinweise auf begangene Kriegsverbrechen, stellte eine Bericht der UN-Untersuchungskommission jüngst fest. Auch diesen werde man ebenso nachgehe. In Summe wirft er Russland jedoch eine deutlich größere Zahl und Bandbreite an potenziellen Menschenrechtsvergehen und Kriegsverbrechen vor als der Ukraine.

Da der internationalen Strafverfolgung Grenzen gesetzt sind, wenn es um Staaten geht, die sich wie Russland jeglichen Rechenschaftsmechanismen entziehen, müssen die ermittelnden Behörden kooperieren und einen langen Atem haben, wenn es gelingen soll, Präsident Wladimir Putin und seine Unterstützer eines Tages strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Um auch eine Handhabe gegen das Verbrechen der Aggression zu haben, wäre es notwendig, ein Sondertribunal einzurichten, ähnlich dem Kriegsverbrechertribunal in Jugoslawien oder dem Nürnberger Tribunal nach dem Zweiten Weltkrieg.

Eine Kooperation zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof, der europäischen Justizbehörde Eurojust und einer „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe“, der sich bereits eine Vielzahl an Staaten angeschlossen haben, stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, mit geballter Kraft der Gerichtsbarkeit zum Sieg zu verhelfen. Im Den Haager Weltforum trafen sich im April 2024 Vertreter der Europäischen Kommission, des Europarats, von Eurojust, des Internationalen Strafgerichtshofs mit den Außenministern aus über 40 Ländern zur Konferenz zur „Wiederherstellung der Gerechtigkeit für die Ukraine” und eröffneten ein „Register für Schadensmeldungen von ukrainischen Kriegsopfern”, um die von Russland im Laufe des Krieges verursachten Schäden vollständig zu erfassen. Damit soll Russland eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden und für die Schäden aufkommen. Die Einrichtung eines Sondertribunals wird weiterhin angestrebt. Sie könnte unter Leitung der führenden Menschenrechtsorganisation Europas, dem Europarat, erfolgen.

In der Ukraine waren bis Juni 2022 bereits in 15.000 Fällen Ermittlungen angelaufen, täglich kommen jedoch weitere hinzu. Im April 2024 sprach die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft von mittlerweile mehr als 125.000 Fällen. Erste Prozesse gegen russische Soldaten haben bereits zu deren Verurteilungen geführt. Dies gilt als ein wichtiges Signal zu einem frühen Zeitpunkt, dass Verbrechen nicht ungestraft bleiben.

Was sind Kriegsverbrechen und wie werden sie geahndet?

Was genau sind eigentlich „Kriegsverbrechen”? Ist Krieg nicht per se und immer ein Verbrechen? Wo verläuft die Grenze zum Kriegsverbrechen? Wie können Völkerrechtsverbrechen auf nationaler und internationaler Ebene geahndet werden? Das Dossier „Kriegsverbrechen” möchte Begrifflichkeiten klären und unterschiedliche Möglichkeiten der Gerichtsbarkeit vorstellen, um dann konkrete Beispiele von Völkerrechtsverbrechen aufzuzeigen.

Dossier „Kriegsverbrechen”

Internationaler Gerichtshof

Die Ukraine hatte bereits Ende Februar 2022, zwei Tage nach Kriegsbeginn, eine Klage gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof eingereicht. Vor dem IGH kann nur gegen Staaten ermittelt werden nicht gegen Personen. Am 16. März 2022 hat der Internationale Gerichtshof angeordnet, dass Russland sofort die militärische Gewalt in der Ukraine beenden muss. Das höchste Gericht der Vereinten Nationen gab der Klage der Ukraine statt. Der Einmarsch in die Ukraine verletze die Souveränität der Ukraine und das Gewaltverbot nach Art. 2. Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta).

Das Urteil, den Krieg einzustellen, ist zwar bindend, das Gericht besitzt jedoch keine Machtmittel, um einen unterlegenen Staat zu zwingen, ein Urteil umzusetzen. Russland war weder bei der Anhörung anwesend noch bei der Verlesung des Urteils. Das Urteil hat dennoch eine internationale Signalwirkung.

Ferner wollte die Ukraine vor dem Gerichtshof feststellen lassen, dass der Vorwurf Russlands, an der russischen Minderheit in der Ukraine würde ein Völkermord begangen, unwahr ist. Anfang Februar 2024 hat der Internationale Gerichtshof diese Klage der Ukraine gegen Russland weitgehend zugelassen. Es wies die meisten Einwände Russlands gegen das Verfahren zurück und wird nun ein Hauptverfahren eröffnen. Russland hatte seinen Überfall auf die Ukraine vor fast zwei Jahren damit begründet, dass Millionen Menschen in der Ostukraine vor einem angeblichen Völkermord geschützt werden müssten. Das Gericht hält sich allerdings nicht für befugt zu entscheiden, ob Russland die Völkermordkonvention missbraucht hat. Dieser Fall sei nicht von der Konvention gedeckt, teilte der IGH mit.

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Internationaler Strafgerichtshof

Die Ukraine hat die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) aufgrund der Ereignisse auf dem Maidan und Russlands Annexion der Krim im April 2014 gemäß Art. 12 Abs. 3 des Statuts anerkannt. Russland selbst ist zwar also nicht Vertragspartei des Internationalen Strafgerichtshofs, dennoch kann der Ankläger des Gerichtshofs gegen russische Staatsangehörige wegen möglicher in der Ukraine seit 2014 begangener Völkerrechtsverbrechen ermitteln.

Wie eine Vorprüfung durch die ehemalige Chefanklägerin Fatou Bensouda des Internationalen Strafgerichtshofs damals ergab, besteht eine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass im Zuge der Besetzung der Krim und in der Folgezeit des bewaffneten Konflikts Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind. Wie mehrere ukrainische Hilfsorganisationen sowie eine russische bestätigten, gehörten Kriegsverbrechen im ukrainischen Konfliktgebiet seit 2014 zum Alltag. Verschleppungen, Folter und Zwangsarbeit im Kriegsgebiet seien keine Einzelfälle gewesen, sondern seit 2014 systematisch betrieben worden. Überwiegend fanden sie in den selbsternannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine statt, aber auch auf ukrainisch kontrolliertem Territorium. Der ukrainische Geheimdienst SBU habe in den Jahren 2014 bis 2016 rund 4000 Opfer erfasst, so Oleksandra Matwitschuk von der Menschenrechtsorganisation „Bürgerliche Freiheiten“. Es gebe aber weit mehr Betroffene. Russland verletzte demnach bereits damals das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen. Außerdem handelte es sich schon damals um einen bewaffneten Angriff gemäß Art. 51 der Charta, wodurch das Recht der Ukraine zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung ausgelöst wurde.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der seit dem 24. Februar 2022 am Laufen ist, stellt eine weitere drastische Eskalation des bewaffneten Konflikts dar und geht mit noch massiveren Völkerrechtsverbrechen einher. Fortlaufende Ermittlungen bringen schwere Gräueltaten zutage. Bereits wenige Tage nach Beginn des Angriffskriegs Russlands haben 41 Vertragsstaaten des Römischen Statuts den Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs aufgefordert, die Situation in der Ukraine zu untersuchen. Der IStGH konnte auf Basis dieser Ersuchen bereits Anfang März 2022 die Ermittlungen aufnehmen. Die Ermittlungen können sich im Fall der Ukraine jedoch nur auf die drei Tatbestände Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie auf Völkermord erstrecken, da das Land 2014 zwar die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkannt hat, jedoch nur in Bezug auf die drei Tatbestände Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Im Hinblick  auf das Verbrechen der Aggression sind dem IStGH also hier die Hände gebunden. Gemäß Art. 15 des Statuts kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression nicht ausüben, wenn das Verbrechen von Staatsangehörigen eines Staates (oder auf dem Territorium eines Staates) begangen wurde, der nicht Vertragspartei des Statuts ist. Russland hat die Gerichtsbarkeit des IStGH nicht anerkannt. Auch die Ukraine hat den erst 2018 neu am IStGH hinzugekommen Tatbestand des Verbrechens der Aggression noch nicht ratifiziert.

Umgekehrt hat auch die russische Seite im aktuellen Konflikt Ermittlungen in Gang gesetzt, um der ukrainischen Seite Völkerrechtsverbrechen nachzuweisen. Eine Aufarbeitung auch dieser Verbrechen wird gleichsam von Nöten sein. So kursierte beispielsweise im April ein Video in den Sozialen Medien, welches zeigt, wie eine Gruppe russischer Gefangener gezielt durch Schüsse getötet worden sein sollen. Andererseits sind Vorwürfe seitens Russlands, wonach etwa die über 2.000 ukrainischen Soldaten des Asow-Regiments aus Mariupol der Kriegsverbrechen beschuldigt werden, sicherlich auch der russischen  Repressions- und Propangdamaschinerie zuzuordnen.

Um Informationen und Hinweise über mutmaßliche Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zu sammeln, hat der Internationalen Strafgerichtshof ein Hinweisportal in englischer Sprache eingerichtet..Insbesondere wer selbst Opfer oder Augenzeuge geworden ist, kann über dieses Portal sachdienliche Hinweise melden..

Im März 2023 hat der Internationale Strafgerichtshof einen ersten Haftbefehl im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukriane erlassen. Der Haftbefehl erging gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin selbst. Putin sei mutmaßlichverantwortlich für die Deportation ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland. Da Russland jedoch zu jenen Staaten gehört, die den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkannt haben, gilt eine Festnahme als unwahrscheinlich. Diese könnte nur erfolgen, sollte sich Putin ins Ausland in eine der Mitgliedstaaten des Gerichtshofs begeben. Somit führt der Haftbefehl zu einer Beschränkung der Reisefreiheit Putins, er kann fortan nicht mehr unbehelligt durch die Welt reisen. Strafrechtsexpertin Professorin Stefanie Bock von der Philips-Universität Marburg sieht in der Ausstellung des Haftbefehls ein „großes Symbol”, da dies zeige, dass mit aller Konsequenz gegen die Verbrechen in der Ukraine vorgegangen werde, und zwar unabhängig vom Status des Beschuldigten. Ein weiterer Haftbefehl erging auch gegen die Kinderrechtsbeauftragte des Präsidenten, Maria Alexejewna Lwowa-Belowa.

Stelt sich die Frage, warum gegen Putin nicht etwa auch wegen den in Butscha und anderorts begangener Gräueltaten ein Haftbefehl erlassen wird. Was die in Butscha begangenen Verbrechen anbelangt, sei es schwierig, diese nachzuweisen, weil nachgewiesen werden müsse, dass Putin in die Begehung der Taten involviert war oder dass er sie angeordnet habe - oder dass er die Möglichkeit hatte, die Taten zu verhindern, erklärt Bock. Bei den Kinderdeportationen sei dies anders: „Es spricht viel dafür, dass das Verbrechen sind, die vergleichsweise gut nachweisbar sind."

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Sondertribunal: Internationaler Strafgerichtshof für die Ukraine?

Da der ständige Internationale Strafgerichtshof im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression im Fall des Krieges in der Ukraine nicht ermitteln kann, wäre es erforderlich, für die strafrechtliche Verfolgung dieses Tatbestands ein Sondertribunal, einen „Internationalen Strafgerichtshof für die Ukraine“ ins Leben zu rufen, ähnlich wie im Falle der Aufarbeitung der in den Jugoslawienkriegen begangenenen Völkerrechtsverbrechen.

Die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression durch den IStGH ist nach Art. 15bis Abs. 5 IStGH-Statut ausgeschlossen, wenn der betreffende Staat nicht Vertragspartei dieses Statuts ist (wie im Falle Russlands)  und das Verbrechen von Staatsangehörigen des betreffenden Staates oder in dessen Hoheitsgebiet begangen wurde. Es gibt, was diesen Tatbestand anbelangt, also keine Ausnahme, selbst wenn ein Vertragsstaat angegriffen wurde. Den erst seit 2018 am IStGH neu hinzugekommenen Tatbestand des Aggressionsverbrechens haben derzeit nur knapp über 30 Staaten ratifiziert.

Der Fokus der internationalen Strafgerichtsbarkeit sollte sich nach Ansicht der Autoren der SWP-Studie Völkerrechtliche Verbrechen im Krieg gegen die Ukraine jedoch nicht nur auf die drei verbleibenden Tatbestände richten. Der Unrechtsgehalt einer derart massiven und für die Ukraine existenzbedrohenden Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots lasse sich nur mithilfe des Tatbestands der Aggression erfassen. Es sollte demnach ein Sondertribunal eingesetzt werden, das speziell darauf ausgelegt ist, die gegen die Ukraine begangene Verbrechen der Aggression strafrechtlich aufzuarbeiten.

Grundsätzlich gebe es unterschiedliche Wege zur Errichtung eines Sondertribunals. Wie jedoch ein Tribunal für die Ukraine tatsächlich ins Leben gerufen werden und im Detail ausgestaltet werden könnte, ist noch unklar.

Möglichkeiten der Errichtung eines Sondertribunals

Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, um ein Sondertribunal zu errichten:

UN-Tribunal

Zum einen könnte die UN-Generalversammlung die Einsetzung eines Strafgerichtshofs empfehlen. Die Implementierung würde dann durch ein Abkommen zwischen dem Sitzstaat und den Vereinten Nationen erfolgen. Solche sogenannten UN-Kriegsverbrechertribunale wurden auch im Falle der Aufarbeitung der in Jugoslawien oder in Ruanda begangenen Kriegsverbrechen eingesetzt. Da solche Tribunale ad hoc initiiert wurden, lautet die offizielle Bezeichnung etwa auch „Ad-hoc-Strafgerichtshof  für das ehemalige Jugoslawien“. Im Falle des Ukraine-Kriegs kommt jedoch diese Möglichkeit nicht in Betracht. Sie ist faktisch ausgeschlossen, da Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Vetorecht hat.

Hybrides Tribunal

Ein zweite Möglichkeit wäre, ein hybrides Tribunal innerhalb des nationalen Justizsystems des betroffenen Staates zu installieren. Diese Lösung käme nur auf regionaler Basis zustande, in Kooperation mit den Vereinten Nationen oder dem Europarat. Allerdings könnte dies Pro­bleme nach ukrainischem Verfassungsrecht aufwerfen.

Mehrere Staaten errichten ein Tribunal

Die letzte Möglichkeit wäre, ein Ad-hoc-Tribunal von Staaten ohne aktive Rolle einer internationalen Organisation wie den Vereinten Nationen errichten zu lassen. Der betroffene Staat müsste in diesem Fall ebenfalls Partei des Vertrages sein, damit sichergestellt wäre, dass sämtliche Handlungen, die unter den Aggres­sionstatbestand fallen, auch von der Jurisdiktion des Tribunals erfasst werden können.

Am praktikabelsten im Falle des Krieges in der Ukraine wäre die oben beschriebene letzte Möglichkeit, wonach einige Staaten ein internationales Tribunal durch völkerrechtlichen Vertrag errichten würden, so die SWP-Studie. Die Ukraine müsste dann Partei des Vertrages sein und ihre Strafgerichtsbarkeit miteinbringen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und der ehemalige britische Premierminister Gordon Brown hatten bereits im März 2022 gefordert, ein spezielles Tribunal für die Ukraine auf die Beine zu stellen, da in Bezug auf den Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine insbesondere das Verbrechen der Aggression von hoher Bedeutung sei. Rund 40 namhafte Juristinnen und Juristen sowie bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur haben daraufhin in einer Initiative ein solches Sondertribunal eingefordert, das Präsident Putin und seine Unterstützer insbesondere auch wegen des Verbrechens der Aggression zur Rechenschaft ziehen solle.

Die von Kuleba und Brown eingebrachte Idee zielt auf eine zwischenstaatliche Lösung nach Vorbild des nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Nürnberger Tribunals. Einzelne Staaten würden demnach durch völkerrechtlichen Vertrag ihre nationalen Zuständigkeiten bündeln und an ein Sondertribunal übertragen. Die bereits bestehende „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe“ (GEG), in der einige Staaten seit Monaten gemeinsam aktiv sind, könnte eventuell den Weg bereiten zur Schaffung eines solchen Sondertribunals für die Ukraine. Wie damals die alliierten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam den Nürnberger Militärgerichtshof begründet hatten, könnte heute ein westliches Staatenbündnis einen Strafgerichtshof für die Aufarbeitung der im Krieg in der Ukraine begangenen Völkerrechtsverbrechen auf die Beine stellen. Unterstützung findet der Vorschlag der Errichtung eines Sondertribunals unter anderem in dem heute 102-jährigen Ben Ferencz, dem einzig noch lebenden Chefankläger der Nürnberger Prozesse.

In einer Entschließung vom 19. Mai 2022 forderte auch das Europäische Parlament die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs für die Ukraine. Die EU wird angehalten, „alle erforderlichen Maßnahmen in internationalen Institutionen und Verfahren sowie vor dem Internationalen Strafgerichtshof  (IStGH) und anderen geeigneten internationalen Gerichten zu ergreifen, um die strafrechtliche Verfolgung des russischen und des belarussischen Regimes wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Verbrechen der Aggression zu unterstützen“. Da der Straftatbestand des Verbrechens der Aggression in diesem Fall nicht in die Zuständigkeit des IStGH fällt, „soll der Sondergerichtshof diese Verbrechen untersuchen und die führenden Politiker und militärischen Befehlshaber Russlands und seiner Verbündeten strafrechtlich verfolgen“.

Nach der Entdeckung hunderter Gräber in der von der Ukraine zurückeroberten Region Charkiw im September 2022 forderte die EU-Ratspräsidentschaft ein internationales Kriegsverbrecher-Tribunal gegen Russland. Die zum damaligen Zeitpunkt unter tschechischem Vorsitz stehende Ratspräsidentschaft rief zur raschen Einsetzung eines internationalen Tribunals auf.  Der EU-Außenbeauftragte Borrell erklärte, Russland, seine politische Führung und alle, die für die Rechtsverstöße in der Ukraine verantwortlich seien, würden zur Rechenschaft gezogen.

Im Januar 2023 forderte der Europarat einstimmig die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals. Mit 100 Ja-Stimmen und einer Enthaltung verabschiedeten die Vertreter der 46 Mitgliedstaaten eine Resolution. Sie fordert, die Regierungs- und Militärspitze in Russland und in Belarus, die die Aggression gegen die Ukraine „geplant, vorbereitet, eingeleitet oder ausgeführt“ habe, zur Verantwortung zu ziehen.

Dass die Errichtung eines solchen multilateral geschaffenen Russland-Tribunals unter Beteiligung der Ukraine als angegriffenem Staat also möglich und auch völkerrechtlich zulässig wäre, ist auch der Strafrechler Nicolai Bült der Meinung. Inwiefern die Schaffung eines solchen Ad-hoc-Tribunals gerechtfertigt und sinnvoll wäre, insbesondere im Hinblick auf den zu verfolgenden Straftatbestand des Verbrechens der Aggression, und inwieweit Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung gegenüber den Verantwortlichen bestünden, legt Bült in seinem Beitrag „Zwischen normativem Anspruch und prozessualer Wirklichkeit” dar.

Zu erwartende Verfahrensprobleme

Mit der Errichtung eines Sondertribunals könnte somit zwar prinzipiell auch das Verbrechen der Aggression verfolgt werden, in der praktischen Umsetzung sind jedoch einige Probleme zu erwarten. In der akademischen Debatte werde gewarnt, so die SWP-Studie, „dass ein Tribunal, das lediglich von einer Handvoll Staaten geschaffen würde und trotzdem unter der Bezeichnung ‚international‘ firmierte, unweigerlich dem Vorwurf selektiver Justiz und mangelnder Legitimität ausgesetzt wäre. In jedem Fall würde ein praktisches Problem darin bestehen, dass selbst ein internationales Tribunal, das durch völkerrechtlichen Vertrag entstünde, gegenüber Nichtvertragsstaaten keinerlei Ermittlungsbefugnisse hätte. Es könnte weder die Überstellung tatverdächtiger Personen aus Russland und Belarus bewirken, noch könnten die Ermittler Beweismittel in den genannten Staaten sammeln.“

Russland fordert ebenfalls die Errichtung eines internationalen Tribunals

Auch Russland fordert seinerseits die Errichtung eines internationalen Tribunals. Dieses soll ukrainische Soldaten und weitere Vertreter des Militärs wegen des Tatbestands der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit” anklagen. Mehr als 220 Personen, darunter Vertreter des Oberkommandos der ukrainischen Streitkräfte sowie Kommandeure, hätten die Zivilbevölkerung angegriffen, so Alexander Bastrykin, Leiter des russischen Untersuchungsausschusses im Juli 2022. Die Ukrainer seien in „Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit verwickelt, die nicht verjähren". Das Tribunal werde nach Angaben Russlands von Ländern wie Bolivien, Iran und Syrien unterstützt.

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Strafverfolgung vor nationalen Gerichten – Erste Prozesse in der Ukraine und Russland

Im Hinblick auf den russischen Angriff gegen die Ukraine hatten neben der Ukraine selbst auch Behörden in mehr als ein Dutzend weiterer Staaten nationale Ermittlungen eingeleitet. Nach dem Weltrechtsprinzip kann jeder Staat Ermittlungen aufnehmen. Kriegsverbrecher können somit in jedem Land vor Gericht gestellt werden, auch wenn der Täter nicht aus dem jeweiligen Land stammt oder die Taten nicht dort begangen wurden.

Ermittlungen in der Ukraine

Die Ukraine gab im Juni 2022 an, in 15.000 Fällen in Bezug auf Kriegsverbrechenzu ermitteln.Täglich kämen jedoch 200 bis 300 neue Fälle hinzu, so die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa. Im Dezember 2022 ist bereits von 40.000 Fällen die Rede. Bislang seien mehrere Hundert mutmaßliche russische Kriegsverbrecher bereits identifiziert worden. Gegen knapp hundert von ihnen habe man ein Strafverfahren eingeleitet, so Wenediktowa.

Ende Mai 2022 kam es vor dem nationalen Gericht des Landes bereits zu ersten Verurteilungen von russischen Soldaten wegen Kriegsverbrechens. Nachdem im April bereits zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen einzelne russische Soldaten eingeleitet wurden, von denen sich einige derzeit in ukrainischer Gefangenschaft befinden, erging wenige Wochen später das Urteil. Für die Ukraine ist dies der Beginn der Aufarbeitung zahlloser Kriegsverbrechen, zu erwarten ist in der kommenden Zeit eine ganze Welle an Prozessen. Aber auch in Russland wurden bereits Prozesse angekündigt. Am Ende könnten sich beide Seiten einmal mehr auf Gefangenenaustausche einigen.

24. April 2022: Ermittlungsverfahren gegen zehn russische Soldaten eingeleitet
Die ukrainische Justiz, hat was die mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha anbelangt, Ende April ein Ermittlungsverfahren gegen zehn russische Soldaten eingeleitet. Den Mitgliedern der 64. motorisierten Infanteriebrigade der russischen Armee wird unter anderem „die grausame Behandlung von Zivilisten” vorgeworfen, erklärte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft.

13. Mai 2022: Ukrainische Justiz bereitet 41 Ermittlungsverfahren vor
Die ukrainische Justiz bereitet derzeit 41 Verfahren vor. Bei allen von ihnen handle es sich um Verstöße nach Artikel 438 des ukrainischen Strafgesetzes zu Kriegsverbrechen, aber um verschiedene Gräueltaten, so Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa. „Es geht um die Bombardierung ziviler Infrastruktur, die Tötung von Zivilisten, Vergewaltigungen und Plünderungen.” Wie viele der 41 Verdächtigen in Abwesenheit der Prozess gemacht werden muss, war zunächst nicht klar.

22. Mai 2022: Erstes Urteil ergeht wegen Mord an einem Zivilisten
Im ersten  Kriegsverbrecherprozess in der Ukraine erging das Urteil. Ein 21-jähriger Angeklagter wurde wegen Mordes an einem Zivilisten zu lebenslanger Haft verurteilt. Der junge Soldat gestand die Tat und zeigte Reue. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch, weil der Soldat einen Befehl ausgeführt habe. Sie möchte auch Berufung einlegen. Es wird für möglich gehalten, dass der Mann gegen ukrainische Gefangene in Russland ausgetauscht wird. Wie die Ukraine hat auch Russland viele Soldaten in Gefangenschaft genommen.

31. Mai 2022: Zwei weitere Soldaten werden verurteilt
Zwei russische Soldaten sind wegen Angriffen auf Dörfer zu mehr als elf Jahren Haft verurteilt worden. Die beiden Soldaten wurden schuldig gesprochen, beim Beschuss zweier Dörfer in der ostukrainischen Region Charkiw gegen „die Gesetze und Gebräuche des Krieges” verstoßen zu haben. Das Gericht im zentralukrainischen Kotelewska verhängte Haftstrafen von elf Jahren und sechs Monaten. Die Verurteilten hatten zugegeben, einer Artillerieeinheit angehört zu haben, die von der russischen Region Belgorod aus Ziele in der Region Charkiw beschossen hat. Bei dem Angriff wurde eine Bildungseinrichtung in der Stadt Derhatschi zerstört. Es gab aber keine Opfer, so die Staatsanwaltschaft. Die Soldaten wurden den Angaben zufolge gefangengenommen, nachdem sie die Grenze überschritten und den Beschuss fortgesetzt hatten.

7. Juni 2022:  Ukraine kündigt Informationssystem „Buch der Henker” zur Erfassung mutmaßlicher Kriegsverbrecher an
Zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechern kündigte der ukrainische Präsident Selenskyj an, ein Informationssystem einzurichten, um Daten über mutmaßliche Kriegsverbrecher zu erfassen. Im „Buch der Henker“ sollten bestätigte Angaben über Kriminelle aus der russischen Armee zusammengetragen werden, so Selenskyj: „Es handelt sich um konkrete Fakten zu konkreten Personen, die sich konkreter, grausamer Verbrechen gegen Ukrainer schuldig gemacht haben.“ Dabei gehe es nicht nur darum, die direkten Täter wie etwa die Soldaten zur Verantwortung zu ziehen, sondern auch deren Befehlshaber, die die Taten ermöglicht hätten - „in Butscha, in Mariupol, in all unseren Städten“. Alle sollten zur Rechenschaft gezogen werden.

29. Juli 2022: 50 ukrainische Kriegsgefangene kommen in russischem Gefangenenlager im Donbass ums Leben
Bei einer Explosion im russischen Kriegsgefangenenlager Oleniwka im besetzten Donbass kamen über 50 ukrainische Kriegsgefangene ums Leben, sie verbrannten teils in ihren Betten. Russland streitet die Verantwortung dafür ab und verweigert unabhängigen Ermittlern den Zugang zu den Örtlichkeiten. Damit nährt der Kreml den Verdacht auf Kriegsverbrechen. Menschenrechtler des ukrainischen Zentrums für bürgerliche Freiheiten vermuten im besetzten Donbass bereits seit Jahren dutzende Foltergefängnisse wie jenes in Olenika, in denen Kriegsgefangene gefoltert und lebendig verbrannt worden sein sollen. Die Ukraine wirft Russland vor, gezielt einen Sprengsatz in einem Gebäude des Gefangenenlagers Oleniwka gezündet zu haben, um systematische Folter zu vertuschen. Russland hingegen wirft der Ukraine vor, das Gefängnis gezielt beschossen zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine hat ein Ermittlungsverfahren wegen des mutmaßlichen Beschusses des Gefängnisses Oleniwka in der Region Donezk eingeleitet. Auch die Vereinten Nationen haben ihrerseits Untersuchungen angekündigt. UN-Generalsekretär António Guterres teilte mit, dass sowohl die Regierung in Kiew als auch jene in Moskau Anträge gestellt hätten, um die Explosionen untersuchen zu lassen. Allerdings dürften die UN-Experten keine strafrechtlichen Ermittlungen führen.

16. September 2022:„Beweise für Folter” - Ukrainische Behörden untersuchen 440 Gräber in der Nähe von Isjum
Nach dem Fund Hunderter Leichen in der von der russischen Besatzung befreiten ostukrainischen Stadt Isjum hat Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Bestrafung Moskaus wegen Kriegsverbrechen gefordert. Die Welt dürfe nicht zusehen, wie der „Terrorstaat" Russland töte und foltere, so der ukrainische Präsident Selenskyj.

13. Oktober 2022: Bislang 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert
Die Ukraine hat nach Angaben ihres Generalstaatsanwaltes bislang 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert, von denen sich allerdings derzeit nur wenige bereits in Haft befänden. In 45 Fällen wurden die Ermittlungen nach Informationen von Kostin abgeschlossen und dem Gericht übergeben, 10 Personen wurden bereits verurteilt. Das Ausmaß der Verbrechen sei immens, so Generalstaatsanwalt Andriy Kostin. Es gebe Hinweise, dass seit Ausbruch des Krieges jede Art von Kriegsverbrechen begangen worden sei, wie Folter, Mord, Vergewaltigung oder Vertreibung.

1. Dezember 2022: 40.000 russische Kriegsverbrechen registriert
Nach eigenen Angaben hat die Ukraine mittlerweile 40.000 russische Kriegsverbrechen registriert. Sie wolle sich in den Ermittlungen aber nicht auf jeden einzelnen Fall konzentrieren, sagte Justizminister Denys Maljuska. „Es wäre zu kompliziert und langwierig, einen Zusammenhang zwischen dem einzelnen Soldaten, der diese Verbrechen begangen hat, und seinen Befehlsgebern zu etablieren, die eigentlich verantwortlich sind.” Stattdessen wolle man zwei Straftaten verfolgen, unter denen sich die Kriegsverbrechen zusammenfassen ließen: völkerrechtswidrige Aggression und Völkermord.

Ermittlungen in Russland

Bereits mit der Einnahme Mariupols im Mai 2022 und der Gefangennahme der zuletzt im dortigen Asow-Stahlwerk verbliebenen rund 2400 ukrainischen Soldaten, hatte die russische Seite eine Strafverfolgung angekündigt. Russland bezeichnet die Soldaten des Asow-Regiments als „Nazi-Verbrecher". Der Chef des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, sprach sich nach ihrer Gefangennahme in Mariupol gegen einen von der Ukraine gewünschten Gefangenenaustausch aus: „Das sind Kriegsverbrecher, und wir müssen alles dafür tun, sie vor Gericht zu stellen".

Insgesamt hat Russland laut eigenen Angaben seit Beginn der Operation Ende Februar 2022 fast 6500 Ukrainer gefangen genommen.

7. Juni 2022:1000 ukrainische Kriegsgefangene nach Russland gebracht
Im Juni meldete Russland, mehr als 1000 ukrainische Kriegsgefangene aus dem Mariupoler Stahlwerk seien mittlerweile nach Russland gebracht worden. Die russischen Strafverfolgungsbehörden würden sich derzeit mit ihnen beschäftigten. Unter ihnen könnten sich offenbar mehr als 100 ausländische „Söldner“ befinden. Bald würden noch mehr ukrainische Gefangene nach Russland überführt.

9. Juni 2022: Ausländische Kämpfer im Donbass zum Tode verurteilt
Auch in der von Separatisten gehaltenen Donbass-Region im Osten der Ukraine haben erste Prozesse begonnen. Das Oberste Gericht der separatistischen Donezker Volksrepublik hat Anklage gegen drei Ausländer aus den Reihen der ukrainischen Armee erhoben. Zwei Briten und ein Marokkaner werden des Söldnertums angeklagt. In Moskau werden diese freiwillig die ukrainische Seite kämpfenden Ausländer als Söldner bezeichnet. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, hatte erklärt, sie würden nicht als Kombattanten betrachtet und stünden nicht unter dem Schutz der internationalen Konventionen zur Behandlung von Kriegsgefangenen. „Im besten Fall“ müssten sie bei einer Gefangennahme mit einer langen Gefängnisstrafe rechnen.

Die prorussischen Separatisten hatten bereist zuvor angedroht, gefangene Ausländer in den Reihen der ukrainischen Armee hinrichten zu lassen. Das Oberste Gericht der selbsternannten Donezker Volksrepublik hat die drei ausländischen Kämpfer am 9. Juni nun zum Tode verurteilt. Vorgeworfen wird ihnen Söldnerwesen, die Begehung von Straftaten und terroristische Aktivitäten. Die drei Männer kündigten Berufung gegen das Urteil an. Sie gaben an,  dem ukrainischen Militär anzugehören. Dies würde sie zu Soldaten im aktiven Dienst machen, die durch die Genfer Konventionen für Kriegsgefangene geschützt sein sollten. Großbritannien hatte erklärt, dass sie als Kriegsgefangene Anspruch auf Immunität hätten und nicht wegen ihrer Teilnahme an Feindseligkeiten angeklagt werden dürften. Auch das UN-Menschenrechtsbüro in Genf sprach im Falle der für die Ukraine kämpfenden Ausländer von Kriegsgefangenen, die Anspruch auf Schutz hätten. „Prozesse gegen Kriegsgefangene sind Kriegsverbrechen”, sagte eine Sprecherin in Genf. Die deutsche Bundesregierung hat die Todesurteile scharf kritisiert. Es zeige sich„„einmal mehr die volle Missachtung Russlands für elementare Grundsätze des humanitären Völkerrechts”, so der Sprecher.

2. August 2022: Russland stuft Asow-Regiment als „terroristische Organisation” ein
Der Oberste Gerichtshof Russlands hat das ukrainische Asow-Regiment als „terroristische Organisation” eingestuft. Für die gefangengenommenen Kämpfer aus dem Asow-Stahlwerk in Mariupol könnte die Entscheidung eine sehr harte Bestrafung nach sich ziehen. aut dem russischen Strafgesetzbuch drohen Mitgliedern „terroristischer" Gruppen bis zu zehn Jahre Haft. Für Anführer und Organisatoren kann das Strafmaß 20 Jahre betragen. 

Ermittlungen in Deutschland

Auch der deutsche Generalbundesanwalt hat bereits im März 2022 mit der Durchführung eines Strukturermittlungsverfahrens begonnen. Seither sammelt er systematisch Informationen über mögliche russische Kriegsverbrechen in der Ukraine.  Das Bundeskriminalamt (BKA)  teilte im Juni 2022 mit, in mehreren hundert Fällen Hinweisen auf russische Kriegsverbrechen in der Ukraine nachzugehen. Ermittelt werde zu Tätern, aber auch zu den militärisch und politisch Verantwortlichen.. Ziel sei es, die Verantwortlichen zu identifizieren und ihnen ihre Taten nachzuweisen. Damit bereite man sich auf mögliche Anklagen in Deutschland vor, so BKA-Präsident Holger Münch.

Das Bundeskriminalamt ruft die auf, Hinweise über mutmaßliche Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zu melden. Insbesondere wer selbst Opfer oder Augenzeuge geworden ist, kann sich an auch an jede örtliche Polizeidienststelle wenden.

Es ist ebenfalls möglich, sich an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu wenden, welcher ein Hinweisportal in englischer Sprache eingerichtet hat.

Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen
Abschnitt II
Kombattanten- und Kriegsgefangenenstatus
Art. 43 Streitkräfte

1. Die Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei bestehen aus der Gesamtheit der organisierten bewaffneten Verbände, Gruppen und Einheiten, die einer Führung unterstehen,  welche  dieser  Partei  für  das  Verhalten  ihrer  Untergebenen  verantwortlich ist; dies gilt auch dann, wenn diese Partei durch eine Regierung oder ein Organvertreten ist, die von einer gegnerischen Partei nicht anerkannt werden. Diese Streitkräfte  unterliegen  einem  internen  Disziplinarsystem,  das  unter  anderem  die  Einhaltung  der  Regeln  des  in  bewaffneten  Konflikten  anwendbaren  Völkerrechts  gewährleistet.

2. Die  Angehörigen  der  Streitkräfte  einer  am  Konflikt  beteiligten  Partei  (mit  Ausnahme des in Artikel 33 des III. Abkommens bezeichneten Sanitäts- und Seelsorgepersonals)  sind  Kombattanten,  das  heisst,  sie  sind  berechtigt,  unmittelbar  an  Feindseligkeiten teilzunehmen.

3. Nimmt eine am Konflikt beteiligte Partei paramilitärische oder bewaffnete Vollzugsorgane in ihre Streitkräfte auf, so teilt sie dies den anderen am Konflikt beteiligten Parteien mit.

Zu den weiteren Artkeln des Zusatzprotokolls

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„Gemeinsame Ermittlungsgruppe” (GEG) und weitere internationale Gremien

Auf Initiative des litauischen Generalstaatsanwalts, des polnischen Justizministers und Generalstaatsanwalts und des ukrainischen Generalstaatsanwalts war bereits im März 2022 eine sogenannte „Gemeinsame Ermittlungsgruppe” (GEG) entstanden, in der sich mehrere Staaten zusammengeschlossen haben. Bei der Einrichtung der GEG leistete Eurojust, eine Justizbehörde der EU mit Sitz in Den Haag, die rechtliche und technische Unterstützung. Von Anfang an war auch angedacht, den Internationalen Strafgerichtshof mit ins Boot zu holen, um sich gegenseitig zu unterstützen, die Kräfte zu bündeln und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Ebenso zeigt sich auch die Strafverfolgungsbehörde Europol  bereit, die GEG zu unterstützen. Die Teilnahme an der GEG könne laut Eurojust zu gegebener Zeit auf andere EU-Mitgliedstaaten, Drittländer oder andere Dritte ausgedehnt werden. So haben sich jüngst etwa auch die Justizbehörden der Slowakei, Lettlands und Estlands der GEG angeschlossen. Laut IStGH-Chefankläger Khan haben darüber hinaus mittlerweile 13 weitere Staaten eigene Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen. Auch diese Staaten könnten sich über kurz oder lang noch der GEG anschließen. Der Krieg in der Ukraine sorgt somit für eine beispiellose juristische Kooperation, die es bislang in diesem Ausmaß nicht gegeben hat.„Noch nie in der Geschichte bewaffneter Konflikte hat die Rechtsgemeinschaft mit solcher Entschlossenheit reagiert”, so Eurojust-Präsident Ladislav Hamran.

25. März 2022: Bildung der GEG
Die nationalen Behörden Litauens, Polens und der Ukraine unterzeichneten am 25. März eine entsprechende Vereinbarung über die Bildung einer gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG) zur Untersuchung „mutmaßlicher schwerer internationaler Verbrechen in der Ukraine“. Sie soll Beweise sammeln und Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine untersuchen.

28. März 2022: Europäische Union unterstützt die GEG
Die Europäische Union möchte die neue Gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG) unterstützen. Nachdem Eurojust bereits die Einrichtung der Gruppe befördert hat, werde die europäische Justizbehörde die Arbeit der GEG auch weiterhin unterstützen. Die EU kündigte ferner an, die Ermittlungsgruppe werde eng mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten. Ein solch koordinierter Ansatz der ukrainischen Behörden, der EU, ihrer Mitgliedstaaten und Agenturen sowie des Internationalen Strafgerichtshofs werde es ermöglichen, die Beweismittel so vollständig und rechtswirksam wie möglich zu sammeln, zu analysieren und zu verarbeiten.

4. April 2022: EU möchte ein Ermittlungsteam in die Ukraine schicken
Nach der Entdeckung der Massengräber in Butscha möchte die EU zur Aufklärung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen ein Ermittlungsteam in die Ukraine schicken. Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mitteilte, sind die EU-Justizbehörde Eurojust und die Strafverfolgungsbehörde Europol zu Unterstützung bereit.

25. April 2022: Internationaler Strafgerichtshof schließt sich GEG an
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wird sich an Gemeinsamen Ermittlungsgruppe beteiligen, die Vorwürfe von Kriegsverbrechen in der Ukraine nach der russischen Invasion untersucht, teilte Eurojust mit. IStGH-Ankläger Karim Khan und die Generalstaatsanwälte Litauens, Polens und der Ukraine hätten eine Vereinbarung über die erstmalige Beteiligung des internationalen Kriegsverbrechertribunals an einem Ermittlungsteam unterzeichnet. Zudem sei geplant, der Justizbehörde  Eurojust zur Verfolgung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine neue Befugnisse zu erteilen. Eurojust soll die rechtliche Möglichkeit bekommen, Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln, aufzubewahren und weiterzugeben. Es wird ein verstärktes Mandat für Eurojust gefordert, damit ein zentraler Backup-Speicher eingerichtet werden kann, in dem Beweismittel, die von den Agenturen und Einrichtungen der Union sowie von nationalen und internationalen Behörden oder Dritten wie Organisationen der Zivilgesellschaft verarbeitet und archiviert werden können.

25. Mai 2022: Eurojust erhält neue Befugnisse
Der Europäische Rat hat neue Vorschriften angenommen, die es Eurojust ermöglichen, Beweismittel im Zusammenhang mit den Kernverbrechen des Völkerstrafrechts wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu sichern, zu analysieren und zu speichern. Der Text werde voraussichtlich am 30. Mai vom Europäischen Parlament und vom Rat unterzeichnet und kurz danach im Amtsblatt veröffentlicht. Er tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung in Kraft.

14. Juli 2022: Konferenz zu Kriegsverbrechen
Bei einer Konferenz berieten sich die EU-Staaten mit hochrangigen Anklägern über das weitere Vorgehen bei der Strafverfolgung der in der Ukraine begangenen Völkerrechtsverbrechen. EU-Justizkommissar Didier Reynders spricht mittlerweile von mehr als 21.000 Ermittlungen. Dabei brauche es endlich eine gemeinsame Strategie, um Kriegsverbrechen in der Ukraine zu ahnden, forderte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan: „Es gibt die Gefahr, dass bei dieser Flut von Ermittlungen Beweise, die wir brauchen, eher verloren gehen. Kriegsverbrechen sind international geächtet, und wir haben die Verantwortung, zu ermitteln. Aber da herrscht jetzt ein großes Durcheinander. Außerdem gibt es eine Überdokumentation. So wissen wir nicht, wie viele Opfer von Vergewaltigungen es gibt, weil die Betroffenen mehrfach befragt werden. Deshalb ist es wichtig, sich abzusprechen.”

3. Juli 2023:Gründung des „Zentrums für die Verfolgung des Verberechens der Aggression in der Ukraine”
Da der Internationale Strafgerichtshof ein Verfahren zum Vorwurf der Aggression nicht einleiten darf, wurde nun bei der EU-Justizbehörde Eurojust in Den Haag ein „Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression in der Ukraine” eröffnet. Beteiligt daran sind die Ukraine, mehrere EU-Staaten, die USA sowie der Internationale Strafgerichtshof. Das neue Zentrum möchte Beweise zu Planung, Vorbereitung und Ausführung des russischen Angriffskrieges sammeln und gezielt Anklagen gegen mutmaßliche Täter vorbereiten. Auch eine Verfolgung der russischen Staatsführung werde nicht ausgeschlossen.

2. April 2024:Konferenz zur „Wiederherstellung der Gerechtigkeit für die Ukraine” im Den Haager Weltforum
Bereits kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hatte man sich im Den Haager Weltforum getroffen, ein Jahr später wurde das Gesprächsformat fest etabliert. Im April 2024 traf sich an diesem runden Tisch schließlich eine große Gruppe von Vertretern der Europäischen Kommission, des Europarats, von Eurojust, des Internationalen Strafgerichtshofs mit den Außenministern aus über 40 Ländern. Gerechtigkeit wiederherstellen - so der Tenor dieser Ukraine-Konferenz. Das ambitionierte Ziel, mutmaßliche Verbrecher vor Gericht zu stellen und Russland für die Schäden aufkommen zu lassen, die im Krieg gegen die Ukraine entstanden sind. Ein „Register für Schadensmeldungen von ukrainischen Kriegsopfern” wurde eröffnet, um die von Russland im Laufe des Krieges verursachten Schäden vollständig zu erfassen. Laut Experten wird der Wiederaufbau des Landes mehrere hundert Milliarden Euro kosten. Die Ukraine rechnet damit, dass bis zu 600.000 Opfer des Krieges Ansprüche stellen werden. EU-Justizkommissar Didier Reynders verwies auf erste Fortschritte bei der internationalen Zusammenarbeit. Mit dem im vergangenen Jahr eröffneten „Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression” in der Ukraine habe eine Behörde ihre Arbeit aufgenommen, die derzeit konkrete Anklagen vorbereite. In der Abschlusserklärung erklärten die 44 Unterzeichner fenrer ihre Entschlossenheit, auf die Einrichtung eines Sondertribunals für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression hinzuarbeiten.

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UN-Menschenrechtsrat (UNHCR)

„Unabhängige internationale UN-Untersuchungskommission zur Ukraine“

Der UN-Menschenrechtsrat ist kein Gericht, sondern ein Nebenorgan der UN-Generalversammlung, das den weltweiten Schutz von Menschenrechten fördert. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen befasst sich ebenfalls mit dem Krieg in der Ukraine. Eine UN-Beobachtermission sammelt seit Mai 2022 in der Ukraine Beweise für mutmaßliche russische Kriegsverbrechen. Dieses Material wird in Berichten dokumentiert und soll in möglichen Kriegsverbrecherprozessen Verwendung finden.

Die „Unabhängige internationale UN-Untersuchungskommission zur Ukraine“ unter dem Vorsitz des norwegischen Richters Erik Møse arbeitet im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates. Am 15. Juni 2022 berichtete sie in Kiew von ihren ersten Ermittlungen in mehreren Orten der Ukraine. Die Ausführungen des UN-Ermittlers und seiner Kollegen bestätigen die Gewissheit, dass die russischen Truppen einen grausamen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führen. „In Butscha und Irpin erhielt die Kommission Informationen über die willkürliche Tötung von Zivilisten, die Zerstörung und Plünderung von Eigentum sowie über Angriffe auf zivile Infrastruktur, einschließlich Schulen”, erklärte der Kommissionsvorsitzende Erik Møse. „In den Regionen Charkiw und Sumy dokumentierte die Kommission die Zerstörung großer städtischer Gebiete.” Mutmaßlich legten die Russen die Gebiete durch Luftschläge, Raketen und Artillerie in Schutt und Asche.

Die UN-Untersuchungskommission für die Ukraine sei kein Tribunal, sondern eine „Tatsachenermittlungskommission", betont Møse. Ihr Mandat sei dennoch weitreichend und umfasse die Untersuchung von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, die Identifizierung von Tätern, Personen oder Einrichtungen sowie die Unterbreitung von Vorschlägen zur Rechenschaftspflicht. Die Kommission arbeite völlig unabhängig, stehe aber in einem Dialog mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und der Staatsanwaltschaft der Ukraine, um eine gewisse Koordinierung zu erreichen, so Mose. Bis zum März 2023 müsse die Kommission dem Menschenrechtsrat ihren Abschlussbericht vorlegen. Dann sei es Sache des Menschenrechtsrates, auf der Grundlage der Empfehlungen des Berichts über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Und eine Möglichkeit der Rechenschaftspflicht werde natürlich ein mögliches Strafverfahren sein

UN-Hochkommissarin Bachelet machte indes klar, dass auch auf ukrainischer Seite Hinweise auf Kriegsverbrechen gebe, denen man ebenso nachgehen werden. So wirft Bachelet beiden Seiten vor, militärische Stellungen in die Nähe ziviler Gebäude zu legen und damit „menschliche Schutzschilde” zu benutzen. Es gebe zudem Hinweise auf Misshandlung und Folter von Kriegsgefangenen, auch Fälle von Vergewaltigung und anderer sexualisierter Gewalt seien in russisch wie in ukrainisch kontrollierten Gebieten dokumentiert, wie auch der im Juni 2022 veröffentlichte Bericht der UN aufzeigt In Summe wirft er Russland jedoch eine deutlich größere Zahl und Bandbreite an potenziellen Menschenrechtsvergehen und Kriegsverbrechen vor als der Ukraine.

Im Bericht der Beobachtermission vom November 2022 schildert die UN, welche Leiden Kriegsgefangene ertragen müssen: Folter, Erniedrigung und weitere schwere Misshandlungen in Form von Schlägen, Elektroschocks und sexueller Gewalt. Die UN-Expertinnen und Experten interviewten hierfür 159 Männer und Frauen, die in russischer Gefangenschaft waren als auch 175 Männer in ukrainischer Gefangenschaft. Auf beiden Seite hätten die Gefangenen von Tötungen und Folter berichtet. Die Leiterin der UN-Beobachtermission im Ukraine-Krieg erinnerte an die Genfer Konvention, die sowohl die Ukraine als auch Russland unterzeichnet haben: Das absolute Verbot von Folter und Misshandlung von Kriegsgefangenen.

Kinder als menschliche Schutzschilde, Luftangriffe auf Schulen: Die UN wirft Russland in einem Bericht vom Juni 2023 nach neuen Untersuchung schwere Verbrechen gegen Kinder vor und hat 136 Fälle zusammengetragen, in denen Kinder in der Ukraine durch russische Streitkräfte getötet wurden. Wegen der strengen Richtlinien zur Verifikation solcher Fälle gebe es darüber hinaus eine hohe „Dunkelziffer”. Die russische Armee wurde nun in eine UN-Liste von Organisationen aufgenommen, die schwere Vergehen gegen Kinder in bewaffneten Konflikten begehen. Zugleich legte die UN auch der Ukraine zur Last, für die Tötung von Kindern verantwortlich zu sein.

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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) - Europarat

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  ist ein auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von den Mitgliedstaaten des Europarats 1959 eingerichteter Gerichtshof mit Sitz in Straßburg. Der EMRK sind alle 47 Mitglieder des Europarats beigetreten.  Sowohl ein Mitgliedstaat (Staatenbeschwerde) oder eine Einzelperson (Individualbeschwerde) können direkt eine Beschwerde beim Gerichtshof einlegen, wenn man der Auffassung ist, ein durch die Konvention garantiertes Recht sei durch einen Mitgliedstaat verletzt worden.

Nach dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat im März 2022 hat der zum Europarat gehörende EGMR alle Verfahren gegen Russland vorerst ausgesetzt. Russland gehört fortan nicht mehr zu den Unterzeichnerstaaten der europäischen Menschenrechtskonvention. Unter die Gerichtsbarkeit des EGMR fällt nur, wer auch Mitglied im Europarat ist.

Dennoch hat der EGMR Russland im Juli 2022 dazu aufgefordert, die Rechte ukrainischer Kriegsgefangener zu achten. Wie das Straßburger Gericht mitteilte, beschloss es dazu eine sogenannte einstweilige Maßnahme. Einstweilige Maßnahmen sind laut Gericht verbindlich und werden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr auf irreparablen Schaden ausgesprochen. Russland hatte allerdings bereits vor Monaten mitgeteilt, sich nicht mehr an Entscheidungen aus Straßburg halten. Eine Ukrainerin, deren Mann als Kriegsgefangener aktuell in einem russischen Camp untergebracht ist, hatte sich zuvor an das europäische Menschenrechtsgericht gewandt. Sie will in dem Camp Folter an Ukrainern gesehen haben.

Auf dem Gipfeltreffen des Europarats im Mai 2023 haben sich die 46 Länder des Rats darauf verständigt, ein Register zur Erfassung von Kriegsschäden in der Ukraine einzurichten .Darin sollen alle von Russland in der Ukraine verursachten Schäden festgehalten werden. Ein erster Schritt auf dem Weg für mögliche Entschädigungszahlungen.

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NGOs

In der Ukraine dokumentieren auch Nichtregierungsorganisationen Kriegsverbrechen. So haben auch Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International (AI) Mitarbeitende entsandt, die vor Ort Hinweise aufnehmen.

Sobald die russischen Besatzer aus einer Region abgezogen sind, können die Mitarbeitenden der NGOs ihre Arbeit aufnehmen. Meist würden lokale Institutionen auf mögliche Gräueltaten aufmerksam, so die HRW-Ermittlerin Belkis Wille. Oder man erfahre über Medien oder Erzählungen von mutmaßlichen Taten. Dann beginne die Suche nach Hinweisen und schließlich Beweisen. Dokumentiert werde die komplette Bandbreite an Kriegsverbrechen, von Tötungen von Zivilisten über Folter, Vergewaltigungen und Verschleppungen bis hin zum Einsatz von verbotenen Waffensystemen wie Streumunition und Landminen. Staatliche Institutionen seien zwar im Vergleich meist besser untereinander und mit Geheimdiensten vernetzt, jedoch seien NGOs dafür flexibler und näher an den Menschen vor Ort dran, die sich meist eher Mitarbeitenden von NGOs anvertrauen würden.

Während es aus dem Syrienkrieg viele Tätervideos von Hinrichtungen und anderen Kriegsverbrechen gebe, seien sich die russischen Truppen der Tatsache „sehr bewusst”, dass diese Materialien für eine spätere Strafverfolgung von Bedeutung sein könnten, so Wille. Russische Soldaten, die in die Ukraine geschickt wurden, hätten daher ihre Smartphones vorher abgeben müssen.

Dokumentationen von Human Rights Watch

Nachdem Human Rights Watch bereits im April mehrere Fälle russischer Kriegsverbrechen dokumentiert hatte, hat die Organsisation am 23. Mai einen weiteren Bericht vorgelegt. In 17 Dörfern und Kleinstädten in den Regionen Kiew und Tschernihiw, die Human Rights Watch im April besucht hat, wurden Hinrichtungen, andere ungesetzliche Tötungen, mögliche Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen und  Fälle von Folter dokumentiert.

 Dokumentationen von Amnesty International

In dem am 6. Mai 2022 veröffentlichten Bericht „He's Not Coming Back: War Crimes in Northwest Areas of Kyiv Oblast” dokumentiert Amnesty International rechtswidrige Luftangriffe auf Borodjanka sowie außergerichtliche Hinrichtungen in anderen Städten und Dörfern, darunter Butscha, Andrijiwka, Zdvyzhivka und Worsel.

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Der Völkerrechtsblog ist ein wissenschaftlicher Blog zu allen Fragen des Völkerrechts und des Völkerrechtsdenkens. Auf dieser Seite sind sämtliche Beiträge in Bezug auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine versammelt:

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